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„Ebbes Gscheids“ – Eine gleine Geburtstags-Glosse

Das Grauen wird 40„Ebbes Gscheids“ – Eine gleine Geburtstags-Glosse

Hmm, der Grusel-Heftroman feiert also seinen 40. Geburtstag.

40 Jahre Lebensdauer des jüngsten Heftromangenres. Das hat doch was!

Denn für uns Schwaben ist der 40. Geburtstag immer etwas Besonderes.

Je nach regionaler Ausprägung „duads (tut es) an (einen) Schlag“, einen „Knall“ oder sonst etwas spektakulär Lautes, und das Geburtstagskind wird „gscheid“ – oft plötzlich und unerwartet …

„Gscheid“ braucht dabei etwas Erklärung, denn der eine oder andere Dialektsprechende wird darin sicher auch ohne Hilfe das Wort „intelligent“ erkennen.

Aber dieses scheinbar unscheinbare schwäbische Wort beinhaltet vor allem auch eine qualitative Seite und geht über „intelligent“ allein hinaus.

„A gscheids Bier“ ist ein qualitativ hochwertiges Hopfengetränk, ohne eigenen IQ allerdings.

Das Lob „des hosch gscheid gmacht“ bedeutet sich fast schon überschlagende Begeisterung, bezüglich der Qualität und der Ausführung (der Schwabe pflegt normalerweise keine Lobhudeleien – frei nach dem Motto „nicht gemeckert ist genug gelobt“), also: „gscheid“=gut und ordentlich erledigt.

PENG. 23. KNALL. 07. KAWUMM. 2008.

Der Grusel-Heftroman wird also am 23.07.2008 40 Jahre - aber damit auch „gscheid“?

Nun, Intelligenz wollen wir ihm nicht zubilligen (die Autoren sind in dieser Betrachtung natürlich nicht eingeschlossen).

Aber Qualität!?

Vorsicht – hier steuern wir mitten in eine Diskussion, die seit weit Längerem als 40 Jahren anhält und meist nutzlos Atem verbraucht.

Und sie begleitet uns Leser und Sammler seit praktisch der ersten Zeile, die wir in einem Heftroman gelesen haben.

Klar wurde das aber oft erst später, als die Erziehungsberechtigten und unsere Umwelt von diesem neuen Hobby, dem peinlichen Lesestoff erfahren haben.

Nicht nur dass die Eltern oft der Meinung waren, dass man sich doch bitte einer anderen Freizeitlektüre befleißigen sollte (was manchmal schwer nachzuvollziehen war, wenn im Elternhaus Simmel und Konsalik die Regale füllten), sondern auch wildfremde Menschen sahen sich immer wieder gerne genötigt, den noch minderjährigen Leser von Grusel-Heftromanen auf die Gefahren dieses Mediums aufmerksam zu machen.

Der ältere Herr in weiten grauen Hosen und rot-weißen Hosenträgern über dem hellblauen Hemd, der einen im Supermarkt beobachtete, wie man nach dem neuen „John Sinclair“ fischte  (ja, damals gab es noch alle Heftromane in praktisch jedem Supermarkt am Drehständer zu kaufen).

„Kerle, lies doch ebbes Gscheids!“, sprach´s und ging mit einer handvoll „Landser“-Hefte zur Kasse!

Diese und andere Erlebnisse prägen den jungen Heftromanleser, so dass er sich lange Jahre, vor allem während der Pubertät, also der Zeit der ersten Freundin(nen) und „echt coolen“, neuen Freunden, alle Mühe gibt, von diesen Mitmenschen als „gscheid“ angesehen zu werden.

Und da wäre der Grusel-Heftroman sicher nicht geeignet gewesen, dieses Image zu pflegen.

Das Abitur naht. Der Leser ist etwas über 18 Jahre und so intellektuell wie er nur sein kann (oder hofft sein zu können). Beziehungsprobleme von Freunden – man selbst hat ja keine, oder? – werden in der Stammkneipe im Lampenschein und Zigarettendunst diskutiert und psychologisch seziert, bis es dann später am Abend 45 km in die nächste Landei-Disco geht, wo der Tequila billig und wir Leute aus dem gerade mal so mit Müh und Not als Mittelstadt zu bezeichnenden Städtchen noch als echte Städter angesehen werden.

Wäre es sinnvoll gewesen hier öffentlich zuzugeben, dass man noch 15 Stunden zuvor die Flohmärkte in den umliegenden Dörfern und Städtchen abgegrast hat, um bergeweise 64-seitige Schätze nach Hause bringen zu können?

Nein, das wäre sicherlich nicht „gscheid“ gewesen.

Aber der Heftromanleser wird mit Zeit und Leid dann doch „gscheid“. Er versteckt sein Hobby nicht mehr und lässt die Angriffe der selbsternannten „Literaten“ ins Leere laufen. Mit Selbstironie und all den Argumentationstechniken, die die Ausbildung und das Studium so mit sich gebracht haben.

Das trainiert für den Beruf, macht Spaß und schafft Luft für das Hobby.

Lange Jahre des intensiven und offenen Sammelns tun ihr Weiteres und bringen mit der Zeit einen gewissen Respekt und Toleranz.

Ja, der Heftromanleser ist doch „gscheidter“ als allgemein angenommen.

Auf einmal bummeln Freunde mit über den Flohmarkt. Und sind bereit Augen und Ohren an den Ständen offen zu halten. Auch wenn sie selbst das Hobby nicht teilen, sind sie interessiert und hilfsbereit.

Schau an – das verpöhnte Hobby ist auf einmal „gscheid“ in das „öffentliche Leben“ des Heftromanlesers integriert.

Die Frau für´s Leben kennt den Heftromansammler gar nicht anders und mag die „Flohmarkterei“, unterstützt sogar die nun langsam erwachsener werdenden Projekte.

Akzeptanz - plötzlich und von allen Seiten?!

Jep, selbst erarbeitet! Durch den eigenen Dickkopf und die Anti-Anti-Schund-Haltung.

Und nun? Nachdem der Leser erwachsen geworden ist (zumindest könnte man das meinen), das Leben „gscheid“ verläuft (der schwäbische RUMMS ist aber noch nicht mal durchlebt!) – wird plötzlich auch der Grusel-Heftroman 40 – wird er damit auch „gscheid“? Hätte man einfach nur Geduld haben müssen, bis die Anerkennung der Hosentaschenliteratur mit dem 40. von selbst kommt?

Tja, nun, also, äh … – HALT! Bitte, bitte: HALT! Jetzt kein Rückfall in die 80er Jahre! Kein Rechtfertigen, keine Erklärungsversuche! Oder?

Nein.

Der Grusel-Heftroman war schon immer „ebbes Gscheids“. Auch wenn man es selbst nicht immer wahrgenommen hat.

Er hat in der Jugend fasziniert und prickelnd unterhalten.

Er hat den Twen in Schwierigkeiten gebracht, aber fasziniert und angemessen unterhalten, auch wenn so langsam die Schwächen der Geschichten und sich wiederholende Muster deutlich wurden.

Und er weiß den „Erwachsenen“ immer noch zu faszinieren. Aus anderen Gründen, das bestimmt. Und allzu viele der alten Romane, die man als mindestens „gut“ ansehen kann, gibt es aus heutiger Sicht eigentlich nicht wirklich.

Aber unterhalten haben sie alle. Sie haben ihre Aufgabe erfüllt. Sie haben ihren Job, ihre Aufgabe ordentlich gemacht – „gscheid gmacht“ eben.

Für alle, die sich auf das Erlebnis der 64-Seiten-Welten eingelassen haben, war das doch noch nie anders.

Für alle die Hobby und Beruf trennen können, für alle die sich trotz des seriösen Berufstätigen auch das Kind im Inneren bewahrt haben (woran übrigens nichts Schlechtes ist), für alle die die Geschichten, die Phantasie und nicht zuletzt die nicht gerade action-, aber handungsarmen Einseiten-Comics auf der ersten Seite schätzen (ja genau, manchen nennen das auch Titelbilder, aber eine Erklärung für ihre Faszination sucht man doch besser nicht im Gemälde-Bereich) – für alle diese Leser und Sammler, war das doch noch nie eine ernsthafte Frage.

Ja, der Grusel-Heftroman ist adäquate Unterhaltung und damit ganz klar, „ebbes Gscheids“.

Der Grusel-Heftroman brauchte nicht erst 40 Jahre alt zu werden, um „gscheid“ zu werden.

Faszination und Unterhaltung – wenn beides den Leser erreicht, mal mit geringen, mal mit etwas höherem Anspruch (auf die zu erzählende Geschichte bezogen, nicht auf wertvolle Inhalte), dann war´s halt „ebbes Gscheids“.

Seine älteren Genre-Kollegen SF, Krimi und Western haben diese Marke schon lange überschritten. Für Ihre Leser sind auch sie „gscheidte“ Unterhaltung (gewesen).

Eine Lanze für auch nur eines der Genres wird aber wohl in der Öffentlichkeit niemand brechen, das wissen wir.

Aber wir wissen es auch besser.

40 Jahre „gscheidte“ Unterhaltung im Grusel-Bereich, mal stark, mal schwach – Danke Ihr Autoren! Danke Ihr Verlage! Danke Fandom, aber vor allem: Danke Jürgen Grasmück!

(Die Karte zum 40. hatte ich schon fertig zu Hause liegen, mit dem ich ihm zum Geburtstag seines Genre-Kindes gratulieren wollte … ).

In diesem Sinne: Happy Birthday deutscher Grusel-Heftroman!

Oder für das Kind im Leser: Wie schön das Du geboren bist, ich hätte Dich sonst sehr vermisst … didelum …

So, und jetzt gehe ich feiern und trinke auf Euch „ebbes Gscheids“.

Jochen Bärtle

von Grusel, Grüfte, Groschenhefte (http://www.groschenhefte.net)

Schlat, im Juli 2008

Kommentare  

#1 Oliver Fröhlich 2008-07-23 20:55
Diese Verwendung des Wortes "gscheid" kennen wir in Franken auch. Besonders unterhaltsam wird es dann, wenn man von jemandem sagt: "Der is fei gscheid bleed!" :lol:
#2 benfi 2008-07-24 22:48
Hm, ich denke, jeder Leser und Sammler von Heftromanen, wird sich dafür mal...sagen wir mal geschämt haben, dass er 'so etwas' liest. Doch es ist in der Tat so, dass mit den Jahren tatsächlich ein gewisser Respekt anderer zu diesem Hobby entsteht.
#3 Mainstream 2008-07-27 12:07
Eine treffende Glosse.
Und vor allem: Sie trifft auf soviele verschiedene Fan-Bereiche zu. Auch als nicht-Heftromanleser habe ich mich wieder gefunden. Wunderbar.
#4 Mainstream 2008-07-27 12:07
Eine treffende Glosse.
Und vor allem: Sie trifft auf soviele verschiedene Fan-Bereiche zu. Auch als nicht-Heftromanleser habe ich mich wieder gefunden. Wunderbar.

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