In Nomine Patris
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MADDRAX und die Religion
Um es vorweg zu sagen, ich bin kein religiöser Mensch, trotzdem sehe ich aber immer wieder, dass Menschen, denen es schlecht geht, Halt im Glauben suchen und finden. Ich will jetzt auch keine gesellschaftliche Diskussion über Sinn und Unsinn von Religion führen, allerdings wage ich die These, dass Glaube und Hoffnung, beides wichtige Bestandteile von Religionen, eine umso größere Rolle im Leben der Betroffenen einnehmen, desto schlechter es ihnen geht und desto mehr ihnen das Schicksal zugesetzt hat. Man kann sich dann leicht vorstellen, welchen Nährboden eine globale Katastrophe wie ein Kometeneinschlag für das Entstehen und Erstarken jeglicher Arten von Religionen liefern würde. Und wie schon erwähnt wird vielen Menschen durch die Verdummungsstrahlung der Daa'muren auch noch die rationale, aufgeklärte Sicht auf die Dinge genommen, was eine solche Entwicklung wohl noch zusätzlich fördern dürfte.
Akzeptiert man nun die These, dass eine solche globale Katastrophe, die die Ausgangssituation des MADDRAX-Universums bildet, zu einer Vertiefung der Religiosität bei vielen Überlebenden führen wird, so kann man sich die Frage stellen, wie sich dies auswirkt.
Einerseits wird es wohl zu einer, ich nenne es mal Vertiefung der bestehenden Religionen, führen, die wohl mehr und wahrscheinlich auch fanatischere Anhänger finden werden. Dieser Aspekt findet bei MADDRAX nicht statt. So wie ich das sehe, spielen die großen Weltreligionen in der Serie kaum eine Rolle mehr. Das ist umso erstaunlicher, als dass erst kurz vor dem Kometeneinschlag die so genannten Glaubenskriege zu Ende gingen. Religion, und hier vor allem der Islam, spielten offenbar eine große Rolle vor der Katastrophe. Umso erstaunlicher, dass eben der Islam in der Serie selbst in den arabischen Ländern vollständig vergessen zu sein scheint. Auch das Christentum, der Hinduismus, das Judentum oder der Buddhismus spielen, wenn überhaupt, nur noch in Form kleiner Sekten, die oft wie z.B. die Kristianer in Sidnee auch geografisch begrenzt sind, oder schießwütiger Glaubenskrieger eine untergeordnete Rolle. Dies mag so dramaturgisch zwar prinzipiell in Ordnung gehen, verspielt aber meines Erachtens eine große Chance einen gewissen Realismus in die Serie zu bringen und auch mit bekannten Szenarien (z.B. der Inquisition) zu experimentieren. Etwas mehr Realismus wäre an dieser Stelle für mich einfach spannender gewesen. Ich hoffe aber mal nicht, dass man das Thema Religion deshalb scheut, weil man den Lesern diesbezüglich nicht zu nahe treten will.
Andererseits werden nach einem solch apokalyptischen Ereignis wohl viele kleine Sekten und Götterkulte entstehen, die an bestimmten örtlichen und lokalhistorischen Begebenheiten ihren Aufhänger finden. Diese Götterkulte findet man in MADDRAX relativ häufig, aber leider konnte mir da nicht immer auch das Gefühl vermittelt werden, dass das Fundament auf dem sie ruhen, mich auch überzeugt. Aber das ist ein Anspruch, den eine Serie wie MADDRAX nicht erfüllen kann und wahrscheinlich auch nicht will, da oft doch die Beschreibung einer längeren Vorgeschichte für die Entwicklung eines Kultes notwendig wäre. Umso unverständlicher finde ich es aber, dass man nicht einfach die großen Weltreligionen mit interessanten, ideenreichen Modifikationen einfließen lässt. Hier bräuchte man keine großen Vorgeschichten zu erzählen.
MADDRAX geht leider einen auch noch einen dritten Weg: Es wird eine neue Religion eingeführt, über die man nur weiß, dass sie in Europa aus einem Kult um den nordischen Gott Wotan, der kurz vor dem Kometeneinschlag immer mehr Anhänger fand, hervorging und von den Wandernden Völkern immer weiter verbreitet wurde. Und genau hier beginnt das Problem, dass ich mit dem Umgang der Serie mit dem Thema Religion habe. Ein mehr oder weniger neuer Kult, der erst im Zuge des drohenden Kometeneinschlags erblühte, ist sicher keine geeignete Basis für eine weltweit verbreitete Religion mit dem Gott Wudan als ihrer Hauptgottheit. Noch dazu, da die, diese Religion verbreitenden, Wandernden Völker eigentlich so gut wie nie, mit Ausnahme ihrer Sprache (aber das ist ein anderes Thema, das einen eigenen Artikel wert ist), in der Serie präsent sind. Ich frage mich deshalb immer wieder, wie die Religion eine Ausbreitung nach Meeraka oder Asien geschafft hat. Mike meinte einmal sinngemäß, dass man durch, die Einführung einer "Weltreligion", auch wenn es etwas unrealistisch ist, versucht hat, eine gewisse Kontinuität zu bewahren, um es den Lesern einfacher zu machen. Da frage ich mich aber, warum man nicht einfach bekannte Religionen als Basis für einen weltweit verbreiteten Kult genommen hat. Ich hoffe, mein generelles Problem, dass ich mit dieser Thematik habe, wird etwas klarer.
Noch hanebüchener, man verzeihe mir, dass ich mich da etwas hineinsteigere, aber darüber muss ich mich jedes Mal aufregen, wenn ich es lese, ist Orguudo, der böse Dämon, der weltweit immer wieder gerne für alles Böse herhalten muss. Selbst gebildete Technos verwenden gerne mal seinen Namen, wenn es z.B. ums Fluchen geht. Die ganze Orguudo-Thematik hinkt von vorne bis hinten. Man kann mal davon ausgehen, dass Orguudo sich von Ora'sol'guudo, dem obersten Daa'muren, herleitet, der tatsächlich als eine Art Oberbösewicht herhalten musste. Aber woher kannten die Menschen, lange bevor die Daa'muren überhaupt entdeckt waren, (weltweit) seinen Namen? Warum verwenden ihn teilweise sogar die Technos? Und wieso schert es eigentlich niemanden, dass er vernichtet wurde. Bei Aruula mag man das ja vielleicht noch verzeihen, aber selbst Rulfan, verwendet seinen Namen selbst nach dessen Tod noch ständig und hierbei kommt niemals ein Kommentar irgendwelcher Art zur Thematik über seine Lippen. Und er sollte es ja nun mal wirklich besser wissen. Klar kann man nun mit Gewohnheit argumentieren und man kann die Bekanntheit des Namens durch die Präsenz der vielen Daa'muren-Kristalle weltweit erklären, die teilweise mit den Menschen kommunizierten, aber komischerweise erhält man darauf in der Anfangszeit der Serie, als die Daa'muren noch nicht entdeckt waren und Matt doch schon einigen Kristallen begegnet ist, keinen einzigen Hinweis darauf. Dieses ganze Szenario ist für mich eben reichlich unrealistisch, Erklärungsversuche hin oder her.
Einzig die Anangu-Mythologie der Traumzeit findet als Religion einer großen Volksgruppe Einzug in das MADDRAX-Universum. Auch wenn mir das Thema an sich zu surreal und teilweise vielleicht auch zu abgehoben und dadurch langweilig war, zeigt es doch das Potenzial, wie man eine Religion (die nicht serienimmanent ist) mit der Serie verweben kann. Die Idee, dass ein uraltes außerirdisches Wesen eine Mission verfolgt und damit den Grundstein für eine Jahrtausende währende Mythologie schafft, die erst im MADDRAX-Universum ihre wahren Ursprünge offenbart und dieses auch wesentlich beeinflusst, hat für mich großen Charme. Auch wenn mir, wie gesagt, die Umsetzung nicht immer gefallen hat.
Zum Abschluss möchte ich noch kurz auf die Hydriten eingehen. Deren Religion basiert im Wesentlichen auf der Verehrung überragender Persönlichkeiten der Vergangenheit, allen voran Ei'don, Gilam'esh und Mar'os. Leider wird dies alles nicht konsistent dargestellt, wie auch die ganze Hydritengeschichte aus meiner Sicht dieses Konsistenzproblem hat, zumindest bezogen auf meinen aktuellen Lesestand. Zu Beginn der Serie fällt nie der Name Gilam'esh, alle (außer den Fleischfressern natürlich) verehren Ei'don, der sie in ein friedliches Zeitalter geführt hat. Später erfahren wir, dass Gilam'esh nur einer kleinen Gruppe von Hydriten überhaupt bekannt ist und Ei'don von dieser Gruppe zu einem Führer aufgebaut wurde. So weit so gut. Mittlerweile, ich bin mitten im Flächenräumerzykluns angekommen, ist es aber leider so, dass fast jeder Hydrit (außer den Fleischfressern) plötzlich ein glühender Verehrer Gilam'eshs zu sein scheint. Auch hier gilt wieder: Da hätte man mehr draus machen können, noch dazu, da die Hydritengeschichte äußerst interessant und facettenreich ist. Aber auch dem Thema Hydriten werde ich mich eventuell in einem zukünftigen Kolumnenbeitrag widmen.
Auf die Frage, welchen Sinn es hat, dass die Marsbewohner den Mond Deimos als Gott verehren sollen, möchte ich gar nicht groß eingehen und verabschiede mich für heute.
Kommentare
Weil du hier den 183er abgebildet hast:
Nach einer seinerzeitigen (von vereinzelten Ausnahmen abgesehenen) Absenz von der Serie von knapp fünfzig Bänden, hatte ich dieses Heft bewusst wegen der Rev'rends als Wiedereinstiegsheft auserkoren, weil ich dachte, dass ich zumindest durch meine Vertrautheit mit den Dienern des HERREN etwas hätte, woran ich mich klammern könnte, sollte ich sonst schon (wegen der doch recht zyklischen Natur der Serie) vorläufig von der Handlung nur Bahnhof verstehen. Leider hat mich dieser Band aber derart abgetörnt, dass ich prompt nach Lektüre umentschied, erst wieder mit Band 200 einzusteigen oder knapp davor (irgendwo hohe 190er war ich dann wieder drin).
Dieser 183er-Band war für mich damals der enttäuschendste, den ich von der Serie je gelesen hatte, und dass er vom "Hauptautor" (meine Wahrnehmung) Jo Zybell stammte, macht diesen Umstand doppelt traurig.
Ich bin natürlich kein Hellseher, aber mir drängte sich beim Lesen von den ersten Seiten weg der Eindruck auf, dass Zybell hier eigentlich einen Hardcover-Band und damit weit jenseits üblicher Heftromanlänge schreiben wollte. Das Erzähltempo ist keine paar aufeinander folgende Seiten im Heft einheitlich, sondern fluktuiert extremst, mit anfänglichen Andeutungen auf irgendwann noch zu Erzählendes, hin bis zu Passagen auf den letzten paar Seiten, die sich praktisch wie ein kaum "verdünnter" Exposé-Text zusammenfassungshaften Konzentrats lesen.
Fast schon persönlich nahm ich die Art und Weise, in welcher der Autor die Rev'rends hier rufschädigend regelrecht abkacken lässt, man verzeihe mir das üble Wort. Ich war schon von den bisherigen paar Rev'rends-Heften in Maddrax nicht sonderlich begeistert gewesen, weil ich glaube, dass sie nicht wirklich in die Serie hineinpassen, und wenn, dann eben nur unter "ferner liefen" und ihrer Überlebensgröße beraubt, aber dann sind sie nichts besonderes mehr, ergo auch nichts, das es wiederholt zu thematisieren gälte. Irgendwie wirkte das ganze sehr lieblos, quasi wie ein erzwungenes Rev'rends-Fans-Quotenheft, weil halt noch zufällig ein passendes Royo-Cover im Fundus war.
Was will ich sagen?
Vielleicht hätte man mit dem 183er als Hardcover einen detaillierteren Blick auf Religion(en ja eigentlich) in der Welt machen können.
Ich persönlich bin auch nicht religiös, habe mich aber (weil es ein Phänomen ist, das sich meiner Nachvollziehbarkeit standhaft entzieht) immer wieder in meinem Leben damit (populär-)wissenschaftlich beschäftigt. Mir auch so manchen eigenen "Reim" auf die dahinter liegenden psychologischen Vorgänge gemacht. (Die ich hier sicher nicht in epischer Breite auszuwälzen gedenke, keine Sorge.)
Extremst vereinfacht: Religion ist etwas, auf das nur ein Tier kommt, das so intelligent wird, dass es zu viel Zeit übrig hat, die es nicht mit Jagen/Fressen/Ficken/Überleben/Schlafen durchbringen muss. Es braucht zum Entstehen von Religion Muße. Und in der Gruppe wahrgenommenen natürlichen Tod (also etwa keinen Unfalltod oder Beutetod).
Überleg mal, wie die Situation nach CF wohl gewesen sein muss. Erfüllt keine meiner Anforderungen.
Und selbst die Bunkermenschen/Technos: Nicht wenige werden vor CF schon Atheisten oder Agnostiker gewesen sein. Und sie haben die Wissenschaft, CF als naturwissenschaftliches Ereignis einordnen zu können. Die fangen nicht plötzlich im Bunker zu beten an.
Bestenfalls etablieren sich nicht-religiöse Führer-"Kulte".
Und wann willst du von deinen ohnehin nur halbherzig angebeteten Göttern denn abfallen, wenn nicht nach einem "Zulassen" eines Ereignisses wie CF?
Ich glaube nicht, dass zum Entstehen von Religionen Muse erforderlich ist, vielleicht für Philosophie, aber nicht für Religion. Die Grundlage von Religion besteht oft aus Hoffnung auf ein besseres Leben, dann, wenn es den Menschen am schlechtesten geht. Haben die Leute keine Not, in der sie oft bedingungslos glauben, so haben sie viel mehr Zeit sich mit Religion und Philosophie auseinanderzusetzen, was meiner Meinung nach eher dem Atheismus oder einer weniger tiefen Religiösität förderlich sein dürfte.
Viele der Fragen, die du (im Prinzip berechtigt) erhebst, stellen sich (meiner Sichtweise nach, und ich möchte dir deine nicht nehmen!) überhaupt nicht.
2. Weil ein Nennen solcher Götternamen oft in jüngsten Jahren abgeschauter Manierismus und reine Angewohnheit ist, geflügelten Worten, Redewendungen gleich. Ich sage auch selbst oft Dinge wie ein spontanes "Oh Gott!" oder schaue einfach nur "flehend" mit schwerem Seufzer in den Himmel, wenn ich mit Dummheit konfrontiert bin, selbst wenn "Himmel" die Neonlampen an der Bürodecke sind. Mein Urgroßvater hat mir, als ich noch kleiner Junge war, versucht beizubringen, dass man den ugs. Terminus für Kot nicht äußern soll, sondern etwa stattdessen "Kruzitürken" zu sagen hat. (Und da sind wir ja schon beim Kreuzzugs-Religiösen.)
Das heißt in keinster Art und Weise, dass ich an die Existenz solcher Dinge glaube. Und bei sicher den meisten der Technos dürfte es sich da ähnlich verhalten.
3. Ich habe nicht gesagt, dass Religiosität zwingend vom Bildungsgrad abhängig ist, nichtmal, dass sie von jemandes Intelligenz abhängig ist.
Ich verwehre mich aber (nicht ich mich persönlich, sondern "die Sache prinzipiell" verteidigend) heftigst dagegen, dass so getan wird, als könne religiös werden jedem passieren. Nämlich bei biochemisch-medizinisch gesundem Hirn, wohlgemerkt.
Das kann nicht jedem passieren.
Es gibt durchaus Menschen, denen kann noch so heftiges an "Schicksalsschlägen" passieren, die kann man (etwa in Folter-Verhören oder sonstigem Psychoterror) noch so fertigmachen. Es kommt der Punkt, wo man psychisch jeden "brechen" kann. Aber nicht jeder hat so einen "Religiosität-Hochfahr-bzw.-Einschalt-Punkt".
Es gibt eine Unmenge an biochemischen Reaktionen deines Hirns, die dir etwa bei extremen Wasser- oder Ernährungsmangel die seltsamsten "Zustände" verschafft. Aber soetwas ist "messbar".
Außerdem gibt es eine ewig andauernde Debatte darüber, ab wann genau etwas "Religion" ist.
Wenn ein Volk versklavt ist und sich nach einem Befreier sehnt, dann ist das (auch rational) vollkommen legitim.
Wenn sich so ein Befreier dann findet, und die Leute dem in huldigender Weise auf die Schulter klopfen und sein Andenken bewahren, ist auch das psychologisch durchaus nachvollziehbar.
Selbst wenn jene Verehrer dann andere, die diesen Befreier nicht verehren vielleicht ja gar schmähen, aus Wut über deren Missachtung ihres Idols umbringen, sind wir noch nicht bei Religion. (Wenn auch bei Fanatismus.)
Erst wenn sie sich Fantasy-Stories über Abstammung und "Mächte" des Verehrten auszudenken beginnen, sind wir bei Religiosität.
Ich bin Atheist, aber "liebe" Götter. Im Sinne von: ich finde die toll! Sind wunderbare Geschichten.
Nur glauben tue ich sie bestenfalls erst dann, wenn mein Hirn in einem Krankenhausbett vorm Abkratzen mit dem netten Cocktail aus körpereigenen "-monen" und Pharmaka benebelt ist.
christliches (Grundelemente der Religion) vermischt haben. So genau wird das ja in der Serie nicht beschrieben. Und als kleiner Denkanstoß: Auch der Islam kennt Adam und Eva im Paradies, hat also weit mehr Bezugspunkte zum Christentum als klein-durchschnitts-Erna glaubt. Aber ehrlich gesagt, die Sache mit der Religion stach mir bei MADDRAX nie wirklich ins Auge als Atheist. In dem Punkt halte ich es mit Marx, Religion ist Opium fürs Volk, aber andererseits mag jeder damit glücklich werden wonach er strebt.