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Wegen Renovierung geschlossen

Mainstreams MatineeWegen Renovierung geschlossen

Ich hätte ja gerne immer gesagt: Die Chefin. War sie aber nicht, sie war nur die Frau vom Chef. Und die Frau vom Chef sagte beim Filmball zu einer anderen Chefsfrau, „ach, sie haben nur drei Kinos? Na ja, wir haben sieben.“

Na ja, die Frau vom Chef zählte drei Säle in dem einen und jeweils zwei Säle in den anderen zwei Standorten. Zusammen eine kümmerliche Zahl von ungefähr siebenhundert Plätzen.
 
Die andere war die Frau des seinerzeit größten privaten Kinobesitzers Deutschlands und deren drei Kinos waren  mindestens 12 Säle, wobei jeder Saal im Schnitt mit zirka 400 Sitzplätzen versehen war. Ach, sie haben nur drei Kinos?

 

Die Frau vom Chef hätte allerdings noch ein Kino hinzufügen können, nur um „noch besser“ dazustehen. Das war der alte Vorführsaal in einem kleinen fränkischen Kaff, den Chefs Mutter bis ins abartig hohe Alter selbst führte. Zur Führung eines Kinos gehörte auch die korrekte Abrechnung, die an die Verleiher weitergegeben wurden. Da konnte man nicht drin rumpfuschen oder ausbessern. So eine Abrechnung war das Dokument schlechthin.

Im hohen Alter allerdings tat sich Mutter Chef mit dem modernen Kino schwerer und schwerer. Den Kinohit LA BOUM – DIE FETE rechnete sie wirklich korrekt ab, allerdings mit dem von ihr aufgeführten Titel BLUMS – DIE FETTE. Dann war da noch das Jahr, in dem der kleine Kobold PUMUCKEL auf die Leinwand kam und von Muttern betitelt wurde mit PURMEKEL. Das bring‘ mal einem Verleiher bei.

Allerdings sind auch Vorführer nicht gefeit. Besonders wenn es Donnerstagabend um das Buchstabenstecken der neuen Titel ging. Wer es nicht glaubt, es gab wirklich eine Zeit, da war Filmwechsel Donnerstag auf Freitag. Lange her. Ja, und da wurden spätnachts die neuen Filmtitel mit großen Plastikbuchstaben in einen Leuchtkasten über dem Eingang gesteckt. Und als der x-te Teil vom SCHULMÄDCHENREPORT die pädophilen Herzen erfreute, stand über unserem Eingang SCHULMÄDCHENBROT. Und das war ausnahmsweise nicht ich.

Ich war der, der dem mir unsympathischen Lewis Collins bei einem Aushangfoto zwei rote Reiszwecken genau auf die Augen pflanzte, als dieser bei uns zu einer unsäglichen Premiere zu einem seiner unsäglichen Action-Kracher zu Gast war. Ob der Herr Collins dies gesehen hat, ist mir entgangen. Nicht entgangen ist mir der gigantische Anschiss des Chefs, als er das Wunderwerk des Humors nach der Abreise des Herrn Collins bemerkte.

No Highway in the Sky (Reise ins Ungewisse)Dem Jimmy Stewart hätte ich niemals Reiszwecken auf die Augen gedrückt, und der Dietrich auch nicht. Aber als deren gemeinsamer Film REISE INS UNGEWISSE in den Kinos uraufgeführt wurde, dachte niemand daran, dass es mich überhaupt geben würde, geschweige denn, dass ich Reisnägel zur Belustigung irgendwie zweckentfremden könnte.

Sehr ungewöhnlich ist James Stewarts Auftreten in diesem eher unbekannten Drama, das schon Spuren von späteren Katastrophenfilmen zeigt. Er ist ein verwirrter, vollkommen seiner Arbeit ergebener Wissenschaftler bei einem Flugzeughersteller. Als alleinerziehender Vater wird schnell klar, wer sich hier um wen kümmert. Wirklich interessant ist bei diesem Charakter, dass er sich seiner sozialen Inkompetenz und geistigen Defizite durchaus bewusst ist. So kann er seine Chancen in den verschiedenen Situationen im Verlauf des Films immer realistisch einschätzen und weiß, dass sich die Leute schwer tun, seinen Erkenntnissen Glauben zu schenken.

Als höchst verwirrter, aber überzeugter Wissenschaftler Theo Honey stellt er bei einem neuen Flugzeugtyp fest, dass nach mehr als 1400 Betriebsstunden das Heckleitwerk abreißen wird. Da die älteste Maschine dieses neuesten Typs gerade in Labrador abgestürzt ist, wird Honey dorthin beordert, um das Wrack zu untersuchen, damit seine Theorie bestätigt werden kann. Allerdings befindet sich Honey bei seiner Reise in einer der betroffenen Maschinen und muss nach Rücksprache mit dem Kapitän feststellen, dass auch dieses Flugzeug die 1400 Betriebsstunden schon hinter sich hat.

Jimmy Stewart und Jack HawkinsFür seine Zeit ist REISE INS UNGEWISSE sehr spannend und auch ungewöhnlich erzählt. Es gibt zwar die eine oder andere Wendung im Verhalten der Charaktere, die wenig plausibel ist, was aber nicht unbedingt das Vergnügen schmälert. Die schlechten Modellaufnahmen des erfundenen Flugzeugtyps lassen allerdings schon mal die Luft durch die Zähne pfeifen. Und auch die wissenschaftliche Auflösung am Ende der Reise ins Ungewisse ist nicht gerade von Genialität durchsetzt. Aber der Film trägt sich sehr unterhaltsam mit seinen erstklassigen Schauspielern, bei denen es wirklich Spaß macht, uzuschauen. Auffallend ist das eher atypische Verhalten von Honeys Vorgesetzten und Freunden in einem Film dieser Art. Der verwirrte und spleenige Wissenschaftler wird durchaus ernst genommen, womit sich eine sehr reale Situation im ganzen Ablauf ergibt. Anstelle von ignoranten Obersten zieht der Film seine Spannung aus dem geschickten Geflecht von fehlenden Beweisen und der Tatsache, dass die betroffene Maschine überhaupt keine Möglichkeit zur Landung hätte.

Marlene Dietrich und Jimmy StewartEs mag ein unbekannterer James Stewart sein, aber in jedem Fall sehenswert. Und wirklich tiefgründig witzig ist er ebenso, besonders wenn sich Stewarts Theo Honey über seine eigenen Schwächen lustig macht. Denn eigentlich neigt der Mensch ja dazu, sich über andere lustig zu machen. Also ich und meine Freundin haben uns stets über Gäste in unserem Kino lustig gemacht, wenn sie an der Kasse saß und ich vorführte. Als wir TAPS spielten, der den vereinfachten deutschen Titel DIE KADETTEN VON (englisch ausgesprochen) BUNKER HILL trug, kam ein Zuschauer der eine Karte für den Film DIE KADETTEN VON (deutsch ausgesprochen) HUNKER PINK verlangte. Wir mussten uns für unser plötzliches schallendes Gelächter tausendfach entschuldigen.

Na ja, bei Angestellten wie uns war es nur eine Frage der Zeit, dass alles den Bach hinunterging. Okay, es war nicht ganz so schlimm, doch der galoppierende Fortschritt ließ uns schnell ziemlich alt aussehen. Es war der typische Teufelskreis, dass die Geschäfte so schlecht gingen, weil die notwendige Modernisierung ausblieb, welche wiederum wegen des schlechten Geschäftes nicht bezahlbar war.

Aber hier an dieser Stelle könnte man doch einmal renovieren. Wir schließen die MATINEE für ein paar Wochen und klatschen mal derweil etwas frische Farbe an die Wand. Da hat dann auch jeder was davon.

NO HIGHWAY IN THE SKY (Reise ins Ungewisse) 
Darsteller: James Stewart, Marlene Dietrich, Glynis Johns, Jack Hawkins, Janette Scott, Elizabeth Allan, Ronald Squire u.a.
Regie: Henry Koster - Drehbuch: R. C. Sherriff, Oscar Millard, Alec Coppel nach dem Roman von Nevil Shute - Kamera: Georges Perinal - Bildschnitt: Manuel del Campo - Musik: Malcolm Arnold
USA / 1951; circa 98 Minuten
Bildquelle: Twentieth Century-Fox
 
 
 
 
Jetzt zieht es den Bürger sowieso wieder nach draußen. Da bietet sich doch eine Vorstellung unter klarem Sternenhimmel an. Oder die, die es ganz bequem haben wollen, könnten doch mal mit ins Autokino. Das gute, alte Relikt aus guten, alten Tagen.
demnächst gehts ins Autokino

Kommentare  

#1 Thomas Rippert 2009-03-16 13:01
Ich kenne zwar den Film nicht, aber die Einleitung war es Wert auch den Rest zu lesen. Wieder einmal vielen Dank! :-)
#2 Larandil 2009-03-16 13:22
Gibt's denn überhaupt noch Autokinos? :-*
#3 Mainstream 2009-03-16 19:33
-
Ob es noch Autokinos gibt?

Woher soll ich denn das wissen? Ich hab'
doch meine Artikel noch gar nicht gelesen.

-
In Deutschland sieht es natürlich ziemlich mau aus. Das war mal eine hübsche, originelle Zeit, aber das war es dann auch schon.
Obwohl wir wirklich prima Stunden im Autokino verbracht haben, ist es eben nicht wirklich lustig, wenn bei APOCALYPSE NOW Martin Sheen endlich auf Marlon Brando trifft und dir einsetzender Regen die Scheibenwischer aufzwingt.

In Amerika hingegen ist in den witterungsbeständigen Region seit ein paar Jahren wieder ein Aufwärtstrend zu beobachten.

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