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... Mark Baumann über »Harrowing Tales«, Spielbücher und ihre Chancen im WWW

Mark Baumann... Mark Baumann ...
... über »Harrowing Tales«, Spielbücher und ihre Chancen im WWW

Mark Baumann ist nicht wirklich weit und breit bekannt, er ist - ehrlich gesagt - uns bisher auch nur durch die Tatsache bekannt gewesen, dass er Jack Venture auf ein spannendes Abenteuer schickte. Hinter Jack Venture verbirgt sich ein Privatdetektiv, Jazzmusiker, Weltenbummler, Schatzsucher und "man of action".

Das Spielbuch (siehe das Online-Spielbuch "The Smoking Mirror #1, Murder in Monte Carlo" auf den Seiten spielbuch.net von Pierre Voak) ist  noch im "Demo"-Status, Mark schreibt also noch daran, dennoch sind bereits einige Teile der Geschichte aus dem Bereich Pulp Thriller/Mystery online. Sie gefielen uns so gut, dass wir mehr über den Autoren und seine Haltung zum Thema Spielbuch wissen wollten. Hier unser Interview mit ihm.

(Anmerkung: Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte sind Texte aus dem Spiel).
Harrowing Tales - Mark Baumann - Online-Gamebook
 

The year is 1936. The world is in the grip of the Great Depression and on the verge of war. You are Jack Venture, private gumshoe, jazz musician, globetrotter, treasure seeker, man of action.

 
Zauberspiegel: Wer ist Mark Baumann und warum schreibt er Geschichten aus dem Bereich des Hard-boiled?
Mark Baumann: Ich bin 33, Student und lebe in Austin, Texas. Ich arbeite derzeit an einer Promotion in Astrophysik. In der begrenzten freien Zeit, die meine Studien mir lassen, genieße ich Aktivitäten wie Schwimmen, Radfahren, Kampfkunst
Kunst, Wandern, Lesen, Schreiben, Gesellschaftsspiele, Rollenspiele, und Filme schauen. Einige meiner Lieblings-Autoren gehören J.R.R. Tolkien, Isaac Asimov, Philip K. Dick, Thomas Pynchon, Jorge Luis Borges, Robert E. Howard, H.P. Lovecraft und Raymond Chandler.
Ich bin fasziniert von historischen Genregeschichten und genieße es, wie sie einen rasend schnell in  eine andere Zeit und einen anderen Ort tragen, die zu erleben man sonst nie die Gelegenheit hat. Das Leben in den 1930er und 1940er Jahren hat mich in letzter Zeit besonders interessiert. Als es also um die Frage ging, für welchen Charakter ich mich beim Schreiben einer Pulp-Geschichte in dieser Periode entscheide, kam mir der Detektiv der hard-boiled Geschichten in den Sinn. Es gibt viele Charakteristika jenes Hard-boiled Detektive, die ich mag: Seine unerschütterliche Entschloossenheit, seine moralische Gespaltenheit und gleichzeitig starker Sinn für Gerechtigkeit, sein Mut allein zu arbeiten und seine Bereitschaft, die Dinge selbst in die Hand zu nehme. seine schroffe Anziehungskraft für das andere Geschlecht, und seine Fähigkeit, Probleme mit der Anwendung cleverer Rückschlüsse oder roher körperlicher Gewalt zu lösen. Ich bin auch an Charakteren interessiert, die ein hartes Äußeres haben, aber hin und wieder doch eine Schwäche für die Freuden des Lebens haben. Aus diesen Gründen habe ich mir gedacht, ein Hard-boiled Detective würde ein netter Charakter sein, um eine Geschichte darum zu basteln.

Website Spielbuch.netZauberspiegel: Warum schreibst du nicht "einfach" einen Roman, sondern wählst ein Gamebook?
Mark Baumann: Ich habe mich dazu entschieden, ein Online-Gamebook zu schreiben, weil ich das Lesen/Spielen von Online-Gamebooks genieße (Mehr dazu später), und ich diese Erfahrung mit anderen teilen möchte. Als Kind haben die Gamebooks mein Interesse an Lesen und Geschichte unterstützt, und wenn ich das für andere tun könnte, wäre das für mich ein durchschlagender Erfolg. Vielleicht ist das ironisch, aber ich hoffe auch, dass die Leser der Gamebooks vielleicht das Bedürfnis danach bekommen, sich weiter zu bewegen, um ihren Durst nach mehr Realität und mehr Einbeziehung zu stillen. Das geschah mit mir, und führte mimch zu der komplexeren, intensiveren und sozialen Welt der Rollenspiele. Mal davon abgesehen, dass es Spaß macht sie zu lesen, glaube ich, dass Gamebooks als ein Tor zu all diesen Dingen dienen können.
 

Based out of your private office in Manhattan you stalk clues around the clock, earning a living by solving other peoples´mysteries. The things you´ve seen in the dark alleys and mean streets of the Big Town would bedevil anyone with a weaker mental fortitude than your own, for just underfoot of the oblivious residents of the bustling city lurks a web of dark secrets: insane criminal masterminds; underworld occult tribes worshiping pagan gods; black magic rituals that summon the supernatural; and even underground denizens of the dark unknown to modern science. If there is something bizarre going down in New York City and you haven´t found it yet, you can be sure that it will somehow manage to find you!

 
 
Zauberspiegel: Wie gestaltet man die Geschichte? Hattest du bereits eine Buch fertig, das du aufgeklappt hast um ein Gamebook daraus zu machen?
Mark Baumann: Obwohl ich nicht mit einem bereits fertigen Buch arbeite, ähnelt das Design der gesamten Handlung eines Gamebook der Art, wie ich das Design dier Handlung eines Romans machen möchte. Ich hatte mich schon für einen Anfang,  ein Mittelstück und ein Ende entschieden. Oft schreibe ich das Ende zuerst. Ich habe auch ein paar besonders interessant Szenen oder Begegnungen, die ich in die Handlung einarbeiten möchte, entworfen. Allerdings enden damit auch die Ähnlichkeiten. Da ein Gamebook ein Plot mit einer ganzen Reihe von Verzweigungen enthält, besteht das Ziel dann darin, alle Zweige von einem einzigen Anfangsstück hin zu dem bereits geschrieben Ende zu lenken (abgesehen von den verschiedenen "erfolglos Endungen", wo die Leser / Spieler eine schlechte Entscheidung getroffen haben, und die Geschichte auf ein unerwünschtes Ende trifft).
Bei meiner Art zu schreiben, besteht der Mittelteil des Gamesbooks aus Folgendem:
(A) eine Beschreibung der aktuellen Szene oder Handlung, (b) ich versetze mich in die Rolle des Lesers und entscheide, welche Optionen ich nun anbieten möchte, (c) ich lege in der Geschichte für jede dieser Optionen einen Entscheidungsverlauf an, (d) und beginne dann unter (a) für jeden dieser Handlungsfäden von vorne. Dies birgt eine Reihe von Herausforderungen für den Schriftsteller. Zuallererst möchte ich dem Leser genug Möglichkeiten anbieten, dass er / sie das Gefühl hat, er / sie hat wirklich die Kontrolle über die Geschichte und kann als Leser das tun, was er gerne machen wüde. Dadurch wird die Anzahl der Entscheidungsvarianten exponentiell wachsen. Also muss ich oft nach Wegen suchen, wie ich diese getrennten Zweige wieder zusammenbringen kann. Als Beispiel: zwei verschiedene
Entscheidungen schaffen zwei alternative Zweige, aber diese beiden Zweige können am Ende zu dem gleichen Ergebnis führen. Solche Dinge zu entscheiden ist ein kontinuierlicher Prozess der "Beschneidung der Äste", um die Arbeit des Schreibens überschaubar zu machen, während man zur gleichen Zeit versucht, ein Gefühl von Glaubwürdigkeit zu bewahren. Das zu erreichen ist manchmal ein schwieriger Balanceakt.
Eine weitere Schwierigkeit, der ich häufig begegne, ist die Frage, wie man mit jenen Handlungssträngen umgeht, in denen sich der Leser / Spieler gehen von der zentralen Handlung der Geschichte entfernen. Natürlich möchte ich nicht, dass sie zu weit in die Irre gehen, aber ich möchte das Gefühl erhalten, dass der Leser "das Kommando" hat. Wenn man dem Leser nur solche Optionen anbietet, die entweder zu sofortigem Erfolg oder Misserfolg führen, dann verliert sich schnell die Illusion, dass es sich um eine realistische Geschichte handelt, in der man das eigene  Schicksal steuern kann. Es ist überraschend schwierig diese Nebenhandlungen zu erstellen, denn in einem gewissen Sinn lenkt man sich selbst gewaltsam von seiner eigenen Vorstellung ab und schafft eine sekundäre Geschichten innerhalb der Geschichte. Diese Zweitgeschichten in einer Weise zu erfinden, die sowohl glaubwürdig ist, und sich innerhalb dessen befindet was der Leser / Spieler zu erreichen versucht, ist eine Herausforderung. Und schließlich möchte man entweder den Leser zurück auf die Hauptlinie lenken - oder zu einem völligen Ende der Geschichte. Ich versuche zu vermeiden diese "Zweige" dadurch zu beschneiden, indem sie zu erfolglosen Enden führen. Ich will nicht, dass der Leser  nach nur einer schlechten/falschen Entscheidung scheitert (in der Regel erfordern meine Stränge  mindestens zwei schlechte Entscheidungen hintereinaner, vielleicht auch mehr, um zu einem negativen Ende zu kommen). So habe ich festgestellt, dass diese "verirrten Nebenhandlungen" einem Eigenleben entwickeln, in dem die Entscheidungen, die meine vorgestellten Leser / Spieler machen, eigentlich die Geschichte für mich schreiben. Auf diese Weise unterscheidet sich das Schreiben eines Gamebooks vom Schreiben einer gewöhnlichen Geschichte. Man schreibt nicht nur den Inhalt einer Geschichte, sondern den Inhalt einer "alles möglich machenden" Geschichte.
 

The Great Depression, looming war in Europe, and a Detroit woman beaten by terrorists. There´s not much to cheer about in the news today so you toss the paper aside on your desk.
You´ve just finished filing your latest case away in your overstuffed office filing cabinet, letting the events of the recent investigation replay themselves in your head as you gaze out of your office window at the Manhattan traffic twelve stories below. You were on the trail of a stolen set of diamonds when the small-time thieves split town. Two days later they were nailed trying to knock over a bank in Jersey. The hoodlums were busted, the diamonds were returned, and justice was served. But your cut of the take left a lot to be desired.

 
Zauberspiegel: Was gefällt dir an Gamebooks? Und was ist so besonders an einem Online-Gamebook?
Mark Baumann: Gamebooks zu lesen hat mir schon immer große Freude gemacht, und ich denke, dies führt mich zurück zu dem, was ich zu historischen Stücken sagte: Gamebooks haben die Fähigkeit, Sie in einen anderen Ort und Zeit eintauchen zu lassen. Ebenso wie der Leser wird man die Hauptfigur, und so kann man ein Leben leben, zu dem man sonst nie die Chance gehabt hätte.
Während man in einem regulären Roman in die Welt eingetaucht, liest man noch immer über die Erfahrungen von jemand anderem. Aber in einem Gamebook, steht nicht nur der Erfolg oder Misserfolg der Hauptfigur auf dem Spiel; es ist dein *eigener* Erfolg oder Misserfolg, die auf dem Spiel stehen. Für mich ist die Unmittelbarkeit der Interaktion der eigenen Entscheidungen mit den
Menschen und Orte aus einer anderen Zeit (oder einem anderen Universum) die Macht eines Gamebook's und seiner unmittelbaren Erfahrung gegennüber einem normalen Roman.
Gamebooks gehen ganz natürlich ins World Wide Web über. Das Web ist eine großartige Möglichkeit, eine große Zahl von Lesern quasi zum Nulltarif zu erreichen.
Auch Hyperlinks sind perfekt geeignet für das Schreiben einer Geschichte mit Verzweigungen: Wenn Sie A wollen, klicken Sie hier, wenn Sie B wollen, klicken Sie hier, und so weiter. Allerdings bietet das Web weit mehr als nur einfaches HTML, und ich bin erst am Anfang, die Möglichkeiten einer Verbesserung der Gamebooks  durch die Zugabe einer komplexen Maschinerie zu erkunden, die völlig unsichtbar für den Leser ist. In einem traditionellen Pen-and-Papier Gamebook (oder RPG), wird es schnell zu einer mühsamen Übung die Menge von Statistiken, Zahlen und Listen zu verewalten. Ein gutes Gamebook würde dies also auf ein Minimum reduzieren. Mit den Programmier-Tools im Web-Design, können Online-Gamebooks alle diese langweilige Verwaltung für einen erledigen.
Meine Hoffnung ist, dass dieses mir als Schriftsteller die Möglichkeit eröffnet, eine noch realistischere Gamebook-Erfahrung zu schaffen, mit einem potenziell riesigen Satz an Eigentümern, Fähigkeiten, Statistiken und Ergebnisse, die für den Leser automatisch aktualisiert werden, um dann in der Verwendung die Geschichte realistischer und damit noch intensiver zu machen. Flash-basierte Online-Spiele sind in letzter Zeit sehr beliebt geworden, was noch weit mehr interaktive Möglichkeiten hinzufügt. Wie können die Vorteile von Flash in Gamebooks eingesetzt werden? Auch das iPhone / iPad hat ein großes Potential als Plattform für das Lesen / Spielen von Gamebooks. Vielleicht die größte Herausforderung für die Online-Gamebooks besteht darin, sie in dieser modernen Welt der Computer-Technologie relevant und interessant zu erhalten.
Insgesamt glaube ich, das Ziel beim Schreiben eines gute Gamebook besteht darin, das Medium zu nutzen um dem Leser eine möglichst realistische und eindringliche Erfahrung zu ermöglichen. Und das während gleichzeitig die leichte Nutzbarkeit und Lesbarkeit erhält, und ohne das zu verlieren, was ein Gamebook in seinem Kern ist: eine interaktive Geschichte, die durch Worte vermittelt wird.
 

Kommentare  

#1 Thomas Knip 2010-10-28 02:44
Ach, ich könnte jetzt so viel über mein eigenes Projekt in der Richtung schreiben - aber dann würde ich mir vielleicht selbst ein paar Chancen nehmen.

Interessant ist gerade die Art und Weise, wie Mark Baumann an den Mittelteil mit den ganzen Verzweigungen herangeht.
Und gerade HTML-basierte Gamebooks können eben den Zettel und Stift neben einem überflüssig machen. Womit man auch unterwegs leichter mal zwischendurch spielen kann.
#2 karl 2010-10-28 10:46
1986 habe ich zwei, drei Spielbücher bearbeitet, aber ganz schnell das Interesse daran wieder verloren.

Es würde mich wirklich stark verwundern, wenn im Zeitalter der immer perfekter werdenden Rollenspiele und dem unmittelbar vor der Türe stehenden 3D-Spiel gerade so etwas wie Online-Gamebooks noch irgend jemand anderen außer den hartnäckigsten Nostalgiker begeistern könnten...

Der einsame schwarze Wolf und Co. waren damals in den Achtzigern des vorigen Jahrhunderts doch alles bloß Drehbuchentwürfe für einfache Computerspiele...

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