Leit(d)artikel KolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles

Der vierte Mord vor Ort - Die Naschmarktmorde von Gerhard Loibelsberger

Die NaschmarktmordeDer vierte Mord vor Ort
»Die Naschmarktmorde« von Gerhard Loibelsberger

Wien 1903: Eine Frau wird nachts auf dem Naschmarkt, dem größten Viktualienmarkt der Stadt, brutal stranguliert. Das Opfer ist die Gräfin Hermine von Hainisch-Hinterberg, die bei ihrer Tante und ihrem Cousin in der Stadt lebt.

Kommissar Joseph Maria Nechyba, ein wohlbeleibter und behäbiger Vertreter des kaiserlichen Polizeiagenteninstituts, nimmt die Ermittlungen auf.

Die NaschmarktmordeSchon bald finden sich Hinweise, dass die Tote ein Verhältnis zu einem Planetenverkäufer (Horoskopleser) vom Naschmarkt hatte und es kurz vor der Tat einen Streit zwischen den beiden gab. Hat der Planetenverkäufer die Gräfin ermordet, weil sie die Beziehung beenden wollte? Doch schon bald wird eine weitere Frau stranguliert aufgefunden…

„Die Naschmarktmorde“ (Originalausgabe 2009) ist der erste Fall für Kommissar Nechyba und erschien im letzten Monat in neuem Gewand im Gmeiner-Verlag im Zuge einer Sonderedition der erfolgreichsten Ermittler der Mord-vor-Ort-Krimis. Bis heute hat Gerhard Loibelsberger, der selbst in Wien lebt, vier weitere Romane um seinen gemütlichen Kommissar veröffentlicht.

Was die Atmosphäre betrifft, schafft es Loibelsberger sehr gut, seinen Leser in die Wiener Jugendstilzeit mitzunehmen. Man hört es vor seinem inneren Ohr nur so vor sich hin „wienern“, wobei der Autor weitgehend darauf verzichtet, den Dialekt niederzuschreiben und allein durch die Wortwahl typisch wienerisch klingt. Das ist für den Leser ganz angenehm, da Sätze, bei denen eine fremde Mundart quasi als Lautschrift wiedergegeben wird, sonst oft den Lesefluss unterbrechen.

Wien im Jahr 1903 als Schauplatz wirkt vom Autor sehr gut recherchiert. Nun kenne ich mich in Wien nicht aus, aber die Art, wie Loibelsberger per Fußnoten beispielsweise erläutert, wie welche Straßen des Romans heute heißen oder wie damalige Gepflogenheiten aussahen, lässt erahnen, dass er sehr genau weiß, wovon er da schreibt. Auch bringt er in seine fiktive Handlung reale Personen mit ein, was ich recht interessant fand. So tauchen einige bekannte Wiener Persönlichkeiten des 19. Und frühen 20. Jahrhunderts als Nebenfiguren auf, wie die Schriftsteller Peter Altenberg und Otto Weininger oder der Maler Gustav Klimt. Für Interessierte findet sich am Beginn des Buches ein Verzeichnis der historischen Personen mit ihren wichtigsten Eckdaten.

Einzig irritierend bei der Darstellung des Lokalkolorits war für mich die haarkleine Schilderung der einzelnen österreichischen Spezialitäten, und zwar wann immer irgendeine der Figuren etwas isst oder kocht. Dies mag seinen Ursprung darin haben, dass Loibelsberger ebenfalls Autor einiger Kochbücher ist, stört aber in diesem Krimi für mich, da die Zubereitungsweisen der Gerichte für die Handlung völlig irrelevant sind. Das ging so weit, dass ich diese Passagen, die auch gut und gerne mal eine Seite lang sind, nach der ersten Hälfte des Buches einfach übersprungen habe.

Nechyba ist ein überlegter Ermittler, der eigentlich ganz sympathisch sein könnte in seiner ruhigen Art und seiner jungenhaften Verliebtheit in eine Köchin in der Nachbarschaft. Allerdings stört hier etwas die freie Auslegung seiner polizeilichen Pflichten, etwa, wenn er nicht eingreift, wenn der Metzger von nebenan eine junge Frau halb bewusstlos schlägt, nur weil er von ihm immer so schöne Rumpsteaks bekommt. Da war ich mir nicht immer sicher, was ich von der Figur halten soll, ähnlich wie es mir auch bei einigen Nebenfiguren ging.

Die Handlung in „Die Naschmarktmorde“ kommt relativ langsam in die Gänge und erst nach etwa einem Viertel wird das Verbrechen verübt. Auch danach kann das Geschehen nicht mit Höchstspannung aufwarten, ist aber trotzdem recht unterhaltsam und kurzweilig zu lesen. Für mich ein gut recherchiertes, eher seichteres Buch für Zwischendurch, bei dem keine große Konzentration zum Verfolgen der Handlung nötig ist.

Zusammen mit „Deichgrab“ von Sandra Dünnschede gehört „Die Naschmarktmorde“ in meinen Augen zu den besseren Büchern der neu erschienenen Sonderedition, wobei meine Erwartungen an Loibelsbergers Roman nach „Pilzsaison“ und „Himmelsfelsen“ (den anderen Büchern der Sonderedition) auch ziemlich runtergeschraubt waren. Insgesamt sind alle ersten Fälle der erfolgreichsten Mord-vor-Ort-Ermittler meiner Meinung nach nur für Freunde leichterer Unterhaltung empfehlenswert oder für Leser, die in den jeweiligen Regionen leben.

Die Naschmarktmorde
Die Naschmarktmorde
von Gerhard Loibelsberger
ISBN 978-3-8392-2181-5
12,00 €, Taschenbuch
281 Seiten
Gmeiner Verlag, August 2017

Der Gästezugang für Kommentare wird vorerst wieder geschlossen. Bis zu 500 Spam-Kommentare waren zuviel.

Bitte registriert Euch.

Leit(d)artikelKolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles