Der Seewolf - Ein Versionsvergleich
Ein Versionsvergleich
Nun möchte ich mal die Version mit Kretschmann außen vor lassen, und mich den beiden TELE-MÜNCHEN-Produktionen von 1971 und 2009 widmen um einen kleinen Vergleich zu starten.
Was war gleich, was anders? Wo gibt es die größten Unterschiede? Wie verschiedenartig waren die Darsteller?
1971 war Walter Ulbricht für die Umsetzung zuständig. Er beschloss die Vorlage nicht zu verändern, stand damit aber vor einem Problem. Er brauchte einen Vierteiler. Wie aber das vergleichsweise handlungsarme Buch von Jack London zu einem Vierteiler ausweiten ohne Langeweile zu züchten?
Sein Einfall war genial. Er suchte einige Jack London-Kurzgeschichten heraus, und arbeitete sie in den Seewolf hinein. Zum Beispiel hat er die Geschichte "Frisco Kid und Joe" vearbeitet in dem zwei Jungen als Vagabunden durch Amerika ziehen. Aus diesen beiden Jungen machte er Wolf Larsen und Humphrey van Weyden in Jugendjahren. Sie kannten sich also von früher, doch nur Humphrey weiß das.
Ebenso eingebaut hat er die Geschichte "Die Liebe zum Leben", wo ein Schiffbrüchiger auf einer einsamen Insel um sein Überleben kämpft. Hier ist van Weyden dieser Überlebende, nachdem er von der Ghost mit Maud Brewster flieht. In Ulbrichts Vierteiler stirbt Maud an dieser Stelle. Der eigentliche Seewolf-Roman endet an dieser Stelle, worin Maud jedoch nicht stirbt, sondern mit Humphrey ein Happy-End erlebt.
In Ulbrichts Vierteiler geht die Story weiter. Humphrey überlebt die Insel und macht sich von nun an auf die Suche nach seinem Wiedersacher, den er sechs Jahre später aufspürt. Für diesen Teil wurden Londons Storys "König Alkohol" und "Sohn der Sonne" verwendet. Nur der Schluss des vierten Teils ist dann wieder der Original-Seewolf. Da findet Humphrey das Wrack der GHOST und darauf den blinden Kapitän Larsen, der seit Jahren an einem Hirntumor leidet. Es kommt zum letzten alles entscheidenen Kampf.
Diese Ausschmückungen Walter Ulbrichts sorgten für eine rundrum gelungene Geschichte, und machten aus dem eher mageren Seewolf-Roman eine Art Epos.
Und die Darsteller?
Raimund Harmstorff war von Statur und Stärke sicher der authentischere Seewolf. Koch wirkt dagegen geradezu schmächtig. Doch seine schaupielerische Leistung ist mit derer von Harmstorff gleich zu setzten, vielleicht sogar besser.
Die anderen Figuren, wie Humphrey van Weyden, und der Schiffskoch sind beim Vierteiler besser besetzt und glaubwürdiger. Einzig Maud Brewster ist im neuen Film von 2009 wieder besser gelungen als zu Ulbrichts Zeiten.
Es gibt in dem neuen Film natürlich auch eine Kartoffelszene. Einst von Harmstorff erfunden, zieht sich diese seit 1971 durch alle Neuverfilumngen hierzulande. Von Nigel Williams wurde sie neu interpretiert. Auch viele Dialoge wurden übernommen und stammen natürlich aus dem Original-Roman.
Eines stimmt aber letztlich: Der neue Seewolf ist näher am Original, aber nicht besser. Der Beginn ist übrigens auch anders. Bei Walter Ulbricht wird die Dampffähre Martinez gerammt und sinkt. Humphrey ist einer der Überlebenden und kommt so an Bord der GHOST. Genauso wie im Roman. In der Neuverfilmung wird Humphrey im Streit mit einem Mitpassagier über Bord geworfen und gelangt so an Bord der GHOST. Das sieht mir beinahe nach Kosteneinsparungen aus. War es zu aufwendig, eine ganze Fähre untergehen zu lassen?
Kommentare
Die Hintergrundinformation zu den eingearbeiteten Kurzgeschichten fand ich äußerst interessant (wußte ich nicht einmal da ich das Buch von Jack London nicht kenne).
Die Komposition aus verschiedenen Erzählungen macht den besonderen Reiz des Vierteilers aus. Der Überlebenskampf van Weydens auf der Insel, nachdem Larsen ihn kaltblütig im Stich gelassen hat, der gereifte und gestählte van Weyden als Kapitän eines eigenen Schiffes, die erneute Begegnung mit Larsen, all das wird zu einem runden Ganzen verbunden. Lediglich die Frisco-Kid Rückblende ist nicht ganz so gelungen eingefügt. Sie dient zwar erkennbar der Vorstellung der Figuren, bleibt aber ohne jegliche Auswirkung auf die Haupthandlung. Außerdem schafft sie einen logischen Bruch, denn warum sollte van Weyden der Schnösel geblieben sein, wenn er doch schon als Junge die Fährnisse des "wahren Lebens" kennengelernt hat?