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Fantasy – Das Erfolgslabel

Zauberwort - Der Leit(d)artikelFantasy – Das Erfolgslabel
- Vom Genre zum Marketing-Begriff -

Wie sagte Franz Rottensteiner im Gespräch mit dem Zauberspiegel: „Man sieht gegenwärtig den totalen Triumph der Fantasy.“ Nun ja. Sie ist erfolgreich die Fantasy. So erfolgreich, dass Romane unter dieses Label geschoben werden, die mit Fantasy nichts (aber auch rein gar nichts) zu tun haben. Da wird aus Phantastik oder Horror-Romanen „Urban-„ oder „Dark Fantasy“. 
Es soll sogar Menschen geben, die erklären, dass einer der Klassiker der Phantastik  (Horror) „Dracula“ vom ehrenwerten Bram Stoker „Urban Fantasy“ sei... Ich meine auch in Zusammenhang mit Dracula irgendwo den Begriff „Histo-Grusel“ gelesen zu haben.

Wie doof darf man sein?

Das Fachwissen bei vielen (so genannten) Fans ist dann oft eher doch begrenzt und erschöpft sich im Konsum der Ware „Buch“. Wen interessiert schon, was dahinter steckt? – Für jemanden, der einfach nur ein Buch lesen will, ist das auch völlig in Ordnung. Aber für eine Person, der sich Fan (sogar ohne Hardcore) nennt, sich in Foren äußert und gegebenenfalls in Artikeln in Fanzines (gedruckt oder online) publiziert, ist das ein Armutszeugnis. Man weiß, wieviel Sorten Bonbons ein Zauberlehrling vertilgt, kennt jedes Amulett von Heftromanhelden oder kann perfekt Klingonisch. Da wird das Wort vom Fan als lesender Elite zur Lachnummer, bekommt in der Tat etwas Pythonesques. Da brüllt man lieber noch ein paar schicke Schlagwörter mit oder erfindet ein paar neue wie den „Histo-Grusel“, der an Dämlichkeit kaum zu übertreffen ist. Anders sieht das bei den Marketingleuten aus. Marketing gilt auch als  (ironisches) Synonym für „Shit well sold“. Aber zumeist steckt eine Art Strategie dahinter. Das muss nichts Kluges sein. Der „dumme“ Konsument wird’s schon übernehmen. Hauptsache es gibt griffige Begriffe, die dann möglichst auch noch in Englisch sind, damit man sie nicht versteht.

Fantasy ist vom Literaturgenre zum Marketinginstrument mutiert. Es gab Zeiten (und das ist gar nicht so lange her), da galt die Fantasy als Subgenre der Science Fiction, sie lief gerade mal so mit und wurde belächelt. Erst im Laufe der Achtziger (im englischen Sprachraum im Laufe der Sechziger und Siebziger) gelang es der Fantasy sich zu emanzipieren, als eigenständiges Genre wahrgenommen zu werden. Es gab zwei Eckpfeiler der Fantasy die Heroic Fantasy (quasi definiert durch Robert E. Howard s Conan) und die High Fantasy (das Muster war hier: Der Herr der Ringe von Tolkien). Dazu gab es die Mischform mit der SF (unter anderem John Normans GOR, Anne McCaffreys Drachenreiter von Pern und Marion Zimmer Bradleys Darkover-Serie).

In letzter Zeit entwickelt sich das Genre weiter, nimmt nicht mehr nur ein mehr oder weniger fiktives Mittelalter in Beschlag, sondern findet sich in Zeiten und Kulissen wieder, die bis hin zur industriellen Revolution reichen, aber dennoch als Fantasy zu identifizieren sind. Wie man solche Kulissen wunderbar entwirft, zeigte Michael Borlik mit Der 13. Engel. Eine Dickens’sche Welt, ohne diese in den Rahmen der irdischen Geschichte einzupassen. Großartig gemacht.

Dann war da noch die SF in ihren unterschiedlichen Ausprägungen von Space Opera bis hin zu Inner Space, die in gewisser in den USA der zwanziger Jahre von Hugo Gernsback & Co. definiert wurde und Gestalt annahm. Und es gab die Phantastik (dazu gehört auch der Horror), die schildert wie das Übernatürliche in unsere Alltagswelt einbricht.

Die Grenzen waren klar.  Auch wenn es immer wieder Werke gab, die in mehreren Genres zu Hause waren. Schönes Beispiel ist die Reise der Nostromo durch den Kosmos. Die Geschichte war vordergründig SF, aber unter der Tünche dieses Genres verbarg sich eine Horrorstory. Das Übernatürliche war ein außerirdisches Monster, das die Besatzung nach und nach dezimierte. Es gab keinen Ausweg. Die Bedrohung ist greifbar. – Genauso kann man – zumindest der ersten – Krieg der Sterne-Trilogie (und hier beachte man das Alter des Verfassers dieses Artikels. Gemeint sind die Filme, die man heute meist Episode vier, fünf und sechs nennt) Fantasy-Elemente unterjubeln. Aber auch schon früh, bevor die Genres definiert wurden, gab es Mischformen. Frankenstein oder der moderne Prometheus von Mary Wollstonecraft Shelley gilt als Ur-Ahn sowohl der SF und der Phantastik (Horror).

Aber von solchen Mischformen rede ich nicht. Diese halfen zwar die Grenzen der Genres zu vermischen, doch letztlich waren Elemente als solche klar erkennbar. Doch: SF und Horror verloren in den Neunzigern nach und nach (von Ausnahmen abgesehen) an Zugkraft. Beide Genres verkauften sich nicht mehr so gut. Die Fantasy hingegen gewann zusehends an Zugkraft. Und die Peter Jackson-Verfilmung des Herrn der Ringe ließ sie dann bis heute zum Zugpferd dessen werden, was (der reinen Lehre nach fälschlicherweise) als Phantastik bzw. Phantastische Literatur zusammengefasst wird.

In Deutschland gibt es dann noch die Dämlichkeit des Begriffes „Mystery“. Klingt Englisch, ist aber eine deutsche Erfindung. Dort wo das herzukommen scheint ist Mystery nichts anders als ein Synonym für den Krimi. Es wird darunter eine Art phantastische Literatur mit Fantasy und SF-Elementen verstanden. Seltsam, aber so steht es geschrieben. W. K. Giesa benutzte den Begriff gern, um den Zamorra als Serie zu charakterisieren. Das war dann eher Wischi-Waschi, war aber deutlich kürzer, knapper und offensichtlich verständlich.

Doch seit einigen Jahren wächst nun das Angebot an Begriffen zur Fantasy (vgl. unter anderem Jochen Adams Artikel zum Thema), die als Subgenres getarnt werden. Darunter ist mir unter anderem das, was „Urban Fantasy“ genannt wird, komplett suspekt. Auf jedem Roman, der sich unter diesem Label verkauft, hätte vor zwanzig Jahren noch entweder das Siegel „Ein Horror-Roman“ oder „Ein phantastischer Roman“ geprangt, weil diese Titel eben genau das sind. Und nichts anderes. Klar und deutlich. Unverwechselbar. Aber die Begriffe verkaufen sich nicht mehr, wenn nicht Stephen King oder wenige andere Namen darauf zu finden sind (Anders als Kino und auf DVD, wo das Label Horror toll zieht).

Daher musste also ein Begriff her, der das Erfolgsgenre Fantasy einschließt, um den Absatz wieder in Schwung zu bringen. Und die Hirne von (wahrscheinlich) hoch bezahlten Marketingfachleuten gebaren unter anderem eben die „Urban Fantasy“. Ein Kunstbegriff, ein Marketinglabel, das kurzerhand (ohne jede literaturwissenschaftliche Grundlage) in den Rang eines Subgenres erhoben wurde. Und es klappte. Plötzlich gab es wieder Käufer für solche Bücher. In aller Eile wurden dann weitere Bücher unter diesem Signum verkauft. Oder für andere Romane neue Begriffe geprägt. Jeder mag sich hier seine Beispiele suchen. Es klingt doch jeweils so knuffig und so modern. Dann kann doch jeder etwas anfangen, auch wenn sie nicht wissen was „Urban Fantasy“ bedeutet. Und eben diese Dumpfnasen, die von Traditionen keine Ahnung haben, plappern das auch brav nach und kaufen diese Bücher dann, die sie als „Phantastik“ oder „Horror“ liegen lassen würden. Es ist ja Fantasy...

Wie doof darf man sein?

Nun gut. Da haben wir eine Entwicklung und wir werden damit leben müssen, dass Romane munter weiter als irgendetwas wie „Urban Fantasy“ kategorisiert werden. Der Mensch an sich liebt Kategorien. Hat er was gelesen und es hat ihm gefallen, dann will er Ähnliches. Also pappt man netten Begriff auf den Buchdeckel und versieht andere Bücher mit demselben Begriff. Und schon sind Anschlusserfolge sicher. Dieser Begriff muss griffig und fetzig sein. „Ein phantastischer Roman“ klingt nach Opas muffigen Bücherregal. „Urban Fantasy“ klingt fetzig. Das ist „hipp“ und „in“... Da greift man doch gerne zu, wenn man auch nicht weiß, was das eigentlich bedeuten soll. Immerhin war das eine Buch ja ganz nett...

Doch bei allem Zorn, der mich vordergründig überfällt: Ich weiß nicht so Recht, was ich davon halten soll. Auf der einen Seite ärgert es mich ziemlich, dass das Genre Fantasy zum Marketinginstrument verkommt, um Bücher aller Couleur zu verkaufen.

Andererseits – und das darf man einfach nicht aus dem Auge verlieren: Wenns denn Leser bringt... Das kann mir, dem Fan und Teilzeitschriftsteller, sogar Recht sein. Verlage haben Interesse daran Bücher zu verkaufen und nicht daran als Hüter der reinen Lehre in die Geschichte einzugehen. Sollen die Leser doch kommen. Sollen sie doch phantastische Bücher kaufen, weil sie es für Fantasy, meinethalben auch Urban Fantasy halten. Und so kann mir jedes neue „Branding“ (wie es mal wieder in wunderbaren Neudeutsch heißt) letztlich Recht sein, wenn dafür das gut verkauft wird, was mich interessiert. Dadurch etabliert sich alles was an landauf landab so Phantastik zu nennen beliebt. Und vielleicht sollte ich neben der all der Lästerei den Marketingleuten für ihr Begriffsfeuerwerk danken (aber nur ganz kurz, denn manchmal sind ihre Wortschöpfungen einfach zu dämlich und lästern macht auch einfach zuviel Spaß).

Das ganze ist auch ein Zeichen, dass die Fantasy sich aus ihrem Ghetto befreit hat. Einst waren es die Wissenden, die sich in S-Bahnen zuzwinkerten, wenn sie sich an ihrem Herrn der Ringe oder Terra Fantasy-Band erkannten. Heute ist Fantasy überall. Tausende versammeln sich zu LARP-Events, Millionen sitzen in Kinos oder vor dem Bildschirm. Sie spielen und lesen Fantasy. Fantasy ist in der Hauptströmung unserer Kultur angekommen. Gut, der Interessierte und langjährige Leser kann nicht mehr blind alles kaufen, sondern sucht wieder am Rande herum, um Perlen zu finden. Auch gut. Und warum auch nicht. Hat doch früher auch Spaß gemacht.
Aber diejenigen, die tiefer in die Materie einsteigen und sich Fan nennen, sollten sich auch mit den Hintergründen, den Grundlagen befassen, erkennen womit sie es zu tun haben, einordnen können, was sie lesen. Oder sich aber der Frage stellen:

Wie doof darf man sein?

Kommentare  

#16 Mikail_the_Bard 2009-09-04 11:49
zitiere Mainstream:
... Kuschelvampiren abwerfen wird. Wahrscheinlich: Biss zum Abwinken (huch, wie originell).


ROTFL

Und die nicht jugenfreie Version ab 18 heißt 'Bis(s) zum Abnippeln' - weil 'Kuschelvampire' kuscheln ja nicht nur :P

Kuschelvampir... das ist doch wenn 'Hello Kitty' von einem Vampir gebissen wird und dann alle Vampire mit großen runden bettelnden Augen zum Ketchupsaufen bekehren will, weil Bluttrinken doch soo böse ist. (so wie diese Ctuthull-Veräpplung)

Aber zurück zum Thema. Ich habs auch gerne wenn ich genau weiß das mich SF, Horror oder Fantasy erwartet, aber wenn das Buch gut ist, ist mir eigentlich egal wie der Verlag es anpreist. Ich lese sowieso immer erst rein bevor ich es kaufe. Vorne, Mitte, den Schluss nicht!. Wenns gefällt, ist es meins. Ansonsten zurück ins Regal.
#17 Frank Rieger 2009-09-04 14:49
Mikail: ein Buch aus einem Regal hab ich schon seit Ewigkeiten nicht mehr gekauft. Mein Dealer heisst Amazon (und manchmal auch Ebay). Da ist es zwar schwerer in einen Roman reinzublättern aber man kann sich die Rezis anschauen und, um beim Thema zu bleiben, sehen in welcher "Ecke" der Roman anzusiedeln ist und welche Romane ähnlich sein könnten.
Zum Thema "es gibt keine gute, neue Veröffentlichungen auf Deutsch / in Deutschland im Bereich SF etc": Ich weiss noch wie ich früher (in den 80gern) in die Stadt geradelt bin und eigendlich froh war wenn ich dort irgendwas!aus dem Bereich SF/Fantasy/Horror gefunden habe. (jaja, wir hatten ja nix damals ;-) ) Verglichen damit ist es heute paradiesisch.
Auch wenn mir persönlich diese ganzen Romanschreiber, die jetzt auf den Fantasyzug aufspringen, auf den Sack gehen Ich bekomme Augenkrebs wenn ich in einer Buchhandlung DIE xxx lese - Auch wenn der Herr Heitz gute Arbeit unter diesem schrecklichen Titel geleistet hat. Gibt es eigendlich noch ein Fantasy Volk das kein Buch hat? Die Balrogs wäre wohl noch frei (also seit schnell, zukünftige Bestsellerschreiber :P )
#18 Lefti 2011-04-24 23:51
Mensch!
Hier gibt es ja noch richtige Artikel-Perlen, die ich noch gar nicht alle entdeckt und gelesen habe! So, wie dieser hier! :-)
Dracula als Urban Fantasy oder Histo-Grusel zu bezeichnen sind natürlich ein paar Kalauer! :lol:
Und Phantastik heißt nun Urban Fantasy. Seis drum!
Damit kann ich gut leben. Allerdings hört es sich doch schon ein wenig komisch an, wenn man urban richtig ausspricht. So, als ob man gerade aufstoßen muß... Örb(s)en... :D

Natürlich ist das ganze Fantasy-Kaudawelsch eine marketingtechnische Angelegenheit.

Wenn man jetzt mal von kleinen, von den (Hardcore-)Fans wohl eher mit einem Augenzwinkern geführten Streitgesprächen absieht, welch ein Unterschied zwischen Heroic Fantasy und Sword & Sorcery Fantasy bestünde, oder/und ob Gor, Flash Gordon oder Dray Prescot zur (Heroic) Fantasy, Science Fiction oder Science Fantasy gehören, kann solch eine Verwurstung der definierten Bezeichnungen des Fantasy-Genres und seiner Sub-Genres nach hinten los gehen, wenn nicht gar zu einer ernsten Gefahr werden! :cry: Und zwar dann, wenn Alt-Fans auf "Jung-"Fans (Neueinsteiger) treffen. Zum Beispiel in einem Forum. :sad:
Was soll denn ein junger (vielleicht vierzehn jähriger) Leser machen, der mit phantastischen Büchern aufgewachen ist, die von den Verlagen als Urban Fantasy, Contemporary-, Dark Fantasy oder gar als Elfpunk deklariert werden? :eek:
Da sind dann die guten, alten Alt-Fans gefragt. Die alten Haudegen! Ihr!
Ihr müßt diesen jungen Leuten dann helfen! :roll:

Ich persönlich finde es allerdings gut, daß das Modewort aus den 1980er Jahren im Fantasy-Genre nun doch verschwunden ist: punk. Aus beispielsweise Steampunk ist nun SteamFantasy geworden. Das Wort Punk finde ich doch schon sehr altbacken. :sigh:

Dazu kommt noch, daß die entsprechenden Geschichten durch ihre Art und Erzählweise das (bzw. die) Genre(s) definieren. Und da sind je nach dem durchaus mehrere Bezeichnungen gestattet und bezeichnend.
Als Beispiel möchte ich hier die Geschichten von Gotrek & Felix aus Warhammer aufführen. Habe ich mich bis vor kurzem noch gesträubt, Geschichten mit Zwergen, Elfen und der Gleichen als Heroic, bzw. Sword & Sorcery Fantasy zu bezeichnen, so muß ich meine Meinung gegenüber Felix & Gotrek redigieren. Die Abenteuer sind düster, zu weilen sogar gruselig, kurzweilig und es steht nicht ein episches Ziel, wie die Rettung der Welt (des Landes oder des Reiches) im Vordergrund, sondern eher kleine, abenteuerlichere Ziele. Daher sind all die Bezeichnungen Dark Fantasy, Heroic/Sword & Sorcery Fantasy, Pulp Fantasy zutreffend.

Um einen Unterschied zwischen alter und neuer Sword & Sorcery zu definieren, so müßte man wohl die alten Geschichten als classic Sword & Sorcery bezeichnen.

Der Begriff Histo-Grusel ist allerdings geil! :D
Der ist so seltendämlich, den habe ich mir gleich notiert! :lol:
Seid gewarnt, wenn ich ihn anwende!
Gibt es eigentlich auch so etwas, wie History Fiction?
Oder den Begriff Supernatural Fantasy? Wobei mir jetzt ersteinmal jemand den Begriff supernatural erklären müßte. :-* :oops:

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