... Constanze Grasmück über ihren Vater, Dan Shocker und ein halbes Kinderzimmer
Seine Tochter Constanze Grasmück hat sich bereit erklärt, in ihren Erinnerungen zu graben. Und wie sagt sie so schön in einer ihrer Antworten: "Mein Vater hat als Dan Shocker geschrieben und als Jürgen Grasmück gelebt." - Und nun erfahren wir ein wenig über Jürgen Grasmück und seinen Alltag...
Besten Dank an Constanze Grasmück.
: Nein, ich kann ihn nicht als streng bezeichnen. Er war eher weichherzig und großzügig. Wenn ich etwas von der Raffinesse gehabt hätte, die manchen Kindern zu Eigen ist ja, ich hätte ihn um den Finger wickeln können. So aber habe ich mir als der ewige Rebell alles erkämpfen müssen.
: Grundsätzlich tagsüber, da mein Vater und ich uns ein Zimmer teilen mussten er hatte ein halbes Arbeitszimmer und ich ein halbes Kinderzimmer.
Später, als wir Mitte der Siebziger aus Hanau wegzogen und im eigenen Haus mehr Räume zur Verfügung standen, hatte ich mein Jugendzimmer und mein Vater sein Arbeitszimmer. So nutzte er dann auch die Abendstunden zum Schreiben. Nachts hat er dann geruht . Sein Tagesablauf war diszipliniert und strukturiert.
: Sicher macht es einen bedeutsamen Unterschied, ob ein Vater morgens auf die Arbeit fährt und erst am Abend wieder kommt oder den ganzen Tag im Haus präsent ist. Das ist eine viel intensivere Art des Zusammenlebens, besonders auch durch den Umstand, dass mein Vater durch seine Muskelerkrankung an den Rollstuhl gefesselt war. Da laufen die Uhren in der Familie anders da wurden Prioritäten, die sich an seinen Bedürfnissen orientierten, ganz anders gesetzt.
Ja später gab Zeiten am Tag, an dem mein Vater diese künstlerische Ruhe gebraucht hat und mir mein halbes Kinderzimmer nicht zur Verfügung stand. Aber ich bin in einer Generation groß geworden, für die es üblich war, bei Wind und Wetter draußen mit Freunden zu spielen. Da habe ich wahrlich nichts vermisst und mich auch gut selbst beschäftigen können. (Das Fernsehen steckte in den Kinderschuhen es gab erst zwei, dann auch schon mal ein drittes Programm, die Kindersendungen begannen frühestens um 16 Uhr nachmittags [der Fernseher stand ohnedies im Wohnzimmer] und am Abend waren dann die Erwachsenen dran. Kann man sich bei dem 24-stündigen Dauerbeschuss von kleinen, bunten, sich bewegen Bildern heute gar nicht mehr vorstellen, oder? Und der Personal Computer samt globalem Netzwerk war noch nicht erfunden .)
Wie gesagt, das Leben spielte sich meist im Freien vor der Haustüre ab. Ich besuchte Freunde und durfte auch selbstverständlich welche mit nach Hause bringen. Ja, und Toben konnte ich auch ganz gut ich war eher so eine kleine Wilde
Die Koexistenz zwischen Schreiben und Spielen klappte gut. In dieser Beziehung hatte ich eine unbeschwerte Kindheit. Es gab auch zwei Schreibtische im Zimmer, an dem großen saß schreibend mein Vater, der »kleine« wurde dann der Platz, an dem ich meine Hausaufgaben machte.
: Als kleines Mädchen habe ich relativ wenig mitbekommen. Für mich war mein am Schreibtisch sitzender Vater ein vertrautes und gewohntes Bild. Ich kannte es nicht anders. Da konnte ich die Art des Schreibens nicht unterscheiden. Er hat ja, um für den Unterhalt der kleinen Familie zu sorgen, am Anfang noch andere, am heimischen Schreibtisch auszuführende Tätigkeiten, (zum Beispiel Mahnschreiben für ein bekanntes Hanauer Versandhaus) erledigt. Die »Türme« und der Geruch von Papier und Pappe dieser dunkelblauen Akten, die zwischen Wohnung und Firma hin und her getragen wurden, sind mir immer noch lebhaft in Erinnerung.
Ansonsten wurden seine geistigen Ergüsse kaum thematisiert das Schreiben war seine höchst intime Angelegenheit. Wie auch immer die Eheleute untereinander damit umgingen, kann ich nicht sagen da war ich außen vor.
Die Belegexemplare, die der Autor erhielt, füllten im Laufe der Jahre die Regale. Diese »bunten (Titel) Bilder« begleiteten mich von Anfang an (bevor ich »da« war, gabs ja schon Romane) und übten eine besondere Faszination auf mich aus. Später, so mit 14 oder 15 habe ich dann seine Werke für mich entdeckt und verschlungen.
: Falls er Notizen gemacht haben sollte ich kann mich kaum daran erinnern. Ideen konnten »aus heiterem Himmel« kommen oder aus den Tiefen seiner selbst. Eigentlich war er selbst der Quell, aus dem er schöpfte. Geschrieben hat er unermüdlich; in seinen stärksten Jahren beinahe wie am Fließband »produziert«.
Äußere (politische oder welche auch immer) Begebenheiten wurden dann und wann zum Trigger, die er sehr individuell verarbeitete. Ich denke da zum Beispiel ganz konkret an den Giftmüllskandal in der eigenen Kommune Anfang der Siebziger, aus der er die »Die Müllmonster generierte.
Den Roman »Das Horror-Palais von Wien« hat er mir gewidmet und es ist die einzige Geschichte, in der er ein einziges Mal eine nahe stehende Person (mich) »verarbeitet«. Seine Protagonisten waren samt und sonders erfunden und selbst lebendige Vorbilder wurden fantasievoll umgestaltet und neu kreiert. Ansonsten hat er Innenwelt und Außenwelt nicht vermischt.
: Nicht wirklich. Dan Shocker und Jürgen Grasmück hat er gut zu trennen gewusst, auch wenn ihm sein Pseudonym auf den Leib geschneidert war. Aber da der »Prophet im eigenen Land« recht wenig gilt, blieb er vom Trubel um seine Person (einschließlich seiner Familie) verschont. Er hätte es auch nicht gewollt, auch nachdem er seinen späteren Erfolg und die Annerkennung daraus gerne genommen hat.
Ansonsten wurde ich dann später mitunter in seine Arbeit mit eingebunden. In der Zeit vor dem PC, als Manuskripte (zwar nicht mehr dem Wortlaut nach mit »der Hand«) wohl aber mit der Schreibmaschine verfasst wurden, hatte ich die von ihm durchgestrichenen Veränderungen mit einem Marker zu schwärzen, während er das eine oder andere Mal noch das Ende des Romans wob. Oft genug war es auch an mir, noch schnell kurz vor Schließung des nächstgelegenen Postamtes hurtig durch den Wald zu flitzen, damit das Teil noch rechtzeitig an den Verlag gehen konnte. Ja, das war manchmal richtig hektisch. Als dann noch der Marlos-Bürger Fanclub entstand, fand ich auch Verwendung beim Falzen und Eintüten Ich habe es, ehrlich gesagt, nicht immer gerne getan.
: einfühlsam, optimistisch, offen, warmherzig, intelligent, humorvoll, fantasievoll (klar!) und (trotz berechtigter Ängste) mutig.
: Wie soll ich das beantworten? Mein Vater hat als Dan Shocker geschrieben und als Jürgen Grasmück gelebt.
: Ja.
Um aus dem Nähkästchen zu plaudern: ich habe mal als Jugendliche ein paar wenige Tagebuchaufzeichnungen (alles andere hat er in seinen fantastischen Romane verarbeitet) von ihm gefunden und gestehe, dass ich sie gelesen habe. (Was man eigentlich nicht tut, ich weiß.) Es hat mich zutiefst berührt und nachhaltig beeindruckt, als ich von seinem inneren Kampf, seiner Verzweiflung in seinen jungen Jahren las, mit der um die Akzeptanz seiner unheilbaren Krankheit, in der er sich so benachteiligt fühlte, rang. Er hat einen Weg gefunden und seinen Frieden gemacht, indem er sich in das Unvermeidliche seines Schicksals fügte. Sein Lebensmut und wille waren stärker als sein Handicap. Er war jemand mit Tiefgang und das machte ihn so menschlich
Man darf nicht vergessen, er war ein Mensch mit hoher Intelligenz, einer fundierten Bildung, schneller Auffassungs- und Beobachtungsgabe, der sich im vollsten Bewusstsein seiner geistigen Kräfte mit diesem rein körperlichen Handicap auseinandersetzen musste.
Auch in den letzten Jahren, die bei dieser progressiv voranschreitenden Krankheit ihn immer mehr körperlich beeinträchtigte, hat er nie gejammert oder geklagt. Er hat seine Situation bewundernswert gemeistert. Ich denke, mancher Gesunde kann sich da eine große Scheibe abschneiden
: Natürlich hat seine Situation ihn zum Nabel der Welt innerhalb der Familie gemacht. Am Anfang konnte er ja nur nicht Laufen und ein halbwegs normales Familienleben war möglich. Im Laufe der Jahre änderte sich das und im Endstadium seiner Krankheit sah das dann noch mal anders aus. Meine Mutter hat ihn aus Liebe bis zuletzt selbstlos und aufopfernd gepflegt.
Na ja, um es mal anschaulich hessisch auszudrücken: die beiden waren aan Kopp un aan Arsch Ich habe da ein wenig zurückstehen müssen.
: a, kann man sagen. Auch wenn ich seinen Tod als Erlösung seines Leidens betrachte, so vermisse ich seine Gegenwart. Heute, anlässlich des Tages, an dem er 70 alt Jahre geworden wäre, noch einmal ganz besonders.
Er war ein feiner Mensch und glühte von Esprit und Charisma.
Dennoch hat er mich mehr geprägt, als ich es mir wohl selbst eingestehe. Mein Selbstwerdungsprozess in der Auseinandersetzung mit seiner starken Persönlichkeit und seiner besonderen Lebenssituation war nicht immer einfach.
Abschließend kann ich sagen: mein Vater hat mir viel Gutes aber auch manch Schweres hinterlassen und ich trage es in Achtung und Dankbarkeit.
: You are welcome
Wer ist Constanze Grasmück?
Kommentare
Und wie seiner Zeit zu seinem Tod schon geschrieben und wie Constanzia hier auch noch mal bestätigt hat, es gibt kaum Menschen die so warmherzig, kämpferich und positiv denken wie es Jürgen getan hat. Jürgen, ich vermisse Dich sehr und hoffe Du feierst Deinen Geburstag mit all den großartigen Menschen die uns leider schon verlassen haben und schaust auch mal runter zu uns, dennen für die Du in guten Erinnerungen und im Herzen immer leben wirst.
Wir alle werden ihn sicher nie vergessen...
Sehr schön, Horst
Hochachtungsvoll
M.Schnaars (ein großer Fan)
danke für das Interview. Ich habe das, was Ihr Vater geschrieben hat, immer sehr gern gemocht.
Viele Grüße aus Frankfurt/M.
Das Buch habe ich immer noch und stent seit vielen Jahren unter den Büchern von Autoren die zu mein en persönlichen Freunden gehören
Mf Gr
Constanze gab mir ein weiteres Interview:
kreativwunder.info/steve/pages/constanze-grasmueck.php
Viel Freude!