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Ringo´s Plattenkiste - Yes - Relayer

Ringo´s PlattenkisteYes - Relayer

»Music was my first love« sang John Miles anno 1976. Meine auch, sieht man von Uschi L. mal ab, der blonden Nachbarstochter, mit der ich im zarten Alter von 6 Jahren fast täglich zusammen war. Bis sie wegzog. Mit ihren Eltern natürlich.

Aber um die geht es hier nicht, sondern um Musik. -

Einzig und allein.

Ringo´s PlattenkisteYes ist eine Band, die man nicht groß vorzustellen braucht. Vor allem nicht, wenn man sich wie ich mit Prog beschäftigt. Oder wie euch, die ihr die Beiträge der Plattenkiste lest.

Yes waren und sind – eingeschränkt - eine Institution in Sachen Prog. Tatsächlich existieren sie auch heutzutage und weigern sich hartnäckig abzutreten.  Allerdings sind sie weit, weit, ganz weit entfernt vom Glanz und Ruhm längst vergangener Tage. Leider, muss man sagen. Denn zu ihrer Zeit waren sie echt groß und mega-angesagt. Was sie heute nicht mehr sind. Eher erinnern sie an die Beißer aus der Serie „The walking Dead“, die ebenfalls nicht wahrhaben wollen, dass sie eigentlich tot sind. Aber egal, hier geht es nicht um Millennium-Gammelfleisch, sondern um das Golden Age des Rock, die Siebziger. Und die Bands, die diese Zeit zu dem machte, was sie ist.

Werfen wir also abermals einen Blick zurück.

Ringo´s PlattenkisteDie Anfänge der Band
Die Anfänge der Band reichen ins psychedelische Jahr 1966 zurück, als einige, inzwischen unbekannte, Musiker eine Gruppe mit dem seltsam anmutenden Namen Mabel Greer’s Toyshop ins Leben riefen. Ein Jahr später stieß Bassist Chris Squire dazu, kurz danach gefolgt von dem Gitarristen Peter Banks. Anfang 1968 stieß auch der junge Sänger Jon Anderson hinzu, und die Band tourte durch die Londoner Pubs und Clubs, bis sie irgendwann schließlich unweigerlich auf John Peel stießen, für dessen Radio Shows sie auch einige Tracks aufnahmen. Das Besetzungskarrussel drehte sich unaufhörlich, wie es auch in den nächsten Äonen typisch für die spätere Supergroup werden sollte. Der junge Bill Bruford ersetzte den ursprünglichen Drummer, und Tony Kaye nahm an den Tasten Platz. Von den Gründern der ursprünglichen Formation war bald niemand mehr übrig, und so war die Zeit reif für einen Namenswechsel. Anderson schlug den Namen „Life“ vor, Squire wollte die Gruppe „World“ nennen. Guitarrero Banks schlug den knappen und knackigen Namen Yes vor, und wurde erhört. Die Supergruppe des Prog war geboren! Unter ihrem neuen Namen trat die Combo erstmals am 04.08.1968 auf. Ihr Repertoire umfasste Coverversionen bekannter Bands wie z. B. den Beatles, Traffic oder The 5th Dimension.

Insgesamt hatte die Band zunächst nichts Eigenes und Aufregendes zu bieten, was sich 1969 aber ändern sollte. Sichtlich beeindruckt und wohl auch beeinflusst von einem Auftritt der ebenfalls noch jungen Band King Crimson, beschlossen Yes, dass es an der Zeit war, den Coverversionen und dem Psychedelischen den Rücken zu kehren. Man wollte technisch versierter werden und anspruchsvollere Musik spielen. Vor allem auch keine Coverversionen mehr. Die Band übte und übte, komponierte und gab unaufhörlich Konzerte in kleinem Rahmen. Bald schon waren die Anstrengungen dann endlich von Erfolg gekrönt. Ein Plattenvertrag war unterschrieben, und das Debutalbum erschien. Durch den Erfolg ermutigt, ging die Band auf ausgedehnte Tournee, unter anderem in Skandinavien, wo sie von einem 20-köpfigen Jugendorchester begleitet wurde. Gitarrist Banks stieg 3 Monate vor der Veröffentlichung des Folgealbums „Time and a word“ aus, an dem er musikalisch noch beteiligt gewesen war. Angeblich auf Druck von Anderson und Squire. Banks wurde durch Steve Howe ersetzt, mit dem Yes auch das dritte Album „The Yes Album“ aufnahmen. Während die beiden ersten Platten noch unausgereift und wenig individuell waren, zeigte sich auf dem „Yes Album“ bereits die spätere musikalische Richtung. Der Sound war professioneller, die Kompositionen ausgereifter und komplizierte geworden. Tony Kaye trägt auf dem Cover einen Gips, was einem kurz zuvor stattgefundenen Autounfall geschuldet war. The Yes Album ist bereits Prog, was nicht zuletzt an den ausufernden und langen Kompositionen erkennbar ist. Das Album war ein großer Erfolg, erreichte es immerhin Platz 4 der UK Charts und Platz 40 in den USA. Die Karriere und der Plattenvertrag der Band war somit gerettet, stand aber aufgrund der eher mäßigen Verkaufszahlen der Vorgängeralben aber auf sehr wackligen Füßen.

Ein Jahr später war die – wenigstens für einige Zeit – klassische Besetzung der Band gefunden. Nach Tony Kayes Weggang übernahm Rick Wakeman den Platz an den Keyboards, der Mega-Seller Fragile wurde veröffentlicht. Das Cover stammte erstmals von Roger Dean. Dean wurde typisch und stilbildend für die Band und auch den Prog. Platten mit seinen Fantasy-Covers wurden oftmals hauptsächlich aufgrund seiner Mitwirkung gekauft. Fragile war der Grundstein für Yes als Progband, ja für den Progressive-Rock schlechthin. Auf ihm sind einige der Klassiker wie z.B. Roundabout oder Long Distance Runaround vertreten. Auch die Bühnenshows wurden zunehmend ausgereifte und aufwendiger.

Ringo´s PlattenkisteDer Nachfolger Close to the Edge war dann sogar noch erfolgreicher und  noch proggiger. Auf ihm fanden sich insgesamt 3 Tracks, wobei einer davon die ganze erste Plattenseite einnahm. Drummer Bill Bruford stieg nach den Aufnahmen aus und wurde für die ausgedehnte Welt-Tournee von Alan White ersetzt. Bruford ging zu King Crimson und blieb dort einige Jahre. Aufnahmen der Tour wurden übrigens auf dem 1973er Live Album Yessongs veröffentlicht. Auf Close to the Edge wurde übrigens zum ersten Mal das berühmte Yes-Logo verwendet, entworfen von Roger Dean.

1973 war mit Tales from topographic Oceans der absolute Höhepunkt der Band erreicht. Es handelte sich um ein opulentes Doppelalbum mit 4 Longtracks, die jeweils eine ganze Plattenseite einnahmen. Wunderschön aufgemacht im Gatefold-Cover, gestaltet natürlich von Hausdesigner Roger Dean. Tales ist wohl das Magnum Opus der Band, gleichzeitig auch das umstrittenste Werk, nicht nur beim Publikum und den Kritikern, sondern auch bandintern. So zeigte sich Keyboarder Rick Wakeman beispielsweise nicht sehr angetan davon, und verließ die Band auch kurzerhand nach den Aufnahmen. Tales war dennoch ein gigantischer Erfolg und verkaufte sich außerordentlich gut. Das Doppelalbum landete auf Platz 1 der UK-Charts und hielt sich 17 Wochen, in den Staaten ganze 27 Wochen mit einer Höchstplazierung von einem sechsten Rang.  Aber was sollte danach kommen? Nun, Wakeman veröffentlichte sein grandioses Album Journey to the Centre of the Earth, das auf Platz 1 der UK-Charts landete und von Jules Vernes berühmten Roman inspiriert war. Yes hingegen machten sich gezwungenermaßen auf die Suche nach einem neuen Keyboarder und auch wieder einmal nach neuen musikalischen Ufern.

Nach Wakemans Abschied waren ca. 8 verschiedene Tastenmänner im Gespräch, unter anderem Roxy Music`s Eddie Jobson oder der Grieche Vangelis. Mit letzterem gestaltete sich  die Zusammenarbeit aber offenbar nicht ganz einfach, obwohl sich der heimliche Boss der Supergroup – Jon Anderson- bestens mit ihm verstand und ihn auch unbedingt in der Gruppe haben wollte. Daraus wurde aber nichts. Immerhin arbeiteten die beiden aber Jahre später zusammen und veröffentlichten unter dem Namen Jon & Vangelis einiges kommerziell erfolgreiches, dafür aber musikalisch wenig anspruchsvolles und eher langweiliges Material.

Ringo´s PlattenkisteYes aber entschieden sich dann letztlich für den eher unbekannten, dafür aber umso begabteren Nobody namens Patrick Moraz, einem gebürtigen Schweizer. Moraz war zuvor an diversen, aber eher unbedeutenden Soundtracks beteiligt. Unter anderem war er für kurze Zeit Mitglied der Band Refugee, einem Nachfolgeprojekt von The Nice, nachdem Keith Emerson die Gruppe verließ, um Emerson, Lake & Palmer zu gründen.

Moraz wurde prompt neuer Yes-Keyboarder, obwohl er noch keine einzige Note zusammen mit der Band gespielt hatte. Er war eine Art musikalisches Wunderkind und Unikum im Rockzirkus. Als heranwachsender Klavierspieler brach er sich nämlich mehrere Finger der rechten Hand beim Rollschuhlaufen. Die Ärzte prognostizierten ihm, dass er aufgrund dieses Handikaps  mit ziemlicher Sicherheit nicht mehr in der Lage sein würde nach wie vor klassisches Klavier zu spielen. Nur durch spezielle Therapien und unaufhörliches Üben mit der linken Hand gelang es ihm, weiter zu machen. Moraz wurde dadurch zu einem ambidextrosen Menschen, da er nun in der Lage war, beide Hände gleichwertig zu benutzen. Der junge Schweizer war äußerst talentiert und ambitioniert. So verbrachte er im zarten Alter von 16 Jahren einige Zeit im spanischen Cadaques, wo er auch den berühmten Surrealisten Salvador Dali kennenlernte.

Man sieht, Moraz war also kein Depp, obwohl ein unbeschriebenes Blatt und weitgehend unerfahren im Rockzirkus, vor allem im Umgang mit den exzentrischen Yes-Mitgliedern.

Dem jungen Schweizer blieb dann auch seine allererste Begegnung im Wohnsitz Chris Squires mit Yes prägend in Erinnerung. So saß er zum vereinbarten Zeitpunkt mit einigen Mitgliedern der Roadcrew zusammen, als die Musiker der Band nach und nach eintrudelten. Übrigens ganz in der damaligen Manier der überheblichen Rockstars fuhren sie zum Vorstellungstermin sonnenbebrillt in sündhaft teuren Luxusautos vor, bzw., ließen sich fahren. Meiner Meinung nach war ihnen der kommerzielle Erfolg durchaus etwas zu Kopfe gestiegen, was wohl auch den zuvor in der engeren Wahl stehenden Vangelis abgeschreckt hatte. Man war nicht nur eine Band, man war die Band Yes. Den eher bescheidenen und unbescholtenen Schweizer und die Supergroup trennten eigentlich Welten, aber das schien zunächst einmal egal zu sein. Ein Trugschluß, wie sich später zeigen sollte.

Moraz erhielt den Zuschlag, und bald ging es für ihn in die bereits laufenden Aufnahmesessions zum Album Relayer. Er setzte sich an die Tasten und klimperte ein wenig herum, improvisierte, während Yes eher gelangweilt desinteressiert rauchend und teetrinkend im Studio saßen. Als er einige Takte von And you and I zum Besten gab, unterbrachen sie ihre respektlose Ignoranz und versammelten sich um das Keyboard und lauschten ihm. Anschließend spielte ihm die Band einen noch unfertigen Song namens „Sound Chaser“ vor, und dies in einem aberwitzigen Tempo. Offenbar fehlte für diesen Song noch das Intro, und Patrick improvisierte auf Bitte Andersons ein Eröffnungsthema, das nahezu unverändert auch auf den fertigen Aufnahmen zu finden war. Ein unumstößlicher Beweis für Moraz` musikalische Fähigkeiten. Er schlug Jon Anderson vor, einige Takte begleitend zu seinen komplexen Keyboards zu spielen und beriet Alan Squire und Steve Howe musikalisch. Vermutlich brachte ihm das nicht nur Sympathien ein, außer von Anderson, mit dem Moraz in der Folge eng zusammen arbeitete. Anderson hatte übrigens eine ganz eigene Art und Weise, seine musikalischen Ideen zu verwirklichen. Weder Text, noch Melodien wurden irgendwie festgehalten, sondern existierten fertig im Kopf des Musikers. Für Moraz waren die Aufnahmen übrigens nicht unbedingt erholsam, wohnte er damals in einem Randbezirk Londons und musste einige Zeit Anfahrweg in Kauf nehmen.

Das Gesamtkonzept zum Haupttrack des Albums – The Gates of Delerium – stammte von Anderson, der die restlichen Bandmitglieder von der Notwendigkeit eines neuen Longtracks überzeugte. Andersons Kompositionen wurden der Band nicht in Form von Noten oder ähnlichen Niederschriften vorgelegt, er spielte sie den Musikern auf dem Piano vor. Was sich wohl als anstrengend erwies, da Anderson – wie er selbst sagt -, damals kein besonders talentierter Klavierspieler gewesen zu sein scheint. Die Aufnahmen fanden in Chris Squires Garage-Studio statt, begleitend produziert von Eddie Offord, mit dem die Band bereits zuvor gearbeitet hatte. Offord war ein exzentrischer und spleeniger Mensch, der jeden Fitzel Musik aufnahm und aufbewahrte. Seine Arbeitsweise war chaotisch unstrukturiert, was unter anderem durch seine Kifferei begründet war. Manchmal kam es vor, dass er unbeabsichtigt wichtige und gelungene Parts verwarf oder gar löschte, und dafür andere Aufnahmen verwendete. Was nicht immer den Zuspruch der Band fand. Immerhin aber brachte er brauchbare Resultate zustande und war zuvor schon an den letzten 5 Yes-Alben, sowie an 4 Platten von Emerson, Lake & Palmer beteiligt. Relayer sollte seine letzte Arbeit für Yes sein, zumindest als Produzent. Er trat aber noch zweimal in Erscheinung: 1980 als Co-Produzent für Drama, sowie 1991 bei 2 Tracks des Albums Union. Aufgenommen wurde mit einem 24-Spur-Bandgerät und weiterem Equipment, das Eddie selbst mitbrachte. Die Endabmischung fand dann im Londoner Studio statt.

Ringo´s PlattenkisteDas Line-up der Aufnahmen sah aus wie folgt:

  • Jon Anderson – Lead Vocals
  • Steve Howe – Acoustic & Electric Guitars, Electric Sitar, Backing Vocals
  • Patrick Moraz – Keyboards
  • Chris Squire – Bass Guitar, Backing Vocals
  • Alan White – Drums, Percussion

Relayer wurde Ende November 1974 veröffentlicht, wie gewohnt als Gatefold mit einem schmucken Cover von Roger Dean. Diesmal war das Bild allerdings nicht so verspielt und farbenfroh, wie man es von seinen früheren Arbeiten gewohnt war, es war in Grautönen gehalten und wirkte fast ein wenig trostlos. Nichtsdestotrotz aber faszinierend. Es ist eins von Deans Lieblingsmotiven, wie er selbst sagte. In seinem Bildband „Views“ sagt er: „Meine Vision war eine Art gigantische, gotische Höhle darzustellen, eine befestigte Stadt von Kriegsmönchen oder eine Festung von Fantasy-Templern.“

Ringo´s PlattenkisteDas Motiv und die Vision selbst waren nicht ganz neu, sondern gingen zurück auf eine Farbskizze aus dem Jahre 1966. Klappt man das Cover auf, findet man auf der linken Seite ein Photo der Band, ihm gegenüber ein kurzes Gedicht von Donald Lehmkuhl, inspiriert vom Covermotiv.

Ursprünglich war für die Innenseite ein weiteres Motiv Deans vorgesehen, das aber keine Verwendung fand, sondern erst Jahre später in der CD-Veröffentlichung zu sehen war.

Relayer sollte für lange Zeit Deans letzte Arbeit für Yes sein. Mit dem Nachfolger entschied man sich für einen Stil- und Imagewechsel, der nicht wenige Fans verschreckte. Dean wurde erst ab 1980 sporadisch immer wieder mal verpflichtet.

Roger Dean entwarf aber nicht nur das Cover für das Album, sondern war auch verantwortlich für das Stagedesign der folgenden Tour. Als Supergroup, die Yes nun mal waren, konnten sie nicht einfach in ihren Bühnenklamotten erscheinen. Es musste schon etwas ganz Besonderes sein. Nachdem Rick Wakeman weg war – der, so schenkt man bösen Zungen gehör, schon mal auf der Bühne während der ausufernden Soli seiner Kollegen ein Currygericht aß – einigte man sich schnell auf ein dem Ruhm der Band entsprechendes Setting. Analog dem pompösen Bombast des Prog-Rocks der Siebziger sollte die auf den Platten ausufernde Musik auch optisch während der Liveshows untermalt werden. Roger und sein Bruder Martyn Dean waren dafür verantwortlich. Ähnliches wurde zuvor bereits für das Album „Tales from Topographic Oceans“ versucht, gelangte aber nie zu einem finalen Stadium.

Für Relayer aber legte man sich mächtig ins Zeug. Unmengen an glasfaserverstärktem Kunststoff wurden benötigt, um das fast schon surreale Setting der Bühne zu gestalten.

Die Ringo´s PlattenkisteTracklist des fertigen Albums sah aus wie folgt:
Seite 1:
The Gates of Delirium"

Seite 2:
1.Sound Chaser
2.To Be Over

Das Album schlug ein wie eine Bombe und erreichte auf Anhieb Platz 4 der UK-Charts, sowie Platz 5 der US-Charts. Veröffentlicht wurde Relayer nicht nur auf LP, sondern auch auf Audio-Cassette und 8-Spur-Tonband. CD`s gab es damals ja noch nicht. In den USA wurde Relayer übrigens erst Anfang Dezember auf den Markt gebracht.

Kritiker und Fans nahmen das Album begeistert auf, während Ex-Keyboarder Wakeman nicht sehr angetan davon war. Es erschien ihm als zu jazzig, und sein Entschluss, die Band zu verlassen, schien in seinen Augen der richtige Zeitpunkt gewesen zu sein. Was ihn aber nicht daran hindern sollte, 3 Jahre später zurückzukehren. Ho Hum.

Yes gingen im Anschluss auf eine ausgedehnte Tour, die bis ins nächste Jahr andauern sollte. Moraz hatte einige Wochen Zeit, um sich mit dem bisherigen Repertoire der Band vertraut zu machen und es einzustudieren, was ihm auch gelang. Er war sichtlich überwältigt vom überschäumenden Erfolg der Konzerte, vor allem von den Standing Ovations des Publikums. Als Equipment hatte Patrick übrigens satte 14 Keyboards auf der Bühne stehen, weit mehr, als er es gewohnt war. Auch dies war ein Ausdruck der Gigantomanie der Siebziger. Während der Tour war das komplette Album Relayer auch das Kernstück der Konzerte. Der Rest der 90-minütigen Setlist bestand aus früherem Material. Als Vorgruppe der Konzerte fungierte die heutzutage nahezu unbekannte Band Gryphon, eine mittelalterlich angehauchte Progband aus England.

Album und Tour waren mehr als erfolgreich, und wohl auch ebenso anstrengend. Yes gönnten sich im Anschluss eine ausgedehnte Pause, in der die einzelnen Mitglieder auf Wunsch der Plattenfirma jeweils ein Solo-Album veröffentlichen sollten. Die Tour brachte Differenzen zwischen Moraz und der Band zutage, sowohl in menschlicher Hinsicht, als auch in musikalischer. Gitarrist Howe verstand sich nicht besonders gut mit dem Schweizer, und diesem wiederum gefiel der Wunsch der Band einer musikalischen Neuausrichtung nicht besonders. Relayer war aggressiv und jazzig, Yes aber wollten künftig gemäßigtere Töne anschlagen und vermehrt songorientiert arbeiten. Moraz schied 1976 wieder aus der Gruppe aus und wurde überraschend von Rick Wakeman ersetzt. Der Rest ist Geschichte.

Sehen wir uns aber die einzelnen Songs ein wenig genauer an:

The Gates of Delerium ...
... ist ein für die damalige Zeit und auch für Yes typischer Prog-Song, stellt aber auch gleichzeitig den Schwanengesang der Band und ihrer Ära dar. Gates ist ausufernd und episch angelegt, nimmt eine ganze Plattenseite ein und  bildet das Kernstück der Platte. Jon Anderson war hierfür auch nicht zum ersten Male der Initiator eines derart ausufernden Werkes, hatte aber diesmal mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen, die restlichen Bandmitglieder von seinen Ideen zu überzeugen. Moraz berichtet, Anderson hätte die gesamte und komplexe Idee – textlich und musikalisch – gedanklich bereits fertig gehabt, bevor er sie dem Rest der Band auf seinem Piano vorspielte. Yes ließen sich überzeugen und nahmen den Track auf.

Ringo´s PlattenkisteGates beginnt verspielt lyrisch und wie ein scheinbar normaler Rocksong, entwickelt sich aber im Mittelteil zu einem vertrackten Paradebeispiel des damaligen Prog. Diverse Soli wechseln sich mit Tempuswechseln ab, ständig untermalt von Moraz` Synthesizereffekten und begleitet von Soundeffekten, die meist aus der Trickkiste Moraz` stammten. Schenkt man dem Booklet Glauben, stammen einige der martialischen Soundeffekte wohl aus  der Konserve (Vinyl oder Tape) und wurden erst in die Endmischung dazu gefügt. In der 5:1 Version fehlen diese, was dem Hörgenuss aber keinen Abbruch tut. Nach dem wilden und rhythmischen Mittelteil geht der Song gekonnt in den sphärischen Schlussteil über: Der Krieg ist vorbei – Gewinner oder Verlierer gibt es nicht – und Andersons engelsgleiche Vocals  schweben wie auf einer Wolke über einer zerstörten Welt, begleitet von ätherischen, zwitschernden und blubbernden Keyboards. Der Tiger ist gezähmt und hat sich in eine Taube verwandelt. Andersons engelsgleiche Stimme verkündet „Soon…“.

Ein Auszug dieses Schlußteils wurde auch als Single ausgekoppelt, konnte sich aber nicht in den Top 100 etablieren.

Anderson schwebte für diesen Teil ursprünglich vor, dass alle Bandmitglieder Keyboards spielten, allerdings wurde dies nie verwirklicht. Der Song selbst handelt von Ideologie und Krieg, unter anderem inspiriert vom Vietnamkrieg und Tolstoi`s Epos Krieg und Frieden. Und wohl letzterem ist wohl auch die Gliederung des Songs geschuldet.

Sound Chaser läutet Seite 2 ein und beginnt für Yes untypisch sehr jazzig. Das wahnwitzige Tempo des Tracks ist vermutlich  den einzelnen Egos der Musiker geschuldet, bietet er ihnen ausreichend Platz für die damals obligaten Soli und der Präsentation der musikalischen Künste der Musiker. Erwähnenswert in diesem Song ist vor allem das Zusammenspiel von Howe und Squire. Aber auch der Neuling Moraz kommt nicht zu kurz. Nach einem gelungenen und furiosen Solo der beiden genannten Saitenkünstler spielt er nach einer gehauchten Gesangseinlage Andersons und einer Band-orientierten Bridge ein schräges und wildes Mini-Moog-Solo, das in nur 2 Takes aufgenommen wurde. In diesem Song merkt man deutlich die musikalische Versiertheit der Band an und wie sie sich wohl entwickelt hätte, wäre Moraz geblieben. Eine Kurzversion des Songs wurde auch als B-Side der Single Soon veröffentlicht.

Den Abschluss dieser grandiosen Platte bildet To be over.

Ein typischer Closer, der sanft und mit sphärischen Klängen – unter anderem einer teils synthetischen Sitar – beginnt und in gepflegte Langeweile abzudriften scheint, an Pilates-Musik erinnert und die Hörer in Versuchung bringt, Feuerzeuge hochzuhalten. Bald aber schon platzt Howe´s Gitarre in diese Wellness-Idylle und entführt uns abermals in die vielfältige Klangwelt des Prog der Siebziger, bevor diese vom langsam aufkeimendem Punk und New Wave langsam, aber unaufhörlich verdrängt wird.

Danach ist Relayer zu Ende und überlässt den Hörer erwartungsvoll einer eher ungewissen Zukunft, was sowohl Yes, aber auch ein ganzes Musikgenre betraf.

3 Jahre später erschien das Album Going for the one, erneut mit Rick Wakeman an den Tasten aber ohne das gewohnte Roger-Dean-Cover. Dafür mit der Kehrseite eines unbekleideten Mannes vor einem futuristischen Hintergrund. Yes machten weiter, lösten sich wieder auf, reformierten sich und so weiter. Bis zum heutigen Tage.

Für 2020 war ursprünglich im Rahmen der Album-Series-Tour  geplant, Relayer mal wieder komplett live zu spielen, allerdings wird aus aktuellem Anlaß wohl nichts draus.

Relayer wurde neu remastered und neu abgemischt einige Male auf CD veröffentlicht, zuletzt 2014 im 5.1.-Format, bearbeitet von Steven Wilson. Auf der Music-DVD ist als Bonus das Album im Original-Stereo-Mix enthalten außerdem die Single-Versionen.

Was ist aus den Musikern geworden?
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Jon Anderson veröffentlichte einige Soloalben und blieb mit einigen Unterbrechungen bis 2017 bei der Band. Großen Erfolg hatte er als Jon & Vangelis. Ein Musical über den Maler Marc Chagall blieb bis heute leider unveröffentlicht.

Steve Howe blieb ebenfalls mit einigen Unterbrechungen bei Yes. Unter anderem war er auch Mitglied bei Asia.

Patrick Moraz wurde nach seinem Rausschmiß Mitglied bei Moody Blues und ist bis heute als Solokünstler tätig.

Chris Squire hat als einziger die Band nie verlassen und verstarb im Jahre 2015.

Alan White blieb der Band ebenfalls treu, arbeitete aber zwischendurch immer wieder an eigenen Projekten.

 

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Kommentare  

#1 Cartwing 2020-04-25 19:13
Zitat:
Jon Anderson war hierfür auch nicht zum ersten Male der Initiator eines derart ausufernden Werkes, hatte aber diesmal mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen, die restlichen Bandmitglieder von seinen Ideen zu überzeugen.
War das nicht auch schon beim Tales - Album so?
Meine ich, irgendwann mal gelesen zu haben.
Mit dem Tales - Album bin ich nie warm geworden und habe es vor kurzem verschenkt...

Gates ist genial, aber der Rest des Relayer Albums, also die anderen beiden tracks :-) konnten mich auch nie so ganz überzeugen.

Aber sei es wie es sei, ein wieder mal sehr interessanter Artikel, ich würde sogar sagen, der für mich bisher interessanteste
#2 Ringo Hienstorfer 2020-05-04 14:46
Hin und wieder höre ich mir inzwischen "Tormato" und auch "90125", die mich damals nur die Nase rümpfen ließen. Mittlerweile finde ich sie sogar - zumindest stellenweise - recht gut.
Der nächste Artikel ist in Arbeit, eigentlich sogar fast fertig. Er dreht sich um eine recht tierische Angelegenheit...
#3 Cartwing 2020-05-05 06:41
Lass mich raten...
Animals von Pink Floyd?
Darauf würde ich mich freuen...
#4 Ringo Hienstorfer 2020-05-05 10:46
Leider nicht richtig, aber "Animals" könnte ich mir auch mal vornehmen. 8)
#5 Cartwing 2020-05-05 14:22
Dann lasse ich mich mal überraschen... :-)
#6 Cartwing 2020-05-05 21:20
Zitat:
schon platzt Howe´s Gitarre in diese Wellness-Idylle und entführt uns abermals in die vielfältige Klangwelt des Prog der Siebziger, bevor diese vom langsam aufkeimendem Punk und New Wave langsam, aber unaufhörlich verdrängt wird.
Sehr aussagekräftige, wahre Worte...
Wie schön, dass der Prog letzten Endes nie so ganz gestorben und selbst heute, in einer Zeit der Selbstplagiate und des Nacheiferns vergangener Stile und Trends immer noch präsent ist...
#7 Ringo Hienstorfer 2020-05-11 12:45
Ja, der Prog. Ganz weg war er nie, obwohl er sich später häufig unter dicker Tünche von Kommerzialität und Anbiederung versteckte. Wer vernünftig war, der hörte auf, wie etwa King Crimson oder Van der Graaf. Aber die meisten konnten - und wollten - das wohl nicht. Irgendwann gab es dann eine Art Comeback des Prog, beginnend mit Marillion. Und auch heute wird noch guter prog gespielt, beispielsweise von Riverside oder Haken.
Aber richtig neu ist das alles nicht merh
#8 Cartwing 2020-05-12 06:02
nein, stimmt, da wird sich gerne bei den alten Klassikern bedient, aber das tun ja eh alle ;-)

IEs gab auch ein paar, die durchaus noch innovativ und eigenständig daherkamen, wie Porcupine Tree

Inzwischen hat Steven Wilson sich ja auch vom Prog abgewandt...
#9 Ringo Hienstorfer 2020-05-12 10:02
Wenigstens arbeitet er ja noch als Haus-und-Hof-Remixer für die alte Garde.
#10 Ringo Hienstorfer 2022-05-26 21:48
Update: Schlagzeuger Alan White verstarb am 26.05.2022.

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