Von Tinten und Federn, Tintenfraß und einem Barbarastollen
Von Tinten und Federn, Tintenfraß
und einem Barbarastollen
Um Gedanken in Schriftform festzuhalten bedarf es verschiedener Hilfsmittel, zum Beispiel einen Untergrund auf dem die Schrift erscheinen soll, oder etwas um die Zeichen zu erzeugen, zum Beispiel Blut.
Etwas weniger schmerzvoll ist es auf Dauer, wenn man auf Tinte zurückgreifen kann.
Bereits in Tintenrezepten aus dem Mittelalter werden eine Vielzahl der Zutaten erwähnt, die auch in dem Buch genannt werden, das ich schon vor einiger Zeit in den bibliophilen Schätzchen vorgestellt habe. So zum Beispiel die Galläpfel. Diese waren die wesentlichen Bestandteile für die Eisenglallustinte, sehr ähnlich der Dresdener schwarzen Tinte, und die gebräuchlichste Tinte. Für die tiefschwarze Färbung sorgen die Galläpfel, die mit der schwefelhaltigen Flüssigkeit diese Färbung annehmen. Das älteste bekannte Rezept für Gallustinte stammt aus dem sogenannten Altazeller Codex, einer Handschriftensammlung, aus dem Jahr 1412.
Gallustinte - Nimm Galläpfel und zerreibe sie klein zu Pulver, tue darüber Regenwasser oder dünnes Bier und tue Vitriol hinein, soviel wie nach deiner Schätzung ausreicht und erlaube ihm einige Tage zu stehen und seih es gut durch ein Tuch, und es wird gute Tinte sein. Und wenn du schreiben willst, tue ein wenig Gummi arabicum hinein, und erwärm es ein wenig über dem Feuer, dass die Tinte nur warm werde, und es wird gute und unzerstörbare Tinte sein, worauf du auch immer schreiben mögest. (Altenzeller Codex 1412)
Neben der Tinte, vor der Tinte wurden andere Formen genutzt um Mitteilungen und Gedanken fest zu halten, im Wesentlichen haben diese alle mit der Verformung/Veränderung des entsprechenden Untergrundes zu tun: Stein, Wachs, Ton - um nur drei zu nennen.
Die Verwendung von Tinten ist schon in alten Kulturen über den ganzen Erdball zu finden. Damals wurden Tinten vor allem aus Russ hergetellt. Aus dem 3. Jahrhundert vor Christus gibt es ein Rezept, das als das älteste überlieferte gilt. Man verbrannte Lack und Holzkohle und presste das Ergebnis. Es erinnert sehr an chinesische Filme, wenn zur Verwendung dieses zu Blöcken gepressten Pulvers Wasser mit dem Russ verrrührt wird.Teilweise wurden Tinten bereits damals parfümiert (Kampfer oder Moschus), teilweise wurde auch Tintenfischbrühe benutzt4.
Über die Zeit hinweg verändern sich die Rezepte, Zutaten kamen hinzu, die Zubereitung wurde verändert oder verfeinert.
Neben den alltäglichen Rezepten gibt es auch Rezepte für Tinten, die wirklich ungewöhnliche Einsatzmöglichkeiten boten, zum Beispiel eine Tinte mittels der man mit Metall auf Holz oder auf Stein schreiben kann - gar nicht so verschieden von den Ideen heutiger Zeiten, möchte man meinen.
Aus den heißgeliebten historischen (resp. Fantasy-) Filmen sind die Schreibgeräte der "alten Zeit" bekannt: Es waren Vogelfedern, die am Kiel schräg angeschnitten wurden. Im hohlen Innenraum konnte sich etwas Tinte ansammeln, die harte Spitze konnte so spitz zulaufend angeschnitten werden, um hinreichend deutlich schrieben zu können. Mit der Zeit jedoch weichte die Spitze durch die Tinte mit der Zeit durch und musste dann mit einem scharfen Messer, dem Federmesser, nachgeschnitten werden.
Dies führte zu den unterschiedlichsten Plänen und Versuchen für Alternativen.
Nachdem es (erst) im 18. Jahrhundert gelang Federn aus Metall herzustellen, stellte man fest, dass diese durch die starke Säure der Tinten rostig wurden und nicht wirklich handhabbar waren. Also begann man gleichzeitig nach Alternativen Tinten zu forschen.
Im Jahre 1856 wurde von A. Leonhardt die erste stabile und für Füllfederhalter geeignete Eisengallustinte hergestellt. Die Tinte enthielt einen Farbstoff, der beim Schreiben die Schriftzüge erkennen ließ, und zusätzlich Gerb- oder Gallussäuren und Eisen-(II)-sulfat als farblosen Komplex gelöst. Der dauerhafte Farbstoff entstand dann nach dem Trocknen der Schrift auf dem Papier durch Oxidation des zweiwertigen zum dreiwertigen Eisen (gallussaures Eisenoxid).
Hier das Original-Rezept:
Heute werden Tinten auf Wasser-/Wachs- oder Lösungsmittelbasis hergestellt. Die Farbstoffe werden synthetisch hergestellt. Die Chemie macht vieles möglich.
Und was macht man nun, wenn man heutzutage die Tinte wieder loswerden will? Genau, man bedient sich des "Tintenkillers". Mit dem Tintenkiller kann man allerdings nur die modernen Farbstofftinten löschen, aufgrund der Tatsache, dass Gallustinten dokumentenecht sind, geht dies in dem Fall nicht. Bestandteile der Tintenkiller: Oxalsäure, Natriumthiosulfat und Wasser.
Eines der Hauptprobleme, die aus der Tintenproduktion mittels Eisensulfat und Galläpfel (eben die bereits beschriebene Gallustinte, eine Art Standardtinte bis hinein in unsere Tage) entsteht, ist der "Tintenfraß". Unter dem Tintenfraß versteht man eine chemische Reaktion des Vitriols mit Sauerstoff und Wasser aus der Luft. Damals nicht bemerkt - und nicht wichtig - gingen Teile des Vitriols bei der Herstellung der Tinte keine chemische Reaktion ein und blieb unverändert im Endprodukt vorhanden. Im Laufe der Zeit reagierte das Vitriol aus, es entstand Schwefelsäure ... das Ergebnis ist wenig überraschend: Die Zerstörung des Untergrunds an den befallenen Stellen. Es gibt eine große Menge an Beispielen für unersetzliche Werke, die durch den Tintenfraß bedroht sind - oder bereits stark zerstört. Als prominentes Beispiel hierfür mag an dieser Stelle "nur" Sebastian Bach dienen, der aus Geldmangel oft auf preiswertes Papier zurückgriff, eine preiswerte (und damit besonders eisenhaltige) Tinte verwendete, und besoners sparsam mit dem Platz auf den Papieren haushaltete.
Bis heute ist es nicht gelungen, eine wirkliche Lösung für das Problem zu finden. Ein Versuch die befallenen Bücher zu retten unternehmen Konservatoren indem sie die infizierten Seiten spalten.
Im Jahr 2000 rückte dieses Thema anlässlich des Bach-Jahres in die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Als ein Versuch befallene Dokumente zu schützen deponiert man sie in einer dunklen Kammer mit einer Klimaanlage, die für konstante Temperatur und Luftfeuchtigkeit sorgt.
Wenig Rettung war dies für die Kostbarkeiten der Anna Amalie Bibliothek in Weimar, die dem Feuer zum Opfer gefallen sind, ebenso wenig für die vielen Millionen anderer Urkunden, Folianten, Bücher, die überall langsam vor sich hinrotten. Polemisch? Vielleicht ein wenig, aber eine Tatsache. Unter dem Stichwort "Bestandserhaltung" findet man Bilder von Büchern, die dem Bibliophilen die Tränen in die Augen treiben. Eine Seite der Zentral- und Landesbibliothek Berlin zeigt (unter anderem) Bücher, die von Granatsplittern (Link verlässt die Seiten von Zauberspiegel-online) durchbohrt wurden, mit Schimmelschäden (knapp 35% der Bestände sind laut ZIB von Schimmel befallen), die sich förmlich auflösen (aufgrund von Tintenfraß oder chemische Reaktionen der Leimungsstellen mit dem verwendeten Leim) oder das unfreiwillige Bad eines Buches im Kaffee des Lesers (Link verläßt die Seiten von Zauberspiegel-online).
Zitate::
1 http://www.uni-duisburg.de
2 http://www.zeno.org
3 Oeconomischen Encyclopädie (1773 - 1858) von J. G. Krünitz
4 Lexikon des Mittelalters. Stuttgart 1999. (Eintrag zu "Tinte")
5 "Tintenfraß schluckt Noten", Friedemann Kawohl, Berliner Zeitung, 1. April 1998
Sonstige Quellen:
http://www.uni-muenster.de/Forum-Bestandserhaltung/forum/
Abbildungen: mit freundlicher Genehmigung von De Atramentis.de
Kommentare
Ich bewundere Deine Hingabe bezüglich der Recherchen ? durfte sie ja auch schon live erleben. Ich hoffe, dass Dir immer wieder solche Stoffe auffallen, denn dadurch wird der Zauberspiegel um einige Farbtupfer reicher und lesenswerter.
Ich würde das Gleiche machen, das ich dir jetzt auch ans Herz lege: Suchen.
Leider kann ich dir da nicht weiter helfen
Gruß, Bettina
Ich habe zwei Fragen:
Zum einen würde ich gerne wissen, ob das Rezept aus dem Altazeller Codex wirklich das älteste Gallustintenrezept ist, da ja die Araber schon Rezepte für jene Tinte verfasst haben...?
Und weißt du zufällig seit wann das Problem des Tintenfraß bekannt ist?
Gruß, Elena