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Gérard de Villiers - Ein Nachruf

Gérard de VilliersGérard de Villiers
Ein Nachruf

Die Literaturkritik hat ihn ignoriert, die Genre-Kritik wusste auch wenig über ihn zu sagen, und die französische Linke hat ihn wegen seiner angeblich rechtsradikalen Ansichten gehasst und nannte seine Serie einmal "SAS SS". Trotzdem wurde der Franzose Gérard de Villiers in seiner Heimat zu einer literarischen Institution. Seine Agentenserie S.A.S., in der der österreichische Adlige Prinz Malko Linge im Auftrag der CIA als Agent an jedem Krisenherd der Welt mitmischt, erscheint seit März 1965 mit vier bis fünf Romanen im Jahr. Man spricht von über 150 Millionen verkauften Exemplaren.

Gérard de VilliersUnd auch wenn er bis kurz vor seinem Tod von den Medien ignoriert wurde, diente sein Name dennoch als Verkaufsgarant, zuerst für den Verleger Plon, seit 1998 für ihn selbst. Unter dem Label "Gérard de Villiers presente" erschienen diverse Taschenbuchserien, die die Bandbreite vom Krimi bis zum Erotikroman abdeckten. Eine französische Erfolgsgeschichte.

Gérard Adam de Villiers kam am 8.12.1929 in Paris zur Welt. Der Sohn eines Bühnenautors schlug die Journalistenlaufbahn ein, arbeitete als Auslandskorrespondent. 1964 erfand er die Figur des Geheimagenten Malko Linge. Ian Fleming war gerade gestorben. "Die Leute lieben Geheimagenten", meinte der Lektor des Publikumsverlages Plon zu de Villiers, der in seiner Freizeit an einem Detektivroman schrieb. "Lassen Sie sich doch einen neuen Serienhelden einfallen." Tatsächlich standen Spionageromane in Frankreich in hohem Kurs. Nicht nur Übersetzungen aus dem Amerikanischen, wie es hierzulande der Fall war, sondern auch erfolgreiche Serien französischer Autoren. Ob es nun die Abenteuer von OSS 117 waren, dem CIA-Agenten Hubert Bonisseur de la Bath aus der Feder von Jean Bruce, der bereits seit 1949 in bester Kalter-Kriegs-Manier weltweit kommunistischen Schurken das Handwerk legte, oder Coplan von Paul Kenny, der Markt war gesund.

Gérard de VilliersBesondere Originalität lässt sich dem Plot des ersten Romans "SAS a Istanbul" kaum bescheinigen. Der Held ist Prinz Malko Linge, 38 Jahre alt. Der Österreicher ist ein typischer Jet-Setter, spricht mehrere Sprachen, hat ein Harvard-Examen und ein baufälliges Familienschloss in Lietzen, das seine exorbitanten CIA-Honorare frisst. Und natürlich ist er ein unersättlicher Frauenschwarm. Das S.A.S. steht für "Son Altesse Sérénissime", ist "Seine Durchlaucht" Malko doch ein waschechter Adliger mit Stammbaum und Titeln wie Markgraf der Unteren Lausitz. In diesem ersten Band werden fast alle Hauptfiguren eingeführt, die die Serie begleiten. Da ist Elko Krisantem, ein türkischer Killer aus Istanbul, den Malko aufliest und zu seinem Majordomus macht. Und Chris Jones und Milton Brabek, zwei stiernackige Marines aus Amerikas Mittlerem Westen, die als nicht besonders schlaue Bodyguards und Killer für die CIA arbeiten und bei jedem Auslandseinsatz neben der 44er Magnum ihr eigenes Mineralwasser mitbringen.

Auch wenn der Plot des ersten Romans ziemlich unspektakuläre Spionageromankost bietet und Malko letztlich der typische Agentensuperheld ist, gibt es dennoch einige deutliche Unterschiede zum seriellen amerikanischen Spionagepulp à la Nick Carter. Von Anfang an sind die Geschichten fest in der Realität des Kalten Krieges verwurzelt. Es gibt keine Gadgets, keine Superschurken oder finstere Pläne der Welteroberung. Alles ist bierernst gemeint, es geht brutal und äußerst gewalttätig zu, auf den Straßen der Dritten Welt ist der Kalte Krieg längst ein heißer Krieg. Der Gegner ist nicht allein der KGB, sondern auch Terrororganisationen und die Geheimdienste kommunistischer Satellitenstaaten. Und in diesem Kampf der Systeme ist jedes Mittel erlaubt und jede Untat gerechtfertigt. Dabei ist Malko seit dem ersten Band alterslos geworden. An der Grundkonstellation der Figuren hat sich in den gut 50 Jahren seit Erscheinen des ersten Bandes nichts mehr geändert.

Land und Leute spielen eine große Rolle in den Romanen. Sie sind minutiös recherchiert, von Straßennamen bis zu bekannten Lokalen, und die meisten Romane kommen mit Stadtplan. Allerdings ist die Darstellung der Nationen meistens wenig schmeichelhaft und bedient kräftig Klischees und Vorurteile, wenn nicht gar fremdenfeindliche Ressentiments, wie man dem Autor immer wieder vorwarf.

Gérard de VilliersAber den eigentlichen Erfolg der Serie macht nicht die Spionageermittlungsarbeit an dem authentisch wirkenden Ort oder die Mischung aus Gewalt und zumindest im Original zusehends expliziterem Sex aus – auch wenn sie sicher nicht schaden. Was die Serie im Vergleich mit anderen Fließbandprodukten dieser Art einzigartig macht, ist die Idee des Autors, seinen fiktiven Agenten an realen Konflikten teilhaben zu lassen, die dem Leser oft aus den Schlagzeilen vertraut sind.

So orientierten sich die Plots bald an den internationalen Terrorakten, Tragödien und Bürgerkriegen der Gegenwart. In "L´inconou de Leningrad" (1989; dt. Inferno über Lockerbie) endet Malkos Hatz auf palästinensische Terroristen mit der Sprengung des Passagierflugzeugs über Lockerbie, während es in "Marathon à Spanish Harlem" (1977; dt. Die tödliche Spur zu "Carlos") um die blutige Jagd auf den damals die Schlagzeilen beherrschenden Terroristen Carlos geht.

Prophetisch wirkende Romane gibt es viele, ob es nun ein drohendes Attentat auf Anwar as-Sadat (1981; Das Komplott von Kairo) oder ein Attentat auf das US-Konsulat von Bengasi (2012; Les Fous de Benghazi) war – ein dreiviertel Jahr, bevor es tatsächlich geschah. Ein im Nachhinein besonders im Gedächtnis haftender Roman war "Vengez le Vol 800" (1997; dt. Flug 800 – Start in den Tod), in dem es um den Absturz einer TWA-Maschine 1996 ging, dessen Ursache lange Jahre umstritten blieb. Der – vermutlich – fiktive Anschlag geschieht hier im Auftrag eines Terroristen namens Osama bin Laden, von dem zumindest der deutsche Durchschnittsleser zu der Zeit noch nie etwas gehört hatte.

De Villiers hatte nicht die geringsten Probleme damit, Spekulationen und Verschwörungstheorien als Fakten zu präsentieren. Andererseits lesen sich die in die Handlung eingebauten politischen Hintergründe ungemein authentisch und oft überzeugend. In die Romane floss immer mehr Insiderwissen aus der Welt der Geheimdienste ein. Nicht nur kultivierte der ehemalige Journalist de Villiers auf seinen ständigen Reisen unzählige Kontakte, er kannte auch hochrangige Geheimdienstler wie Alexandre de Marenches, der unter Pompidou und Giscard d'Estaing der Leiter des französischen Geheimdienstes war. Er kannte den französischen Außenminister Hubert Védrine und Ivan Barbot, den französischen Chef von Interpol.

Gérard de VilliersUnd de Villiers blieb sich treu, was diese Elemente anging. In den Romanen der letzten Jahre, die alle nicht mehr auf Deutsch erschienen, gab es viele solcher Themen. In "La Liste Hariri" von 2010 ging es um das Attentat auf den libanesischen Premierminister anno 2005. Hier verarbeitete de Villiers eine Namensliste der Attentäter sowie organisatorische Hintergründe des Anschlags, die er eigentlich nur von Mitgliedern der UN-Untersuchungskommission oder vom libanesischen Geheimdienst selbst haben konnte.

Es war ein Libanese, wie Gérard de Villiers in einem Interview behauptete, das der Journalist Robert F. Worth mit ihm für ein ausführliches Portrait in der New York Times im Januar 2013 führte; Ähnliches steht in einem Artikel im Le Monde zu lesen. Auf die Frage, warum Geheimdienstler eigentlich ausgerechnet einem Autor von Pulpromanen solche Informationen zukommen lassen sollten, antwortete de Villiers: "Irgendein Motiv haben sie immer. Sie wollen, dass die Informationen an die Öffentlichkeit gelangen. Und sie vertrauen mir."

Ob das alles nun der Wahrheit entspricht oder doch nur eine gute werbeträchtige Geschichte ist, es wundert wenig, dass de Villiers selbst eine genauso überlebensgroße Gestalt wie sein Held Malko war. Er sei gegen den Kommunismus, gegen den Islam, gegen Homosexuelle und dazu ein Rassist und Antisemit, warf man ihm immer mal wieder vor. Und doch war er ein guter Freund von Claude Lanzmann, dem jüdischen Filmemacher, der unter anderem die Dokumentation "Shoah" produzierte. "Manchmal sagt er unerträgliche Dinge", meinte Lanzmann dazu in einem Interview. Political Correctness war nicht de Villiers' Ding. "Sie erwürgt uns", sagte er.

An den Wänden seines Büros hingen neben automatischen Waffen Fotos von ihm zusammen mit diversen Warlords aus Afrika, Asien und dem Nahen Osten, auf den Regalen stand erotischer Nippes. De Villiers war viermal verheiratet – "Alle meine Ex-Frauen hassen mich", bekannte er mit einem Lächeln -, fuhr einen schwarzen Porsche und bekam in seinem Stammbistro den Tisch von Mitterand. Reiste er nicht, verbrachte er seine Zeit in Paris oder Saint Tropez. Noch mit 83 reiste er für Recherchen nach Tunesien, obwohl er da schon nach einer Aortenoperation einen Rollator brauchte. "Der bereits mit den Rollfeldern von Beirut, Kabul und Tripolis Bekanntschaft gemacht hat."
 
Gérard de VilliersDe Villiers sah sich als Geschichtenerzähler ohne jegliche literarische Ambition. "Ich schreibe Märchen für Erwachsene", sagte er in dem besagten Interview. Diese nüchterne Einschätzung stimmt sicherlich. Die Malko-Romane sind stilistisch schlicht. Fakten haben Vorrang vor Diskursen über Glanz und Elend der Spionage. Moral ist kein Thema. Niemand stellt sich oder seine Position infrage. Der Ton der Romane ist ungemein zynisch. Wobei man de Villiers allerdings zugestehen muss, dass CIA und Amerikaner keineswegs als die strahlenden Helden dargestellt werden. Auch wenn der Autor aus seinen politischen Überzeugungen keinen Hehl macht, erscheinen die CIA-Agenten in Malkos Umfeld meistens als ausgesprochen bornierte Leute, die kaum über den Tellerrand hinausschauen und alles Ausländische nicht wirklich verstehen können. Der Autor hatte durchaus ein Faible für alles Morbide, wie seine häufigen Folterszenen zeigten, lange bevor sie auch in der Unterhaltung nach dem 11. September populär wurden. Die Bösen sind durchweg brutale Soziopathen und vergewaltigen gern. Und in den späteren Romanen fangen die Sex-Szenen Malkos da an, wo sie sonst in vergleichbaren Serien aufhören; das ist keine blumige Erotik, sondern Hardcore. Und auch das schon lange, bevor es in der Populärkultur schick wurde.

In Amerika konnte S.A.S. in den 70ern nicht Fuß fassen, da war nach ein paar Bänden beim Pulp-Giganten Pinnacle schnell Schluss. In Deutschland war der Erfolg schon größer. Ein paar Bände erschienen zuerst in der Ullstein-Krimireihe. Der Cora Verlag begann 1977 mit der Veröffentlichung als eigenständige Serie. In der Aufmachung kopierte man das Original mit seinen üppigen Models mit Knarre-Motiv, griff aber geschickterweise zuerst auf die aktuelleren Romane zurück. "Attentat auf Kissinger", die Nr. 1 im Frühjahr 1977, schien direkt den Schlagzeilen entsprungen zu sein und fand mühelos seine Leser.

Der Jugendschutz war weniger begeistert. Mehrere Romane landeten augenblicklich auf dem Index. In einem Spiegel-Artikel stand die Serie wegen ihrer Gewaltdarstellung und politischen Einstellung am Pranger. Cora zog sofort die Konsequenzen und bearbeitete die manchmal holprigen Übersetzungen heftig, strich einfach mögliche anstößige Beschreibungen oder formulierte sie um. Das änderte sich erst wieder, als die Zeiten liberaler wurden. In den 80ern passte man sich dem Erscheinungsmodus des Originals mit vier Romanen im Jahr an. 2001 stellte Cora die Serie mit der Nr. 138 ein. Vier frühe Romane blieben unübersetzt.

Gérard de VilliersIn Frankreich zeigte S.A.S. aber keine Ermüdungserscheinungen, auch wenn die Auflage zurückging und zwei Verfilmungen sang- und klanglos untergingen. Im Alter von 77 erhöhte de Villiers den Ausstoß auf 5 Romane im Jahr. Falls er Ghostwriter beschäftigte, sind sie bis heute ein gut gehütetes Geheimnis geblieben. Band 200 erschien im Oktober 2013. Nach dem Artikel in der New York Times stand der Autor auch mal wieder in Verhandlungen mit Random House, um den amerikanischen Markt erneut in Angriff zu nehmen.

Einen Einfluss auf das von Amerika und England dominierte Genre Spionageroman hatte er nicht; dort kannten ihn eigentlich nur die Sammler eher obskurer Taschenbuchserien. In seiner Heimat war er kommerziell erfolgreich, aber kulturell verpönt. (Was ihn aber nicht interessierte.) Im Rest von Europa gab es in einigen Ländern Lizenzausgaben, aber auch in Deutschland nahm ihn die Kritik bis zur Einstellung der Serie nicht oder nur selten wahr, obwohl sie fast 25 Jahre ihre Käufer fand. Aber egal, ob man seine Romane nun mochte oder nicht oder die Inhalte sogar für bedenklich hielt, auf seine Weise war S.A.S. ziemlich einzigartig und im Nachhinein gesehen die böse Chronik einer Welt im permanenten Kriegszustand.

Im Mai 2013 diagnostizierte man bei Gérard de Villiers Bauchspeicheldrüsenkrebs. Er starb am 31.10.2013. Er wurde 83 Jahre alt.

Quellen:

  • New York Times: The Spy Novelist Who Knows Too Much von Robert F. Worth
  • Le Magazin du Monde: Gérard de Villiers - itinéraire d'un réac von Ariane Chemin und Judith Perrignon
  • SAS-Offizielle Webseite
  • Internetrecherchen

 

Kommentare  

#1 Heiko Langhans 2013-11-12 07:31
Ha. Malko - zu meiner Schulzeit beliebte Untertischlektüre der "Hinterbänkler". Die Titelbilder waren natürlich die Hauptattraktion.
#2 Armin 2017-03-22 14:28
"Malko" habe ich in meiner Jugend gelesen, danach viele Jahre vergessen, hatte auch nur wenige Ausgaben behalten. Dann stieß ich 2009 in einem Antiquariat auf ein halbes Regal voller "Malko"-Romane - gleich gekauft und seitdem lese ich wieder zwei, drei Romane pro Jahr.

Leider ist im Erwachsenenalter dieser jugendliche Zauber weg, der Blick auf diese Romane ist ein ganz anderer.
"Malko" kennen heute auch nur die wenigsten, so dass man hier schon wieder etwas hat, mit dem man sich von der kritiklosen Masse der Konsumenten unterscheiden kann.

Mit dem modernen Widerstand gegen politische Korrektheit sind diese Romane auch wieder aktuell, weil heute eben sich keiner mehr traut, so zu schreiben mit all den Klischees und Stereotypen, gleichzeitig sich selbst aber auch nicht so ernst nehmend:
Österreichischer Aristokrat, meist klamm, weil dauernd was in seinem Schloss renoviert oder repariert werden muss und er sich deshalb an die CIA verdingt - ich muss grinse, während ich das schreibe!

Zeit, "Malko" neu zu entdecken - obwohl ich bezweifle, dass heute noch ein Verlag den Mumm zu solch trashigen Covern hätte! Aber damals sahen Krimis eben auch noch aus wie Krimis!
Und ähnlich wie Edgar Wallace war Gerard de Villiers wohl auch vielen modernen Autoren weit überlegen, nur hat er eben keine hohe Kunst publiziert, sondern Romane, die gelesen wurden.

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