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Was heißt hier Sämtlich-Alter?

Zauberwort - Der Lei(d)tartikelWas heißt hier Sämtlich-Alter?
Oder alte Hüte in neuen Schachteln

In letzter Zeit kommt in der Buchbranche ein Begriff in Mode, der da übersetzt heißen könnte Sämtliche-Alter und der da (typisch Neudeutsch und kurz und knackig in englischer Sprache) als All-Age daher kommt.

Was will uns dieser Begriff nun sagen? All-Age bedeutet wohl, dass Bücher zwischen 8 und 80 goutiert werden können, es also kein definiertes Lesealter gibt bzw. dies ignoriert wird.


 Das Aufkommen des Begriffs All-Age resultiert wohl aus den insbesondere mit Joanne K. Rowlings „Harry Potter“-Romanen gesammelten Erfahrungen. Neben der wohl ursprünglich anvisierten Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen, tummelten sich unter den Käufern und Lesern auch Eltern, Großeltern und Urgroßeltern. Joanne K. Rowling hat den Weg zu einem Tor gewiesen, dass clevere Marketingleute (wir erinnern uns, Marketing heißt: Shit well sold), erkannten und natürlich mit einem griffigen Slogan (in Englisch) versehen mussten.
Das lässt sich besser verkaufen.

Dabei wurde für jeden Trend und jeden Roman, der nur ein Hauch von der Norm abwich, ein eigenes Subgenre kreiert (vgl. hierzu auch Jochen Adams Artikel). Die Fantasy an sich hat viel ausgehalten und wird auch noch mehr überstehen. Das Genre hat sich zussehends etabliert, ist seit Jahren quasi im Mainstream angekommen und hat das Image der Fluchtliteratur für weltfremdde Sonderlinge beinahe abgeschüttelt. Wenn die diversen Slogans, die kreiert wurde, dabei geholfen haben, ist das OK. geschadet haben sie nicht.

Das Logo des Randomhouse Verlags PenhaligonIn Deutschland wird nun gar von den Bertelsmännern unter dem Dach der Random-House-Gruppe (zu der unter anderem auch Heyne und Blanvalet gehören) der erste deutsche All-Age-Verlag aufgebaut. – PENHALIGON nennt sich der in den Startlöchern stehende Verlag, der im Laufe des August dann auch unter der All-Age Flagge auf den Buchmarkt segelt. Das erste Programm liegt vor und Rezensions- und Leseexemplare werden verschickt.

Aber: Ist die Idee wirklich so neu? Ein Phänomen des 21. Jahrhunderts?? Etwas, dass noch nie da war???

Nee, mag der gestandene Fantasyleser sagen. Das ist ein Phänomen, das gerade in der Fantasy weder neu noch unbekannt ist. Viele Fantasyromane können problemlos auf eine Lesergemeinde zurückblicken, die von Jugendlichen bis hin zu Rentnern reichen.

Schon über Tolkiens Meisterwerk The Lord Of The Rings wurde gesagt, dass der Roman ein außer Kontrolle geratenes Jugendbuch sei. – So fand der dreibändige Roman dann auch sein Publikum nicht nur unter Erwachsenen. Auch viele Jugendlichen lasen Frodos Abenteuer und viele Erwachsene lasen dann auch The Hobbit. Gleiches gilt für viele derer, die in Tolkiens Fußstapfen wandeln. – Fantasy ist in vielerlei Hinsicht im Kern ein All-Age Genre (mit Ausreißern ins klare Jugendbuch oder zu den Erwachsenen).

Aber das ist beileibe kein Einzelfall oder eine Ausnahme von der Regel. Gerade das Fantasygenre hat viele Werke hervorgebracht, die sowohl ein jugendliches als auch ein erwachsenes Publikum begeistert gelesen haben.

Und in Deutschland sind einige Fantasyjugendbücher gar in Programmen für Erwachsene verlegt worden (Michael de Larrabeitis Borrible-Romane, Ursula K. Le Guins Earthsea mögen Beispiel sein).

Aber auch der umgekehrte Weg war möglich. Man erinnere sich an die Siebziger als ein Jugendbuch seinen unendlichen Siegeszug durch alle Altersgruppen antrat. Michael Endes Die unendliche Geschichte avancierte zu einem All-Age-Erfolg.

Der Penhaligon Verlag hat genau Endes Roman als leuchtendes Vorbild für ihr Tun erkoren (klug, denn der Vergleich zu Tolkien ist von jedem Hans und jedem Franz schon mal gezogen worden).

Sylvia Kuttny-Walser (sopyright Strub)So schreibt Verlegerin Sylvia Kuttny-Walser an die Buchhändler im ersten Verlagsprogramm (ist ebenfalls in ähnlicher Form auf der Homepage zu finden):

„Bis heute wird ‚Die unendliche Geschichte’ als Jugendbuch bezeichnet – obwohl es auch von Millionen Erwachsenen gelesen und geliebt wurde. De facto aber war „Die unendliche Geschichte“ der erste Megaseller der All-Age-Fantasy!
Heute, knapp dreißig Jahre später, begeistert die Fantasy immer größere Leserkreise.“

Widerspruch! Tolkien war wohl der erste All-Age-Megaseller und wird es wohl auch bleiben. Doch Tolkiens Roman erschien vorgeblich für Erwachsene in der Hobbit Presse. PENHALIGON will – unter anderem - ältere Leser für Bücher begeistern, die auf den ersten Blick für ein junges Publikum bestimmt sind, wie eben Endes Buch oder eben die Abenteuer des englischen Zauberlehrlings.

Weiter schreibt Frau Kuttny-Walser

„Heute, knapp dreißig Jahre später, begeistert die Fantasy immer größere Leserkreise: Der Begriff "All Age" beschreibt dabei die Erschließung scheinbar altersloser Zielgruppen. Und die vor einigen Jahren noch eher männlich dominierte Literaturgattung begeistert inzwischen auch einen immens hohen Anteil weiblicher Leser - dank Stephenie Meyer, Cornelia Funke, Trudi Canavan…“

Die männlich dominierte Fantasy – das waren die Siebziger Jahre. Da regierte Conan und viele schwache Nachahmer-Barbaren neben dem Herrn der Ringe. Hubert Straßl mühte sich, mit Terra Fantasy zu zeigen, dass es nicht nur Barbaren gab. Einer der Meilensteine, die der Fantasy eine weibliche Leser- und Anhängerschaft erschloss, waren Marion Zimmer-Bradleys Die Nebel von Avalon – und die Autorinnen und die Autoren, die in die Fußstapfen ihres Erfolges traten. Im Grunde ist nämlich die Heroic Fantasy die ‚männliche’ Spielart der Fantasy. Nach Conan gab es da zu viele dumm-dreiste Nachahmer und zu wenige gute und innovative Autoren wie Michael Moorcock und sein Multiversum um den Ewigen Helden und Karl Edward Wagners Kane. Meyer, Funke, Carnavan sind (ohne ihre Qualitäten und Erfolge zu schmälern) in der Hinsicht Fantasy als geschlechtsneutrales (Mainstream-)Genre zu etablieren lediglich Mitläufer und Nachzieher... Die Breschen haben andere vor Jahren geschlagen.

Die Verlegerin schreibt weiter:

„Speziell jüngere Erwachsene finden in der Fantasy all die Themen, mit denen sie auch in ihrem eigenen Leben konfrontiert sind: Eigenverantwortung, Selbstfindung, das Spannungsfeld zwischen den Interessen des Einzelnen und denen der Gemeinschaft, Rivalität, Loyalität, Freundschaft - und natürlich Liebe! Kein Wunder also, dass trotz TV-Konkurrenz und Internet die fantastische Literatur boomt: Das Wachstum der Fantasy im deutschen Belletristikmarkt betrug 2007 sage und schreibe 8,65 Prozent!“

Jou, die Fantasy legt nach wie vor zu. Frau Kuttny-Walser deutet auch an, dass gerade in den USA romantische Fantasy in den USA an Boden gewinnt. Da schreiben bekannte Liebesromanautorinnen nun Fantasy und nehmen ihre Leserschaft gleich mit und PENHALIGON hat auch gleich ein Programmssegment „Romantasy“. Da muss man schauen wie sich das entwickelt. Immerhin hat in Deutschland diesen Trend als erstes erkannt, aber auch hier gibt es dann gleich einen neuen Marketingbegriff. Dabei ist auch diese Idee nicht neu. In den Achtzigern war aber die Zeit noch nicht reif, als Heyne es schon mit romantischer Fantasy versuchte. – Vielleeicht klappt es diesmal.

Aber gerade die jüngeren Erwachsenen sind die Zielgruppe, denn die Verlegerin definiert dann die All-Age-Zielgruppe für PENHALIGON ohne Not als „erwachsenes Publikum zwischen 18 und 30“ (dieser exakte Altershinweis fehlt auf der Homepage).

Letztlich ist mir das als 44jähriger Opa völlig egal, welche Zielgruppe definiert wird. Wenn mich ein Buch interessiert, lese ich es – gleich ob ich der Zielgruppe angehöre oder nicht.

All-Age entlarvt sich hier als das was es ist – ein Marketingbegriff. Nicht mehr. Tolkien, Ende, Rowling, Funke – Sie alle haben sich ihre Leser in allen Altersgruppen erschlossen, ohne dass der Begriff All-Age da war.

Wenn PENHALIGON gute Bücher macht (erste Rezensionen erscheinen Ende August/Anfang September im Zauberspiegel und mit Sicherheit auch anderswo), werden die sich durchsetzen und PENHALIGON ein Erfolgsmodell. Sie werden gekauft und gelesen werden. Nicht nur von der Zielgruppe und unabhängig von der Marketingidee.

Dann dürfen wir mal gespannt sein, ob und wie sich PENHALIGON und All-Age entwickeln, doch gleich wie: Gute Bücher zu machen ist das Entscheidende. Bücher, die möglichst viele lesen wollen. Die schönsten Schlagworte nützen nichts, wenn dem nicht so ist.

Man darf gespannt sein...

Kommentare  

#1 Mainstream 2008-06-21 10:58
Ich finde 'Alle Altersgruppen' sehr gefährlich.

Persönlich habe ich zwei Jugendbuch-Reihen in den vergangenen Wochen gelesen. Zum einen waren da die 'Spiderwicks' und hinterher gesellte sich das 'Marsprojekt'.

Bei diesen beiden, ist 'Spiderwick' für eine weit jüngere Altersgruppe angegeben, war aber um Längen besser geschrieben und selbst für Erwachsene wunderschön zu lesen, ohne den Leser zu unterfordern.

Obwohl ich bisher Andreas Eschbach verschlungen habe, ist seine Jugendbuchreihe 'Marsprojekt' himmelschreiend simpel verfasst. Eschbach zeigt nicht das geringste Gespür, Jugendlich in ihrer Sprache und ihrem Tun wiedergeben zu können. Schlimmer noch, er hält den jugendlichen Leser für ein dummes Ding mit keinerlei Aufmerksamkeitsspanne.

Ich habe mir diese beiden Buchreihen bewusst ausgewählt. Was passiert aber bei diesem 'für alle Altersgruppen'? Es passiert, das ich vielleicht wieder sowas wie 'Marsprojekt' erwische, während ich auf die 'Spiderwicks' hoffe. Da vergeht mir aber schnell das Lesen.

Und die 32 jährige Mutter des 10 jährigen Kevin löst am Strand dann doch lieber wieder Kreuzworträtsel, anstatt familiäres Gemeinschaftserlebnis zu zelebrieren.
#2 DarkWriter 2008-06-21 14:32
Hallo,

ich finde das All-Age nicht schlecht. Viele Leute interessieren sich nicht für Bücher und wissen auch nicht, welche Themen wie und wo verarbeitet werden. Sie schauen auf das Cover, lesen vielleicht noch den Klappentext und das war es auch schon. Ob das Buch für Erwachsene und Jugendliche gleichermaßen interessant ist, vermögen solche Leute nicht zu erkennen. Ein Label "All Ages" mag ihnen da hilfreich sein. Zumal es nicht einmal unbedingt darum gehen muss, ob das Buch auch für Erwachsene geeignet ist, sondern umgekehrt - ist ein recht erwachsen klingender Titel auch für Jugendliche geeignet?
Ich zum Beispiel schreibe bis auf zwei Ausnahmen nur für Erwachsene. Meine Bücher sind nichts für Jugendliche, zu viel Sex und Gewalt. Aber das erkennt man zum Beispiel nicht, wenn man nur den Klappentext liest. Und in Zeiten, in denen man lieber rasch bei Amazon bestellt, statt in der Buchhandlung in die Bücher reinzuschmökern, kommt dem Klappentext und dem Cover eine hohe Stellung zu.

Grüße

EDIT: Tippfehler
#3 Mainstream 2008-06-22 12:25
Morgen,

Deinen Ausführungen, DarkWriter, muss ich natürlich zustimmen. Die jugendlichen Leser sollten alterserträgliches Material bekommen, ohne Zweifel.

Aber (da kommt es wieder, das große Aber) gibt es nicht in jeder Buchhandlung die dafür eingerichteten Kinder- und Jugendbuchregale? Wenn ich als Erwachsener da rein greife und albernes Zeug erwische, Pech gehabt.

Ich bin einmal so offen zu sagen, das mich die Kinder, oder Jugendlichen gar nicht interessieren. Meine Befürchtung dreht sich einfach nur um mich, das ich als einer der wenig liesst, mit dem Stempel 'alle Altersgruppen' in die Irre geführt werde.

Genau genommen ist ja 'Peterchens Mondfahrt' auch für alle Altersgruppen. Persönlich ziehe ich eben nicht soviel Spaß beim lesen daraus. Alle die hier an dieser Stelle unserer beiden Kommentare lesen, sind gut informierte, bereits sehr belesene Menschen. Wir informieren uns untereinander, wir kennen die Materie, die Schreiber.

Ich muss, wenn ich mich auf Jugendbücher einlasse, mit Enttäuschungen rechnen. Das Label 'All Ages' könnte hilfreich sein, wird aber (in alter Pessimisten Tradition) bestimmt in einigen gravierenden Fällen missbraucht werden. Genau wie Cover und Klappentext nichts anderes wie Verkaufsförderer darstellen, die meist sehr unzuverlässig sind.

Aber (das letzte Aber heute) DarkWriters Ausführungen will ich uneingeschränkt zustimmen, das ein Roman für Erwachsenen mit diesem 'all Ages' Label den Jugendlichen durchaus zugute kommen würde.

ich geh' jetzt in die Sonne
Tschüss

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