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Ringo´s Plattenkiste - Godley & Creme: Consequences

Ringo´s PlattenkisteGodley & Creme: Consequences

»Music was my first love« sang John Miles anno 1976. Meine auch, sieht man von Uschi L. mal ab, der blonden Nachbarstochter, mit der ich im zarten Alter von 6 Jahren fast täglich zusammen war. Bis sie wegzog. Mit ihren Eltern natürlich.

Aber um die geht es hier nicht, sondern um Musik. -

Einzig und allein.

Ringo´s PlattenkisteDie beiden letzten Artikel befassten sich jeweils mit Doppelalben, diesmal kommt gleich ein Dreifaches dran. Der Clou daran ist: es ist ein Debutalbum, auch wenn die beiden Musiker, die dahinterstecken, alte Hasen im Musikbusiness sind. Die Rede ist natürlich von Consequences des Duos Godley & Creme.

Kevin Godley spielt hauptsächlich Drums und Percussion-Instrumente, obwohl er auch Cello und Klavier beherrscht. Lol Creme ist Multiinstrumentalist, spielt aber hauptsächlich Gitarre und diverse Tasteninstrumente. Beide teilen sich auch Songwriting und Gesang. Die beiden kennen sich schon lange Zeit und auch  musizierten auch stets gemeinsam. 1971 spielten sie mit Graham Gouldman und Eric Stewart in der recht kurzlebigen Band „Hotlegs“, die 1970 mit „Neanderthal Man“ einen Hit landen konnte. 1971 produzierten sie Ramases´ Album „Space Hymns“, für das sie gleich die gesamte Musik einspielten.

Ringo´s Plattenkiste1972 wurde die sehr erfolgreiche Formation 10CC gegründet, die sie aber 1976 wieder verließen, um sich eigenen Projekten widmen zu können. Primär bedeutete dies, dass sie sich ausgiebig mit ihrer Erfindung „Gizmotron“ beschäftigen und diesen promoten wollten. Am Gizmotron arbeiteten die Musiker schon seit Ende der Sechziger, 1975 ließen sie sich die Erfindung patentieren. Was sie eine ordentliche Stange Geld gekostet hat. Geld, das sie nicht unbedingt im Überfluss hatten. Ursprünglich war das Gerat eigentlich nur dazu gedacht, auf der Bühne und im Studio kostengünstig Orchesterklänge damit zu erzeugen. Erstmals zum Einsatz kam es auf den 10CC-Alben „The Original Soundtrack“ (1975) und  „How Dare You!“(1976). Was ist das aber nun für ein fabelhaftes gerät mit dem überaus witzigen Namen?

Das Gizmotron ist ein äußerst phantasievolles und an sich einfaches Effektgerät für die E-Gitarre, oder auch den E-Bass. Ein unscheinbares Kästchen, das am Steg, direkt über den Saiten angebracht wurde. Entweder man fixierte es mit Klebeband, oder man montierte es fest darauf. Das Gerät war recht einfach gehalten. Entfernte man den Deckel, sah man nichts weiter als 6 kleine, geriffelte Rädchen. Diese motorgetriebenen Rädchen mit ihren 48 Zähnchen begannen auf Knopfdruck zu rotieren und versetzten die Saiten in Vibration und Schwingung, bis zu 100-mal pro Sekunde!

Ringo´s PlattenkisteSo entstanden Klänge, die mit einer E-Gitarre nichts mehr zu tun hatten, da die Saiten nicht mehr mit einem Plektrum angeschlagen wurden.  Mit dem Gizmo konnten sowohl einzelne Saiten, als auch mehrere gleichzeitig angespielt werden. Je nach Wunsch entstanden Streicherähnliche Sounds, schwebende Klangteppiche, Klänge, die an Chöre erinnerten oder an Synthesizer und Orgel. Die Möglichkeiten waren schier unbegrenzt, und in Interviews wurde schon mal vollmundig davon gesprochen, dass der Gizmo die Musikwelt revolutionieren würde. Zunächst mochte es auch so scheinen. 1979 ging der Gizmo bei der Firma Musitronics in Produktion und war für schlappe 70,00£ erhältlich. Leider war ihm wenig Erfolg beschieden, denn obwohl die Nachfrage zwar vorhanden war, offenbarte der Gizmo schon bald einige eklatante Mängel.

Ringo´s PlattenkisteEr funktionierte nicht immer so wie er wollte. Seine Funktion und Zuverlässigkeit waren von vielen verschiedenen Faktoren wie z.B. Luftfeuchtigkeit und Raumtemperatur abhängig, die das empfindliche Gerätlein negativ zu beeinflussen vermochten. Mochte der Gizmo zunächst noch scheinbar einwandfrei funktionieren, bockte er bereits womöglich am nächsten Tag wieder. Manchmal erzeugte er die gewünschten Effekte nur auf einzelnen Saiten oder bei gewissen Tönen. Manchmal brachte er auch nur Misstöne hervor, die an eine Kreissäge erinnerten.

Da war nichts zu machen, der Gizmo hatte scheinbar ein Eigenleben und war äußerst wankelmütig.

Musitronics beauftragte in ihrer Verzweiflung schließlich den genialen Bob Moog damit, eine Lösung zu finden. Der sah aber keine Möglichkeit zur Verbesserung, und empfahl sogar, das Ganze einfach zu vergessen und die Produktion einzustellen. Was zwei Jahre später auch geschah, nachdem Musitronics Pleite gingen. 2016 kam schließlich eine neue und verbesserte Version des Gerätes auf den Markt, der Gizmo 2.0, an dem Godley & Creme aber nicht beteiligt waren, und die Veränderungen gegenüber dem Original so maßgeblich waren, dass es eigenständig patentiert werden konnte.

Verwendet wurde der Gizmo außer von Godley & Creme unter anderem von Paul McCartney auf dem Wings-Song "I'm Carrying", sowie von Jimmy Page auf zwei Songs des Led Zeppelin-Albums „In Through the Out Door“

Ringo´s PlattenkisteDie Trennung von 10CC lief auch nicht so ganz glatt und ohne Komplikationen ab. Godley & Creme fühlten sich von der Band in ihrer künstlerischen Entwicklung ein wenig eingeschränkt. Sie kamen eines Tags ins Studio, wo gerade der Song „The things we do for Love“ aus der Feder Eric Stewarts aufgenommen werden sollte, ein eingängiger und simpler Pop-Song. Godley & Creme waren mit ihren Ambitionen inzwischen aber ganz woanders und merkten, dass ihr Herzblut nicht mehr in derlei Songs steckte. Musik dieser Art aufzunehmen, bedeutete in ihren Augen einen Rückschritt, und diesen wollten sie auf gar keinen Fall machen. Ihre Bandkollegen wollten den  beiden aber auch nicht nebenbei ihr eigenes Projekt zugestehen, und so standen sie vor der Wahl, entweder in der Gruppe zu bleiben, was bedeutete, dass sie sich nicht in gewünschtem Maße dem Gizmo widmen konnten. Oder aber sie verließen 10CC und konnten völlig uneingeschränkt experimentieren.

Sie entschieden sich für letzteres, da sie auch Rückendeckung ihrer Plattenfirma Mercury hatten. 10CC nun stand kurz vor dem Aus, bedeutete der Weggang der beiden ja, dass Stewart und Gouldman alleine dastanden. Aufgeben wollten sie aber nicht, und so nahmen sie mit dem neuen Drummer, Paul Burgess, sowie einigen Studiomusikern einfach ein neues Album auf. „The Things we do for Love“ wurde ein veritabler Hit, ebenso wie das danach ausgekoppelte „Good Morning Judge“. Aber das ist wieder mal eine andere Geschichte. Kehren wir also zurück zum Dynamischen Duo und ihrer Erfindung.

Ringo´s PlattenkisteNachdem sie Mercury also mit Probeaufnahmen vom Gizmo überzeugt hatten, gab man ihnen grünes Licht, das musikalische Projekt in erforderlichem Umfang weiter zu entwickeln. Dieser erforderliche Umfang wuchs sich binnen kurzer Zeit dann zu einer dreier-LP-Box aus. Ursprünglich nur dazu gedacht, die vielfältigen Möglichkeiten des Gizmo zu präsentieren, wurde ein ausuferndes und hörspielartiges Konzeptalbum aus dem Projekt. Die ersten Aufnahmen waren hauptsächlich Soundspielereien und Tüfteleien, auf denen sich die beiden austobten und die Sounds ihrer Erfindung die erste Geige spielte. Schon bald aber entwickelten sie ein Konzept, in das diese Aufnahmen eingegliedert werden sollten. Die Idee zu Consequences war geboren. Eine avantgardistische Mischung aus Instrumentaler Musik, Balladen, Pop-Songs in bester 10CC-Manier und hörspielartigen Dialogen. Zuerst wollte man eine ganze Riege an namhaften Comedians engagieren, z.B. Peter Ustinov und Spike Milligan. Daraus wurde aber nichts. Vermutlich lag es an den wohl doch etwas hohen Gagen. So entschied man sich für Peter Cook, einen hierzulande unbekannten britischen Satiriker und Komiker. Cook war auch kostengünstiger, da er bereit und auch imstande war, mehrere Rollen zu übernehmen. Überdies brachte er auch seine Frau Judy Huxtable mit, die die Rolle der Lulu übernahm.
Ursprünglich wollte das Dynamische Duo Ella Fitzgerald engagieren, an ihrer statt übernahm dann die Amerikanerin Sarah Vaughan diesen Part. Man sieht, Godley & Creme verübten wahre Höhenflüge.
Cook sprach nicht nur mehrere Rollen, sondern schrieb auch sämtliche Dialoge, da von Godley & Creme nur der konzeptionelle Rahmen vorgegeben war. Die Handlung selbst ist – wie könnte es auch anders sein – very british und somit äußerst spleenig. Das Konzept wurde als „Der letzte Widerstand des Menschen gegen eine zornige Natur“ beschrieben. Der Albumtitel selbst ist ein Zitat von R. G. Ingersoll, das lautet: „In nature, there are neither rewards nor punishments - there are Consequences.“
Schauplatz der Handlung ist das Büro des ständig betrunkenen Rechtsanwalts, Mr. Haig. Zur Zeit des Geschehens behandelt er gerade die Scheidung von Mr. Walter Stapleton und seiner französischen Ehefrau, einer Prostituierten namens Lulu, vertreten durch ihren Anwalt Mr. Pepperman.

Ringo´s PlattenkisteDirekt unter dem Büro befindet sich die Wohnung des äußerst exzentrischen Komponisten Mr. Blint, in die man vom Büro aus – durch ein Loch im Fußboden – hineinsehen kann. Mr. Blint weigerte sich vor einiger Zeit, seine Wohnung zu räumen, als das Gebäude verkauft und umgebaut wurde. Das Loch war ursprünglich der Zugang zum Dachboden, in dem sich nun das Büro des Rechtsanwalts befindet. Während also die Scheidungssache verhandelt wird, kann man vom Büro aus den Komponisten bei seiner Arbeit beobachten und hören.

Aber dies ist nur das Setting der eigentlichen Handlung. Ohne dass sich die Akteure dessen zunächst bewusst werden, sind außerhalb des Hauses gewaltige Kräfte am Werk, die die Welt bedrohen. Es bahnt sich eine gigantische meteorologische Katastrophe an, und es bleibt unklar, ob sich die Natur selbst gegen die Menschheit wendet, oder ob eine Art Wetter-Waffe eingesetzt wird. Nur der schräge Mr. Blint kann helfen, da er nicht nur wie ein Wahnsinniger komponiert, sondern auch über unglaubliches und  geheimes Wissen verfügt…

Die Rollenverteilung sieht aus wie folgt:

⦁    Mr. Haig, der ständig betrunkene Rechtsanwalt wird von Peter Cook verkörpert. Im Skript war sein Vorname mit „Victor“ angegeben, im fertigen Werk wird dieser aber nie erwähnt.
⦁    Mr. Pepperman – ebenfalls Peter Cook – ist ein lauter und anstrengender Zeitgenosse. Alles was er von sich gibt, ist sehr ausdrucksstark und kraftvoll.
⦁    Mr. Stapleton, Haigs Klient, wird ebenfalls von Peter Cook verkörpert. Stapleton ist Nordengländer mit seltsamem Akzent. Er sagt beispielsweise „joomp“ anstelle von „jump“. Cook parodiert diesen Akzent meisterhaft und köstlich.
⦁    Lulu wird von Cook´s Frau, Judy Huxtable verkörpert. Lulu hat einen starken französischen Akzent.
⦁    Mr. Blint wird abermals von Peter Cook gesprochen. Blint spricht stets mit ruhiger, akzentuierter Stimme.

Seine Ausdrucksweise ist vornehm und sehr gewählt.

Die Charaktere sind absichtlich stereotyp und gewollt klischeehaft, und werden stark überzeichnet dargestellt: der Trunkenbold, der jüdische Anwalt, die französische Prostituierte. Sie gleichen parodistischen Abziehbildern aus dem richtigen Leben. Gelegentlich erhält das Ensemble Unterstützung von Peter Wheeler und Andy Peebles, ohne dass in den Credits aber detailliert darauf eingegangen wird.

Die Aufnahmen dauerten nicht weniger als 18 Monate und fanden in den Strawberry Studios und im The Manor statt, wobei etwa jeweils 9 Monate jeweils in den Studios verbracht wurden. Die Seiten A und B wurden komplett im Strawberry aufgenommen, der Rest im Manor. Peter Cook kam erst im Manor hinzu.

Tontechniker beim gesamten Projekt war Martin Lawrence. Das musikalische Material stammt gänzlich aus der Feder von Godley & Creme, die selbstverständlich auch alle Instrumente selbst spielten. Fast alle, denn auf einem Track ist Mel Collins am Saxophon zu hören.

18 Monate sind eine verdammt lange Zeit für ein Album, auch wenn dies ein Dreifaches ist. Die Musiker ließen sich aber nicht einfach nur Zeit, sondern tüftelten solange an den Tracks und den Soundeffekten herum, bis alles passte. Das Album war technisch und musikalisch sehr aufwendig, alles musste per Hand gemacht werden. Es gab noch keine Sampler oder Sequencer, Phantasie und sehr viel Geduld waren gefragt. Godley & Creme arbeiteten bis spät in die Nacht – oft bis in die frühen Morgenstunden hinein – und standen dementsprechend spät auf. Peter Cook hingegen war ein ausgesprochener Frühaufsteher. Um 8 Uhr war er frisch geduscht, rasiert und sah wie aus dem Ei gepellt aus, während die beiden Musiker erst gegen halb elf zum Frühstück erschienen, kaum ausgeschlafen und alles andere als frisch. Manchmal kam es vor, dass sie erschienen, als Peter Cook wieder im Begriff zu Verschwinden war.  Als starker Alkoholiker begann er mit dem Trinken schon manchmal gegen Mittag. Sein eigener Alkoholismus war wohl auch der Grund für die Darstellung des ständig betrunkenen Mr. Haig. Laut Godley & Creme versorgte er die beiden ständig mit Erfrischungsgetränken, von denen er selbst aber nichts anrührte. Er hielt sich vornehmlich an den Rotwein. Die Zusammenarbeit mit Cook dauerte ungefähr 3 Monate.

Ringo´s PlattenkisteDie beiden Musiker nahmen anschließend die restlichen Track auf, legten letzte Hand an die fertigen Stücke und gemeinsam mit Martin Lawrence wurde alles abgemischt.

Mitte des Jahres 1977 war es dann endlich soweit: Consequences erschien, edel und vornehm-anspruchsvoll in einer opulenten Box mit dezentem und künstlerischem Artwork. Beigelegt war ein 20-seitiges Booklet mit Begleittexten und vielen Bildern. Die drei Platten steckten in verschiedenfarbigen Innenhüllen.
Hier die Tracklist des Original-Albums:

Side A
    "Seascape"
    "Wind"
    "Fireworks"
    "Stampede"
    "Burial Scene"
Side B
    "Sleeping Earth"
    "Honolulu Lulu"
    "The Flood"
Side C
    "Five O'Clock in the Morning"
    "Dialogue"
    "When Things Go Wrong"
    "Dialogue"
    "Lost Weekend"
Side D
    "Dialogue"
    "Rosie"
    "Dialogue"
    "Office Chase"
    "Dialogue"
    "Cool, Cool, Cool"
    "Dialogue"
Side E
    "Cool, Cool, Cool (Reprise)"
    "Dialogue"
    "Sailor"
    "Dialogue"
    "Mobilization"
    "Dialogue"
    "Please, Please, Please"
    "Dialogue"
Side F
    "Blint's Tune — Movements 1-17"

Leider war Consequences trotz seines Anspruchs und seiner wunderschönen Aufmachung ein völliger Misserfolg und ein finanzielles Desaster, obwohl die Plattenfirma die Werbetrommel kräftig rührte. Ich erinnere mich, dass sogar BRAVO einen keinen Artikel darüber brachte und mich neugierig machte. Allerdings war mir der Preis dafür zu hoch. Consequences war unerschwinglich für mein knappes Taschengeld, obwohl ich es schon gerne besessen hätte.

Ringo´s PlattenkisteDer relativ hohe Preis war aber nur einer der Gründe für den Flop. Das Album ließ sich einfach nirgendwo einordnen. Es war weder Rock, noch war es Pop. Progressive war es auch nicht, eher Avantgarde? 1977 aber war die Zeit der Konzeptalben und auch des Progressive Rock ohnehin vorüber. Punk war angesagt! Consequences leider war das absolute Gegenteil dieser wütenden Musik. Die beiden Musiker erinnern sich, als sie eines Tages beim Frühstück im Studio saßen und nebenbei Radio hörten. Plötzlich wurde ein Stück der Sex Pistols gespielt, und den beiden schwante dabei nichts Gutes. Lol Creme hatte das unterschwellige Gefühl, dass Consequences scheitern würde, und leider hatte er auch Recht. Da half auch keine ausgedehnte Promotion-Tour mit Peter Cook, der ohnehin die meiste Zeit über betrunken war.

Um Consequences wenigstens einem Teil einer potentiell interessierten Hörerschaft zugänglich zu machen, wurde im selben Jahr ein Promotion-Album mit dem Titel Musical Excerpts From Consequences in Umlauf gebracht, aber auch das half nichts. Die ausgekoppelte Single „Five O'clock in the Morning" / "The Flood trug auch nicht zum Verkaufserfolg bei. Die Single floppte gnadenlos. Zwei Jahre später erschien Music from Consequences, ein Album mit musikalischen Auszügen aus dem Werk. Es verkaufte sich ebenfalls mehr schlecht als recht.

In den Neunzigern erschien Consequences dann auch auf CD, allerdings in limitierter Auflage, nur um dann lange Zeit wieder mal nicht erhältlich zu sein. Oder nur zu horrenden Preisen. 2019 erschien das Meisterwerk dann endlich erneut in einer ihr gebührenden Aufmachung. 5 CDs, von denen die ersten drei das Original-Album in einer remasterten und vom Dynamischen Duo abgesegneten Version enthielt, sowie Music From Consequences und auch das Promotion-Album Musical Excerpts from Consequences. Das Release war der ursprünglichen Veröffentlichung aus dem Jahre 1977 adäquat nachempfunden: alle 5 CDs steckten in verschiedenfarbigen Hüllen und wurden zusammen mit einem farbigen, 32-seitigen Booklet in einer edlen, glänzenden Box geliefert. Für knapp 25,00€ (ohne Versand) erhältlich bei Burning Shed. Dürfte wohl klar sein, dass ich mir das gegönnt habe, oder? Die Vinyl-Ausgabe von Consequences selbst habe ich nicht, allerdings besaß ich Music from Consequences, sowie die erste CD-Veröffentlichung.

Betrachten wir nun aber – zumindest die musikalischen – Tracks ein wenig genauer.

⦁    Das Album wird ganz smart und unverfänglich eingeleitet. Seascape ist ein kurzes, ambientartiges Stück, das hauptsächlich dem Gizmo und seinen sphärischen Klängen vorbehalten ist.

⦁    Der nächste Track – Wind – ist einer der aufwendigsten des Albums. Die saxophon-ähnlichen Klänge – man muss schon sehr genau hinhören, um einen Sound tatsächlich als saxophonartig zu erkennen - , entstanden in mühsamer Kleinarbeit. Jeder einzelne Ton wurde separat aufgenommen, um dann durch einen Lautsprecher gejagt zu werden, vor dessen Membrane Zigarettenpapier geklebt wurde. Durch das Vorbeirauschen der Töne am dünnen Papier entstand der gewünschte Effekt. Die Aufnahmen für diesen Track dauerten 3 Tage. Die verfremdete Soprano-Voice entstand, indem die Stimmaufnahme mit einem Bottleneck-Gizmo-Echo gekoppelt wurde. Was wie ein Vocoder klingt, und in Sekundenschnelle fast beiläufig am Hörer vorbeirauscht,  ist langwierige, mühevolle Handarbeit.

Ringo´s PlattenkisteFireworks, ein sehr kurzer Track, enthält knallige Soundeffekte, die den nächsten Track einläuten. Verwendet wurde hier ein sogenannter „Kepex“, ein Noisegater der frühen Ausführung. Das zu hörende Feuerwerk ist echt. Es wurde in Salisbury aufgenommen wurde. Ergänzt wird es durch die Geräusche zerplatzender Plastikfolie. Verwendet wurden hierfür wohl Luftpolsterfolien.

⦁    Der nächste Track, Stampede, ist Soundcollage und Song zugleich. Der Basic Track besteht aus einer Gizmo-Gitarre, die hier ausnahmsweise mal mit einem Bogen gespielt wird. Die trompetenden Elefanten stammen ebenfalls aus der Gizmo-Trickkiste. Die flatternden Vögel wurden mittels Zeitschriften simuliert, mit denen die beiden Masterminds vor dem Mikrophon herumwedelten und aufnahmen. Auch auf diesem Track kam der Kepex zum Einsatz, der einzelne Gizmosounds anstelle der Snare-drums, die herausgefiltert wurden, ertönen ließ.

⦁    Der letzte Track der ersten Plattenseite mit dem Titel „Burial Scene“ ist ein sehr schräges und sperriges Beispiel für das musikalische Neuverständnis des Dynamischen Duos nach seinem Weggang von 10CC. Die zu Beginn des Stücks zu hörenden Soundeffekte wurden mit einem Sennheiser-Kunstkopf aufgenommen, der bei den Aufnahmen eine Art  räumliche Hören simulieren sollte.

Aufgenommen wurden die makabren Begräbnisgeräusche, indem die Musiker Kies und Sand von einer erhabenen Position aus – sie standen am Anfang einer Kellertreppe – auf eine aufgebaute Verschalung schaufelten. Hinter dieser Verschalung befand sich ein Tontechniker, der die Geräusche mit dem bereits erwähnten Sennheiser-Kunstkopf aufzeichnete. Eine andere Version besagt, dass der Sennheiser tatsächlich begraben wurde, und danach Sand und Kies auf sein Grab geschaufelt wurden. Der Rest des Tracks ist wie gehabt dem Gizmo vorbehalten, ebenso wie dem Grand Piano und chorähnlichen Gesängen. Vorweggenommen wird hier erstmals das musikalische Thema der „Honolulu Lulu“, bevor der Song – und somit auch die erste Plattenseite – ausklingt.

⦁    Seite B beginnt mit Sleeping Earth, einer intensiven Soundlandschaft mit menschlichen Geräuschen (Atmen, Schnarchen, Gähnen, etc.), einem hypnotischen Rhythmus und natürlich dem Gizmo. Herausgekommen sind dabei 6 Minuten intensive und musiksalisch-bildgewaltige Kiffermusik.

⦁    Honolulu Lulu ist der erste richtige Song des Albums. Er steht in ganz krassem und auffälligem Widerspruch zum bisher Gehörten mit seinem vielschichtigen und polyrhythmischen Aufbau und seiner eher musical-orientierten Komposition. Und tatsächlich ist es ein Song, der tatsächlich aus einer Broadway-Produktion stammen könnte. Mit dem avantgardistischen Sound bisher hat der Track nichts gemeinsam, ebenso wenig ist es aber auch ein Rock- oder Popsong. Es ist einfach … irgendwo dazwischen. Wie das gesamte Album eben auch.

Ringo´s Plattenkiste⦁    The Flood ist der abschließende Track von Seite B. Musique Concrete, Avantgarde und klassischer Bolero in Einem. Mehr Kopfkino als Song. Es beginnt mit Geräuschen aus dem Badezimmer, genauer gesagt mit Zähneputzen. Die folgenden Sounds wie Tropfen und Wassergluckern bilden das Grundgerüst und den eigentlichen Rhythmus des Songs, der sich in bester Bolero-Manier langsam und stetig ausweitet und aufbaut. Auf dem Höhepunkt schließlich setzt die eigentliche Musik ein. Völlig überraschend ist diese aber sehr funky und groovy und erinnert mit seinen streicherähnlichen Gizmosounds an US-amerikanische Crime-Serien der Siebziger. Shaft lässt grüßen. Der Rhythmuspart ist tatsächlich witzig und originell, da der nicht mit einem Drumkit oder Perkussionsinstrumenten gespielt wird, sondern aus einzeln und in unterschiedlicher Geschwindigkeit abgespielten Wassergeräuschen besteht, bevor, kurz vor Schluss, ein richtiges Schlagzeug einsetzt, das den Song scheinbar in ein Livekonzert transportiert. Der dargebotene Song erinnert auffällig an The Second Sitting for the Last Supper des 10CC Albums „The Original Soundtrack“. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt?

Die beiden ersten Plattenseiten stellen nach Auskunft des Dynamischen Duos auch tatsächlich die ersten Aufnahmen dar, die sie im Zuge ihrer Gizmo-Promotion aufnahmen. Sie stellen im Konzept des Albums eine Art Ouvertüre dar, die die meteorologische Katastrophe andeutet und das eigentliche Geschehen einläutet.

⦁    Seite C beginnt mit der wunderschönen Ballade Five O'Clock in the Morning, die auch als Single ausgekoppelt wurde. Lol Creme spielt auf dem Grand Piano und singt, begleitet von mehrstimmigem Gesang Kevin Godleys und dezentem Gizmo-Sound. Ein Song in bester 10CC-Song. Hier wird deutlich, wie sehr Godley und Creme harmonierten und funktionierten. Sie passten perfekt zueinander und ergänzten sich gegenseitig. Leider war der Auskopplung des Songs kein Erfolg beschieden.

⦁    Als nächstes folgt erstmals eine Dialog-Szene mit Peter Cook.

⦁    When Things Go Wrong ist ein weiterer Song in gehabter 10CC-Manier. Geschildert wird der typische Tag eines typischen amerikanischen Juden. Ideal zum Mitsingen oder Füßewippen. Begleitet wird das 2-Mann-Ensemble von Mel Collins, der zuvor bei King Crimson tätig war, und danach auch bei Camel. Und dann wieder bei King Crimson.

⦁    Der folgende Track ist wieder ein Dialog

⦁    Lost Weekend ist die  musikalische Zusammenarbeit mit der Jazz-Sängerin Sarah Vaughan. Musikalisch am Grand Piano und gesanglich begleitet von Lol Creme, dem diese Aufnahme eine besondere Ehre gewesen ist. Damit endet auch Seite C.

⦁    Seite D wird wieder mit einer Dialogszene eröffnet, gefolgt von Rosie, einer Art melancholischem Lied über die im Krieg verlorene Liebe des Mr. Blint, der hier erstmals einen kleinen Auftritt außerhalb seiner Dialog-Sequenzen hat.

⦁    Office Chase ist ein hektisches und wirres Instrumental, das von Tippgeräuschen, Geschrei und Dialogfetzen begleitet wird.

⦁    Es folgt wieder ein Dialog.

⦁    Cool, Cool, Cool  ist wieder mal überraschend, ähnelt es stark dem operettenhaften Queen-Sound aus der A Night at the Opera-Periode, um im Mittelteil wieder wie 10CC zu klingen. Gegen Ende entwickelt sich der Song in Richtung des typischen Godley & Creme-Sounds, wie er später z.B. in An Englishman in New York zu hören sein sollte. Einen kurzen Einsatz hat hier eine Mundharmonika.

⦁    Seite D endet mit einem kurzen, gesprochenen Satz: „It´s not a good Omen, when a Goldfish committed Suicide“.

⦁    Seite E lässt noch einmal den Refrain aus Cool, Cool, Cool erklingen, bevor ein Dialog einsetzt, der sich auch bis in den nächsten Track hinstreckt. Peter Cook´s Mr. Haig ist hier schon ordentlich bedient und lallt fast nur noch.

⦁    Sailor ist eine kurze melancholische und bluesige Ballade, sparsam instrumentiert, dafür aber mit einem eindringlichen, mehrstimmigen Chorgesang.

⦁    Es folgt wieder ein längerer Dialog.

⦁    Mobilization ist wieder eine typische Gizmo-Darbietung. Instrumental, bis auf die eingestreuten Dialogfetzen.

Ringo´s Plattenkiste⦁     Beim folgenden Dialog sitzen die Akteure vor dem Radio und hantieren daran, auf der Suche nach News aus der Welt, in der die Wetterkatastrophe nun manifest ist, herum. Bis auf Mr. Blint sind die Figuren nun stark verängstigt oder gar hysterisch. Der Höhepunkt des Geschehens ist erreicht, und alles strebt seiner Auflösung zu.

⦁    Please, Please, Please ist wieder ein Song, allerdings ein recht nerviger, da der Track eigentlich nur einen weiteren Dialog untermalt und begleitet. Die Akteure flehen Mr. Blint um seine Hilfe an.

⦁    Seite E schließt mit einem längeren Dialog, der von einem monologisierenden Mr. Blint dominiert wird, der über Musik, seine Komposition und die ominöse „17“ doziert.

⦁    Seite F ist schließlich die Katharsis und Mr. Blint´s Komposition (endlich, endlich!)gewidmet. Der Track heißt sinnigerweise Blint´s Tune, und dauert ca. 14 Minuten. Der Song beginnt mit Donnergeräuschen und einer Art Kirchenorgel, bevor die eigentliche Musik beginnt. Blint´s Tune ist ein orchestraler und abwechslungsreicher Longtrack, der stellenweise klassisch, manchmal bombastisch und drohend  daherkommt. Dialoge und Songstrukturen fehlen völlig, alles konzentriert sich nur auf die Musik, und die ist grandios. Das Stück verheißt ungeachtet aller düsteren Elemente aber scheinbar Gutes, denn es erklingt gegen Ende reines und klares Vogelgezwitscher, die Wolken scheinen sich verzogen zu haben. Der Gizmo zeigt in diesem Track seine gewaltige Bandbreite der Möglichkeiten und seines Klangspektrums. Hier kommt er voll zur Entfaltung und ist in der Lage, tatsächlich ein Orchester zu simulieren. Dass dies nur mit Hilfe etlicher Tonspuren möglich gewesen ist, dürfte klar sein. Den Song einzuspielen und aufzunehmen, muss eine Heidenarbeit gewesen sein. Außer dem Gizmo werden hauptsächlich Piano und diverse Perkussionsinstrumente gespielt. Bei Blint´s Tune dürfte es sich wohl um das ambitionierteste Werk der beiden Musiker handeln, das leider einige Jahre zu spät erschien. Und schon ist Consequences auch schon vorbei.

Hört man das Album – wie ich im Verlauf dieser Schreiberei - ganz bewusst und mehrmals, und es nicht nur nebenbei laufen lässt, erschließt es sich vermeintlich nur in seiner Gesamtheit, die es aber eigentlich nicht gibt.

Zu offensichtlich ist, dass Consequences ein wenig zu ambitioniert ist. Es ist abwechslungsreich, zugleich aber auch sprunghaft. Es wirkt nicht homogen, sondern eher ein wenig zusammengestückelt. Die ursprüngliche Absicht, den Gizmo und seine Fähigkeiten zu präsentieren, wurde zwar beibehalten, allerdings setzten die beiden Musiker dies in einen größeren Rahmen, den es nicht bedurfte. Er wirkt zu groß geraten.

So sind die Dialogszenen zwar recht originell und herrlich spleenig, allerdings nützt sich diese Idee recht rasch ab. Bald schon merkt man, möchte man der Handlung wenigstens einigermaßen folgen können,  dass man schon sehr genau hin- und zuhören muss. Ein derartiges Hörspiel ist auch nicht unbedingt das, was man als Musikkonsument gerne hören möchte, auch wenn der musikalische Aspekt würdig, vielfältig und anspruchsvoll ist. Man ist also sehr schnell geneigt, bei den Dialogen wegzuhören und stattdessen auf das nächste Musikstück zu warten. Und das wird dem Album nicht gerecht. Godley & Creme haben es ein wenig zu gut mit ihrem Konzept gemeint, hier wäre weniger eindeutig auch mehr gewesen.

Reduziert auf den Umfang eines Doppelalbums und ohne die Dialoge, wäre Consequences das geworden, was ihm versagt blieb: Ein Meisterwerk.

Was wurde aber aus den an Consequences Beteiligten?
⦁    Godley & Creme veröffentlichten noch 4 weitere Studioalben und konnten sogar einzelne Charterfolge erzielen („Cry“, „Wedding Bells“), bevor sie sich aus dem Musikbusiness zurückzogen. Eigentlich taten sie das ja bereits 1976, wie sie 2018 scherzhaft erklärten. Die beiden waren auch als Musikvideo-Produzenten, unter anderem für Ultravox, The Police, Yes, Duran Duran, Frankie Goes to Hollywood erfolgreich. Lol Creme besitzt seine Gizmo-Prototypen übrigens noch.

⦁    Peter Cook war nach Consequences noch 12 Jahre mit Judy Huxtable verheiratet, bevor sie sich aufgrund seines Alkoholismus scheiden ließ. 1995 starb er an einer Magenblutung.

⦁    Judy Huxtable lebt noch und hat 2008 eine Autobiographie veröffentlicht, deren Kern ihre Ehe mit Peter Cook ist.

⦁    Die Kettenraucherin Sarah Vaughan verstarb 1990 an Lungenkrebs.

⦁    Mel Collins lebt ebenfalls noch und ist seit einigen Jahre erneutes Mitglied der Alt-Progger King Crimson.

 

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Kommentare  

#1 Cartwing 2019-09-16 06:37
Zitat:
Es war weder Rock, noch war es Pop. Progressive war es auch nicht
Den Eindruck hatte ich schon zu 10CC - Zeiten.
Wenn schon Prog, dann erinnerten sie am ehesten an "Gentle Giant", die ähnlich frickelig waren.
Ich fand sie gewöhnungsbedürftig, einige Sachen auf "How dare you" musste ich mehrmals hören, bis die Titel sich mir erschlossen. Dann war ich aber durchaus sehr angetan.
Die 10cc - Alben nach 76 fand ich dann auch eher langweilig...

Wieder ein äußerst interessanter Artikel. Du suchst dir aber auch immer die schwierigsten Objekte raus, oder? Wieder sehr detailliert und informativ.

Ich kenne übrigens außer diesem kein anderes Dreifachalbum. "The wall" von Pink Floyd wäre ja fast eins geworden. Wollte die Plattenfirma aber nicht. So entstand dann das "Final cut" Album...
#2 Ringo Hienstorfer 2019-10-07 18:50
Hallo Cartwing, danke für Deine wohltuenden Worte.
Irgendwie suche ich mir tatsächlich immer sehr schwierige Kost raus, Du hast recht. ;-) Beim nächsaten Mal wird es aber ein wenig einfacher, und auch kürzer.
Dreifachalben sind gar nicht so selten, wie man meinen könnte. So z.B.:
- Welcome Back My Friends to the Show That Never Ends von "Emerson, Lake & Palmer"
- Proletenpassion, von "Die Schmetterlinge"
- The Concert for Bangla Desh
- Yessongs, von "Yes"
- Shut up´n play yer Guitar, von Frank Zappa
- Thing Fish, ebenfalls von Frank Zappa
#3 Cartwing 2019-10-08 06:42
ja, stimmt, wobei das natürlich nicht alles Studioalben sind...
#4 Ringo Hienstorfer 2019-10-08 10:41
Richtig, es sind tatsächlich nur 2 Studioalben (Proletenpassion und Thing Fish) darunter.

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