Pelham 123 - Ein subjektiver Vergleich
Pelham 123
Ein subjektiver Vergleich
Ein subjektiver Vergleich
Auch wenn sich Kanada für Fernsehfilme als billiger Produktionsort anbietet, dreht man einen Film über das New Yorker U-Bahnnetz einfach nicht irgendwo. Als Double für das Empire State Building kann man ja auch nicht den Sears Tower in Chicago nehmen. Der Moloch des New Yorker Untergrunds ist eben ein ganz eigenwilliger, damit spaßt man nicht. Und die Zuschauer quittierten das mit hämischer Kritik. Somit scheidet dieser Film einfach mal bei den Vergleichen aus, die hier zwischen der ersten und der letzten Verfilmung gestellt werden sollen.
Die Handlung des Romans ist denkbar einfach, entspricht sie doch der klassischen Gangsterstory, die ein Sub-Genre des typischen Geiseldramas bedient. Vier Männer kapern einen U-Bahnzug, koppeln die Zugmaschine ab, fahren mit dieser und ein Dutzend Geiseln weiter, stellen ihre Lösegeldforderung und es beginnt ein Nervenkrieg zwischen dem Chef der Leitstation und dem Anführer der Gangster. Das dieser Thriller bereits dreimal verfilmt wurde, wird an dieser Stelle als Grundwissen einfach mal so vorausgesetzt. Betrug das Lösegeld in der Version von 1974 noch eine Millionen Dollar, sind es inflationär schon 10 Millionen Dollar in Tony Scotts Fassung von 2009. In der 98er Verfilmung, die hiermit zum letzten Mal erwähnt sein soll, waren es 5 Millionen.
Zwei Filmversionen zu vergleichen ist eine sehr riskante Sache. Die einen halten so etwas für nicht legitim, andere finden das Original grundsätzlich immer besser. Aber bei Diskussionen an einer anderen Stelle kam man ja zu der Erkenntnis, dass bei einer Romanverfilmung das Original nicht die Erstverfilmung, sondern immer noch der Roman selbst ist. Tatsächlich offenbart sich Überraschendes, wenn man beide Versionen vergleicht. Sie spiegeln beide in Ton und optischer Umsetzung den aktuellen Zeitgeist des modernen Kinos wieder. Die 98er Fassung orientierte sich derart penetrant am damals aktuellen MTV-Stil mit ihren überstrahlten und grobkörnigen Bildern, dass sie auch weiterhin aus diesem Vergleich ausscheidet. Hand aufs Herz, ab hier wird diese Fassung nicht mehr erwähnt.
Was fällt zuerst auf? Denzel und Walter. Sieht man beide Filme in sehr kurzem Abstand, kommt man einfach nicht umhin, das auffällige Gelb zu registrieren. Walter Matthau trägt ein dunkel kariertes Hemd mit einer grell-gelben Krawatte. Denzel Washington darf das Hemd knallgelb tragen, während seine Krawatte die Farbgebung von Walters Hemd wiedergibt. Das ist ganz offensichtlich eine Verbeugung der Jungen vor dem Alten. Dass Denzels Charakter-Vorname von Zachary auf Walter geändert wurde, unterstreicht diese Referenz nur.
Die Charaktere der beiden Fahrstandleiter der New Yorker U-Bahn könnten dabei nicht unterschiedlicher sein. Auch wenn es in den Untergrund geht, ist Godeys Roman ein Großstadtthriller. Der sarkastische, ungebrochen flapsige Ton Walter Matthaus entspricht exakt der Zeit, als Amerika die größten gesellschaftlichen Umbrüche der jüngsten Zeit hinter sich gebracht hatte, die Vertrauenskrise in die eigene Regierung sich allerdings auf einem Höhepunkt befand. Dieser Mann braucht nicht Held zu sein, weil er scheinbar schon mit allen Wassern gewaschen ist. Wer könnte diesen versierten Antihelden in Haltung und Mimik besser verkörpern als Walter Matthau, der in seiner lamentierenden Art den Eindruck macht, als wäre ihm alles lästig, der im Geiste aber längst alle Lösungsmöglichkeiten parat hält.
Washington hingegen darf eine eher versonnene Figur sein, die ein Geheimnis umgibt. Er möchte keine Verantwortung übernehmen, als die Entführer ausgerechnet ihn als Mittelsperson auswählen. Er ist der anfangs gebrochene Held des typischen Action-Kinos des neuen Jahrtausends, der letztendlich über sich hinauswachsen darf. Denzel Washington dominiert fast schon selbstverständlich jede Szene mit seinem Spiel, das so unaufdringlich Akzente setzt, dass man diesem in sich gekehrten Menschen sofort Vertrauen schenkt. Das Drehbuch greift dies auch sehr geschickt mit der Einführung des Verhandlungsführers der Polizei auf, der diese Vertrauenswürdigkeit sofort erkennt. In gleichgearteten Streifen würde das Aufeinandertreffen von Anti-Held und Autorität umgehend als unsinniges Konfliktpotenzial missbraucht werden, was hier auf sehr angenehme Weise umgangen wird.
Wer die letzten drei Kinofilme von Tony Scott gesehen hat, hat eine ungefähre Vorstellung vom visuellen Stil des Ridley-Bruders. Extrem beschleunigte Bilder, ebenso extreme Verlangsamung, entsättigte Farben und High-Speed-Shutter. In einer Zeit, in der das demografische Publikum nicht älter als 29 sein soll, ist dies ein Stil, der ankommen mag und zudem auch noch Dynamik vermittelt. Sehr viel Dynamik. Scott inszeniert diese TODESFAHRT wesentlich aufgeblähter, als die Vorlage es vorgibt. Der Dialoganteil ist wesentlich höher, was bei anderen Filmen meist an Tempo rausnimmt, hier wird den Charakteren mehr Hintergrundgeschichte aufgebürdet. Doch Scotts stets unruhige Kamera und die dazugehörigen Kamera-Gimmicks halten zumindest optisch den Film am Pulsieren. Es ist ohne Zweifel eine sehr moderne Variante des Stoffs.
Joseph Sargent hat 1974 einen expliziten Gangsterfilm geschaffen, der sich ganz auf das Verbrechen, die Umsetzung und die Auflösung konzentriert. Seine U-Bahn-Helden sind schnoddrige Männer, die gerne jedem in die Parade fahren, gerne auch unverschämt sind und ihren Job einfach schon zu lange machen, um sich aufs Kreuz legen zu lassen. Für manchen kann das ungesund enden. Die Dialoge sind derart kurz aber pointiert gefasst, dass das Tempo unheimlich anzieht. In der Neufassung muss viel passieren, um die Spannung hochzuhalten. Es wird mit Wendungen und Geheimniskrämerei gearbeitet. Was durchaus funktioniert, kein Zweifel, und der Film will damit dem Zuschauer auch nichts vormachen. Die konzentrierte Geradlinigkeit von Sargents 74er Fassung offenbart nur, dass beide Filme trotz derselben Handlung vollkommen unterschiedlich zu betrachten sind.
Robert Shaw war ein präziser, unbarmherziger Söldner. Nicht die Handlungen von Shaws Charakter vermitteln den eiskalten Verbrecher, dem man alles zutraut, sondern seine scharfen, bestimmten Anweisungen und Dialoge mit dem Leitstand. Wie ein Uhrwerk läuft seine Umsetzung ab, weil einzig das Lösegeld zählt und das Verbrechen einfach schmuckloses Beiwerk ist.
John Travolta hingegen ist ein unberechenbarer Gangster, der mal besonnen, mal ausgeflippt alle Szenarien möglich macht. Für ihn ist die Ausführung des Verbrechens wesentlicher Bestandteil seines persönlichen Spaßes.
Travolta ist in diesem Vergleich zweifellos der bessere Darsteller. Doch muss man in Hinblick auf seine psychopathischen Anwandlungen in Zweifel ziehen, dass er im Stande wäre, diese Nummer vernünftig zu planen und auch umzusetzen. Robert Shaws Charakter-Zeichnung ist wiederum die, die am markantesten in Erinnerung bleibt.
Für manche Menschen ist es einfach eine Unsitte, Filme miteinander zu vergleichen, zumal wenn es sich bei einem um ein Remake handelt. Es ist mühselig, führt meistens zu nichts und ist ohnehin absolut subjektiv beeinflusst. Dann gibt es aber auch Beispiele, wo dieser Vergleich doch angebracht ist, sich regelrecht aufdrängt. Es ist sehr interessant, die Grundstimmung, den Ton beider Filme gegenüberzustellen: 1974 schuf man das Porträt einer Stadt, mit ihrem Rhythmus, dem Leben und dem Umgang miteinander, was in einen hervorragenden Thriller verpackt wurde. 2009 gelang ebenfalls ein Porträt, allerdings über den aktuellen Zustand dieser Stadt. Wie haben sich dieses Gefühl und der Rhythmus bis in das Heute entwickelt?
Was 1974 einen herausragenden Gangsterfilm ausmachte, wurde konsequent weiterentwickelt. Damals entwickelte sich das Zusammenwirken zwischen Darstellung von Politik und den Ablauf der Geiselnahme zu einem makaberen Abbild der Realität. 35 Jahre nach Joseph Sargents Version und acht Jahre nach dem 11. September verschwimmt diese Realität zu einem fast alptraumhaften Zustand, in dem nichts sicher und nur wenig berechenbar bleibt. Das kommt in Scotts Version in einer zusätzlichen Handlungsebene hervorragend raus.
Aber was nutzt ein anständiger Vergleich, wenn man sich nicht so richtig festlegen kann? DIE ENTFÜHRUNG DER U-BAHN PELHAM 123 von Tony Scott ist für einen einmaligen Besuch in einem voll ausgerüsteten Kino ein unterhaltsamer und wunderbar spannender Film, der an der einen oder anderen Stelle über die Stränge schlägt, aber bei Laune hält und nicht langweilt. Der nachhaltigere Film ist jedoch bei weitem STOPPT DIE TODESFAHRT DER U-BAHN 123 von Joseph Sargent, der so knackig und gut erzählt ist, dass es immer wieder Spaß macht, ihn zu sehen. Auch im Fernsehen. Die Optik von Scotts Film hingegen tut sich auf dem kleineren Medium wesentlich schwerer.
2009
Darsteller: Denzel Washington, John Travolta, John Turturro, Luis Guzman, James Gandolfini, Victor Gojcaj, Michael Rispoli, Ramon Rodriguez u.a.
Regie: Tony Scott Drehbuch: Brian Helgeland nach dem Roman von John Godey Kamera: Tobias Schliessler Bildschnitt: Chris Lebenzon Musik: Harry Gregson-Williams zirka 121 Minuten - USA
1974
Darsteller: Walter Matthau, Robert Shaw, Martin Balsam, Hector Elizondo, James Broderick, Earl Hindman, Lee Wallace und Dick ONeill u.a.
Regie: Joseph Sargent Drehbuch: Peter Stone nach dem Roman von John Godey Kamera: Owen Roizman Bildschnitt: Gerald B. Greenberg, Robert Q. Lovett Musik: David Shire
USA zirka 104 Minuten
Bildquelle: MGM Home Entertainment, Columbia Pictures
Kommentare
Ich kann Dir mit dem Schluss soweit zustimmen, das
es im Mittelteil diese immens übertriebenen Action-
Einlagen gibt und der Film dann wieder im Tempo abfällt.
Doch als Abschluss dieses Psychoduells, hatte dieses
Ende durchaus eine gewisse Logik.
STOPPT DIE TODESFAHRT läuft alle Nase lang irgendwo
im Fernsehen. Ich kenne die deutsche, wie die englische
Fassung und kann Dir sagen, das die Deutsche auch
sehr sehenswert ist und man nichts vermisst.
Oder die DVD? Kuck erst mal in deutsch. Ich behaupte,
Du wirst es nicht bereuen.