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»Schön war die Jugend?« - Ausflüge in die Romanheftvergangenheit: Der Nebel des Schreckens (Inspektor Percy Brook Nr. 17)

Schön war die Jugendzeit? -  Ausflüge in die RomanheftvergangenheitAusflüge in die Romanheftvergangenheit:
»Der Nebel des Schreckens«
Inspektor Percy Brook 17 von Hermann Hilgendorff (Kurt Müller)

»Topsi Gardener«! Ganz ehrlich, was bitte ist das für ein Name?

Es sind die ersten beiden Wörter dieses Romans und mir ist die Leselust schon in die unterste Schublade gerutscht! Und da bleibt sie auch – sicher und stabil, außer Gefahr.

Der Nebel des SchreckensUnd sie wird auch nicht mehr gebraucht in dieser furchtbaren Quälerei, die ich zu den schlimmsten Heftroman-Nachdrucken zählen muss, die mir je freiwillig oder unfreiwillig in die Tasche geraten sind.

Natürlich wird der geneigte und wohlinformierte Leser sagen, das waren ja auch keine einfachen, von Fachleuten konstruierten Heftromane alter deutscher Prägung, sondern Leihbuchnachdrucke, die von dem Vielschreiber Hilgendorff/Müller irgendwann zwischen den 30ern und den 60ern Zigdutzendfach runtergetackert wurden, in dem geheimen Bestreben, schließlich mehr als 1000 Romane auf sein Konto eintragen zu lassen.

Geschafft hat Kurt Müller das offenbar mit diesem und anderen Pseudonymen nicht und Broterwerb ist sicher kein Verbrechen, aber UNNÖTIG ist diese furchtbare, in den Jahren 1985/86 erstellte Romanheftneuauflage uralter Kelter-Krimis auf jeden Fall. Zum Glück erkannte das wohl auch die Leserschaft und so endete der letzte Versuch dieses typisch germano-britischen Muckelpolizisten von Scotland Yard nach nur 20 von über 70 Nachdrucken, was der Autor wohlweislich nicht mehr miterleben musste, hatte er doch 1982 bereits im seligen Alter von 87 Jahren den Löffel geschmissen.

Aber ich muss leider bescheinigen: Masse statt Klasse ist ein unverdauliches Motto und Hilgendorff/Müller war – nach nur einem von mir „genossenen“ Roman leider zu relativ wenig in der Lage: der Plot ist, bestenfalls, mit der Brechstange konzipiert und mit der Bazooka verkompliziert worden, die Figuren sind so unglaublich deppert und klischeehaft, dass es in allen Winkeln nur so quietscht, die Story stagniert praktisch auf jeder Seite nach mit dem Pferdehaarpinsel aufgetragenen Todesgefahren und -bedrohungen galore in hirnzerfetzenden Hab-dich-aber-lieb-Gesprächen zwischen genialen Verbrechern (oder doch nicht?) und naiv-unentschiedenen Mägdelein, die binnen eines Satzes ungefähr dreimal wütend, verliebt und todesverängstigt sein können, ohne jemals daraus irgendwelche Schlüsse zu ziehen oder danach zu handeln. Stattdessen reiten sie sich immer und immer weiter in die Kacke, weil der Roman ja nun mal weitergehen muss, die Männer (und damit die Bösen und/oder die Rätselhaften) niemals etwas rauslassen an Information und man ja sonst sowieso nicht weiß, was man machen soll.

Das führt so weit, dass der KOMPLETTE Roman auf den letzten zwei Seiten in einer Art Gigantzusammenfassung (mit Zwinker-Zwinker-Rüschengardinen) noch einmal erklärt wird, damit wir – wie die Damen, aber eben ohne Chance auf Hochzeit oder sexuelles Glück mit einem wesentlich älteren Mann – nicht blöd sterben müssen.

Edgar Wallace hat ja auch – aus Geldnöten und aufgrund seiner akuten Zuckerabhängigkeit – seine Romane bisweilen in 2-3 als mentalen Auswurf rausgeklöppelt, aber ich bin überzeugt, der hat seine mysteriösen Winkelzüge und Verschleierungstaktiken mit einer Kelle mehr Raffinesse und interessanteren Figuren versehen, denn Hilgendorffs schirmbewehrter Rumpelwicht mit Pfeife, der wirklich nur vor Joachim Fuchsberger und Heinz Drache bei deutschen Leserschaften noch einigermaßen realistisch britisch rüberkommen konnte, ist eine klassische Nichtfigur, die hier nur eine Tüte Andeutungen bei seinen Kurzauftritten hinterlässt und hinterher frechweg behauptet, er hätte das ja alles schon vorher gewusst, bis auf...ja, halt den Namen des Täters...weswegen er sich dann auch von einem zufällig des Weges kommenden Mägdelein seinen Tweed-Popo retten lassen muss.

Ich fasse diesen Mummenschanz jetzt mal mit gebührender Kürze zusammen…

Der Nebel des Schreckens»Sie sollten wissen, dass Frauen neugierig sind. Ich möchte ihre Tochter werden, um dahinterzukommen, weshalb ich Ihre Tochter sein soll!«
Topsi Gardener (Mädel Nr. 1) – wohl nicht mehr minderjährig, aber ohne Kohle, seit ihre Eltern durch den obligatorischen Autounfall entlebt wurden und nur Schulden hinterließen – sucht eine Stelle, ist sich aber zu gut, um als Dienstmädchen zu schuften und lässt sich von dem „gefährlich und harmlos“ erscheinenden Professor Chantier als „Tochter“ engagieren.

Inspektor Percy Brook taucht wie aus dem Nichts auf der Szenerie auf, warnt vor dem „netten Onkel“ (hint, hint!) und startet den Plot, indem er vor einem seltsamen Mörder namens „Nebelgesicht“ warnt, der reihenweise Mitglieder einer Verbrecherbande meuchelt, die auf den UNGEHEUER KREATIVEN Namen „Die große Bande“ hört (und die jeder kennt, obwohl sie irre geheim konstruiert ist).

Judy Lane (Mädel Nr. 2) ist üppig und blond und trägt diese Qualitäten in der großen Bande als Randfigur zu Markte, weil sie mit dem Geldschrankknacker Kid Saverling (aaaaah…) rumturtelt. Just als dem die Muffe geht, weil sein Kollege Carson von Nebelgesicht erschossen wurde, taucht die Bullerei auf und eröffnet angesichts seines Fluchtversuchs sofort mal das Feuer. Man sackt sie persönlich nicht ein, aber sie fliegt aus ihrer Pension, lernt aber kurz darauf sofort im Café einen netten Mann kennen, der sich Jack Wilson nennt und ein Polizist sein will – jedoch weiß nicht mal Judy, wie der gesuchte „GROSSE BOSS“ denn nun wirklich ausschaut. Weil sie Schiss kriegt, dass Wilson vielleicht der Boss sein könnte, verduftet sie, wird dann aber von Kid telefonisch des Nächtens in die schlimmste Straße von London bestellt.

Eliza Townman (agrah…) (Mädel Nr.3) ist nicht ganz so arisch-üppig, hat aber zwei Leberflecke, einen betuchten Vater, der wahlweise nach Tageszeit mal vierzig und mal sechzig zu sein vorgibt und in der Nacht angeblich in einem Boot auf der Themse Gedichte strickt (oder Heizöl), was sogar die naive Eliza schon als Lüge durchschaut hat, doch ihr Erzeuger lässt sie stets dödelig abblitzen. Und sie wohnt immerhin auf einem dicken Landsitz namens „Red House“ (uijuijui…) in Themsenähe (wir sind in London, der ganze Roman spielt somit IMMER in Themsenähe!) mit Butler und einem immer abgeschlossenen Ostflügel (aha…)

Weil sie mit dem Kokolores ihres Vaters nicht zurecht kommt (wir Leser auch nicht), vertraut sie sich James Hutton an, der in der nahen Pension von Mrs. Cooker (tatsächlich seine Mama) wohnt und eine geheime Agenda verfolgt, die ihn natürlich auch zu einem der Boss-Anwärter für alle und jeden außer Eliza macht (die ja davon noch gar nüscht weiß).

Eines Tages taucht Chantier mit aller gebotenen Dreistigkeit im Red House auf und mietet sich verbal schon mal schnell samt seiner „Tochter“ im Ostflügel ein. Er bezeichnet sich als alter Freund von Vati Harry Townman, labert erst ihr die Schatulle zu, dann hinter verschlossenen Türen ihrem Vater. Dabei hat er eine Pralinenschachtel und Interesse am Ostflügel mit „Folterkammer, Kerker und Laboratorium“ (holla!), wie Eliza mühsam klar an der Tür erlauscht.

Später knackt sie ein paar Schlösser und schaut sich die Pralinenschachtel an, in der sie seltsame Patronen findet. Plötzlich legen sich ihr (ungesehen) die Hände von James Hutton um den Hals und als sie wieder aufwacht, sind die Patronen weg. Also rast sie wie der böse Watz durchs Haus und das anschließende Gelände und findet schließlich Huttons Motorrad und einen bärtigen Mann im Gebüsch, den sie nicht erkennt (es ist übrigens Hutton, warum und wieso ist eigentlich egal…). Da endlich meldet sie sich bei der Polizei.

Teresa Conway (Mädel Nr.4) ist überhaupt kein Mädel mehr, sondern mollig und verheiratet und zwar mit dem nächsten Verdächtigen, dem Fotografen Luke Conway, der angeblich für eine amerikanische Zeitung arbeitet und auch eine geheime Agenda hat. Nebenbei pflegt er – grundlos – nur Frauen zu fotografieren, was seine kreuzblöde Gattin natürlich besorgt sein lässt. Auch er redet mit seinem Gschspusi nur Dünnsinn, deutet aber an, dass er irgendwen umbringen muss. Na denn...

Eliza eilt derweil zu Mrs.Cooker, um ihr die eventuell beunruhigende Nachricht beizubringen, doch die führt sich nur auf wie die Mama von Norman Bates. Als sie jedoch erfährt, dass James in Gefahr sein könnte, betäubt sie auf Ansage und trotz aller möglichen Befürchtungen ihres Opfers das Mädel mit einem Tee.

Es ist Nacht geworden und Judy hat sich wie bestellt in der finstersten Ecke Londons eingefunden, wo sie Kid trifft. Der wird auch getroffen und zwar von dem unheimlichen Nebelgesicht, wobei zu erwähnen (nicht zu erklären) wäre, dass die ganze Gestalt angeblich nur aus Nebel besteht. Auf jeden Fall: Herztreffer.
Die Polizei kann Judy jedoch retten und Wilson redet ihr schon halb verliebt ins Gewissen. Da fällt Judy das erste Mal ein Merkmal des Bosses ein (folgenlos).

Derweil scheinen Hutton und seine Mama die bewusstlose Eliza in einem Kahn auf und dann in die Themse zu verfrachten (wieso...warum?). Das wird aber von Chantier beobachtet (der vorab mit Topsi mal wieder rätselhaft-schmierige Alibi-Gespräche führt), der gemeinsam mit Topsi die Schöne aus dem Boot rettet. Wieder im „Red House“ führt die Wiedererweckung (mittels starkem Kaffee!!!) jedoch zu seitenlangen Eifersüchteleien und spitzen Bemerkungen seitens Topsis. Schließlich geht der Professor in die Apotheke und kurz darauf hört man Schüsse und Nebelgesicht nähert sich dem Haus… (uhaha! Buh! Fadeout!)

Teresa Conway findet derweil ihren Männe Luke tot („fake scare“) vor seinem Bett (getrennte Schlaf- und Hotelzimmer!!!). Plötzlich ist er nur bewusstlos und dann ist er angeblich mit seinem Vorhaben gescheitert, den „Anderen“ zu vernichten. Soso…

Jack Wilson bringt derweil – erfolglos – Judy in Sicherheit in das Haus seines Bruders, welches sich  - REIN ZUFÄLLIG – in der Nähe des „Red House“ befindet. Weil er das Schloss verwechselt (englische Häuser sehen ja alle gleich aus), kriegt er die Tür nicht auf und wird von zwei Gestalten angeschossen. Judy versucht sich darauf versehentlich an der nächsten Tür, öffnet diese erfolgreich, verbarrikadiert sich mit ihm drinnen, versorgt seine Wunde top-improvisatorisch und verliebt sich endlich mal in ihn (notfalls hat sie auch noch einen Revolver im Strumpfband…hui…).

Der Nebelmann verschwindet vom „Red House“-Gelände und der Professor taucht mit zerkratztem Gesicht wieder bei Topsi auf (Erklärung: irgendein Stuss!). Chantier bringt sie in den Ostflügel und lässt sie dort zurück. Irgendwann kommt er dann wieder zurück und derweil ist die benommene Eliza flöten gegangen. Nebenbei sind im Haus irgendwo Schreie zu hören. Inzwischen ist auch Topsi überzeugt, dass Chantier der Täter sein könnte, doch er beschwichtigt sie (mit irgendeinem Stuss, diesmal romantisch), woraufhin sie sowohl fluchtwillig als auch emotional feucht im Schritt wird.

Derweil werden Judy und Wilson von den Angreifer belagert und mit Maschinenpistolen behakt, doch Nebelgesicht greift sich einen der Angreifer (wenn ich den sinnfreien Zusammenhang begriffen habe, müsste das James Hutton gewesen sein). Anschließend greift auch noch Mrs. Cooker mit einer Axt die Tür an (holla) und lässt sich durch die Bitte vertreiben, sie möge doch bitte die Polizei anrufen, um ihr Bengele wieder zu bekommen.

Eliza wacht derweil in irgendeinem Keller im Red House wieder auf und findet den angeketteten James Hutton, der unbedingt auch den Boss erlegen will und Townman und Chantier in Verdacht hat. Tatsächlich ist Hutton Versicherungsdetektiv. Natürlich wird sich sofort und endlich ineinander verliebt.

Während alles auf den Showdown wartet, sülzt Chantier Topsi auf gepackten Koffern solange mit irgendeinem unpassend klebrigen Schwulst zu, bis die fast das Röckchen fallen lässt. Kurz darauf findet sie eine Geheimtür in den Keller, wo Chantier sie prompt auch noch einschließt.

Derweil kommt Judy endlich auf die noble Idee, mal Brook anzurufen. Da sieht sie einen Mann auf der Straße, der – sapperlot – ein weiteres Merkmal an sich hat, dass Judy mit dem Boss verbindet, das zwanghafte Schließen der Hände. Also schnappt sie sich Wilsons Knarre und läuft dem Mann hinterher.

Chantier und Townman warten jetzt also gemütlich auf „Ihn“ und „er“ kommt auch schon: Brook taucht auf.
Kaum hat man ein paar sinnarme Frotzeleien ausgetauscht, kommt plötzlich Luke Conway mit seiner Kamera aus dem Gebüsch, die sowohl eine Waffe wie auch einen Nebelwerfer enthält (aha!).

Die Herren sind praktisch mit herunter gelassenen Hosen erwischt worden, doch Judy spurtet heran und eröffnet das Feuer. Sie bekommt einen Streifschuss ab, aber Luke wird von ihr zielsicher getroffen.

Und wen wollte Luke umbringen? Sich selbst, sein böses Ich! (Ja, da hadere ich auch immer mir drüber…)

Und nu noch die nachträglichen Erklärungen: Luke wollte mit dem Ermorden seiner eigenen Bandenmitglieder seiner eigenen bösen Seite schaden zufügen. Professor Chantier ist von der Abwehr, Townman ein alter Kollege. Topsi sollte seine Tochter spielen, weil sein Gegner wusste (soso...), dass er keine Tochter besaß. Townman geht nicht nächtens im Boot dichten, er fängt auf eigene Faust Verbrecher. Hutton war auf Chantier erpicht gewesen, weil Conway ihm den Professor als mögliches Ziel verkauft hatte.  Weil Townman und Chantier nicht wussten, wer Hutton war, hatten sie ihn sicherheitshalber in den Keller gebracht. Das Nebelgesicht, dass Hutton überwältigt hatte, war Chantier, der auch so eine Maschine besessen hatte (Echt jetzt?). Der vergiftete Tee sollte ursprünglich Eliza zur möglichen Geisel machen, weil man Townman für den Boss hielt. Ach ja, und Kerker, Folterkammer und Laboratorium sind nur die Tarnnamen für die Versammlungsräume im Ostflügel. (Ich kündige!)

Eliza bekommt ihren James, Wilson seine Judy und Chantier darf endlich seine Topsi abschlabbern (iäääh…)! Amen!

Der Nebel des Schreckens»...doch wenn ich schon sterben soll, will ich wenigstens in Schönheit sterben, und deshalb werde ich mich jetzt rasieren!«
Jupp – und diese nachträglichen Erklärung sind auch samt und sonders alle nötig, um die Riesenlöcher im Plot zu erklären, durch die man locker ganze Tarnkappenbomber fliegen lassen könnte, aber das macht effektiv den Kohl auch nicht mehr fett.

Zuvor hat das dauernde banale und ziemlich unangebrachte hölzernde bis schmierige Liebesgesäusel zum falschen Zeitpunkt schon jeden positiven Impuls abgetötet und die zusammenhangsarme Aneinanderreihung von seltsamen Bedrohungsszenen und schrecklichen Funden, die sich dann als gar nicht so schlimm erweisen, nimmt ohne jede erzählerische Erdung dem Geschehen den kompletten Reiz. Warum Hutton die gute Eliza übrigens wegen der Pralinen-Patronen ohnmächtig würgt und was die Projektile sollten (vielleicht ja Chantiers eigene Nebelmunition), wird nie so recht geklärt – wenn es so wäre, hätte der sich ja im Besitz einer Nebelwaffe befunden…

Ein schriftstellerisches Glanzlicht ist es übrigens (nicht!!!!), den Fokus des Erzählens überwiegend auf die vier Damen der Handlung zu verteilen, von denen sich genau alle ununterbrochen im emotionalen Streit mit sich selbst befinden und die sich von scheinbaren Lebensgefahren ständig beinahe zu Tode erschrecken lassen, um dann doch am gleichen Punkt aus Neugier weiter zu machen, während sie darüber nachdenken, ob dieser oder jener männliche Partner gut zu ihnen passen würde. Oder eben nicht. Oder doch. Oder nicht.

Bisweilen wird in einem kurzen Absatz mit zweieinhalb Sätzen dreimal die Emotion gewechselt, ohne dass etwas den Prozess von außen beeinflusst hätte, was für ein mental sehr zerfahrenes oder sehr unreifes Frauenbild spricht, dass Hilgendorff hier im Übermaß verwendet.

„Damsel in Distress“ ist zwar als Element ein literarischer Klassiker, aber die Gefahr liegt darin, das scheue Vögelchen nicht zu doof werden zu lassen und wenn man bei der Lektüre ständig laut schreiend denkt: „Kann die Trulla sich endlich mal entscheiden oder muss die nur mal mit jemanden in die Kiste?“, dann sind die Präferenzen falschen gesetzt.

Die Männer dieses Romans sind eigentlich nur Chiffres, Rote Heringe und dumpfe „plot devices“, die nicht viel zu tun haben, außer ihre wahre Existenz zu verschleiern. Der Einzige, der proaktiv leitend tätig ist, der gute Wilson, kassiert zur Mitte eine Kugel und liegt darob im Bett darnieder. Hilgendorff tut alles, um Hutton verdächtig zu machen, was auch nur so gut wirkt, weil Townman praktisch nie im Roman auftaucht und Chantier sich wie ein romantischer Volldepp benimmt (oder ein öliger Verführeronkel, je nach Geschmack).

Dass Conway schlussendlich gegen sich selbst kämpft, ist dann auch ein Janusköpfchen für die Arschtasche: nobel und dämlich zugleich. Aber immerhin ist er nicht schnell entlarvbar.

Und Brook, ach der hat nur Kurzauftritte und keine wesentliche Funktion, steht aber ständig mahnend im Hintergrund – da ist wohl sogar dem Autor aufgefallen, dass er mit dem blassen Titelhelden keinen (Roman-)Staat machen kann.

Möglichst mysteriös sollte es wohl sein, aber das eigentliche Mystery-Element, die Nebelfresse, hat eigentlich außer als Gadget keine Bedeutung (Hallo, deutsche Edgar-Wallace-Reihe!). Man erfährt nie, wie das Teil eigentlich funktioniert, vermutlich hüllt es seinen Träger ein. Allerdings wird der Nebel im Roman mehrfach als „Nebelgesamtkörper“ beschrieben, was nicht so schlüssig ist, da Nebel sich ja nicht der Figur anpasst, vor allem, wenn er aus einer Kamera dringt. Dass Chantier am Ende auch noch so ein Teil besitzt, ist dann der Bud-Spencer-Gedächtnis-Schlag in die Fresse, aber das spielt auf den Seiten 64/65 dann sowieso schon keine Rolle mehr.

Da hat der Autor dann zur Genüge angeteasert, falsche Fährten gelegt und den Lesern unwohlige Beinahe-Schocks bereitet und das Mysterium so weit ins Lächerliche ausgebreitet, dass das Interesse erlahmt. Das läuft speziell so, weil niemand den Leser durch die Handlung leitet, der erkennbar halbwegs seine sieben Sinne noch zusammen hat.

Gut, das Frauenbild entspannt dem deutschen Billigstandard der 30er bis 50er und sollte nicht zu hart angegangen werden – dann darf man den Käse aber nicht in den 80ern nochmals auf den Markt werfen. Und wenn ich mir im Vergleich etwa die Frauenfiguren in der historisch etwa parallel verorteten Krimi-Ware aus dem englischsprachigen Raum ansehe (bspw. „The Spiral Staircase“), dann gehörte Hilgendorff vermutlich eher noch dreißig Jährchen rückwärts.

Alles in allem aber bedenklich als literarische Untergattung, denn es fällt peinlicher aus, als die Nippeleskapaden in manchen Zamorra-Romanen oder die gewollte Schlüpfrigkeit so mancher 70er-Serie. Und dann ist da noch die Gewissheit, dass diese Knaller vermutlich auch in meiner Familie gängige Freizeit-Literatur darstellten, als meine Onkel im Wirtschaftswunder noch jung waren.

Dennoch bin ich überzeugt, dass damit das Schlimmste überstanden ist und ich nicht nochmals in so eine Niveau-Untiefe gerate, denn schlimmer geht es nun wirklich nicht mehr. Wer mal herzhaft lachen möchte, lege sich eins dieser Papierverbrechen zu...

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Kommentare  

#1 Andreas Decker 2017-10-31 14:21
Ich habe nur einen Brook gelesen, den ich in einem Krimipaket billig ersteigert hatte. Ein fürchterlicher Stuß. Grenzdebile Heldinnen, eine lächerliche Ermittlung und ein paar Einzelheiten, die einem heute die Sprache verschlagen. Dagegen war Kommissar Wilton ein Spitzenkrimi.
#2 Harantor 2017-10-31 14:44
Ich glaube mal Silvan wird auch nicht mehr als einen Brook lesen. Und ich teile Deine Einschätzung was Wilton angeht ...
#3 Heinz Mohlberg 2017-11-01 18:14
Geschafft hat Kurt Müller das offenbar mit diesem und anderen Pseudonymen nicht und Broterwerb ist sicher kein Verbrechen, aber UNNÖTIG ist diese furchtbare, in den Jahren 1985/86 erstellte Romanheftneuauflage uralter Kelter-Krimis auf jeden Fall. Zum Glück erkannte das wohl auch die Leserschaft und so endete der letzte Versuch dieses typisch germano-britischen Muckelpolizisten von Scotland Yard nach nur 20 von über 70 Nachdrucken, was der Autor wohlweislich nicht mehr miterleben musste, hatte er doch 1982 bereits im seligen Alter von 87 Jahren den Löffel geschmissen.

Kelter praktiziert seit rund 30 Jahren das Verfahren, rund 90 % seiner Reihen nach spätestens 20 Heften einzustellen, da dann der erste "Hype" vorbei ist. Dabei ist dem Verlag eigentlich scheißegal was die Leser denken, im Archiv lagert genügend alter Müll, der sich gewinnbringend vermarkten lässt.
Ren Dhark z.B. wäre bebstimmt inzwischen bei der 6. oder 7. Auflage, wenn der Verlag damals aus Geldgier die Rechte nicht so preiswert abgegeben hätte (die beißen sich wahrscheinlich heute noch in den Hintern...).
#4 Harantor 2017-11-01 20:09
zitiere Heinz Mohlberg:
Ren Dhark z.B. wäre bebstimmt inzwischen bei der 6. oder 7. Auflage, wenn der Verlag damals aus Geldgier die Rechte nicht so preiswert abgegeben hätte (die beißen sich wahrscheinlich heute noch in den Hintern...).


So war das nicht Heinz. Die Erbin bestand via Nachlassverwalter (das war damals ich und daher kann ich dazu in der Tat so genau Auskunft geben) darauf, dass die Serie überarbeitet werden müsste (dieses Recht steht Autor/Erbe zu), sonst würde es nicht die Zustimmung zu einer weiteren Auflage geben. Letztlich einigte man sich darauf gegen die Zahlung eines eher niedrigen Betrages, alle Rechte an die Erbin zurückzugeben. Also mit Sicherheit wäre REN DHARK nicht in einer sechsten oder siebten (unveränderten) Neuauflage.
#5 Sarkana 2018-06-17 14:44
zitiere Harantor:
Also mit Sicherheit wäre REN DHARK nicht in einer sechsten oder siebten (unveränderten) Neuauflage.

Nya, dann hätte man hallt ein bisschen was rungedoktort. Bin mir da zugegeben nicht sicher, aber jeden Roman einzeln absegnen hätte sie wohl eher nicht müssen. Inden Hintern beißen werden sie sich in jedem Fall - leicht überarbeiten und dann noch zehn mal auflegen hätte mehr Kohle eingebracht als der damalige Verkauf.
#6 Heinz Mohlberg 2018-06-18 18:46
Und ich weiß, was damals gezahlt wurde; da hätte ich locker noch was draufgelegt.
#7 Harantor 2018-06-18 19:18
Kelter hat mit mir stundenlang zusammengesessen und wir haben mögliche Bearbeitungen besprochen.

Kelter hat mir dann, als icha uf dem Heimweg war, einen Brief geschrieben, dass RD unbearbeitet immer wiederaufgelegt werden würde, aber jede Form der Bearbeitung rundweg ablehnen. Und dann kam HJB: Der Rest ist Geschichte
#8 Sarkana 2018-06-18 20:56
Dummheit wird manchmal eben doch bestraft. ^^
#9 Laurin 2018-06-18 21:42
Nun ja, Kelter sucht ja eigentlich den (zumindest kleinen Gewinn) für Nüsse. Überarbeitungen kosten ja erst einmal was und das will man sich absolut sparen weil das nicht in ihre Kalkulation passen will.
Von daher war es für REN DHARK wohl besser so, wie es am Ende dann auch gelaufen ist.
#10 Heinz Mohlberg 2018-06-18 23:53
Dass Problem war/ist doch, dass diesem Retortenverlag jeder Pfenning an Invesition zu viel war.
Da waren Leute in der Warteschlange, die für relativ wenig Geld die Serie modernisiert hätten...
Es wundert nur, dass für die 3. Auflage neue (hier aber auch teilweise in Zweit- oder Drittverwertung) Titelbilder verwendet wurden.
Kelter hat leider nie die Möglichkeiten dieser Serie erkannt... (was in der Folge daraus gemacht wurde, steht auf einem anderen Blatt).
#11 Advok 2018-06-19 19:58
zu #10: Heinz, so ganz verwundert das Vorgehen Kelters nichts: Hätte Kelter der Überarbeitung von Ren Dhark zugestimmt (und sei es auch noch so billig), hätten die Autoren/Rechteinhaber anderer Serien/Reihen das gleiche gefordert - ohne relativ günstige Überarbeiter bieten zu können.
Ren Dhark hätte dem Verlag sicherlich Geld bringen können, aber der Gewinn wäre wohl niedriger gewesen als wenn die anderen Serien/Reihen wie bisher regelmäßig ohne Überarbeitung gebracht werden. Da hilft eine Serie in der Brandung nichts …

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