Ringo´s Plattenkiste - Phat Hedd - Ain Soph
Heute geht es um etwas Besonderes, denn der Anlass ist auch ein besonderer. Dies ist nämlich der 50. Artikel in dieser Reihe, wenn man die Einleitung nicht mitzählt. So viel zum Anlass. Das thematisch Besondere, das ich heute vorstelle, ist eine Platte, die niemals erschien. Was schade ist, denn es war eigentlich alles fertig. Die Tracks waren im Kasten, das Coverdesign war druckfertig, und der Plattenvertrag sollte per Post kommen. Was er aber nicht tat. Es war eine herbe Enttäuschung, aber inzwischen sind über 20 Jahre vergangen, und es kümmert mich nicht mehr. Wie unschwer zu erkennen ist, stammt diese niemals erschienene Platte von mir selbst.
„Angeber“, wird sich jetzt der eine denken. „Aufschneider“, denkt vielleicht der andere, und tatsächlich wurde ich damals mit solchen Aussagen konfrontiert, da ich meinen Mund ein wenig zu weit aufgerissen hatte. Dummerweise hatte ich damals das mit dem Plattenvertrag mit stolz geschwellter Hühnerbrust (ja, damals war ich als aktiver und besessener Mountainbiker noch sehr schlank) herumposaunt, und stand dann recht dämlich da, als nichts draus wurde. Blöd gelaufen, was? Aber wie kam es dazu?
Ich werfe mal einen Blick ganz weit zurück.
Anfang der Neunziger gründete ich eine Garagenband mit dem schmissigen Namen „The Shining“. Die Besetzung war klassisch: Drums, Bass, Rhythmus- und Leadgitarre. Richtig spielen konnten nur Drummer Noddy und Leadgitarrist Roddy. Bassist Paddy war zwar sehr bemüht, sein Instrument während der Proben zu erlernen, hatte aber leider wenig Talent. Ich selbst spielte leidlich gut Rhythmusgitarre, vermochte dies aber nicht im Stehen. Einem Robert Fripp sieht man dies ja nach, dass er bequem im Sitzen spielt, aber mir war das nicht vergönnt.
Die Proben fanden zwar regelmäßig statt, aber der Besetzung war dennoch keine Zukunft beschieden. Denn nicht nur die Spielfertigkeiten der einzelnen Musiker waren zu unterschiedlich, sondern auch der jeweilige Musikgeschmack. Unser sich redlich abmühende Bass-Sisyphos stand auf Reggae, und zwar ausschließlich. So versuchte er also nicht nur das Bassspiel zu lernen, sondern er zupfte, zumindest versuchte er dies, Reggae-Patterns. Der Drummer stand auf Death-Metal und trommelte an sich recht gut. Allerdings war er sehr wild und ungestüm und verlor schon mal seine Drumsticks, was ihn aber nicht störte: er bearbeitete seine Trommelfelle einfach mit den bloßen Händen weiter. Der Leadgitarrist fiel ein wenig aus dem Rahmen. Nicht nur dass er sein Instrument exzellent beherrschte, er war auch ein ehrlicher und erdiger Rocker, fleischgewordener AOR. Hatte immer die Augen geschlossen und einen ekelhaften Gesichtsausdruck, wenn er seine Soli spielte. Die spielte er auch permanent. Auch wenn kein Solo dran war. Tja, und ich selbst? Ich stand damals auf EBM und Industrial und spielte die Rhythmusgitarre im Sitzen. Sie war schwarz und hatte einen Aufkleber der EBM-Combo „The Klinik“ draufpappen. Mein Spiel war auch stark EBM-beeinflusst. Brachial, monoton und stampfend. Dummerweise hatte ich aber neben dem mangelnden Stehvermögen noch ein weiteres Manko. Sobald alle vier zusammenspielten, fiel es mir schwer, meine eigene Gitarre rauszuhören, sodass ich immer kurz mal aussetzte, um zu erlauschen, welcher Klang meiner war, der dann fehlte. Was unprofessionell klingt, war es auch. Ab und an luden wir auch Weiber ein, die es cool fanden, einer Bandprobe von echten Rockern beizuwohnen. Wir trugen Sonnenbrillen und legten los, was das Zeug hielt. Überflüssig zu erwähnen, dass die meisten nur ein einziges Mal kamen, da sie recht verstört von unserem Auftritt waren.
F: Spielt ihr immer so?
A: Ja, aber wir arbeiten daran…
F: Könnt ihr nur diese zwei Songs?
A: Hmmm. Irgendwie schon, aber wir arbeiten daran…
F: warum sitzt der eine Gitarrist auf dem Boden und hört immer wieder mit dem Spielen auf?
A: Gute Frage, aber das weiß nur er selbst. Aber er arbeitet daran…
Paddy war ein origineller Typ. Er schlug einige Male vor, dass wir doch auch mal textilfrei spielen könnten (Da ist doch nix dabei!), was aber von uns verständlicherweise abgelehnt wurde.
Wir mühten uns tatsächlich mit zwei Songs ab: Iron Man von Black Sabbath und I never asked for this von Shock Therapy. Beides mit Reggae-Bass, Death-Metal-Drumgewitter, unpassenden AOR-Soli (mit ekelhaftem Gesichtsausdruck) und ganz, ganz schräger Rhythmusgitarre. Da keiner von uns Singen konnte, schrien wir einfach abwechselnd zur Musik. Unprofessionell? Jawohl, aber wenigstens hatten wir ein schönes Band-Logo. Von mir entworfen.
Ich verließ die Band schon recht bald als erster. Bassist Paddy folgte mir kurz darauf. Der Rest suchte sich zwei neue Mitstreiter, machte noch viele Jahre weiter und erlangte unter einem neuen (ekelhaften) Namen sogar eine gewisse regionale Bekanntheit. Ich selbst hatte genug vom Bandleben, machte aber weiterhin Musik. Allein mit meinem Soloprojekt namens „Karn Evil 9“, das sich stilistisch dem Industrial (endlich!) zuordnen ließ. Nichts Besonderes, mehr Spielerei als Ernsthaft. Aber dennoch dazu geeignet, Erfahrungen zu sammeln und Techniken zu vertiefen. Eine E-Gitarre, ein E-Bass, ein Drumcomputer und ein DAT waren vorhanden, lediglich ein Mikro fehlte mir. Da ich meine Songs diesmal mit Gesang garnierte, nahm ich meine Stimme mit einem zum Mikrophon umgewandelten Kopfhörer auf, was einen interessanten Verzerr-Effekt hervorbrachte. Gespielt wurden diesmal nur eigene Stücke mit klangvollen Titeln wie The Tower of Eyes, Moon over Japan, Why didn`t Rosemary cry when she lost her left Eye, usw. Irgendwann war aber auch damit Schluss.
Einige Jahre später bezog ich eine sehr schöne Maisonette, deren Obergeschoß ich mir musikalisch einrichtete. Das war ein alter Traum von mir, den ich mir endlich erfüllen konnte, denn Platz war genügend da. Meine Ausrüstung erweiterte ich um einen Synthesizer, ein Mischpult und eine Musiksoftware für den Computer.
Ursprünglich war geplant, diese Wohnung mit meiner damaligen Partnerin Cloddy zu beziehen, die sich aber recht schnell wieder aus dem Staub machte. Und so war ich dann allein in dieser zwar sehr schönen, aber doch viel zu großen Wohnung. Nochmal umziehen war nicht drin, also blieb ich.
Aufgenommen wurde aber erstmal nichts, es wurde einfach herumgespielt und ausprobiert. Die Software verfügte über ein Samplepaket aus mehreren CDs mit einzelnen Soundschnipseln im WAV-Format, thematisch sortiert. Die konnte man dann in die Aufnahmesoftware rüber ziehen (Draggen and droppen) und einen „Song“ daraus basteln. Ist so ähnlich wie Malen nach Zahlen. Ganz witzig zum Ausprobieren, aber wenig kreativ und schon gar nicht individuell. So folgte also der nächste Schritt: es wurde fleißig selbst eingespielt und gesampelt. Dafür besorgte ich mir eine bessere und professionellere Aufnahmesoftware, sowie einige Tools, wie z.B. Software-Emulationen einer 808 (oben)
und Einer 303 (unten). Was das ist, erkläre ich später.
Kernstücke des neu geschaffenen Studios waren der Roland D-70 Synthesizer, der Drumcomputer Yamaha RY-10, das Behringer Effektgerät „Virtualizer“ und ein externer Sequenzer.
Alle Instrumente liefen über das Samick-Mischpult, in das der Multieffekt-Prozessor mit seinen 40 Effekten eingeschleift werden konnte. Das heißt, dass das Effektgerät nicht nur für ein einziges, direkt angeschlossenes Instrument zu Verfügung stand, sondern für alle Kanäle des Mischpultes. Je nach Wunsch und Laune konnten also alle Instrumente mit dem jeweiligen Effekt verändert werden. Zur Auswahl standen unter anderem Chorus, Delay, Dynamische Filterung, Flanger, Grafischer Equalizer, Harmonische Verbesserung, Kompressor/Limiter, Noise Gate/Expander, Overdrive, Pitch Shifter/Harmonizer, Reverb, Distortion und vieles mehr.
Natürlich war nicht jeder Effekt auch für jedes Instrument geeignet. Für Drums und Percussions bediente man sich eher bei Hall oder Delay; Verzerrer und ähnliches führten hier nur zu schmerzhaftem Krach.
Synthesizersounds hingegen konnte man mit den Effektbänken mehr Tiefe und Ausdruck verleihen, aber auch da war Vorsicht geboten. Zuviel davon konnte den Sound verderben. Für Gitarre z.B. war der Chorus oder Flanger geeignet, aber auch der Distortion-Effekt, der einen richtig dreckigen Sound produzierte. Man musste eine Menge Zeit investieren, um herauszufinden, welcher Effekt denn auch für welches Instrument passte.
Der Roland D-70 als Hauptinstrument war ein polyphoner Synthesizer mit 4 Oszillatoren mit 76 anschlagdynamischen tasten und über 100 Presets, also vorgegebenen Sounds.
Zudem bestand die Möglichkeit, weitere Sounds über externe PCM-Cards zu laden. Zur Verfeinerung standen interne Soundwandler zur Verfügung, mit denen man eigene Sounds erstellen konnte. Alles in allem war der Roland D-70 aber sehr schwer zu bedienen, da er in seinem Aufbau nicht unbedingt logischen Grundsätzen folgte. Frust war vorprogrammiert. Ein Übriges tat das verwirrend formulierte Handbuch. Das Spiel auf dem Gerät machte aber allen Widrigkeiten zum Trotz dennoch Spaß, was an den wundervollen Sounds und auch an den anschlagdynamischen Tasten lag. Was das ist? Anschlagdynamik ist die Eigenschaft von Tasteninstrumenten auf unterschiedlich kräftigen Anschlag einer Taste mit unterschiedlicher Lautstärke des erzeugten Tons zu reagieren und somit eine variable Dynamik zuzulassen. Dabei wird der Ton nicht nur lauter, sondern er ändert auch seinen Klang, meint Wikipedia. Der Ton ändert also seine Eigenschaft mit der Dynamik, mit der die Tasten angeschlagen werden.
Der Drumcomputer RY-10 war wesentlich leichter zu bedienen. Er hatte 241 vorgegebene Drum- und Percussionsounds, sowie zusätzlich 9 Bass-Sounds. Der Drumcomputer hatte 16 vorprogrammierte Drumkits, sowie Platz für ebenso viele eigene, selbst zusammengestellte Kits. 50 Patterns waren bereits einprogrammiert, für 50 eigene war ebenfalls Speicherplatz vorhanden. Der Clou war, dass man Patterns im Step-by-Step-Modus programmieren konnte, aber auch quasi „live“ über die Pads spielen konnte. Ein witziges und vielseitiges Gerät, das man dank des leicht verständlichen Handbuchs sehr schnell beherrschte. Natürlich war der RY-10 auch MIDI-fähig, das heißt, er konnte über einen Sequencer gesteuert werden.
Der erwähnte 303 ist ein analoger monophoner Synthesizer der japanischen Firma Roland. Ein recht simples Gerät, das eine Renaissance in den Neunzigern erfuhr und maßgeblich die Sounds von Acid und House beeinflusste und bald Kultstatus erlangte. Schöne Klangbeispiele für beide Geräte finden sich auf Massive Attacks Album Protection. Mein 303 war eine Softwarelösung von Propellerhead: der Rebirth TB 338. Einfach und unkompliziert zu bedienen mit hohem Spaßfaktor. Der TR-808 stammte ebenfalls von Roland und besitzt ebenfalls Kultstatus. Er fand häufig Verwendung im Hip-Hop. Beiden Geräten war eigen, dass die Sounds durch Hüllkurvengeneratoren verändert werden konnten, was wunderschöne Soundeffekte hervorbrachte. Mein Exemplar war ebenfalls softwarebasiert und war Bestandteil des bereits erwähnten Rebirth-Produktes. Ergänzt wurde mein Equipment noch durch einen Yamaha-Synthesizer aus der CS-Serie, der mir aber nicht recht zusagte und den ich deshalb selten einsetzte. Aber die beiden Geräte wirkten – übereinander drapiert - sehr imposant auf dem Keyboardständer.
Der Sequenzer stammte von Roland und seine Funktionsweise war ebenfalls schwer zu verstehen, weshalb ich ihn schließlich durch eine Softwarelösung ersetzte. Ein Sequencer ist ein Gerät, um Spieldaten zu speichern, was aber nicht mit der Aufnahmeverwechselt werden darf. Der Sequenzer speichert, grob gesagt, nur ab, welche Töne in welchem Tempo gespielt werden. Ursprünglich wurden Sequenzen im Step-by-Step-Modus manuell eingegeben, also programmiert. Bei den späteren Geräten konnte man aber auch Tonfolgen im Echtzeitmodus einspielen, während der Sequenzer lief. Der Clou war, dass man nicht ständig alles neu einspielen musste, sondern nur einmal. Anschließend konnte man die Sequenzen dann noch bearbeiten: Töne, Tonhöhen, Tempo, Anschlagdynamik verändern, etc. Der Sequenzer lieferte seine Daten dann an das jeweilige Gerät, also den Synthesizer. Der Musiker konnte dann diese Sequenzen dann den Instrumentbänken zuordnen. Das heißt, die Tonfolgen waren nicht an einen bestimmten Klang gebunden, sondern konnten jedem Instrument im Synthesizer zugewiesen werden. Dieses Ausprobieren machte unglaublichen Spaß, vor allem, wenn man fertige Sequenzen im MIDI-Format besaß. Die gab es überall im Fachhandel zu kaufen
Erfahrung mit elektronischer Musik war bei mir vorhanden, da die Musik des bereits erwähnten Industrial-Projekts auf programmierte Drumpatterns aufbaute. Die Gitarre von damals wurde aber durch den Synthesizer ersetzt, und so war es nötig, sich zumindest Grundkenntnisse des Spiels auf einer Klaviatur anzueignen. Das war nicht ganz einfach, gelang aber doch nach mühsamem Üben einfacher Akkorde und Melodien nach Noten. Herhalten mussten sowohl Johann Sebastian Bach als auch Nick Cave von denen sich Ringo Partituren und ein Songbook anschaffte. Aber es gelang, zumindest nach unermüdlichem Über und ständigem Wiederholen. Auch die Nachbarn zeigten sich (unfreiwillig) tolerant ob der monotonen Wiederholung von Bachs „Toccata und Fuge in D-Moll“.
Neben dem Nachspielen war auch das aktive Musikhören sehr hilfreich, was für mich bedeutete, dass ich ständig versuchte, Melodien und den Aufbau von Songs zu analysieren. Wie haben die das wohl gemacht? war die Kernfrage, auf die ich aber selten eine zufriedenstellende Antwort fand. Musikalisch war mein Geschmack zu dieser Zeit von Drum and Bass und Downtempo geprägt war, was anderes lief kaum noch bei mir. Folglich war auch meine eigene Musik dementsprechend gehalten. Zu den Begriffen komme ich später noch
Erste, kurze Songs entstanden, die von einfachen Strukturen geprägt waren, aber schon bald komplexer wurden. Arrangiert, aufgenommen und abgemischt wurde komplett am PC. Die Synthesizersounds ergänzte ich immer wieder durch Akustikgitarre und Samples. Ein Sample ist ein Auszug aus einer bereits bestehenden Audioaufnahme. In der Musik handelt es sich häufig um einen Ausschnitt aus einem anderen Musikstück. Dieser Soundschnipsel kann im Nachhinein noch verändert werden, z.B. kann man das Tempo und die Tonhöhe verändern, mit Effekten bearbeiten und anschließend loopen. Das Sampling wurde anfangs mit herkömmlichen Kassettenrekordern praktiziert, später durch Hardware-Sampler. Das Sampling ist wesentlicher Bestandteil von Hip-Hop, Trip-Hop und Drum and Bass. Das bekannteste und wohl am meisten verwendete Sample dürfte der Amen-Break sein, ein kurzes Drum-Solo in der Mitte des Songs Amen, Brother der Soulband The Winstons. Hip-Hop kennt jeder, dazu muss man nicht mehr viel schreiben. Trip-Hop aber ist eine – inzwischen - weniger bekannte Spielart, die Anfang der Neunziger recht populär war. Trip-Hop verwendet ähnliche Rhythmen wie der Hip-Hop, ist aber wesentlich langsamer und schleppender. Die Lyrics werden nicht zwingend im Rap-Stil vorgetragen, sondern können durchaus gesungen werden. Ein wesentlicher Bestandteil sind Samples, sowie Low-Fidelity-Effekte wie z.B. dazu gemixte Vinyl-Abspielgeräusche. Grundstimmung und textlicher Inhalt sind oftmals melancholisch und/oder psychedelisch. Typische Vertreter sind die britischen Bands Portishead und Massive Attack. Drum and Bass stammt ebenfalls aus den Neunzigern, ist aber kaum Massenkompatibel. Die Musik baut auf Funk-Breakbeats auf, das sind kurze Wechsel und Überleitungen, die auf dem Schlagzeug gespielt werden. Begleitet wird der Rhythmus von, wie der Name schon sagt, Basstönen. Drum and Bass kann als eine Art minimalistischer Jungle verstanden werden.
Eigentlich machte ich die Musik nur für mich selbst, aus Spaß an der Freud. Ex-Bassist Paddy war es schließlich, der mich ständig ermunterte, mein Material an Plattenfirmen zu schicken. Was ich Anfang 2001 auch tat. Adressen suchte ich mir im Raveline zusammen, einem Magazin, das sich der elektronischen Musik verschrieben hatte. Unter diesen Adressen war auch ein Berliner Label, das einer bekannten DJane gehörte. Und dieses Label meldete sich eines Tages telefonisch bei mir, völlig überraschend. Klar, dass ich da perplex war, denn das Label hatte starkes Interesse an meiner Musik. Eine Maxi wollten sie produzieren, und besagter Plattenvertrag wurde mir angeboten. Dermaßen ermutigt und motiviert produzierte ich fleißig weiter und schickte meine Aufnahmen nach Berlin, denn nach der Maxi sollte ein Album erscheinen.
Im Sommer arbeitete ich täglich an neuen Songs, mitunter den ganzen Tag lang. Ich hatte eine vor kurzem eine junge Lehrerein kennen gelernt, die eine schöne Stimme hatte und Klavier und Geige spielte. Sie war ganz angetan von meinem Musikerdasein und verbrachte bald jede freie Minute bei mir. So entstanden einige Tracks gemeinsam, unter anderem eine ziemlich schräge Version von Nick Caves „15 feet of pure white Snow“. An einem ganz heißen Sommertag fiel mir spontan Paddys Vorschlag „textilfrei zu spielen“ wieder ein und ich erzählte ihr davon. Kaum ausgesprochen, saßen wir dann auch schon textilfrei da und nahmen auf. Aber nicht lange…
So wurde aus dem gemeinsamen Musizieren mehr, was ein wenig problematisch zu werden begann. Moddy – so war ihr Name – war nämlich verheiratet und ihr Mann bekam bald Wind von unserer Affäre. Zurück zum Thema. Die Maxi sollte unter meinem damaligen Pseudonym Phat Hedd erscheinen und den Titel Ain Soph tragen. Ain Soph ist ein Begriff aus der kabbalistischen Mystik und repräsentiert die Unendlichkeit, oder anders ausgedrückt, Das Ewige Immer.
Hier die Tracklist der geplanten Maxi:
Besetzung:
Phat Hedd: Synthesizers, Drum Programming, Samples, Bass Guitar, Accoustic ans Bass Guitar, Vocals.
Aufgenommen, produziert und abgemischt von Phat Hedd im Redd Hedd Sound Lab. Toller Name, was? Auch hierfür – wie könnte es auch anders sein – ein tolles Logo.
Sehen wir uns die Tracks ein wenig genauer an. Für den heutigen Artikel habe ich einen eigenen Youtube-Kanal geschaffen, auf dem die Songs angehört werden können.
ist ein eingängiger und ruhiger Song mit einem Rhythmus, der aus einem gesampelten und bearbeiteten Gitarrenpart (von Current93) besteht. Das Gitarrensample wurde als Klangquelle für einen simplen Drum-Rhythmus konvertiert, was bedeutet, dass der Gitarrenklang an sich als Percussioninstrument dient. Die Melodie selbst besteht nur aus C- und D- Tönen, sowie C- und D- Akkorden. Gespielt wurde sie auf dem Roland. Grundgedanke war tatsächlich das Ewige Immer, der ewige Kreislauf des Seins. Die Synthesizersounds symbolisierten dabei das Leben, über dessen Rand wir nicht hinwegschauen können. Alef ist im hebräischen Alphabet der erste Buchstabe und leitet die vorliegende Maxi ein.
Hier der Link zum Anhören.
ist ein 10minütiger Longtrack, inspiriert von Conrad Aikens gleichnamiger Story. Der Song ist dem weiter oben erwähnten Downtempo zuzuordnen, der allerdings ein weit gefächerter Sammelbegriff ist, unter dem alle möglichen Subgenres zusammengefasst werden. Charakteristisch ist das moderate Tempo, sowie sphärische Synthesizersounds, Jazzanleihen und der Einsatz von Effekten. Der Song besteht aus zwei Teilen, die ineinander übergehen. Während der „Silent-Part“ zwar ruhig ist, ist er aber noch in der Realität verwurzelt. Der „Secret-Part“ hingegen hat sich schon aus dieser gelöst und verweht im Labyrinth der manifesten Schizophrenie, analog zu Paul Hasleman in Aikens grandioser Story über Tagträume über Schnee, die als symbolische Darstellung der Ablehnung der Realität verstanden werden kann. In meinem Song habe ich versucht, diesen Rückzug musikalisch auszudrücken.
Hier der Link zum Anhören.
ist ein düsterer, leicht jazziger Track, der überwiegend live eingespielt wurde. Im Hintergrund ist ein verfremdetes Sample zu hören, zu dem ich den Drumcomputer laufen ließ und live auf dem Roland dazu spielte, mit jeder Menge Effekte (vor allem Hall). Gotham ist ein sehr alter Spitzname für New York, den der Schriftsteller Washington Irving prägte. Der Song versucht sich an einer Klangwerdung der beklemmenden und bedrohlichen Atmosphäre des Molochs Großstadt mit all ihren Abgründen und Verbrechen.
Hier der Link zum Anhören.
greift das Thema des Openers auf und variiert dieses. Das Grundgerüst ist diesmal anders, denn das Gitarrensample fehlt diesmal. Den Rhythmus liefert diesmal ein Drumsample, und der Synthesizer dominiert. Taw ist im Hebräischen der letzte Buchstabe und schließt das Alphabet ab. Auch die EP wird mit dem Aleph abgeschlossen.
Hier der Link zum Anhören.
Die Maxi sollte im Sommer 2001 erscheinen, begleitend sollte ich zu Promotionzwecken einige Auftritte in Berliner Clubs absolvieren. Klar, dass mein Ego da Höhenflüge machte und ich das alles herumerzählte. Aber dann kam die Ernüchterung. Die Kontakte mit dem Label wurden immer seltener und rissen bald ganz ab. Wenn ich anrief, wimmelte man mich ganz schnell ab, Labelchefin Floddy war gar nicht mehr zu sprechen. Mir wurde schnell klar, dass aus der Maxi wohl nichts würde, obwohl ich mir keinen Reim darauf machen konnte. Der Grund erschloss sich mir nicht und ich erfuhr ihn auch niemals. Aus der Traum, geplatzt wie eine Seifenblase. Wut, Enttäuschung und auch Frustration machten sich bei mir breit.
Dennoch machte ich weiter und verschickte erneut Demos, die aber wenig Anklang fanden.
Irgendwann rief mich der bekannte DJ L.U.P.O. an und gab mir positives Feedback. Meine Musik gefiel ihm zwar, dennoch sah er wenig Chancen auf ein Release. Er verriet mir, dass vielmehr der Vertrieb das grundlegende Problem sei, nicht etwa das Label. Die Vertriebe wollten nicht gerne viel Geld in einen völlig unbekannten Musiker investieren, sondern lieber auf Nummer Sicher gehen.
Ein anderes Mal rief dann jemand von Goethes Erben an und plauderte ungefähr eine Stunde mit mir und monologisierte über Aufnahmetechniken, Studio-Equipment und vieles mehr. Als ich ihn dann fragte, wie ihm meine Demo-CD denn gefiele, sagte er, dass er sie sich noch gar nicht angehört hätte. Aha. Auf Wiederhören und Danke fürs Gespräch.
Aufgeben wollte ich aber immer noch nicht, und so reifte in mir die Idee, selbst ein Album herauszugeben. Zusammen mit einem Freund wurde offiziell ein Plattenlabel mit dem Namen Toad Records gegründet, dem aber kein langes Leben beschieden war. Mein Kompagnon nämlich kümmerte sich nicht um seine Aufgaben, sondern versuchte lediglich, steuerliche Vorteile daraus zu ziehen. Als mir dies klar wurde, trennte ich mich von ihm, und Toad Records wurde im Krötenteich versenkt. Aber wenigstens hatten wir ein schönes Logo. Wieder mal.
Ich gründete ein neues Label, Hien Music mit Namen. Wieder mit schönem Logo. Allerdings verlor ich langsam Lust, Laune und vor allem Energie. Was ich unterschätzt hatte, war das Finanzamt und den bürokratischen Aufwand, der damit verbunden war. Ich musste alle 3 Monate eine Umsatzsteuervoranmeldung liefern, am Jahresende sogar noch eine Gewinn-Verlust-Ermittlung und ähnlichen Kram. Auch das Rathaus saß mir ein wenig im Nacken, denn die Stadtverwaltung wollte eine so genannte Tourismusabgabe von mir, die ich natürlich nichtleisten wollte. Und dann das Gewerbeaufsichtsamt. Irgendwas war bei der Gewerbeanmeldung schiefgelaufen, und so verlangte dieses Amt von mir eine Aufstellung über die Anzahl der Personaltoiletten und der Größe des Verkaufsraums. Das muss man alles erstmal schön sauber erklären, was Zeit und Nerven kostete. Ach ja, und dann gibt es noch die GEMA. Presswerke waren schnell ausfindig gemacht, auch das Coverdesign stand schon.
So sollte das Inlay aussehen:
Auf der Innenseite sollten diese beiden Bilder sein:
Die Bilder selbst stammten von mir, Bearbeitung und Design von Shmoddy, einer alten Bekannten aus vergangenen, textilfreien Tagen. Sie entwarf mir auch noch Postkarten und die Logos. Leider sollte all dies aber nie benötigt werden.
Die Bürokratie kostete mich schon den vorletzten Nerv, der letzte Rest aber ging auf der Suche nach einem Vertrieb verloren. L.U.P.O. hatte recht behalten. Ohne Vertrieb war ein Verkauf von Tonträgern fast unmöglich. Und der Vertrieb wollte mitreden.
„Was, nur Instrumentals? Haben Sie nichts mit Gesang?“
„Die Stücke sind ja recht nett, aber eindeutig zu lang“
„Haben Sie nichts …Tanzbares?“
„Haben Sie nichts … Eingängiges?“
Hatte ich nicht, konnte ich nicht, wollte ich auch nicht und ich arbeitete auch nicht daran.
Das Projekt Phat Hedd wurde zum zweiten Mal begraben, diesmal aber endgültig.
Was wurde aus Phat Hedd?
Nun, ich kehrte der Musik den Rücken und verkaufte mein Equipment und wandte mich dem Schreiben zu, mit dem ich aber auch nicht mehr Erfolg haben sollte. Was aber nicht schlimm ist, denn inzwischen bin ich in erster Linie für mich selbst kreativ und renne fragwürdigen Erfolgen nicht mehr hinterher. Seit einigen Jahren arbeite ich für den Zauberspiegel, setze mich aber auch da nicht unter Druck. Gelegentliche Pausen müssen sein, in denen ich an Kurzgeschichten oder Romanen arbeite. Der Musik bin ich treu geblieben, als Hörer genauso wie als Plattenkisten-Ringo.
P.S.: Alle Namen (bis auf zwei) wurden aufgrund Datenwschwupp geändert.
Kommentare
Spiele selbst auch ein bisschen Klavier, aber selbst komponieren könnte ich nicht.
Schade, dass du nicht weitergemacht hast.
Aber verständlich. Die Bürokratie hat in diesem Land schon so manche kreative Idee zunichte gemacht, aber was du hier schilderst, ist ja wirklich schon sehr extrem. Da vergeht einem echt alles.
Aber Glückwunsch zum 50. Artikel. Ein sehr interessanter und überhaupt nicht "angeberischer" Beitrag!
Immer wieder gerne gelesen.