Eine Kindheit im Bürgerkrieg - »Belfast«
Eine Kindheit im Bürgerkrieg
»Belfast«
Mit insgesamt sieben Oscar-Nominierungen ging „Belfast“ Ende März ins Rennen um den wichtigsten internationalen Filmpreis. Als bester Film, für die Regie und auch bei den Nebenrollen (Dame Judi Dench und Ciarán Hinds) musste er sich zwar genau wie bei der Musik und dem Sounddesign der Konkurrenz geschlagen geben, aber Branagh selbst durfte einen Oscar für das beste Original-Drehbuch in Empfang nehmen. Ein großer persönlicher Triumph für den Ausnahmeschauspieler und Filmemacher, der es bislang in seiner Karriere bereits auf sieben Oscar-Nominierungen gebracht hat, sowohl als bester Haupt- („Henry V.“) und Nebendarsteller („My Week with Marilyn“) wie auch für die beste Regie („Henry V.“), das beste adaptierte Drehbuch („Hamlet“) und den besten Kurzfilm („Swan Song“). Damit hat die Academy of Motion Picture Arts and Sciences nicht nur Branaghs langjährige herausragende Arbeit in der Filmbranche gewürdigt, sondern auch den persönlichen Erlebnissen des Nord-Iren Tribut gezollt.
Der neunjährige Buddy (Jude Hill) wächst in einem Arbeitergebiet im nordirischen Belfast heran. Er ist es gewohnt, dass er seinen Vater (Jamie Dornan) nur gelegentlich an manchen Wochenenden mal sieht, weil dieser eine Anstellung in England gefunden hat. Seine Mutter (Caitríona Balfe) kümmert sich liebevoll um Buddy und dessen älteren Bruder Will (Lewis McAskie), aber auch die Großeltern (Dame Judi Dench und Ciarán Hinds) stehen stets mit Rat und Tat zur Seite und verwöhnen den Kleinen mit zusätzlichem Taschengeld, obwohl sie selbst nicht viel erübrigen können. Diese unschuldige Idylle wird jäh auf die Probe gestellt, als es ausgerechnet in der Straße, in der Buddy mit seiner Familie wohnt, zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommt. Protestanten haben damit begonnen, die Häuser einiger ebenfalls dort wohnender Katholiken zu bombardieren. Im Viertel fliegen Molotowcocktails und selbst unschuldige Kinder sterben im Kugelhagel der verfeindeten christlichen Konfessionen. Während Buddys Alltag weiterhin davon bestimmt wird, sich in der Schule zu verbessern, um in den Bänken weiter aufrücken zu dürfen und damit seinem Schwarm Catherine (Olive Tennant) näher zu kommen, sucht sein Vater nach einem Ausweg, seine Familie aus der Schusslinie herauszuholen.
Sir Kenneth Branagh hat sich dazu entschieden, „Belfast“ überwiegend in Schwarz-Weiß zu drehen, was in der Kameraführung von Haris Zambarloukos (bei den Oscar-Nominierungen sträflicherweise völlig übergangen) zu einigen wunderbaren Bildern führt. Farbakzente werden immer dann gesetzt, wenn der kindliche Protagonist durch die Künste (Film und Theater) aus seinem Alltag herausgerissen wird. Die autobiografische Geschichte nimmt durchweg den Blickwinkel des neunjährigen Jungen ein, der etliche der Gräueltaten ausblendet und sich auf sein unmittelbares familiäres Umfeld und seine erste große Liebe konzentriert. Dadurch erhält „Belfast“ etwas Verträumt-Märchenhaftes, mit dem man sich allerorten gut identifizieren können dürfte. Die BluRay-Erstveröffentlichung bietet ein sehr gutes Bild (im Widescreen-Format 1,85:1) und einen soliden Ton, der gut zum weitgehend ruhigen Stil des Films passt (Englisch im DTS HD Master Audio 7.1, Deutsch, Französisch, Italienisch und Spanisch im DTS HD High Resolution 7.1, optional mit englischer Audiodeskriptionsspur für Sehbehinderte und Untertiteln in elf verschiedenen Sprachen). Als Extras gibt es einen Audiokommentar von Kenneth Branagh, ein alternatives Ende (6 Minuten), drei unveröffentlichte Szenen (3 Minuten), und die Specials „Eine Stadt voller Geschichten – Die Entstehung von "Belfast"“ (10 Minuten) und „Unser inneres Kind“ (2 Minuten).
Kommentare
Ein atemberaubender Film. Unglaublich bewegend, und gleichzeitig richtig witzig.
Wer noch einen Funken seiner Kindheit in Erinnerung hat, spürt wie 'echt' BELFAST ist.
Branagh macht es sich hier aber auch entschieden zu einfach. Die geopolitischen und ökonomischen Ursachen des (immerhin handlungstreibenden) Nordirland-Konflikts (der zudem nach dem Sieg von Sinn Fein bei den Parlamentswahlen gerade wieder hochaktuell ist) werden konsequent ausgespart. Das hätte vor 30 Jahren vielleicht noch niemanden gestört. In Zeiten, in denen selbst ein lässiges Slasher-Remake von Netflix ("The Texas Chainsaw Massacre") die gesellschaftlichen Kollateralschäden im "Spätkapitalismus" thematisiert (und diesen dabei explizit beim Namen nennt), sollte man von einem Film wie "Belfast" eigentlich mehr erwarten dürfen, Kinderperspektive hin oder her.