Ringo´s Plattenkiste - Faust: Faust IV
Aus meiner Plattenkiste habe ich den letzten zwei Jahren schon etliche, teils arg verstaubte Scheiben rausgezogen und vorgestellt. Rock, Prog, Funk, Avantgarde, Folk, New Wave waren dabei, ebenso wie Mainstream und Pop. Aber bisher noch kein Krautrock. Das ändert sich heute, obwohl ich das Wort zwar eigentlich nicht mag, die heutige Band dafür aber umso mehr; denn sie hat einen so schönen, kurzen und einprägsamen deutschen Namen: Faust. Und sie machten auch noch geniale Musik.
Schauen wir also mal kurz kurz zurück in die wilden Siebziger und fragen uns, was Krautrock denn eigentlich ist oder sein soll. Der Begriff Krautrock selbst leitet sich unzweifelhaft von der abwertend „Krauts“ genannten Deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg ab. Im Gegensatz zu Prog oder Jazz oder New Wave ist es nämlich gar keine Stilrichtung, sondern ein nicht unbedingt schmeichelhafter Sammelbegriff für Bands aus deutschen Landen, die zwangsläufig nicht aber auch deutsch sangen. Die BRD war damals musikalisch noch ziemlich unbedarft. Außer Rock- und Beatbands, die sich damit begnügten, berühmten englischsprachigen Vorbildern nachzueifern, gab es eigentlich nur noch Schlagermusik. Die Krautrocker hingegen ahmten nicht nach, sie machten Musik unterschiedlicher Richtungen: Von Hardrock über elektronisch bis zu Progähnlichem war alles vertreten. Gemeinsam war allen Vertretern nur, dass sie sich fernab vom Mainstream bewegten und versuchten, ganz eigene Wege zu beschreiten. Ein wesentliches Merkmal war auch, dass sie der anglo-amerikanischen Rockmusik eine ganz eigene Note verliehen, was sich unter anderem auch darin niederschlug, dass sie gerne auch elektronische Instrumente verwendeten. Ein weiterer gemeinsamer Nenner war der deutsche Toningenieur Conny Plank, der für viele Krautrocker an den Reglern saß.
Bekannte Vertreter des Genres waren Can, Amon Düül, Guru Guru, Grobschnitt. Teilweise existieren die Bands immer noch. In ihrer Heimat wurden die Musiker oft nur belächelt und fanden wenig Anklang, während sie im Ausland – wohl auch aufgrund ihrer Exotik – durchaus erfolgreich waren. Musiker wie Steven Stapleton von Nurse with Wound (Ringo berichtete) wurden stark vom Krautrock angezogen und inspiriert. Kein Wunder also, dass er viele dieser Bands in seine NWW-List aufnahm, in der auch Faust vertreten war. Die Band war auch ganz maßgeblich an der Etablierung des Begriffes Krautrock beteiligt. Dazu aber später mehr. Die Krautrockszene wuchs und gedieh, und so war es nur eine Frage der Zeit, bis die großen Plattenfirmen auf sie aufmerksam wurden. Damit ließ sich Geld machen, keine Frage. Bands und Käufer gab es genug. Warum also nicht auf diesen Zug aufspringen?
1970 war es, als der liberale Journalist Uwe Nettelbeck von einer dieser großen Plattenfirma beauftragt wurde, eine Deutsche Rockband zusammenzustellen. Nettelbeck, der ein wenig aussah wie Dr. Morton, schrieb Artikel über Filme, Musik, Literatur und auch über Gerichtsverfahren. So z.B. über den Kirmesmörder Jürgen Bartsch, einen deutschen Serienmörder. Zuvor war er Redakteur bei der Zeit, danach Stellvertretender Chefredakteur für Konkret. Nettelbeck nahm das Angebot an und machte sich auf die Suche. Statt aber einfach nur eine Rockband zusammenzucasten, verschmolz er zwei unbekannte Bands zu einer neuen. Aus den beiden Gruppen mit den obskuren Namen Nukleus und Campylognatus Citelli wurde das Sextett Faust. Dr. Morton erhielt dafür einen saftigen Vorschuß.
Nukleus und Campylognatus Citelli kannte damals keine alte Sau, und inzwischen hat sich daran auch wohl nichts geändert. Die neue Band Faust hingegen hatte neben einem kurzen und einprägsamen Namen auch eine große Plattenfirma hinter sich und somit glänzende Zukunftsaussichten. Mit dem nun im Überfluß vorhandene Geld rüstete man flugs unter der Aufsicht des Hochfrequenz-Ingenieurs Kurt Graupner ein altes Schulgebäude in Niedersachsen in ein hochmodernes Studio um.
Die Fäustlinge tobten sich hier unter der Regie von Nettelbeck musikalisch gnadenlos aus. Das schwer zugängliche und abgedrehte Material des Debutalbums entstand in einem Zeitraum von ca. 2 Wochen. Dem Auftraggeber Polydor schwebte etwas ganz anderes vor, mehr in der Art der Beatles oder der Monkees mit deutschem Anstrich. Aber Nettelbeck war eben kein Dieter Bohlen. Und das ist auch gut so. Was in einer völlig überzogenen Kampagne als Musikalische Sensation mit übergroßen Vorschußslorbeeren angekündigt wurde, geriet zum Fiasko, was rückblickend auch nicht verwundert.
Die Gründungsmitglieder waren
1971 und 1972 erschienen die beiden ersten Alben Faust und So far. Plattenfirma, Kritiker und auch Käufer waren wie vor den Kopf gestoßen. Was sie da hörten, war keinesfalls mit den Beatles oder den Stones zu vergleichen. Manche Kritiker weigerten sich, das Material der Platten überhaupt als Musik zu bezeichnen.
Hier zwei Beispiele dafür, wie die deutschen Medien Faust anno 1971 sahen:
„Nach zweieinhalb Stunden Basteln ist man endlich so weit, den als neuen Sound verkauften Rock-Dilettantismus vorzustellen. Eine 300.000-Mark-Anlageb kann über musikalische Ignoranz nicht hinweg täuschen, kann sie nur verstärken.“
WDR 1971
„6 Monate Vorbereitungszeit für ein musikalisches Experiment und herausgekommen ist eine Pleite – für die Musiker natürlich. Die deutsche Grammophon ist fein heraus, sie wird die investierten Summen über Werbungs- und Entwicklungskosten wieder hereinholen und das Ganze ist dann unter der Rubrik „Es war einmal“ gelaufen. Wie man so schön sagt. Faust`s geistiger Vater Uwe Nettelbeck hat seine amusischen Kinder verkommen lassen.“
Heiner Hepper, WDR 1971
Harte Worte, aber von einem finanziellen Erfolg zu sprechen, wäre vermessen und gnadenlos übertrieben. Optisch aufgemacht waren beide Platten aber äußerst ansprechend und kunstvoll. So zierte das transparente Cover des Erstlings die Röntgenaufnahme einer Faust. Die drei Klangcollagen allerdings fanden wenig bis gar keinen Zuspruch der Kritiker. Das folgende Album So far war zwar ein wenig zugänglicher, aber dennoch zu anspruchsvoll und seiner Zeit weit, weit voraus. „Wir spielen, bis der Tod uns abholt“, zitiert das Booklet des Zweitlings den Dadaisten Kurt Schwitters. So war es denn auch kein Wunder, dass die Zusammenarbeit Faust´s mit Polydor keine Zukunft hatte. Man trennte sich wieder.
Die ursprüngliche Besetzung hatte sich inzwischen auch schon dezent verändert. Drummer Meifert wurde gefeuert. Die Gründe hierfür waren odd: Meifert, der schmale Arschbacken hatte, diskutierte gerne herum und hatte neben einer eigenen Meinung auch noch eine bildhübsche Freundin. Meifert probte auch brav täglich und hielt sein Zimmer peinlich in Ordnung. Meifert legte täglich einen nassen Lappen vor seine Tür, damit sich die Besucher die Füße daran säubern konnten. Und so weiter, und so fort.
Faust musizierte und kollaborierte munter weiter. So arbeiteten einzelne Faust-Musiker wie Peron und Wüsthoff mit Kultbands wie Slapp Happy zusammen. Die beiden ersten Alben der Band wurden – wen wundert`s – ebenfalls von Glenn Nettelbeck produziert. Erfolg in deutschen Landen blieb den Musikern aber nach wie vor verwehrt.
So kam es, dass Faust schließlich (ohne Meifert und seinen nassen Lappen) nach England übersiedelte, wo dann recht schnell ein gewisser Richard Branson auf sie aufmerksam wurde und für sein brandneues Label Virgin unter Vertrag nahm.
1973 erschien mit The Faust Tapes dann das dritte Album, das sich verdammt gut verkaufte: satte 60.000 Exemplare gingen über den Ladentisch. Das lag aber nicht daran, dass Faust plötzlich massentaugliche Musik machten, sondern an einem Marketing-Gag Bransons. Die Platte kostete nämlich nur 49 Pence, was dem damaligen Preis einer Single entsprach.
Auf der Platte waren auf jeder Seite nur ein Longtrack mit je ca. 20 Minuten Spieldauer zu hören. Virgin bekam als Teil des Deals aufgenommenes und zusammengestückeltes Material – Tapes also – gratis, und Virgin machte besagte Platte daraus. Kurz darauf erschien eine Kollaboration mit Tony Howard, einem avantgardistischen Komponisten aus den USA.
Leider war der aufstrebenden und vielversprechenden Band keine glorreiche Zukunft beschieden. Kurz nach dem Tapes-Album erschien ihr für lange Zeit letztes Album. Schlicht betitelt als Faust IV. Die Aufnahmen fanden im Manor House statt.
Die Besetzung sah aus wie folgt:
Im Aufnahmestudio saß wie üblich Kurt Graupner an den Reglern. Nettelbeck fungierte als Produzent. Die Platte erschien 1974 in einer einfachen (also nicht klappbaren) Hülle, deren Cover eher unspektakulär war. Das pastellgelbe Cover zierten nur einige Notenlinien. Ganz oben links fand sich der Name der Band. Gestaltet wurde die – schräge - Verpackung natürlich von Mastermind Nettelbeck.
Faust befand sich bei Virgin in bester Gesellschaft mit Kollegen wie Kevin Coyne, Gong und dem bislang unbekannten Mike Oldfield. Nach und nach landeten schließlich die meisten Krautrocker bei Virgin.
Das Label auf dem Vinyl war 1973 ein kleines Kunstwerk für sich, da es von Roger Dean gestaltet wurde.
Hier die Tracklist des Original-Albums:
Die Tracklist der CD ist zwar identisch, allerdings stimmt sie nicht mit der tatsächlichen Reihenfolge überein. Dazu aber später mehr. Sehen wir uns zuerst mal die Songs ein wenig genauer an.
Schon der erste Titel, Krautrock, ist Programm. Ein 12-minütiges Epos, das zwar recht unmelodiös, dafür aber umso rhythmischer ist. Krautrock ist Krautrock pur und vereinigt alle Komponenten dieses Genres. Ganz nebenbei ist es seiner Zeit auch weit, weit voraus. Warum? Nun, es ist eine Art elektronisches Wabern, Summen und Zittern; sehr rhythmisch und hypnotisch. Sehr monoton, fast schon eine Art instrumentaler Chant. Einzelne Instrumente auszumachen scheint schwierig, ist aber letztlich auch unnötig. Der Song lebt durch seine Undefinierbarkeit, pumpt pures Adrenalin durch die Adern seiner aufnahmebereiten Hörer. Krautrock ist Trance, House und Ambient, bevor es diese Begriffe überhaupt gab. Krautrock ist pure Magie, ist psychedelischer Herzschlag eines Genres, das sich in diesem Track selbst definiert. Der drogengeschwängerte Rhythmus wird begleitet von verzerrten Gitarrenfetzen und diesem verfluchten Tambourin, das den Hörer scheinbar verspottet. Krautrock ist 12 Minuten Musik aus Äonen, gespielt von Erich Zann und seinem Streichquartett von hirnlosen und blinden Idiotengöttern. Iähh! Iäähh!!
Nun, da hab`ich mich wohl etwas mitreissen lassen. Krautrock sollte man bewusst hören, und auch gezielt. Alternativ kann man es auch – laut - während einer Autofahrt frühmorgens durchs nebelverhangene Gebirge hören. Man darf sich aber nicht wundern, wenn man nie ankommt…
The sad Skinhead entführt uns von dieser Reise ohne Wiederkehr und führt uns in die Wirklichkeit zurück. Ein Schreien ertönt, gefolgt von einem fast schon obszönen Schneuzen. Danach beginnt der eigentliche Song, der einem harten Pseudo-Reggae-Rhythmus folgt und mit seiner Monotonie im Da-da-Da-Takt schon New Wave ist und somit der Deutschen Welle der Achtziger eine Nase zeigt. Toller Song übrigens, vor allem der gewollte Akzent (ähnelt einem Inder, der englisch singt) des Sängers passt hervorragend wie die Faust aufs Auge. Kleine Wortspielerei. Gemerkt?
Jennifer spannt den musikalischen Bogen zurück zum Opener obwohl es ein gar melodiöser und ruhiger Song ist. Im Background pulst der Bass gleich einem langsamen Herzschlag oder des ehrwürdigen Meisterwortes aus Hodgson`s „Nachtland“. Ein sehr hypnotischer Song, der mit seinen Gitarren dezent an Frank Zappa erinnert. Alles ist krautrocktypisch mit viel Hall und Echo unterlegt. Der auf zwei Zeilen reduzierte Text ist repetiv und handelt von Jennifer und ihren brennenden, roten Haaren, aus deren Kopf gelbe Witze kommen. Yep, so ist das beim Krautrock eben.
Peron erinnert sich zu diesem Song:
“Das Lied entstand im Manor Studio (Oxfordshire, GB). Es gab einige junge Landmädchen, die sich auf dem Gelände des Herrenhauses schlichen. Eine war rothaarig und hatte eine fantastische Ausstrahlung: Sie glühte überall! Erstaunlich, ich erinnere mich immer noch an ihre Anwesenheit, ohne mich an ihre Gesichtszüge zu erinnern ... Wie auch immer, sie sprach oft mit Rudolf und offensichtlich lachten sie sich gegenseitig aus. Rudolf hat aus dieser Begegnung ein Lied gemacht. Das mit sechs Händen gespielte Klavier am Ende wurde im The Manor in einer recht kollektiven ethischen Stimmung aufgenommen. Der Teil in der Mitte (Orgel plus Gitarre) klingt eher nach Wümme, aber ich bin mir nicht sicher ... "
Jetzt erscheint der pulsierende Bass auch in ganz anderem Licht: es ist gar kein Bass, sondern das Schlagen des verliebten Herzen von Bassist Peron!
Seite 1 kling mit diesem angenehm-hypnotischen Song auch schon aus.
Seite 2 beginnt mit Just a Second (Starts Like That), Dreieinhalb Minuten instrumentaler, psychedelischer Gitarrenrock, der in synthetisches Vogelgezwitscher, Geblubber und elektronisches Zittern übergeht und langsam ausklingt. Kurz vorher ertönt noch kurz ein Klavier.
Der zweite Song, Picnic on a frozen River, ist eigentlich schon der dritte: Giggy Smile beginnt wie Frank Zappa`s King Kong, wird aber schnell ein typischer Krautrocksong. Melodiös und scheinbar eingängige Passagen wechseln sich mit hallunterlegten Gitarrenpassagen ab. Besungen wird ein „kicherndes Lächeln“ mit bewusst starkem Akzent. Bemerkenswert ist die Brücke im vorderen Mittelteil und dem folgenden Saxophon-Solo, das abermals an Zappa erinnert. Giggy Smile ist Krautrock pur, eklektisch, karikierend, jazzig und sich dennoch neu definierend. Ab ca. der Hälfte klingt der Song erneut nach Zappa.
Was dann folgt und wie ein Teil des Songs scheint, ist aber eigentlich keiner. Diese offenbar vom Schlußteil von Zappa´s „The little House i used to live in“ inspirierte Passage ist in Wahrheit das auf der Hülle zwar erwähnte, aber fehlende 2. Stück der Plattenseite, nämlich „Picnic on a Frozen River, Deuxieme Tableau“. Picnic fand sich in einer anderen Version, pardon: einem Premier Tableau, auf dem 2. Album So far.
Der nächste Song ist „Läuft...Heißt Das Es Läuft Oder Es Kommt Bald...Läuft“. Auf der Platte wird der Titel fälschlicherweise mit „Lauft...Heist Das Es Lauft Oder Es Kommt Bald...Lauft“ angegeben. Das Trema auf dem A sowie das scharfe S gab es bei den Briten ja nicht. Läuft ist ein sehr schöner Folksong, der mit Rhythmik und Melodie stark an den fabelhaften Beatles-Song Norwegian Wood erinnert. Der Text – „Ich habe keine Angst mehr, meine Zeit zu verschwenden. Ich habe keine Angst mehr, meine Zähne zu verlieren“ - wird von Peron auf Französisch vorgetragen. Die musikalische Begleitung besteht aus Akustik-Gitarre, sparsamem Schlagzeug und Händeklatschen der Bandmitglieder, die sich krampfhaft bemühten, dabei nicht zu lachen.
Peron erinnert sich:
“Der Text? Ich hatte das Gefühl, keine Angst mehr zu haben, weder meine Zähne noch meine Zeit zu verlieren. Also sagte ich es in meiner Muttersprache: "Je n'ai plus peur de perdre mon temps, je n'ai plus peur de perdre mes dents".
Der Folksong-Part klingt mit Weckerticken aus. Eine tolle Nummer, aber wirklich. Trotz des dämlichen Titels. In Sachen Reihenfolge der Songs herrscht auch hier wieder Konfusion. Da das 2. Stück ja ausgelassen und in Giggy Smile integriert wurde, ist das 3. Stück schon das eigentlich vierte. Kommt noch jemand mit? Ich auch fast nicht mehr. Es wird aber noch schlimmer. Läuft...Heißt Das Es Läuft Oder Es Kommt Bald...Läuft ist eigentlich ein Longtrack mit ca. 8 Minuten. Auf meiner CD allerdings ist der Track zweigeteilt. Somit wird aus Track 4 der eigentlich zweite Teil des Songs. Meine Fresse, wie lange habe ich gebraucht, um mich da zurecht zu finden. Nicht, dass es etwa jemanden interessieren würde… Der zweite Teil des Songs ist eine fast sakral anmutende Elektronikspielerei.
Der Titel und das kurze Vokal-Intro (das noch aus Wümme stammt)erklärt Peron wie folgt:“ Kurt und Uwe, die das Studio über einen 'schrecklichen' Mono-Lautsprecher ansprechen konnten, der für mich nicht menschlich klang. Ich war wahrscheinlich allein im Studio und durchlief das übliche Ritual, nicht zu wissen, ob wir schon aufnehmen oder ob sie noch daran arbeiteten.
Kurt würde also Läuft sagen, aber die meiste Zeit tat er es aus einem undefinierbaren Grund eben nicht. Also wollte ich diesmal sicherstellen, dass es kein Scherz ist und wirklich läuft! Also fragte ich: "Heißt das, dass es läuft oder kommt bald? und Kurt antwortet Läuft!“
Seite 2 klingt aus mit dem bluesigen Krautrock-Ohrwurm It's a Bit of a Pain, der akustisch instrumentiert ist und dezent an die alten Akustik-Songs von Pink Floyd erinnert. Die Krautrock-Cowboys sitzen nach einem langen Tag am elektrischen Lagefeuer und sinnieren über das Schmerzhafte des Daseins. Passend dazu ist das schrille Zahnarzt-Bohrer-Kreischen beim Refrain.
Und dann ist die Platte leider, leider auch schon wieder aus.
Unnötig zu erwähnen, dass auch Faust IV kein überragender Erfolg wurde, obwohl das Album wesentlich zugänglicher ist als seine Vorgänger. Veröffentlicht wurde es in den Siebzigern auch als Cassette und auf Tonband.
1978 hat mich die Platte 1978 im Bad Reichenhaller Musikgeschäft „Fackler“ - aufgrund des Covers - so angesprochen, dass ich sie gleich kaufte. Und ganz stolz zusammen mit einem ATLAN-Heft und einem Carnaby-Eis im Zug nach Hause fuhr. Kaum konnte ich es erwarten, die Platte meinen Freunden, oder zumindest meinen Bekannten, vorzuspielen und damit anzugeben. Ja, damals ging es tatsächlich darum, obskure und neue Musik, vornehmlich von Bands, die niemand kannte, zu besitzen. „Was, Du kennst Faust nicht? Naja, dann eben nicht, alter Plebejer! Lässt Du mich dann wenigstens in Deine Unterhose fassen?“
Nun, ob Unterhose oder nicht, Faust lösten sich nach dieser Platte 1975 auf. Vorläufig. Virgin ließ Faust nach dem Album fallen. Ein fünftes Album war zwar in Produktion, blieb aber unveröffentlicht. Das Faust-Kollektiv fühlte sich in England auch nicht besonders wohl. Sie verabscheuten englisches Essen („Fleisch mit Minzsoße war dann doch etwas ungewohnt für uns“), englische Studios und auch Branson selbst - obwohl heute ein älterer und weiserer Péron zugibt, dass sie sich ihm gegenüber unangemessen verhalten haben. „Wir rauchten alle zuviel“, meint er 2009 in einem Interview.
Was die 5 Musiker danach machten, bleibt weitgehend unbekannt. Jedenfalls fanden sie 1990 wieder zusammen und spielten einige Konzerte in den USA zusammen mit Musikern von Sonic Youth. 1994 erschien dann ein neues Album der Band: Rien.
Die Platte knüpft scheinbar spielerisch und nahtlos an alte Zeiten an. Faust blieb aber nicht konstant, es kam zu Besetzungswechseln und verschiedenen Inkarnationen. Es folgten Livekonzerte, Platten und Kollaborationen. So auch mit Nurse with Wound, die wir ja bereits in der Plattenkiste kennenlernten.
Faust IV wurde auch als CD veröffentlicht, zuletzt in einer extended Edition, deren zweite Disc unveröffentlichtes Material bietet.
Recorded For The John Peel Show On BBC Radio 1 (First Transmission Date: 1st March 1973):
• The Lurcher
• Krautrock
• Do So
Alternative Versionen:
• Jennifer
• The Sad Skinhead
• Just A Second (Starts Like That!)
• Piano Piece
• Läuft...Heisst Das Es Läuft Oder Es Kommt Bald...Läuft
• Giggy Smile
Was wurde aus den Beteiligten?
Uwe Nettelbeck zog sich 1975 aus dem Musikgeschäft zurück und gründete ein Jahr später die Zeitschrift „Die Republik“. Nettelbeck starb 2007 und ist seitdem tot.
Werner "Zappi" Diermaier ist der einzige, der in allen Faust-Inkarnationen sowie auf allen Alben vertreten war und immer noch ist.
Hans Joachim Irmler betreibt das unabhängige Label Klangbad. Er arbeitete unter anderem mit F.M. Einheit von den Einstürzenden Neubauten und Jaki Liebezeit von Can zusammen.
Jean-Hervé Péron lebt in Cherbourg und ist immer noch aktiv als Musiker tätig.
Rudolf Sosna starb 1996
Gunter Wüsthoff blieb den Reunions fern und zog sich in ein normales Arbeitsleben zurück. 2020 erschien dann überraschend eine Platte von ihm. Das Album [to|digi]tal bietet Material aus den Jahren 1979-2007.