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Ringo´s Plattenkiste - The Edgar Broughton Band

Ringo´s PlattenkisteThe Edgar Broughton Band

»Music was my first love« sang John Miles anno 1976. Meine auch, sieht man von Uschi L. mal ab, der blonden Nachbarstochter, mit der ich im zarten Alter von 6 Jahren fast täglich zusammen war. Bis sie wegzog. Mit ihren Eltern natürlich.

Aber um die geht es hier nicht, sondern um Musik. -

Einzig und allein.

Ringo´s PlattenkisteDie Band über die wir heute sprechen wurde in den Sechzigern als Edgar Broughton Blues Band in Warwick gegründet, einer ganz ehrwürdigen altenglischen Stadt. Kennt keiner? Macht nix, gleich lernt ihr sie kurz kennen, nur um sie sofort wieder zu vergessen.

In Warwick hat der berühmte Schöpfer des „Herrn der Ringe“ geheiratet und war vom Flair dieser 1000-jährigen Stadt dermaßen fasziniert, dass sie ihm sowohl als Vorbild zu seiner Königsstadt „Edoras“ als auch  zu „Minas Tirith“ diente. Im Gegensatz zu Tolkien aber kennt Edgar Broughton aber heutzutage wohl kaum noch jemand. Wie er inzwischen aussieht, erkennt er sich wohl auch selbst nicht mehr im Spiegel.

Zurück aber zur Band, um die es diesmal geht.

Erste musikalische Gehversuche der EBB – kurz für Edgar Broughton Band - fanden bei den Plattenfirmen wie so oft keinen Anklang. Wie viele andere Bands dieser Zeit spielte Edgars Band vorrangig Blues, allerdings liebäugelten sie schon früh mit anderen, weitaus progressiveren Stilrichtungen. Aber auch das hob sie nicht von anderen, vergleichbaren Gruppen ab. Die Band verkürzte ihren Namen geringfügig, indem sie das „Blues“ rausschmissen und wandte sich dem damals angesagteren Psychedelic Rock zu.

Gemanaged wurden sie zu dieser Zeit von Edgar und Steve Broughtons resoluter Mutter. Die Texte waren stark politisch geprägt, die Musik laut, aggressiv, der Gesang wütend. Gemäß seiner anarchistischen Einstellung und Ansichten gab Edgar mit seiner Gruppe Gratiskonzerte. Da es aber immer wieder Ärger mit Veranstaltern gab und ihnen der Zutritt zur Bühne verweigert wurde, verlegten sie oftmals den Gig kurzerhand auf die Ladefläche eines Lasters. Ihr Schlachtruf, den sie sich aus einem Song der amerikanischen Fugs entliehen, lautete „Out, demons, out“. Gemeint war damit symbolisch der Teufel der Spießermentalität, den Edgar gleich einem musizierenden Exorzisten austreiben wollte.

Aus heutiger Sicht wirkt das alles natürlich ein wenig naiv (und auch entsprechend albern), damals war es aber durchaus ein ernst gemeintes Statement.

Edoras, sorry: Warwick wurde Edgar und seinen Freunden schon bald zu eng und engstirnig, und so zog die Truppe 1968 nach London, wo sie sich bessere Chancen erhoffte. Dort machten sie glücklicherweise auch schon bald Bekanntschaft mit der Firma Blackhill Enterprises, einem aufstrebenden Musik-Management, kurz zuvor gegründet und ins Leben gerufen von einem gewissen Peter Jenner und den Pink Floyd-Mitgliedern. Jenner vermittelte Edgar einen Deal mit EMI´s brandneuem Prog-Label Harvest.

Wir erinnern uns: über Harvest lasen wir bereits beim letzten Mal, als es um Babe Ruth ging. Deren Sängerin gefällt mir auch wesentlich besser, als der plärrende und scheinbar nur aus Haaren zu bestehende Edgar Broughton. Sie bewegt sich auch anmutiger und … Stop!

Im darauf folgenden Jahr erschien die Single Evil/Death of an Electric Citizen, die erste Single die Harvest überhaupt veröffentlichte. Im Juli desselben Jahres folgte das Debutalbum Wasa Wasa: roh und ungeschliffen, musikalisch wenig facettenreich, sehr laut und aggressiv, fast schon eine Art Proto-Punk. Broughtons Gesang (irgendwo zwischen Howlin Wolf und Captain Beefheart) war wütend und anklagend, seine Texte bissig, ätzend und anarchisch. Die Platte verkaufte sich ganz gut, und die Band ging wieder auf Tour durch England.

Während ihrer Live-Auftritte(unter anderem auf Spielplätzen und öffentlichen Anlagen), die immer noch gratis waren, kam es ständig zu Ausschreitungen und Gewalttätigkeiten, die nicht zuletzt auch von der Band selbst provoziert waren. Während eines Konzertes in Keele beispielsweise bekam das Publikum Farben von Edgar ausgehändigt, die  den Veranstaltungsort damit natürlich johlend und vandalisierend verunstalteten. Edgar wollte sich anschließend aus der Affäre ziehen, indem er zwar zugab, die Farben ausgehändigt zu haben, den Leuten aber nicht gesagt habe was sie damit machen sollten. Im Grunde genommen handelte er damit aber genauso verantwortungslos wie die von ihm verabscheuten „Pigs“, die Politiker mit ihrer Schweinementalität.

Freunde machte er sich damit gewiss nicht, und so weigerten sich bald mehrere Städte und Grafschaften, die Band bei ihnen überhaupt  aufzutreten zu lassen. Überdies merkte der Anarchist Broughton auch schnell, dass sich Gratiskonzerte auf Dauer nicht mehr realisieren lassen würden. Als schließlich Eintrittsgelder verlangt wurden, kam es erneut zu Ausschreitungen und auch zu Boykotten. Viele Fans wandten sich enttäuscht von ihrer Band ab.

Die aber machte weiter und brachte 1970 den gemäßigteren Nachfolger Sing, Brother, sing heraus. Die Musik war moderater und anspruchsvoller, die Kompositionen ausgefeilter und auch der Gesang Edgars klang nicht mehr so roh und brutal. Auf der dazugehörigen Single Up yours! war sogar erstmals ein Streicherarrangement zu hören. Die Platte schaffte es auf Platz 18 der britischen Charts. Die verbliebenen Fans wandten sich nun wohl geschlossen von ihrer Band ab, die in ihren Augen nun endgültig Teil der Maschine Musikbusiness geworden war.

Juli 1970 begannen die Aufnahmesessions für das nächste, unbetitelte Album, die sich bis Februar des darauf folgenden Jahres hinzogen und in den  Abbey Road Studios stattfanden. Produziert wurde erneut von Peter Jenner.

Für Edgar waren diese Recordings der eigentliche Beginn ihrer Karriere, er war sichtlich beeindruckt vom Kommen und Gehen namhafter Künstler wie z.B. den Beatles oder den Shadows.

Ringo´s PlattenkisteDas Line-up sah aus wie folgt:
Robert Edgar Broughton: Vocals, Guitar
Arthur James Grant: Bass Guitar, Vocals
Steve Arthur Broughton: Drums, Vocals
Victor B. Unitt: Guitar, Harmonica, Piano, Organ, Vocals

Unitt, ein alter Bekannter aus den Anfangstagen der Band, als noch Blues gespielt wurde,  war neu hinzugekommen. Später verließ er die EBB, war kurzzeitig bei den Pretty Things und kam 1970 wieder zurück und blieb bei Edgar bis 1975.

Im Studio erhielten die ehemaligen Anarchos zusätzliche Unterstützung, unter anderem durch die Ladybirds, einer weiblichen Gesangstruppe, die durch ihre Mitwirkung in der Benny Hill Show bekannt wurde, durch den noch sehr jungen Mike Oldfielfd, sowie durch David Bedford, der für die die Orchesterarrangements verantwortlich war.

Auf dem nur als Single veröffentlichten Track Hotel Room, war außerdem Roy Harper als Backgroundsänger zu hören. Kennt keiner? Harper war ein alter Bekannter David Gilmours und singt auch have a Cigar auf dem Pink Floyd Album Wish you were here.

Hier die Tracks des Albums:

  • Seite 1:
  • Evening Over Rooftops
  • The Birth
  • Piece of My Own
  • Poppy
  • Don't Even Know Which Day It Is

  • Seite 2:
  • House of Turnabout
  • Madhatter
  • Getting Hard/What Is a Woman For
  • Thinking of You
  • For Doctor Spock Parts 1 & 2

Seite 1 beginnt mit schrägen und thrillerähnlichen Streichern, denen eine akustische Gitarre und Edgars unverkennbarer Gesang folgen. Nach und nach setzen dann die anderen Instrumente ein, und man ist schon mitten im grandiosen Opener Evening Over Rooftops.

Dieser Song hat gar nichts mehr mit den rüden und brutalen, fast schon primitiven Anfängen der Band zu tun, sondern ist ein vielseitiger, durchdachter und sehr schöner Rocksong. Hier sind auch die schon erwähnten Ladybirds im Hintergrund zu hören, die, wie wir bereits wissen, zum festen musikalischen Kern der Benny Hill Show gehörten. Evening war seinerzeit eine Art Insider-Hit, obwohl nie als Single veröffentlicht. Ein wirklich grandioser und eingängiger Song, der sich kontinuierlich entwickelt und bis zum Finale steigert. Man kann ihn immer wieder neu hören und dazu das Feuerzeug anknipsen und schwenken, falls man Bock drauf hat und es einem nicht zu blöd ist. Man kann auch an Jenny Haan denken.

Geschrieben wurde Evening von Edgar und Victor. Der Text ist melancholisch und nachdenklich, aber ungewohnt gänzlich unpolitisch. Er ist überdies sehr schwer zu interpretieren. Edgar selbst äußerte sich nicht eindeutig dazu, und meinte nur, dass es der wohl beeindruckendste Song des Albums sei.

The Birth, der nächste Song, ist stampfend und druckvoll, sparsam und einfach instrumentiert, ähnlich wie in den Anfangstagen. Begleitet wird der Akustikgitarre spielende Edgar von Victor an der Mundharmonika. Gegen Ende des Songs kommt eine kratzende und jaulende E-Gitarre dazu. Der explizite Text handelt vom Tod.

Piece of my own ist ein eher peinlicher Folk-Song mit dümmlich-naivem Text, begleitet von einer Art irischer Fiddle. Hierzu kann man am Lagerfeuer sitzend getrost das Feuerzeug anknipsen und in der Luft schwenken, mitsingen und dämlich grinsen. Aber echt jetzt. Nach den gelungenen ersten zwei Nummern des Albums kommt nun so ein Müll? Fast ist man versucht, Babe Ruth aufzulegen…

Der nächste Track, Poppy, ist ein rein akustischer und bluesiger Song. Dargeboten wird er von Edgar und Victor, die die beiden Akustik-Gitarren spielen. Der Text handelt von Umweltverschmutzung. Ist nur marginal erträglicher als der Vorgänger.

Nach diesen beiden fragwürdigen Unplugged-Ausflügen folgt endlich, endlich wieder ein richtiger Rocksong: Don't Even Know Which Day It Is. Eingängig, mitreißend und elektrisch. Und gut. Richtig gut. Leider ist Seite 1 damit auch schon zu Ende. Der Text? Ein Text eben!

Seite 2 beginnt mit einem richtigen Kracher: House of Turnabout beginnt wieder akustisch, wird aber ganz kurz zwischendurch wieder so richtig aggressiv, wenn Edgar seine E-Gitarre malträtiert. Ein toller Song, der von der Band auch gerne live dargeboten wurde.

Madhatter, der nächste Song, ist sehr entspannt, laid-back und groovy. Gesungen wird von Edgar, der gar nicht nach Edgar klingt. Ich vermute auch, dass die Liner-Notes hier nicht ganz die Wahrheit sprechen. Die Stimme klingt nicht nach Edgar, sondern eher nach Steve oder Victor. Auch in diesem Song gibt es wieder musikalische Reminiszenzen zu den frühen Songs, und zwar immer dann, wenn Edgar an seiner  E-Gitarre sägt. Und das tut er hier ausgiebig.

Der nächste Track besteht eigentlich aus  zwei ineinander übergehende Songs: Eingeläutet wird er mit Getting Hard, einer Art Improvisation, die in den eigentlichen Song übergeht: What Is a Woman For, einer bluesigen Adagio-Nummer mit hypnotischer Orgel im Hintergrund. Der Song steigert sich langsam, bis schließlich ein dynamisches Bläserorchester einsetzt, ähnlich wie bei Uriah Heep`s Salisbury. Gegen Ende des Songs kommen noch Streicher dazu. Edgars Gesang ist intensiv und fast flehend. Der Song und auch sein Arrangement sind aber nicht sehr ausgereift, überzeugen aber durch die Intensität und das gelungene Zusammenspiel der einzelnen Instrumente. What ist einer der Höhepunkte des Albums, fast schon Prog. Grandioso.

Thinking of You überrascht den Hörer etwas, da es sich hier um eine wirklich wunderschöne akustische Ballade handelt. Steve singt, begleitet von akustischer Gitarre und einer Mandoline, die von keinem geringeren als dem damals 17-jährigen Mike Oldfield gespielt wurde. Den kennen wir ja alle, veröffentlichte er ja 2 Jahre später sein Meisterwerk Tubular Bells. Im Gegenzug zu seiner Beteiligung an dem vorliegenden Album spielte darauf Steve Arthur Broughton die Drums. Und mit David Bedford, dem verantwortlichen der Arrangements, arbeitete Oldfield auch zusammen.

Die Platte klingt schließlich mit dem zweiteiligen For Doctor Spock aus, das sehr psychedelisch und bekifft (mit viel Hall und Echo)beginnt, leider aber schon nach mehr als der Hälfte in einem Sumpf übelster und klebriger Streicher versinkt und den eigentlichen Song einläutet. Der jammernde Text ist erneut dümmlich naiv und auf satirische Art und Weise dem US-amerikanischen Kinderarzt Dr. Benjamin Spock gewidmet. Insgesamt ist dieser Track ein eher enttäuschender und unwürdiger Abschluß eines – trotz seiner Schwächen – gelungenen Albums.

Ringo´s PlattenkisteDie fertige Platte erschien dann im Mai 1971 im Gatefold-Cover zum Aufklappen und löste erstmal einen kleinen Skandal aus. Ein nackter Mann, aufgehängt an einem Fleischerhaken zwischen geschlachteten Schweinehälften war damals schon einen empörten Aufschrei wert. Dementsprechend abenteuerlich waren auch die Fotosessions, die in einem rasenden Tempo ablaufen mussten. Die Fleischhändler im Smithfield Fleischmarkt wussten nämlich nichts über die Intentionen des Fotofragenteams und waren dementsprechend aufgebracht und wütend. Das Model war übrigens keiner aus der Band, sondern eine nicht weiter erwähnte Person namens Emo. Gestaltet wurde das legendäre Cover übrigens vom Studio Hipgnosis, einem damals neuen und aufstrebenden Designerkollektivs unter der Führung von Storm Thorgerson, das sich später hauptsächlich durch die Gestaltung der Pink-Floyd-Covers hervortat. Die allererste Auflage erschien in einem speziellen Cover, dessen Textur einer menschlichen Hautoberfläche nachempfunden war. Sammler erkennen diese Auflage an dem fehlenden Harvest-Logo.

Ringo´s PlattenkisteDas selbstbetitelte Album verkaufte sich sehr gut und erreichte Platz 28 der UK-Charts. Es war damit zwar nicht so erfolgreich wie der Vorgänger, aber immerhin ein Erfolg. Die dazu veröffentlichte Single Hotel Room  war ebenfalls recht erfolgreich, schaffte es aber leider nicht in die Charts. In Deutschland verkaufte sich das Album übrigens ausgezeichnet.
 
Im Vergleich zu den beiden Vorgängeralben war die Platte deutlich gereift, und bot, trotz aller Schwächen, überwiegend hervorragendes Songmaterial. Edgars Ausflüge in die Folk- und Countrymusic (Piece of My Own, Poppy) sind zwar überflüssig, dafür begeistern Songs wie Evening oder House dafür umso mehr.

Die Band konnte aber leider mit den folgenden Platten nicht mehr an ihre Erfolge anknüpfen und löste sich 1976 nach drei weiteren Alben auf.

Ringo´s Plattenkiste1979 erschien das Livealbum Live Hits harder, bevor sich die Ex-Anarchisten unter dem Namen The Broughtons neu formierten und 2 weitere, kaum beachtete Alben herausbrachten. Die musikalische Power war raus, und die Anbiederungsversuche an die damals angesagte und moderne Musik misslungen und unpassend, weil aufgesetzt.

Die Edgar Broughton Band verschwand 1982 nach dem absolut erfolglosen, synthesizerdominierten Album  Superchip: The Final Silicon Solution? Völlig in der Versenkung.

Was machen die Musiker heute?
Ringo´s PlattenkisteEdgar ist heute noch aktiv, sieht aber aus wie ein Morlock. Er musiziert und geht hin und wieder auf Tour. Begleitet wird er dabei unter anderem von seinem Sohn Luke.

Arthur Grant spielte anschließend bei diversen, völlig unbekannten Bands mit und war auch an der Reunion der EBB beteiligt. Was er heute macht, ist unbekannt.

Steve spielte später unter anderem mit Sting, Mike Oldfield und Steve Hillage. Live war er auch mit der reformierten Edgar Broughton Band unterwegs.

Victor Unitt verließ die Band 1973 und ist seitdem verschollen.

 

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