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Is’ ja nur 'nen Bestseller - Über den Umgang mit Populär-Kultur

Zauberwort - Der Leit(d)artikelIs’ ja nur 'nen Bestseller...
Über den Umgang mit Populär-Kultur

Am 14. Oktober wurde mir auf der Frankfurter Buchmese vor der Halle 3 von einem netten Mann eine Ausgabe der Frankfurter Rundschau in die Hand gedrückt, als wir auf die Ankunft des Lübbe’schen Tiefladers mit den druckfrischen Übersetzung des nach Vorbestellungen erfolgreichsten Lübbe-Buches der Verlagsgeschichte warteten – Dan Browns „Das verlorene Symbol“. Und so vertrieb ich mir die Zeit mit Zeitungslektüre und Rauchen.

Der fragliche ArtikelZunächst der Sportteil mit dem Vorbericht für das am Abend anstehende Länderspiel. Dann mal den Rest durchgeblättert...

Auf der Rückseite war ein großer Bericht über Dan Browns „Das verlorene Symbol“. Interessiert las ich mir den Artikel durch. Man mochte das Buch nicht. Das war das Fazit des Artikels. Das ist das gute Recht dieser Zeitung bzw. des Verfassers des Artikels. Aber dieser Autor erzählte dann noch die Vorgeschichte der Robert Langdon-Romane und möglicherweise ist er eher ein Kinogänger oder DVD-Käufer, denn Leser, weil nach seiner Aussage „The Da Vinci Code“ (Sakrileg) angeblich vor „Angels & Demons“ (Illuminati) erschienen sein soll.

Was die filmische Auswertung angeht, stimmt das sogar ohne jeden Zweifel, denn Tom Hanks machte es auf der Leinwand in dieser Reihenfolge. Aber die Bücher kamen in umgekehrter Folge auf den Markt.  Zuerst musste Robert Langdon Antimaterie nachspüren und die Papstwahlen berichtigen, bevor er dann auf die Spuren der Nachkommen von Jesus von Nazareth setzte.

Der Journalist der Frankfurter Rundschau hätte noch nicht einmal die vorhergehenden Bücher lesen müssen, ein kurzer Blick in die Wikipedia hätte ihm schon weiterhelfen können... Da steht's richtig drin.

Jetzt geht es nicht darum, Fehler in der Frankfurter Rundschau, FAZ oder anderen Zeitungen und Zeitschriften (inklusive deren Online-Editionen) nachzuspüren und anzuprangern. Das wäre zu billig. Fehler passieren. Auch uns. Weniger inhaltliche, aber Fehler passieren eben. Das liegt in der Natur der Sache. Wenn Menschen arbeiten (egal ob bezahlt oder unbezahlt). Nur wenn ich quasi Dinge abschreibe, bzw. per Copy und Paste bearbeite, gibt es weniger Möglichkeiten Fehler zu machen. Aber das steht auf einem anderen Blatt.

Worauf ich hinaus will, demonstriert eine andere Sache noch besser. War es in der FAZ? Ich weiß es nicht mehr. Frank Schätzings „Limit“ war das Thema. Da war das Fazit in etwa so, dass man dieses Buch lesen müssen, wenn es denn schon Science Fiction sein müsse, ein Genre, dass nicht viel Wertvolles hergebe (zu einem ähnlichen Fazit kam die FAZ zu Foletts „Die Tore zur Welt“, nur dass es da um den historischen Roman ging).

Vor einem Jahr schrieb ich im Vorfeld zur Buchmesse im Leit(d)artikel des Zauberspiegel Folgendes:
„Gesellschaftlich relevant, anspruchsvoll im Stil und Gebrauch der Sprache soll es sein. Sonst ist es kein gutes, kein wertvolles Buch. Wer sich einen King, Grisham, Rowling, Peinkofer, Eschbach, Meyer oder (Gott verhüte!) einen Heftroman reinzieht, der ist kein echter Leser und sollte am besten gleich Fernsehen gucken. – Das ist Kulturchauvinismus. Und manche der Literaten, die so empfohlen werden, betreiben in meinen Augen literarische Onanie. Da wird um Formulierungen gerungen, seitenweise Details oder Gemütszustände beschrieben, aber eine Geschichte erzählen. Nein, das wäre ja zu einfach. (...)

Mit dieser Haltung gewinnt man kaum jemand Neuen und/oder Jungen fürs Abenteuer Lesen. Die Romane, die man in Feuilletons gemeinhin für wichtig hält, unterhalten nicht wirklich, außer man hat Freude an umständlichen Formulierungen und der Suche nach dem Sein und dem Dasein...
“

Ich will nicht sagen, dass diese „wertvolle“ Literatur per se (quasi als ultimatives, allgemeingültiges Urteil) schlecht ist, ich will sagen, dass mir als Horst Hermann von Allwörden viele dieser Werke nicht gefallen. Schlecht ist sie mit Sicherheit nicht (solche Pauschalurteile sind meine Sache nicht). Ich will auch nicht sagen, dass mir keins dieser Bücher gefallen würde. Ich will aber auch nicht sagen, dass sie jedem gefallen müssen und das Seelenheil bzw. der Intellekt der Nation davon abhängt diese Art von Literatur zu lesen. Aber die Legende vom Volk der Dichter und Denker hält sich hartnäckig in den Köpfen...

Worauf ich vielmehr hinaus will ist der sorglose Umgang mit populären Büchern und Genres. Der ist von Hochnäsigkeit und Überheblichkeit geprägt. Das ganze Genre SF wird über den Daumen mal abqualifiziert. Wird dieses Urteil Stanislaw Lem gerecht? Ray Bradbury, einem der ganz feinen Stilisten des Genres? Wird dieses Urteil der ganzen Vielfalt des ganzen Genres gerecht? – Ich denke. Wenn ich zum Beispiel nach dem besten SF-Roman oder Buch gefragt werde, fallen mir immer jede Menge vollkommen unterschiedlicher Filme oder Bücher ein. Die tragen zwar alle die Marke SF, sind aber komplett unterschiedlich. Oder was verbindet Star Wars mit Fahrenheit 451, Starship Troopers mit den Mars Chroniken, Das Wort für Welt ist Wald mit der Stahlratte. – Das zeigt doch, das sich unter SF völlig unterschiedliche Dinge verbergen. In diese Fall Pauschalurteile zu verkünden, zeugt von kompletter Unkenntnis des Genres und – meiner Meinung nach – von Verachtung.

Dieses Urteil zeugt auch davon, dass der Rezensent wohl den Schätzing gelesen hat, aber sonst das ganze Genre SF mit Star Wars und Star Trek (beides mit Sicherheit wertvolle Beiträge für ihre jeweiligen Spielarten des vielschichtigen Genre SF) verwechselt und das ganze aus seiner Sicht mal rund herum ablehnt. Wenn dieser Rezensent denn wenigstens differenziert oder das Ganze zumindest als sein persönliches Missfallen gekennzeichnet hätte, dann wäre das eben seine persönliche Meinung gewesen. Aber so wird das ganze zum Verdikt über ein ganzes Genre von der Höhe des Elfenbeinturms des Feuilletons. – Nun möchte man einwenden, dass man dergleichen doch gewöhnt sei, denn das Spiel kennt der Leser von belletristischer Unterhaltungsliteratur, hat das Feuilleton doch in Jahrhunderten über Unterhaltungsliteratur vernichtend geurteilt.

Aber mittlerweile sollte doch der Elfenbeinturm eingestürzt sein, die Mauern von „E“ und „U“ in Deutschland gefallen sein. Doch nichts da! Der Begriff Kultur (der ja die Summe aller Leistungen einer Gesellschaft darstellt) umfasst eben viel mehr als nur das Wichtige, Edle und Hohe. Da ist ebenso Platz für Heftromane, Daily Soaps und eben auch Space Operas und den Rest der SF. Nicht dass der Fantasy, dem Horror oder dem Thriller besser ergeht. Nein, da herrscht die Meinung vor: Habe ich einen gelesen, kenn ich alles.

Gerade der Kulturjournalismus bedarf einer gewissen Reform, mehr Toleranz, einer  Erweiterung des Blickfelds. Differenzierte und dem jeweiligen Objekt des Interesses bzw. der Berichterstattung angepasste Betrachtungsweisen. Vielleicht auch neue Köpfe, die nicht nur das Erbe der Hochkultur von Goethe bis Grass im Kopfe haben und glauben, Kultur dürfe sich nur daran orientieren... Kultur ist keine Minderheitenveranstaltung. Es ist eine Veranstaltung für eine in mehr oder weniger große Interessengruppen zerfallende Gesellschaft. Aber eben für die ganze Gesellschaft und das (sinnlose) Abqualifizieren von Kulturerzeugnissen grenzt Teil e der Gesellschaft aus oder macht sie zu minderwertigen Mitgliedern.

Dabei muss weder Kulturjournalist noch jeder aus seinem Publikum das auch mögen. Man darf es auch kritisieren, aber auch nur auf eigenem Platz, mit Werkzeugen, die für den Anlaß gebaut wurden.

Was ich damit meine?

Ich habe es bestimmt schon an anderer Stelle bestimmt gesagt. Ich repariere keinen Panzer mit Feinmechaniker-Werkzeug, bzw eine wertvolle Taschenuhr nich mit einem Dreißiger Schlüssel... Das übertragen wir mal auf Bücher und Film und Fernsehen. Ein Daily Soap nehme ich nicht mit den filmkritischen Werkzeugen unter die Lupe, die dafür geschaffen wurden, die nouvelle vague zu analysieren. Und mit den literaturwissenschaftlichen und –kritischen Werkzeugen für Romane von Thomas Mann und Günter Grass untersuche ich keinen Brown, keine Space Opera und erst recht keinen Jerry Cotton.

Da muss der Blick der Macher einfach gerade gerückt werden. Sebst dann muss der Kritiker oder Berichterstatter das Objekt seiner Betrachtungen nicht mögen, aber es vermeidet stumpfsinnige Paulschalurteile aus der dünnen Höhenluft des Elfenbeinturms abzugeben, die vorn und hinten einfach nicht korrekt sind.

Ich hoffe, als unverbesserlicher Optimist, dass es nach und nach besser wird. Immerhin wird eine Generation Medienwissenschaftler und Journalisten heran gebildet, die nicht nur mit dem Gedanken an das Volk der Dichter und Denker aufgewachsen ist. Eine Generation, die wissen kann, dass es mehr gibt als die so genannte Hochkultur. Die vielleicht erkannt hat, dass es andere Kategorien geben muss, um Dinge aus der populären Kultur zu betrachten.

Ich hoffe, bald nicht mehr solche Szenen erleben zu müssen wie in den philosophischen Quartetten im ZDF, als sich vier Intellektuelle Stan Laurel und Oliver Hardy an einem und Superheldencomics am nächsten Wochenende tiefschürfend-intellektuell reden mussten. Quasi als Rechtfertigung für die eigene Lust am Komischen, am Trivialen, an der Unterhaltung.

Und die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt...

Kommentare  

#1 Laurin 2009-11-01 00:32
Tja, leider sitzen sie noch da, im Elfenbeinturm, die geistigen Vordenker, die aufgrund der dünnen Höhenluft einen Perry Rhodan auch schon mal in die nähe rechter Gesinnung abqualifizieren möchten (Der Spiegel) und anhand des fehlenden Sauerstoffs im Hirn nicht merken, wie daneben sie liegen.
Wo wird denn Literatur "wertvoll"? Ob es ein Buch von Grass ist oder ein Heftroman, beides ist Literatur wenn auch nicht mit gleicher Zielsetzung.
Wertvoll wird Literatur schlicht und einfach beim jeweiligen Leser, denn der entscheidet und nicht der Kulturjournalismus geistiger Begrenztheiten!
Kultur ist eben immer die Summe des Ganzen und nicht die Begrenztheit magels Sauerstoff im Elfenbeinturm.
#2 Hermes 2009-11-01 00:54
Mhm, muss man jetzt was dazu sagen? :-*

Diese Leute aus dem Elfenbeinturm bedienen doch ein Bedürfnis der (herrschenden) Eliten. Deren Privilegien und ihre Stellung an sich muss gerechtfertigt werden. Und es ist einfacher den Rest, die Masse, den normalen Bürger eben herunterzusetzen als eigene Verdienste, Fähigkeiten etc. heranzuziehen. Wenn man also den Normalbürger und seinen Geschmack madig macht, festigt man die eigene Stellung. Insofern ist die Herabsetzung der Trivialkultur ein nützliches Herrschaftsinstrument.
#3 Martin Flußner 2009-11-03 11:12
Trivialliteratur wird mit größter Wahrscheinlichkeit nie einen Nobelpreis gewinnen. aber wenn ich habe, mir ein Nobelpreis gekröntes Buch reinzuziehen oder (möglichst spannende) Trivialliteratur, dann ziehe ich Letzteres vor! Wenn ich lese, will ich unterhalten werden (Sachbücher natürlich ausgenommen). Nach meinem persönlichen Geschmack sind (fast) alle Nobelpreisbücher für mich zu trocken, zu schwermütig, zu schwer verständlich. Ich bin halt "einfach gestrickt" und bevorzuge (meistens) den Genuss über dem intellektuellen Anspruch. Obwohl sich das nicht unbedingt zwangsläufig auschließen muss. Doch das steht auf einem anderen Blatt.

Oh, diese Tippfehler! Muss natürlich heißen: Aber wenn ich DIE WAHL habe, mir ...
#4 Kyr 2009-11-10 17:14
Mir fällt in diesem Zusammenhang die folgende kleine Geschichte ein:
Es ist gut mehr als zwei Jahrzehnte, ich ging zur Schule (Oberstufe). Im Deutsch-Grundkurs hatten wir "Mutter Courage" seit mehr als drei Monaten am Wickel. Ich war gelangweilt und las frecherweise John Sladeks "Roderick - Die Erziehung einer Maschine". Damals wohl bei Ullstein, ätzend auffälliger Silbereinband.

Es kam, wie es kommen musste, der Lehrer wurde irgendwann aufmerksam und kassierte das Buch ein. Ein Wort gab das andere. Er war beleidigt, weil ich so einen "Mist" dem guten Brecht vorziehen würde. Ich sagte, das wäre kein "Mist", es hätte genauso viel mit dem Thema zu tun; er müsse es nur lesen.

14 Tage späte erhielt ich das Buch vor der versammelten Klasse zurück. Der Lehrer entschuldigte sich vor der Klasse bei mir und sprach eine Leseempfehlung aus. Nach dem Unterricht gestand er mir, dass er mittlerweile auch "Roderick - Lehr- und Wanderjahre einer Maschine" gekauft und gelesen hatte.

Tja, der Brecht ...
#5 Laurin 2009-11-10 20:10
:lol: Kyr, vor gut 11 Jahren war ich mal mit einer angehenden Deutschlehrerin verbandelt, die dachte genauso! Irgendwann habe ich sie mal dazu gebracht einen Heftroman zu lesen. Der Erfolg war...ähm...seltsam. Sie konnte die Nacht nicht schlafen da zart beseitet. Sie packte wohl nie wieder einen Gruselroman an :-* !

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