»Schön war die Jugend?« - Ausflüge in die Romanheftvergangenheit: Todesrakete aus der Wüste (Silber-Krimi Spionage 1049)
Ausflüge in die Romanheftvergangenheit:
»Todesrakete aus der Wüste«
Silber-Krimi Spionage 1049 von Harry Tanner (Karl Wilhelmi)
Heute also mal wieder Anthologietieftauchen, diesmal beim seligen Zauberkreisverlag, der uns ja den seligen Larry (Brent) und sehr viele andere Retter der Menschheit schenkte, die – wie ich hier brav lernen durfte – in sensationellen 1094 Folgen der Reihe „Silber-Krimi“ gegen das Verbrechen und/oder das Böse kämpften, wahlweise in bewährter Krimitradition oder mit entsprechendem Gruseltouch (ab Ende der 60er) oder eben in den letzten Zügen als vornehmliche Spionagekrimi-Serie, als sich die Gruselpeters selbstständig gemacht hatten und ihre eigenen Kreise drehten.
So ganz ohne Enttäuschungen geht es natürlich nie ab, denn in Unkenntnis der Sachlage hatte ich natürlich den Ersteindruck, es hier mit einem leicht ranzigen Relikt aus den Tagen zu tun, als Bond die Welt regierte und die Epigonen, von Agent S3S bis zu den Herren Derek Flint und Matt Helm, ihren Teil vom Kuchen klauten, mit leicht geschürzten Girls und wahnsinnigen Weltverderbern natürlich inclusive.
Meine Enttäuschung war groß, als ich nun feststellen musste, dass mein Roman im Oktober 1975 auf den Markt kam – allerdings war ich da schon vorab stutzig geworden, als im Text auf Vietnamkämpfer verwiesen wurde, die schon ein Jahrzehnt wieder zu Hause waren.
Also war zu vermuten, dass diese Story tatsächlich in den 70ern angesiedelt sein sollte, auch wenn die Chance bestand, dass Harry Tanner, hinter dessen äußerst harmlosen Pseudonymangaben sich der Autor und Übersetzer Karl Wilhelmi verbarg, die Stoffe schon einige Zeit zuvor verfasst und als Leihbuch veröffentlicht hatte – Silber-Krimi war eine Musterserie für Zweitverwertungen von Leihbüchern und Übersetzungen.
Zu Wilhelmi kann nicht viele Worte verlieren, denn allzu viele Spuren finde ich nicht zu dem Autor, von dem ich nur weiß, dass er an „Franco Solo“ beteiligt gewesen sein soll. Aber während andere Autoren schon lang und breitgetreten wurden, ist Wilhelmi nicht zu post-seriellen Ehren gekommen, weil er etwa das Gros einer bestimmten Serie geschrieben hätte.
Wer also etwas dazu weiß, kann hier gern noch Lücken in den Kommentaren füllen.
Davon abgesehen haben wir es hier mit einem durchaus kompetenten Spionagekrimi zu tun, ohne „high camp“, bar jedes Anflugs von Sex, aber gleich mit weltumspannender Bedeutung.
Was aber nicht darüber hinweg täuschen darf, dass das Sujet anno 1975 schon ziemlich veraltet war. Die „Todesrakete“ wirkt nicht nur wie der zweite Teil von „Geheimagent Barrett greift ein“ (1964), er atmet praktisch durchgängig das komplette Flair – nur eben gut ein Jahrzehnt zu spät.
So haben wir es hier dann doch mit einem Roman für harte Männer zu tun, in dem Frauen dann doch eher zurückgelassene Randfiguren spielen müssen, auch wenn das 1975 schon aus der Zeit gefallen schien. Doch wer hat je gesagt, dass Heftromane die Moderne bedient hätten – eher funktionierte das Format zum nostalgischen Nacharbeiten!
Jetzt starten wir aber in die schöneren Schluchten des Amerikanischen Westens, wo in der Gerald-Ford-Präsidentschaft noch die lustigen Interkontinentalatomsprengköpfe auf Raketen gen Sowjetunion ausgerichtet waren…
»Er war 32 und wäre beinahe ein sogenannter schöner Mann gewesen: Er war 1,83 groß, schlank in den Hüften und wuchtig in den Schultern. Er konnte lächeln, dass es einem Vertrauen einflößte, und besaß eine Baritonstimme, bei deren sonorem Klang sich schon mancher gewundert hatte, warum Moran nicht Sänger geworden war – statt CIA-Agent.«
Wir beginnen in der Nähe von Kansas City, wo zwei undurchsichtige Jungs, einer blond, der Andere glatzköpfig unterwegs zu seinem schattigen Deal sind. Gleichzeitig entwendet ein monetär bedürftiger Firmenarbeiter namens Joe Dale vierzig Fuß eines Spezialkabels aus seiner Firma, weil man ihm dafür zehn große Lappen versprochen hat, davon aber noch fünf fehlen.
Als sich die Parteien im düsteren Highland Park schließlich zur Übergabe treffen, ahnt man schon, dass Joe das Geld nicht mehr ausgeben wird. Stattdessen gibt es drei schallgedämpfte Kugeln.
Drei Abende später sitzen die Wachleute der Californian Computer Company (hihi) beim Kartenspiel, als besagte Männer plus ein Kollege am anderen Ende des Geländes einbrechen, um etwas zu stehlen. Leider bleiben sie nicht unbemerkt und auf der hastigen Flucht pusten die Wachleute dem Blonden das Lebenslicht aus.
Nun tritt, angefordert von seinem Chef McLeighton, der CIA-Agent Richard Moran auf den Plan, denn selbst die für das Ausland zuständige Behörde hat hier plötzlich eine hochaktive Inlandsabteilung.
McLeighton hat nicht nur von den anderen zwei Fällen zu berichten, sondern auch vom Verschwinden eines gewissen Fred Jackson, der zuvor Atomraketensilos gebaut hat. Da Moran ein helles Köpfchen ist, addiert er diese Tatsache zum Verlust von Spezialkabeln und Spezialcomputerzubehör und weiß, wie der Hase läuft. Dazu kommt noch die Leiche von Blondie, die einst auf den Namen Frank Drury hörte.
Sofort hängt der Horror eines von Dritten ausgelösten Erstschlags in der Luft und Moran macht sich auf die Socken.
In Los Angeles sucht er zunächst Jacksons Heimstatt auf, die dieser mit einem alleinstehenden Architekten namens Glenn Pulaski geteilt hatte. Jackson war geschieden und Pulaski erklärt sich zum passionierten Junggesellen (Wechselrammler!), so lag die WG nahe. Ein teil von Jacksons Sachen fehlt, Moran nimmt dazu dessen Medikamente noch mit.
In der Mojave Wüste unternimmt besagter Jackson gerade leicht bekleidet einen Fluchtversuch, wird aber von Glatze Oscar und einem weiteren Verfolger namens Pete wieder einkassiert, bevor er die Ränder der Zivilisation erreichen kann.
Bei CC und Company erfährt Moran, dass man mit all den Teilen tatsächlich eine Rakete starten könnte – und erfährt so nebenbei, dass den Leuten auch noch jemand fehlt. Ein Mitarbeiter namens Albert Trenton ist nach seinem Jahresurlaub (fünf Wochen, so viel hat niemand in den Staaten) einfach nicht mehr wiedergekehrt. Trenton hat wohl eine unfreundliche Frau und spielt ganz gern, noch etwas zum Überprüfen für Moran.
Tatsächlich erweist sich Ehegespons Catherine als Pfarrerstochterdrache mit Arroganzstörung, aber Tochter Claire ist ganz niedlich und hat auch die Zurechnungsfähigkeitsprüfung abgelegt. Sie erzählt Moran, dass ihr Vater wohl angenommen hatte, bald Millionär zu sein und alle Schulden abzubezahlen.
Moran ist so solide, dass er nicht mit ihr rumschnubbelt, sondern verifiziert (bei einem dicken Halbweltkoloss), dass es wohl so um die hundert Riesen Schulden seien.
Trenton montiert derweil unwirsch in einem Jagdhaus in den Bristol Mountains eine Apparatur, während sich Jackson offenbar noch unkooperativ gibt.
Überzeugt, dass Trenton freiwillig verschwunden ist und unsicher bei Jackson, macht sich Moran auf nach St. Louis. Dort sucht er Drurys desillusionierte Frau auf, die ihm einen Tipp gibt, wo er in einer Bar mal nachforschen könnte.
In der Bar stöbert er einen gewissen Tony auf und gibt sich als alter Komplize aus, fliegt aber sofort auf und wird per Messer angegriffen. Kein Problem für Richard, der den bösen Mann entwaffnet und so zumindest die Namen der Komplizen aus ihm rauspresst.
In der Wüste versucht Trenton derweil per Millionenangebot, Jackson zur Mitarbeit zu bewegen. Offenbar weiß Jackson von einem Ort, an den er die Männer führen soll. Weil er um sein Leben fürchtet, schweigt er jedoch.
Dennoch geht in Washington D.C. schon mal der Erpresserbrief per se ein, wonach der fiese Mob in der Lage sein soll, eine Mehrfachsprengkopfrakete zu starten und dafür binnen 36 Stunden fünf Tonnen Gold fordert, zuzustellen per Flugzeug.
Entsprechend besorgt ist man in der Regierung, denn stoppen kann man so eine Rakete nur eine Weile nach dem Start, andernfalls müsste man die Russen bitten, sie zu stoppen, was nicht so dolle aussehen würde. Und ganz deaktivieren geht schon mal gar nicht.
Nachdem er Claire um eine Aufstellung der fehlenden Kleider ihres Vaters gebeten hat (offenbar eine heiße Gegend), kommt Moran auf den Trichter, dass er bei Gelegenheit etwas wichtiges gesehen hat, was am Rande seiner Wahrnehmung herum geistert. Schließlich fällt ihm ein, dass er bei Tony ein Foto gesehen hat, was nochmaliger Überprüfung bedarf und eilt wieder gen St. Louis (er macht Bonusmeilen!).
In der Zwischenzeit ist Jackson mittels Elektroschocks zum Mitmachen „überredet“ worden (James Bond wäre das nicht passiert!). Offenbar gehörte er vor Jahren zu einem Kabelmontageteam, welches in der Wüste auf eine Reihe von Tropfsteinhöhlen gestoßen war. Man hatte die Raketenverbindungskabel an einer Stelle durch die Höhlen verlegt und mit Beton verkleidet. Die Story hatte er vor Jahren mal Trenton erzählt, einem alten Bekannten von einem Bauauftrag, der mit ihm eine Weile lang um die Häuser gezogen war. Irgendwann war er dann plötzlich entführt und verschleppt worden.
Gemeinsam machen die Männer also eine größere Bergwanderung und lassen sich den ungefähren Ort zeigen. Dann taucht der bisher nicht in Erscheinung getretene Boss des Unternehmens auf und gibt Trenton die Anweisung Jackson auf keinen Fall zu erschießen, sobald alles vorbereitet ist. Die Männer dringen dann in eine alte Mine ein, durch die Trenton eine Weg in die Tropfsteinhöhlen gefunden hat. Als sie die betonverfüllte Stelle finden, graben sich die Männer zum Kabel durch und installieren so etwas wie eine bedienbare Zwischenschaltung, was bei der Air Force nicht bemerkt wird.
In St. Louis hat sich Tony leider mitsamt des Fotos unbekannt verzogen.
Seine Frau kann aber einen Tipp geben und man stöbert den Flüchtigen in seiner Hütte wieder auf. Auf dem Foto erkennt Moran alte Kriegskameraden aus Vietnam und einen Mann namens „Gordon Kaye“, wie Tony angibt.
Das Gold wird inzwischen bereits zum ausgetrockneten Bristol Lake geflogen, wo der „Boss“ offenbar mit Hubschrauber darauf wartet, nach der Lösegeldübergabe mit den Komplizen zu Onkel Fidel nach Kuba zu fliehen. Moran ist unter Druck, denn der Präsident ist kurz davor, den Russen notfallbedingt ein paar Codes auszuhändigen. Immerhin ahnt er nun die Gegend, in der sich die Erpresser befinden, weil er den Boss und seine Besitztümer kennt.
Trenton installiert sich derweil eine nukleare Rückversicherung, falls sein „Boss“ ihn betrügen sollte und denkt daran, Jackson dennoch bei einem fingierten Fluchtversuch umzulegen. Der hat sich aber mittels eines spitzen Steins aus der Mine selbst schon von dem brüchigen Balken befreit, an den er gekettet war und kloppt Trenton auf dem besten Wege zur Flucht ordentlich auf die Fontanelle, um dann selbst zu türmen.
Moran und seine Leute, Claire in Reserve, überwachen inzwischen die Hütte der Männer und warten die Landung der Goldmaschine ab. Als das geschieht, fliegt auch der „Boss“ an, zeigt sich aber höchst unwillig, dass seine Kumpane den guten Jackson nicht mehr bei sich haben und „smells a rat“. Bevor sie sich jedoch in die Haare kriegen können, greift der Staat zu und rückt gegen die Erpresser und ihren Organisator vor, letzteren hatte Moran unter dem Namen Glenn Pulaski kennen gelernt!!!
Die Komplizen werden überwältigt, Trenton gibt auf, doch Pulaski flieht. Als Moran ihn vermeintlich einholt, findet er zu seiner Überraschung Jackson, der ihn zu der Mine und den anschließenden Höhlen führt, wo der Gangster vielleicht Finsteres vorhat. Tatsächlich neigt Kaye zur Affekthandlung, bevor Moran ihn abschießen kann – aber zum Glück hat Moran vorher alle Raketen in dieser Gegend deaktivieren lassen.
Danach darf ein US-Agent dann auch die hübsche Claire mal zum essen besuchen – dass er aber angeblich Pulaski schon immer in Verdacht hatte, weil dieser zwar Jacksons Klamotten entfernt, aber seine Medis vor Ort gelassen hatte (was für eine getürkte Entführung sprach) ist dann doch im Kontext ein wenig an den Haaren herbei gezogen.
»Ich erwähne das nur, damit Sie nicht auf abwegige Gedanken kommen, weil hier zwei Männer zusammen unter einem Dach wohnen. Jackson ist genauso normal wie ich.« (Gesund und munter und nicht schwul...dann ist ja gut…)
Das Wesentliche hatte ich ja dieses Mal schon erwähnt: rundum eigentlich ein recht kompententer Spionagekrimi ohne diese Fantasiefisimatenten Hollywoods. Stattdessen recht ordentliche Ermittlungsarbeit, die allerdings über die volle Seitenzahl auch stark von Zufällen abhängt, wie z.B. Drurys Tod oder eben dem so nebenbei wahrgenommenen Foto der Vietnamkameraden, die dem Roman einen echten Giallo-Moment verpassen. (In diesem italienischen Filmuntergenre geht es meistens um die Identifikation einer Person oder eines Falldetails, das der Protagonist unbewusst wahrgenommen hat, das ihm aber meistens erst zum oder kurz vor dem Showdown wieder einfällt oder bewusst wird.)
Leider funktioniert der Effekt besser gesehen als gelesen, dennoch ein ordentlicher Dreh, auch wenn hier Autor Wilhelmi zwangsläufig den halben Roman den guten Moran herumlaufen lassen muss, ohne den Identitätstwist aufzuklären, obwohl Moran den Mann bereits auf dem Bild erkannt hat.
Ermittlungtechnisch ist das alles sauber geschrieben, es fallen keine Wunder vom Himmel, stattdessen puzzelt der CIA-Agent alles Nötige mit Hilfe seiner Behörde und Kollegen nach und nach zusammen. Dass solche Kabel, notdürftig mit Beton verplombt, allerdings durch Tropfsteinhöhlen geführt werden, kann man nur als Schluderei bezeichnen und sind wohl mehr dem Plot geschuldet.
Ein wenig unerklärlich ist auch, dass Trenton die ganze Zeit als gieriger Attentäter mit wenig Bedenken präsentiert wird, während Kaye Jackson dauernd schonen möchte, beim Zugriff aber Trenton sofort aufgibt, während jetzt Kaye zum berechnenden Rote-Knopf-Drücker mit möglicher monumentaler Opferquote wird.
Ansonsten bleibt es aber bei relativ wenigen unnötigen Schnörkeln. Claire muss Moran nicht in die Arme sinken und viel geschluchzt und geheult wird auch nicht. Sogar das „Kroppzeug“ der amerikanischen Weiten und Slums ist noch in einem Zustand, dass man mit ihm umgehen kann.
Von dem Plan (Fünf Tonnen Gold nach Kuba transportieren, nicht abgeschossen werden!) halte ich nicht so viel, aber es gab schon absurdere Wendungen.
Insgesamt wirkt Wilhelmis Werk also etwas angejahrt (einfach weil Plot und Stil wirklich auf einen Mitt-60er-Krimi hindeuten, nicht auf das schon sehr viel erwachsenere Paranoia-Kino der 70er, welches keinen großen Platz für diese Anzugträger ließ), aber man kann den Roman auch noch vierzig Jahre später lesen, ohne sich allzu sehr im Sessel zu winden und wenn das der vertretene generelle Stil der Silber-Krimi-Spionage war, dann ist es ja schon fast schade, dass die Serie 1977 dann schließlich ausgelaufen ist.
So kommen wir bei den Männern mit Schulterhalfter weiter gut voran! :-)
Kommentare
Karl WIlhelmi soll laut Weigand II auch als Rex Digger geschrieben haben.