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Ringo´s Plattenkiste - Ron Geesin: Right through

Ringo´s PlattenkisteRon Geesin: Right through

»Music was my first love« sang John Miles anno 1976. Meine auch, sieht man von Uschi L. mal ab, der blonden Nachbarstochter, mit der ich im zarten Alter von 6 Jahren fast täglich zusammen war. Bis sie wegzog. Mit ihren Eltern natürlich.

Aber um die geht es hier nicht, sondern um Musik. -

Einzig und allein.

Ringo´s Plattenkiste1981 bestand meine musikalische Welt hauptsächlich aus Progressive-Rock und ab und an ein wenig New Wave. Insgesamt also ziemlich bodenständig. Bis dann eines Tages eine Platte diese engen Grenzen meines musikalischen Horizonts einriss. Rein zufällig begegnete ich durch einen Bekannten einem Album, das eigentlich so gar nicht als richtige Musik zu bezeichnen war. Es existierten zwar ansatzweise songähnliche Strukturen, allerdings dominierten fremdartige Klänge, gewagte Soundcollagen, unheimlich flüsternde, murmelnde und plappernde Stimmfetzen, Türenknallen, berstendes Glas, wabernde Synthesizer und manchmal überraschend sogar herkömmliche Gitarrenklänge. Das Album zog mich in seinen Bann und ließ mich nicht mehr los. Das war genau die Art von Musik, die ich schon immer hören wollte, aber noch nie zuvor gehört habe. Die Rede ist von Ron Geesin´s Right Through.

Ron Geesin ist ein 1943 geborener britischer – Verzeihung, schottischer -Musiker, den hierzulande vermutlich kaum jemand kennt. Der Multiinstrumentalist begann seine musikalische Karriere in den frühen Sechzigern in einer Dixieband. Nach einem ersten Soloalbum A Raise of Eyebrows, einem sperrigen und ziemlich verrückten Werk, das sich am ehesten als Musique Concrete beschreiben lässt, arbeitete er mit Roger Waters zusammen.

Ringo´s Plattenkiste1970 wurde ihre Kollaboration Music from the Body veröffentlicht. Die Platte war der Soundtrack zu einem Dokumentarfilm über den menschlichen Körper und seine Physiologie. Auch dieses Album offenbart dem Hörer Ron Geesins musikalische Welt, in der nichts gewohntes oder leicht konsumierbares seinen Platz hat. Die 22 „Songs“ sind wie schon bei seinem Erstling zusammengesetzt aus Körpergeräuschen (Biomusic), winselnden und wimmernden Männerstimmen, verrückten Banjoparts, raffinierten Soundcollagen aus Tonbandspuren, mehrstimmigen Vocalparts, Gitarren und Pianosounds. Melodien oder herkömmliche Songstrukturen findet man nur eingestreut. Dies ist aber mehr dem Pink Floyd Bassisten geschuldet.

Ringo´s PlattenkisteIm gleichen Jahr war Geesin auch an dem erfolgreichen Pink Floyd Album Atom Heart Mother beteiligt. Nachdem sich die Band bei den Aufnahmen zum Titelsong musikalisch ziemlich festgefahren hatte, kam Waters Golfkollege Geesin ins Spiel. Er war verantwortlich für die orchestralen Arrangements und schrieb die Blechbläserparts. Auf dem Album wird er als Co-Composer genannt. Atom Heart Mother blieb allerdings die einzige Zusammenarbeit mit Pink Floyd, und so ging man fortan wieder getrennte Wege.

Nach 5 weiteren Soloalben und zwei Soundtracks (Sunday, bloody Sunday und Ghost Story)erschien 1977 nun das vorliegende Album Right Through, das wie bereits erwähnt, meinen Erstkontakt mit Geesins schräger Musikwelt darstellte.

Hier die Tracklist des Albums:

Bereits die Songtitel lassen erahnen, dass es sich bei Right Through keinesfalls um ein normales Album handeln kann, schon gar nicht um ein Rockalbum.

  • 1. Door-o-plane Gets Its Blades
  • 2. Blades Spin Notions
  • 3. Motion Above Rhythidoor
  • 4. Four Guitars Did Laugh, Then Thought Again
  • 5. Throb Thencewards Thrill
  • 6. Hiding Haul Of Voices, Hail!
  • 7. Shut Out Hailing Calls Through You
  • 8. Gong Of Going Goes Right Through
  • 9. Rhythiano Plonks The Plug Out, And We Follow

Ähnlich wie bereits auf seinen früheren Alben ist die Platte ein ausgetüftelter und schräger Mix aus den verschiedensten Klänge, Stilen und Nichtstilen. Türenschmeissen wechselt sich mit Synthesizerwehlklagen ab, berstendes und zerplatzendes Glas leitet ein seltsam vorgetragenes Gedicht ein, Rückwärtsspuren und pulsierende  Männerstimmenfragmente bilden einen auf- und abschwellenden Klangteppich, aus dem sich abermals Synthesizerklänge wie aus einer fremden Dimension herausschälen. Zwischendurch taucht neben abgehackten und hektischen Banjozuckungen immer wieder Ron Geesins verfremdete und manchmal rückwärts abgespielte Stimme auf.

Aaah, Und dann dieses lange Gitarrenstück, das fast schon normal klingt, es aber nicht lange bleibt. Geesin spielt, improvisiert, zupft und streicht seine Gitarren 8 Minuten, bis alles in eine marschartige Sythesizerfanfare übergeht.

Die einzelnen Tracks sind nicht voneinander abgegrenzt, sondern gehen fließend ineinander über, leiten die nächste Episode ein und gehen darin auf. Fast scheint es, als befindet sich ein einziges, durchgehendes Stück auf jeder Plattenseite.

Seite 2 beginnt mit einer ziemlich verrückten Klangcollage, einem gelungenen Paradebeispiel, was Musique Concrete ist und man daraus machen kann. Es beginnt mit laufenden Schritten, Stimmengewirr und schließlich erhebt sich das bereits erwähnte, mehrstimmige unheimlich klingende Gedicht.

Geesins Texte sind ähnlich geartet wie seine Musik. Nicht leicht zugänglich, schwer zu übersetzen. Schließlich geht alles in eine weitere Collage über, eine Art Bolero aus winselnden, jammernden, dümmlich lachender Männerstimmen in allen möglichen Tonarten, die wiederum den längsten Track des Albums einläutet. Langsam entwickelt sich aus pulsierendem Synthesizergewaber und –gezwitscher langsam eine polyphone Komposition, zu der sich verfremdetes Banjo, Gitarre und abermals Ron Geesins Stimme gesellen. Alles endet wie es begonnen hat mit Türenschmeissen und einem Stimmenmantra. Dazu gesellen sich ein gutgelauntes Banjo und ein Synthesizer im munteren Einklang. Zu guter Letzt folgt der RightonRightoffRightthrough-Chor, und das war´s dann.

Alle Türen sind zugeschmissen, die Platte ist aus und lässt den Hörer verwundert und auch ein wenig verstört zurück. Right through ist eben nichts für den herkömmlichen Musikgeschmack, und schon gar nichts für zarte Gemüter. Entweder man mag diese Art von Musik, oder man hasst sie. Dazwischen gibt es nichts, keine Abstufungen wie „ganz nett“ oder „das muss man wohl öfter hören“. Nein, Ron Geesin polarisiert, aber nie zum Selbstzeck. Er provoziert auch nicht, er macht eben genau seine Art von Musik, und das ist gut so. Man muss sie sich ja nicht anhören, wenn man es tut, sollte man sie aber bewusst anhören. Am besten legt man sich da zu ganz bequem hin, entspannt sich, schließt die Augen und lässt ganz unbewusst Bilder dazu vor dem inneren Auge auftauchen und entstehen. Hätte ein Adolf Wölfli nicht gemalt, hätte er wohl Musik wie Ron Geesin produziert. Right through ist ein munterer, schräger Spaß, der für mich auch nach mehreren Jahrzehnten seinen Reiz nicht verloren hat. Ich kann die Scheibe immer wieder mal hören – was allerdings nicht sehr oft vorkommt – und finde immer wieder etwas Neues darin. Man sollte die Platte aber mit Kopfhörern genießen, nicht nur wegen der besseren Klangentfaltung. Auch den Nachbarn zuliebe:

  • Hatten Sie gestern Abend Streit mit Ihrer Frau?
  • Nein, ich hab´nur ein wenig Right Through gehört
  • Aha

Ringo´s Plattenkiste2003 schließlich wurde das Album dann auch endlich auf CD veröffentlicht. Unter dem Titel Right through and beyond erschien es auf Ron Geesins Label headrest in guter und sauberer  Klangqualität mit 5 Bonustracks.

Neben einer Alternativversion von Rhythiano Plonks The Plug Out, and We Follow gibt es 4 Tracks mit dem Thema Sour new year. Es handelt sich um eine Art Suite, die Geesin 1976 für BBC aufnahm, aber niemals gesendet wurde. Musikalisch und klangtechnisch passt sie sehr gut zu Right through.

Ringo´s Plattenkiste Was ist das nun aber für ein Mensch, der solche abgedrehte Sachen produziert?

 Eigentlich ein ganz normaler würde ich meinen. Sein Art zu leben vergleicht Geesin gerne mit seinen Pianoimprovisationen: Leidenschaftlich und mit viel Humor. Eine Einstellung, die sich wie ein roter Faden durch sein gesamtes Werk zieht. Geesin sieht sich selbst nicht zwingend als Musiker oder Komponist. Er bevorzugt die Bezeichnung Aural Architect.

Ringo´s PlattenkisteSeine Live-Improvisationen bezeichnet er als „Unterbewussten Fluß“, seine Studioarbeiten als „Elektro-melodische Soundgemälde“, seinen musikalischen Werdegang schlicht als „Zufallskarriere“. Hinter all diesem spleenigen und scheinbar verschrobenem Gehabe verbirgt sich allerdings kein weltfremder Spinner, sondern ein hochintelligenter und musikalisch äußerst begabter Mensch. Und ein freundlicher Mensch außerdem. In den Achtzigern hatte ich eine zeitlang das Glück und das Vergnügen, sporadisch mit ihm in Kontakt zu stehen. Irgendwie bin ich damals in den Besitz seiner Telefonnummer gekommen, und rief ihn eines Tages dann ganz frech an. Geesin war sehr freundlich, gleichzeitig auch überrascht. „A Fan? Really?“ fragte er mich. Er schickte mir ein sehr originelles Autogramm, sowie einen Flyer seiner Ein-Mann-Plattenfirma Headrest. Beides bewahre ich zusammen in der Original-Plattenhülle auf.

P. S.: Habe ich schon erwähnt, dass ich die Platte meinem Bekannten damals abluchste?

 

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