Ringo´s Plattenkiste - Jethro Tull - A Christmas Album
Jethro Tull - A Christmas Album
Mit besonderen Anlässen im Allgemeinen und Weihnachten im Besonderen lässt sich immer gutes Geld machen. So manch minderwertige Mist wird dem kaufsüchtigen Konsumenten für teures Geld angeboten, der dies auch noch freudig und dankbar annimmt, frei nach dem Motto: „Nehmt all mein sauer verdientes Geld und gebt mir güldenen Scheiß, den ich eigentlich nicht brauche“
Wir kennen das alle. Es wird eingekauft wie blöd, bereits Wochen vor dem heiligen Fest. Die Parkplätze sind voll, die Einkaufswägen sind es nicht weniger. Oft quellen letztere über, und exzellentes Klopapier mit feinem Zimtduft und geschmackvollem Rentierdesign landet schwerkraftbedingt auf dem Asphalt. Die Einkaufswägen sind voll, die Köpfe indes sind leer. „Was das Geld kaufen kann, das bin ich, der Besitzer des Geldes, selbst.“, sagte einst Karl Marx. Und Recht hat er. Hauptsache kaufen, egal ob wir es brauchen oder nicht. Wegschmeißen können wir es nach den Feiertagen ja immer noch. Kaufen bis zur Besinnungslosigkeit in der achso besinnlichen Zeit. Der eigentliche Grund für das hohe fest ist verloren gegangen und zur Nebensache degeneriert. Weihnachten ist kaufen, Fressen und Trinken. Je ausgefallener die Leckereien, umso besser. Von Nachtigallenzungenpastete im Speckmantel über Rotkäppchensekt mit Fhtagnaroma bis zur Blauwalsprühsahne in der Dose ist alles zu haben. Auch die Weihnachtsbäume dieses Jahr ragen das verkaufsfördernde Etikett „Vegan“. Die Schale ist auch essbar. Wer nun denkt, ich mag Weihnachten nicht, der irrt. Ich mag es sogar sehr, obwohl ich es aus religiösen Gründen erst Anfang Januar zelebriere. Was den Vorteil hat, dass alle weihnachtlichen Leckereien und Unnötigkeiten dann sehr, sehr preisreduziert sind. Nur die Weihnachtsbäume nicht.
Was das nun mit der Plattenkiste zu tun hat? Nun, eine Menge! Manchmal nämlich hängen sich nämlich auch gestandene Rocker an den dahinsausenden und geldscheissenden Rentier-Express. So auch ein durchaus bekannter, einbeiniger Flötenspieler. Schauen wir kurz zurück.
2003 und Prog-Rock war längst Vergangenheit. Ja, tatsächlich war der Zenit des Prog und der Supergruppen schon seit Jahrzehnten weit überschritten, der nach Verwesung riechende Nadir war längst erreicht. Giganten, die einst das musikalische Pangäa beherrschten, waren entweder ausgestorben, oder vegetierten im Schatten neuer Musik-Gattungen dahin. Wollten, konnten einfach nicht aufhören. So ging es auch Ian Anderson und seiner Band Jethro Tull, auf die eigentlich beides zutrifft. Gestandene Alt-Progger wie ich erinnern sich gerne an diesen Haufen zerlumpter oder äußerst spleenig gekleideter Herrschaften, die im Gegensatz zu ihrem Aussehen meisterhafte Musiker waren und in rascher Folge ein progressives und originelles Album nach dem anderen veröffentlichten. Stets angetrieben und vorangepeitscht von Rattenfänger Anderson, der den Ton und die Richtung angab. Bis dann gegen Ende der Siebziger Schluß damit war. Auch sie mussten angesichts von Punk, ne Wave und Disco die Segel streichen. Es gärte wohl auch schon längere Zeit in der Band, was sowohl die musikalische Ausrichtung, als auch Andersons Position als uneingeschränktem Alleinherrscher betraf. Was bei Live-Konzerten und TV-Aufnahmen (wie z.B. „Too old to Rock n`Roll – too young to die“) noch als ein sich stets gut verstehender Freundeskreis wirkte, war in Wahrheit weit davon entfernt.
Tyrannosaurus Rex Ian Anderson war Jethro Tull, der Rest waren einfach nur musizierende Herbivoren.. Anderson gab den Ton an. Schluß. Ende der Diskussion.
Das Schicksalsjahr für Tull, wie für so viele andere Bands auch, war 1979. Rock, vor allem progressiver, komplizierter und verspielter Rock, war kaum noch angesagt. Das Publikum schielte nach neuen Ufern und fand diese auch in post-punk-orientierten Bands, die die breitgetretenen Pfade des Rock verließen und neue Wege beschritten. Was letzten Endes auch sehr progressiv war, obwohl das damals keiner sein wollte. Man war kein boring old Fart, man war post-punk und New Wave- In den Staaten ging man noch einen Schritt weiter, dort war man in New York schon nicht mehr New Wave, sondern schon No Wave. Toll, was?
1979 waren Jethro Tull auch schon gar nicht mehr Jethro Tull. Das Album „Stormwatch“ kam in diesem Jahr auf den Markt und biederte sich zumindest optisch an die moderne Zeiten an. Musikalisch blieb aber alles weitgehend beim Alten. Eher noch beim altbekannten Alten. Was heißen soll, dass das Album nichts Neues brachte. Waren Tull-Alben nämlich früher immer von Album zu Album jedesmal neu und anders, kopierte sich Anderson bereits seit 1976 und dem Album „Songs from the Wood“ selbst und schien in einer musikalischen Möbiusschleife festzustecken.
Das 1976er Album war bei seinem Erscheinen tatsächlich noch neu und brachte frischen musikalischen Wind mit, der sich in einem sehr folkorientierten Stil zeigte, wobei die danach folgenden Alben dies einfach wiederholten und aufwärmten.
Kein Wunder also, dass bereits vorhandenen Spannungen nun offen zutage traten. Drummer Barriemore Barlow und der charismatische und unverwechselbare Keyboarder John Evans hatten die Nase voll und wollten die Band verlassen. Der vor kurzem neu hinzu gekommene Bassist John Glascock verstarb überraschend, was besonders Barlow schwer mitnahm. Glascock war bereits bei der US-Tour von 1978 nicht mehr dabei und wurde durch Tony Williams, einen alten Freund Andersons ersetzt. Glascock war nur auf insgesamt 5 Aufnahmen zu Stormwatch vertreten. Nach diesem Album war die klassische Tull-Formation Geschichte. Anderson war Anderson mehr als zuvor und beabsichtigte, als Solo-Künstler weiter zu machen.
Ein Solo-Album wurde aufgenommen, erschien dann aber – angeblich – auf Druck der Plattenfirma als Jethro-Tull-Album im Jahr 1980 unter dem Titel „A“. Wie Anderson.
Außer Anderson war nun nur noch Martin Barre dabei. Die restlichen Musiker waren neu hinzugekommen, unter anderem auch Eddie Jobson, der der Band aber nur für dieses Album erhalten blieb. Aufgenommen als Solo-Album mit anderen Musikern, dann aber doch als Tull-Album veröffentlicht, zeigte die band dann mit brandneuem Line-Up. Anderson entledigte sich so geschickt seiner unbequem gewordenen Bandkollegen, obwohl er in den Jahrzehnten danach nicht müde wurde, dies anders hinzustellen. Nein, es war zu keiner Zeit beabsichtigt, Evans, Barlow und auch Palmer aus der Band zu schmeißen. „A“ verschreckte aber die alten Fans und verschaffte der Band kaum neue, ebenso wie die Nachfolger. Anderson und Jethro Tull hatten den Faden verloren und schwankten zwischen Living in the Past und neuen Ufern hin und her. Die Besetzung blieb kaum konstant. Musiker kamen und gingen. Gingen und kamen. Jethro Tull degenerierte endgültig zur reinen Begleitband Andersons. Ein absoluter und übler Tiefpunkt war dann 1984 mit dem Album „Under Wraps“ erreicht, auf dem Anderson die alten Fans mit Synthie-Rock und faden Arrangements endgültig vergraulte.
Danach war erstmals Pause für 3 Jahre, bis Jethro Tull mit „Crest of a Knave“ viel beachtet zurückkehrte und mit dem sie 1989 einen Grammy einheimsten und Metallica eine lange Nase zogen. Aber auch „Crest“ war nicht mehr Tull, sondern nur ein Aufguß alter Zeiten, ebensowenig wie die folgenden vier Platten und die ungezählten Live-Alben und Anniversary-Editionen dazwischen. Ein besonderes Schmankerl war noch die 1988er Box „20 Years of Jethro Tull“, auf der sich tatsächlich wahre, unveröffentlichte Perlen befanden. Da fragt man sich dann schon, warum Anderson so tolles Material unter Verschluß behielt, dafür aber uninspirierte Neukompositionen (besser wäre: Kompostitionen) veröffentlichte.
Viele Jahre später, genauer gesagt 2002 kam Anderson dann auf die Idee, da ihm offensichtlich seit mehr als 25 Jahren keine neuen mehr kamen, ein Weihnachtsalbum aufzunehmen. Was ein wenig verwundert, denn Anderson hatte mit Religion im Allgemeinen und Weihnachten im Besonderen wenig am Hut, wie der bereits 1972 eingespielte „Chrismas Song“ mit seinem bissigen Text beweist. Was nun fade und abgeschmackt klingen mag, offenbart sich aber tatsächlich als ein homogenes, originelles und äussert gut gespieltes Album, wie man es seit langem nicht mehr von Anderson erwartete.
Wie Anderson berichtet, kam der Vorschlag zu dem Projekt von Leo Fico, dem Boss seines damaligen Plattenlabels kurz vor Weihnachten 2002. Der zuerst überraschte Anderson stellte daraufhin („give me 24 hours“) eine Tracklist mit Tull-Songs zusammen, die entweder einen weihnachtlichen Bezug hatten oder zumindest musikalisch dazu passten. Anderson schwebte vor, diese um traditionelles Liedgut zu ergänzen und schrieb sogar noch ein paar brandneue Songs. Anderson war begeistert und machte sich sogleich ans Werk.
Die Aufnahmen entstanden fast zeitgleich mit Andersons viertem Studioalbum „Rupis Dance“, das kurz vor dem Weihnachtsalbum erschien. Als Bonustrack - und wohl zu Promotionzwecken - gab es auf dem Soloalbum einen kleinen Vorgeschmack mit „Birthday Card for Christmas“.
Die Besetzung sah aus wie folgt:
Unterstützt wurden die Fünf im Studio von:
Auf einem einzigen Track spielte noch ein Streichquartett, das Sturcz String Quartet im Hintergrund:
Der scheue Martin Barre war neben Anderson ein weiteres Urgestein aus alten Tull-Tagen. Er gehörte ab dem zweiten Album „Stand up“ zur Stammbesetzung, nachdem Anderson den bisherigen Gitarristen Mick Abrahams aus der Band vergrault hatte. Anfangs zog sich Barre noch gerne mit tief ins Gesicht gezogenem Schlapphut in eine Bühnenecke zurück, wurde von Anderson aber mit größtem Vergnügen ins Rampenlicht gezerrt. Im Zusammenspiel mit dem Bassisten Jeffrey Hammond-Hammond in seinem schräggestreiften Bühenoutfit erwachte barre Mitte der Siebziger aber zum Leben und bewegte sich tatsächlich ein wenig auf der Bühne. Geneckt wurde er aber permanent von Anderson, wie Ansagen bei Live-Konzerten oder auch der TV-Mitschnitt „Too old to Rock`n Roll – too young to die“ zeigen.
Jonathan Noyce ersetzte 1995 den ausgeschiedenen Dave Pegg, dem das Musizieren in 2 Bands auf Dauer zu viel wurde. Noyce spielte zuvor als Studiomusiker bei Take That (sic!), bevor er mit Martin Barre zusammenarbeitete und auf diesem Wege Anderson kennenlernte.
Andrew Giddings saß seit 1994 an den Keyboards
Der Amerikaner Doane Perry war seit 1984 mit dabei. Zuvor spielte er bei Lou Reed und der kaum bekannten Band Dragon.
James Duncan heißt mit vollständigem Namen James Duncan Anderson und ist niemand anderes als Ian`s Sohnemann. Und der Bruder von Gael. Und somit der Schwager von Rick Grimes. Zu dem komme ich aber noch. Er wird in den Credits des 1978er Albums „Heavy Horses“ als young Master James erwähnt.
Dave Pegg ersetzte 1979 den verstorbenen Bassisten John Glascock und war gleichzeitig langjähriges Mitglied der Folk-Band Fairport Convention. Pegg verließ Jethro Tull 1995. Er war ganz am Anfang seiner Karriere übrigens Musiker bei Amory Kane (Ringo berichtete).
Die Tracklist des fertigen Albums sah aus wie folgt:
Das fertig abgemischte Album erschien am 30. September 2003 als CD. Eine Vinyl-Version existiert nicht.
Das Cover zierte ein sehr stimmungsvolles Gemälde einer Winterlandschaft, in die links unten der auf einem Bein stehende Anderson an der Flöte – wie er auch schon auf dem Cover von „Rupi`s Dance“ zu sehen war - eingefügt wurde. Von wem das stimmungsvolle und romantische Gemälde stammt, wird leider nicht erwähnt.
Dafür tue ich es jetzt. Das Bild heißt „Eisläufer auf dem gefrorenen Teich“ und stammt von Frederik Marinus Kruseman, einem niederländischen Maler des ausgehenden 19. Jahrhunderts.
Der CD lag ein durchgehend farbiges 12-seitiges Booklet mit Credits, den Songtexten und Photos der Musiker bei.
Sehen wir uns die Songs, wie üblich, genauer an.
Der Opener ist ein neu geschriebenes Stück, über das sich Anderson wie folgt äußert:
„Meine Tochter Gael feiert, wie Millionen anderer Unglücklicher, ihren Geburtstag kurz vor Weihnachten. Solche Geburtstage, die im Schatten dieses Eventsstehen, können flach, oberflächlich und flüchtig sein, wenn sie ereignislos vergehen. Die unspektakuläre Party und die festliche Feier nach dem christlichen Kalender überschatten auch den bescheidenen Geburtstag eines Herrn J. Christ selbst.“
Recht hat er. Tochter Gael wird übrigens 3 Jahre später einen gewissen Herrn Andrew James Clutterbuck heiraten und ihm 2 Kinder schenken. Den kennt keiner? Doch! Besser bekannt dürfte er wohl in seiner Rolle als Rick Grimes sein.
Der Song ist sehr akustisch und melodiös und erinnert an die alten Sachen der Band. Leider merkt man Andersons Stimme an, dass sie nicht mehr die alte ist.
Der nächste Song, ein Instrumental, stammt nicht aus Andersons Feder. Es handelt sich um die Bearbeitung des englischen Weihnachtsliedes „Hark! The Herald Angels Sing“, die aber wenig mit der Originalvorlage gemeinsam hat. Bei Anderson wird aus dem eher festlichen und feierlichen Lied eine schnelle und beschwingte Folknummer, die abwechslungsreich arrangiert und instrumentiert ist. Sohnemann James sitzt an den Drums, Andrew Giddings spielt Akkordeon und Martin Barre steuert gelegentliche Jazzgitarren-Passagen bei. Ein toller Song, den man immer und immer wieder anhören kann.
Mit „A Christmas Song“ folgt die Neuaufnahme eines bekannten Songs aus dem Jahre 1972. Dave Pegg und Anderson spielen Mandoline, James scheppert mit dem Tambourin. Wäre Andersons angeschlagene Stimme nicht, fühlte man sich um Jahrzehnte in der Zeit zurück versetzt.
Was könnte nach A Christmas Song passenderweise kommen? Richtig! Another Christmas Song. Entstanden ist der Titel bereits 1989 und fand sich schon auf „Rock Island“. Leider nichts überragendes.
„God Rest Ye Merry, Gentlemen“ ist erneut ein altenglisches Weihnachtslied in einer jazzigen Bearbeitung. Tull-Fans kennen das Stück von früher, da Anderson es gerne live spielte. Eine Kurzversion findet sich als Teil eines Medleys auf dem 1979er Livealbum „Bursting out“.
„Jack Frost and the Hooded Crow“ wurde für das 1982er Album Broadsword and the Beast geschrieben und aufgenommen, aber nicht verwendet. Erstmals zu hören war es auf der 1988 erschienenen Box 20 Years of Jethro Tull. Jack Frost ist eine sehr schöne Folknummer. James spielt auch hier wieder Schlagzeug. Thema des Songs ist Jack Frost, die Personifizierung des Winters mit all seinen Tücken und Unwägbarkeiten und einer Nebelkrähe. Ansatzweise ist er vergleichbar mit dem russischen Ded Maroz (Väterchen Frost), charakterlich jedoch von gegensätzlicher Natur: unberechenbar, verspielt und kindisch. Der Song klingt mit kurzen Zitaten aus bekannten Songs (God Rest Ye Merry, Gentlemen; Bouree) aus.
„Last man at the Party“ ist wieder eine neue Nummer. Ein sehr schöner Folksong, der sich textlich auf amüsante Art und Weise mit den Gästen auf einer Weihnachtsparty befasst und sich um einen Gast dreht, der partout nicht gehen will. Amüsant, beschwingt und eingängig. Ein Song, der gut zu Donald Trump passt. Andersons Stimme klingt diesmal überraschend gut.
„Weathercock“ ist wieder ein alter Bekannter im neuen Gewand. Der grandiose Folksong stammt vom 1978er Album Heavy Horses und weiß auch in der neuen Version zu begeistern.
Mit „Pavane“ folgt wieder eine Bearbeitung einer klassischen Komposition, geschrieben Ende des 19. Jahrhunderts von Gabriel Faure. Eine Pavane ist ein feierlicher Schreittanz aus der Spätrenaissance. Anderson übernimmt hier zwar die Melodie, macht aus der Komposition aber ein sehr beschwingtes und abwechslungsreiches Instrumental mit leichten Jazzanleihen und orientalisch anmutenden Streichern.
„First Snow on Brooklyn“ ist wieder ein neuer Song aus der Feder Andersons. Ein wunderschöner aber keineswegs kitschiger Song über den ersten Schnee in New York. Hier ist auch erstmals (und auch einzig) das ungarische Streichquartett zu hören.
„Greensleeved“, der nächste Song, ist wieder eine Bearbeitung eines alten Liedes. Die Vorlage ist Greensleeves, dessen Urheber unbekannt ist. Andersons Bearbeitung hält sich nur lose an die weltbekannte musikalische Vorlage und versprüht ein dezentes Flamenco-Flair.
„Fire at Midnight“ kennt der gestandene Tull-Fan schon seit dem 1976er Album „Songs from the Wood“. Neu bearbeitet und arrangiert wird ein winterlicher Song daraus.
„We five Kings“ ist erneut eine Adaption einer alten Komposition. Diesmal dient „We three Kings of Orient are“ des Amerikaners John Henry Hopkins Jr. aus dem Jahre 1857. Anderson lässt den Text weg und macht ein abwechslungsreich arrangiertes Instrumental daraus. Textlich bezieht sich das Original auf die Heiligen Drei Könige aus dem Morgenland. Aufgrund der Tatsache, dass Jethro Tull 2003 aus 5 Mitgliedern bestand, lautet der Titel des Arrangements natürlich “We five Kings”.
“Ring Out Solstice Bells” ist wieder ein bereits bekannter Song, der im Original abermals von “Songs from the Wood” stammt. Gehörte es schon damals aufgrund des nervigen Händeklatschens nicht zu meinen Favoriten, tut es das auch diesmal nicht. Obwohl es an sich ein recht guter Song ist.
“Bouree” ist wieder ein Traditional, diesmal aus der Feder von Johann Sebastian Bach. Für Tull-Fans ist der Song aber nichts Neues, fand er bereits 1969 auf “Stand up” erstmals Verwendung. Aber auch das neue Arrangement weiß zu überzeugen und verleiht dem eigentlich für Laute geschriebenen Stück ein ganz neues Hörvergnügen.
Den Abschluß des Albums macht mit “A Winter Snowscape” ein melancholisches Instrumental aus der Feder von Martin Barre. Sparsam instrumentiert nur mit Gitarre, Flöte und dezenten keyboards. Ein gelungener Abschluß eines gelungenen Albums.
Es verkaufte sich erwartungsgemäß (Jethro Tull + Weihnachten = Wertschöpfung) gut, konnte sich aber nicht in den Charts positionieren. Lediglich in Deutschland, wo es kurzzeitig Platz 51 einnahm.
Was für mich zuerst wie ein recht abgeschmackter Versuch erschien, mit einem Weihnachtsalbum Kohle zu machen, entpuppte sich beim Anhören (nachdem ich alle Vorurteile über Bord geworfen hatte), als richtiges Schmankerl. So sehr nach Jethro Tull klang die Band seit langem nicht mehr, auch war keins der vorangegangenen Alben so homogen und gelungen arrangiert.
Was ein wenig verwundert ist die Besetzungsliste. Noyce wird zwar als Bassist angegeben, ist jedoch nur auf 6 der 16 Tracks zu hören. Auf dem Rest des Materials übernehmen Giddings oder Pegg diese Rolle.
Duncan spielt auf 7 der 16 Songs die Drums, Perry ebenfalls.
2009 erschien das Album in einer erweiterten Version mit einer zusätzlichen Live-CD: Christmas at St Brides. Zu hören sind die Tracks des Albums, ergänzt um ein weihnachtliches Konzert mit Chorgesänge und Lesungen aus dem Jahre 2008. Muss man nicht unbedingt haben.
A Christmas Album sollte übrigens das letzte Album der Band sein. Anderson machte danach nur noch solo weiter und löste Jethro Tull 2012 dann offiziell auf.
Wer Jethro Tull liebt und ein hoffnungsloser Nostalgiker ist, der ist hier bestens bedient. Vor allem, wenn er auch noch auf Weihnachten steht.
Was wurde aus den Musikern?
Ian Anderson bleib weiterhin das, was er immer schon war, Anderson blieb Jethro Tull. Er ging unermüdlich auf Tour, spielte alte Klassiker und veröffentlichte Soloalben. Ausfeshen erregte er 2012, als er überraschend eine Fortsetzung des 1972er Konzeptalbums “Thick as a Brick” veröffentlichte, das sich in den vorderen Plätzen der Album-Charts plazieren konnte. Zwei Jahre später erschien mit “Homo Erraticus” ein weiteres, ähnlich erfolgreiches Konzeptalbum. Die letzte veröffentlichung war dann 2017 das eher überflüssige “The String Quartets”, das klassische Bearbeitungen von bekannten Songs enthält. Anderson hat COPD, deren Ursache er in den rauchmaschinen bei Live-Konzerten sucht. Dass er langjähriger Kettenraucher war, lässt er dabei ausser Acht. Jaja, so ist er eben, der Ian.
Martin Barre blieb bis zur Auflösung bei Jethro Tull und formierte danach seine Martin Barre Band, die hauptsächlich Neuinterpretationen von Tull-Songs spielt.
Jonathan Noyce sieht inzwischen ein wenig aus wie Greta Thunberg und spielte später bei Archive, einer Trip-Hop-Band und arbeitete eng mit Gary Moore zusammen. Auch mit Barre arbeitete er eng zusammen. Erfolgreich war er auch mit der Französin Mylene Farmer, auf deren 2010er Album Bleu Noir er den Bass bediente.
Andrew Giddings veröffentlichte ein wenig beachtetes Soloalbum und schrieb danach Musik für Film, Fernsehen udn einfach nur für sich selbst. Außerdem gibt er Online-Kurse in Sachen Keyboards und Komposition.
Doane Perry lebt in Kalifornien und arbeitete gelegentlich mit Martin Barre und Dave Pegg zusammen.
James Duncan ist weiterhin der Sohn von Ian und begleitete Daddy auf einzelnen Konzerten. Die von ihm mitbegründete und kaum erfolgreiche Band The fancy Toys löste sich bald wieder auf.
Dave Pegg bleib weiterhin bei Fairport Convention und pendelt zwischen seinen verschiedenen Wohnsitzen in England und Frankreich hin und her.
Ach ja, bevor ich es ganz vergesse:
Frohe Weihnachten!
(Und setzt eure Masken brav auf und lasst eure Nachbarn in Ruhe)
Kommentare
Super!
Bouree ist eine meiner Lieblings Tull Nummern.
Es gibt eine Live Version, bei der Anderson kurz vorm durchknallen ist...
Ansonsten sag`ich Danke für das positive Feedback. Es steckt ja immer eine Menge Arbeit dahinter, aber es macht immer wieder Spaß. Wir lesen uns nächstes Jahr wieder. mein erster Ausflug 2021 führt mich nach Atlantis (Nein, es geht nicht um Donovan).
Ich hätte da ne Ahnung, lass mich aber gern überraschen.
Rutscht alle gut rein!