Mit gemischten Gefühlen zurückgelassen - Michael Tietz' "Rattentanz"
Ein paar Worte zu Michael Tietz' Endzeitthriller »Rattentanz«
Als Fan von Endzeitszenarien faszinierte mich das Thema vom Fleck weg. Entsprechend begierig wartete ich darauf, eine Ausgabe des Buchs in die Finger zu bekommen und mich in die Geschichte stürzen zu können
Die Lektüre gestaltete sich dann aber nicht ganz so mitreißend wie erhofft. Nicht, dass »Rattentanz« ein schlechtes Buch wäre, oh nein! Doch den vielen begeisterten Kommentaren zu dem Werk, die ich gehört oder im Internet gelesen habe, kann ich mich leider nicht vorbehaltlos anschließen.
»Rattentanz« - Inhalt
Viel wurde spekuliert über das Datum, an dem die menschliche Zivilisation, wie wir sie kennen, dem Untergang anheim fällt. Nun ist der Tag gekommen. Man schreibt den 23. Mai, und Punkt sieben Uhr mitteleuropäischer Zeit wird das Ende der modernen Gesellschaft eingeleitet.
Um sieben Uhr tritt ein Computervirus in Aktion, der auf einen Schlag den Zusammenbruch sämtlicher Stromnetze verursacht. Elektrizität, Kommunikation, Wasserversorgung nichts geht mehr. Infolge des Kollapses der Infrastruktur brechen bald auch alle anderen Systeme zusammen. Recht und Ordnung haben von einem Moment auf den anderen ihre Bedeutung verloren. Die Völker der Welt werden Knall auf Fall ins finsterste Mittelalter zurückgeschleudert.
Michael Tietz erzählt den globalen Zusammenbruch aus Sicht der Einwohner der kleinen süddeutschen Gemeinde Wellendingen. Eine Vielzahl von Figuren sieht sich in einem unvorstellbar grausamen Albtraum gefangen, mit dem jeder auf seine Art und Weise fertig werden muss.
Da ist etwa Frieder Faust, ein geachteter Handwerker, der sich mit einem Mal in der Rolle eines Anführers wiederfindet, zu dem sich Menschen in der Stunde ihrer größten Not aufsehen. Ein Part, den Faust nicht gewohnt ist, hat er sich sein Leben lang doch eher im Hintergrund gehalten.
Da ist Eva Seger, Krankenschwester, die sich zum Zeitpunkt des Zusammenbruchs in einer knapp vierzig Kilometer von Wellendingen entfernten Stadt aufhält und nun verzweifelt versucht, nach Hause zu ihrer kleinen Tochter zu gelangen. Der Weg zu ihrem Heim, für den sie früher allenfalls zwanzig Minuten mit dem Auto gebraucht hat, entpuppt sich als wahrer Höllentrip, der Eva durch eine Welt führt, in der keine Regeln mehr gelten.
Noch viel schlimmer hat es ihren Mann Hans getroffen, der sich am 23. Mai in Schweden aufhält. Fest entschlossen, zu seiner Familie zurückzukehren, beginnt für Hans eine albtraumhafte Reise durch halb Europa, das mehr und mehr dem Chaos anheim fällt
Dies sind nur drei von vielen Schicksalen, die Tietz in seinem Buch schildert. Ein verzweifelter Kampf ums Überleben hat begonnen doch ist die Menschheit überhaupt noch fähig, sich ohne die Errungenschaften der modernen Zivilisation zu behaupten?
Von guten und schlechten Ansätzen kritische Worte zu »Rattentanz«
Ich muss gestehen: »Rattentanz« hat mich ein wenig ratlos zurückgelassen. Nach der Lektüre, sollte man meinen, kann man von einem Roman genau sagen, ob er einem nun gefallen hat oder nicht. Tietz' Endzeitthriller allerdings entzieht sich, zumindest in meinen Augen, einem eindeutig festlegbaren Urteil. Mal hat mich das Buch begeistert, dann wieder gelangweilt, nur, um mich im nächsten Moment wieder mit Macht in seinen Bann zu ziehen.
Selten hat mir die Bewertung eines Romans derart viel Kopfzerbrechen bereitet wie im Falle von »Rattentanz«.
Fangen wir mit den positiven Aspekten an. Zunächst einmal muss man Autor Michael Tietz ein großes Lob aussprechen: Er hat sich bei der Ausgestaltung seines Romans mächtig ins Zeug gelegt. Tietz verwebt eine Vielzahl abwechslungsreicher Handlungsstränge zu einer komplexen Geschichte, die den Zusammenbruch der Gesellschaft, in der wir leben, aus den unterschiedlichsten Perspektiven schildert. Der Leser begleitet Menschen, die im Angesicht des Untergangs großes vollbringen, ebenso wie Figuren, die ihren niedersten Instinkten freien Lauf lassen und sich im Chaos in wahre Bestien verwandeln. Tragische Schicksale vermischen sich mit bittersüßen Fügungen, grausige Reisen durch chaotische Lande mit dem verzweifelten Kampf ums Dasein auf engstem Raum.
Inwiefern die exponentiell ablaufende Eskalation der Lage realistisch ist, sei dahingestellt; ich habe einen entsprechenden Zusammenbruch aller Gesellschaftsstrukturen noch nicht miterlebt (und muss es auch hoffentlich nie!), und kann das Tempo und das Ausmaß, in dem dieser in »Rattentanz« vonstatten geht, daher nicht beurteilen. Doch ganz unabhängig davon, ist es Tietz gelungen, ein ungemein facettenreiches Bild einer Zivilisation am Abgrund zu entwerfen. Ein derart vielschichtiges Porträt kennt man sonst allenfalls von Frank Schätzings »Der Schwarm«.
Viel zu diesem Eindruck bei steuert in jedem Fall das umfangreiche Figurenensemble des Romans. Tietz hat in die Vollen gegriffen und einen zahlenmäßig enorm ausladenden Cast zusammengestellt, dessen illustre Individuen den Thriller mit Leben füllen. Bei der Zeichnung der einzelnen Charaktere, die in seinem Buch zu Wort kommen, hat er sich dabei sichtlich viel Mühe gegeben. Nicht immer ist es ihm gelungen, doch in den meisten Fällen darf sich der Leser über überzeugend ausgestaltete, vielschichtige Charaktere mit Ecken und Kanten freuen.
Weiterhin ist festzuhalten, dass Tietz es, ganz simpel gesagt, versteht, eine Geschichte zu erzählen. Schon seine Herangehensweise an die Geschichte, wie er den Leser ohne lange Vorrede mitten ins Geschehen hinein wirft, ist genial. Auch die Art und Weise, wie er den immer weiter zunehmenden Verfall der Zivilisation in Szene setzt, weiß zu begeistern. Die Atmosphäre des Romans ist ebenso stimmungsvoll wie düster, und ehe man sich versieht, befindet man sich schon inmitten des albtraumhaften Szenarios.
Wie kommt es, mag man sich nun fragen, dass mich »Rattentanz« bei all den positiven Aspekten, die ich hier aufgezählt habe, dennoch nicht wirklich mitreißen konnte? Hierfür gibt es verschiedene Gründe. Insbesondere zwei Dinge haben dafür gesorgt, dass sich meine Freude an dem Thriller in Grenzen hielt.
die Beliebigkeit des Schreckensszenarios. Man darf sich nichts vormachen: Endzeitszenarien in Romanen und Filmen sind längst keine Seltenheit mehr. Spätestens der nahende 21. Dezember 2012, also jener Tag, an dem laut Maya-Kalender das Ende der Welt über uns hereinbricht, hat dem Genre des Endzeitthrillers zu einer wahren Blüte verholfen. Um sich in der Masse an Publikationen behaupten zu können, muss ein Werk schon was ganz Besonders sein. Und das ist »Rattentanz« schlicht und ergreifend nicht.
Passagen, in denen spektakuläre Katastrophen geschildert werden? Gibt es, aber da ist man von Werken wie Ulrich Hefners »Die dritte Ebene«, dem bereits erwähnten »Der Schwarm« oder dem Film »Knowing« (der an sich unterirdisch ist, aber über einige brillant gestaltete Katastrophensequenzen verfügt) weitaus Überwältigenderes gewöhnt. Ein Plot, der es vermag, einem Albträume zu bereiten? Gibt es auch, doch so beängstigend wie Eschbachs »Ausgebrannt« ist Tietz' Roman bei Weitem nicht. Eine dichte, bedrohliche Atmosphäre? Dass diese gegeben ist, habe ich ja bereits erwähnt. Doch an den Ton und die Stimmung von Dmitry Glukhovskys »Metro 2033« oder Jo Zybells ersten Maddrax-Hardcover »Apokalypse« kommt das Buch nicht im Entferntesten heran.
Kurzum: »Rattentanz« ist ein Endzeitthriller unter vielen. Fast alles, was Tietz schildert, hat man so oder so ähnlich schon häufig anderswo zu sehen oder zu lesen bekommen, und das zudem oft besser, weil eindringlicher und überzeugender.
: die Unstimmigkeit von Länge und Fokus der Handlung. Tietz konzentriert sich in Sachen Handlung voll und ganz auf die Erlebnisse der Einwohner von Wellendingen und schildert den globalen Zusammenbruch nur ganz am Rande in einigen wenigen Nebenkapiteln. An sich eine gute Idee, war es doch gerade dies (also die Sicht auf ein Katastrophenszenario aus dem Blickwinkel einiger weniger, die gar nicht wissen, was genau nun eigentlich geschieht und warum alles den Bach runter geht) der Grund dafür, dass Spielbergs »Krieg der Welten« zumindest in der ersten Hälfte ungemein zu faszinieren verstand.
»Rattentanz« umfasst nun aber mehr als 800 eng bedruckte Seiten deutlich zu viele für das von Tietz entworfene Szenario. Zu sagen, der Roman würde irgendwann langweilig, wäre etwas übertrieben. Langatmig trifft es wohl besser. Man verliert irgendwann die Lust, noch mehr von den Geschehnissen in Wellendingen zu erfahren, da helfen auch die Szenen um den aus Schweden heimkehrenden Hans Seger nichts. Was für 400 oder 500 Seiten ganz interessant gewesen wäre, erweist sich als nicht tragfähig genug für 800 Seiten.
Es ist wie bei der thematisch ähnlichen TV-Serie »Jericho Der Anschlag«: Zu Beginn ist man noch Feuer und Flamme und verfolgt begeistert, wie die Dorfbewohner die ersten Tage nach der Katastrophe meistern. Doch nach einiger Zeit stellt sich Routine ein, und man verliert das Interesse an dem, was da in besagtem Ort vor sich geht.
Neben den beiden genannten Aspekten gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Kleinigkeiten, die dazu beitragen, dem Leser viel von seinem anfänglichen Enthusiasmus zu nehmen (etwa die in Teilen viel zu ausführliche Charakterisierung einzelner Figuren oder die Vorhersehbarkeit vieler Storylines). Die beiden erstgenannten Gegebenheiten fallen jedoch am stärksten ins Gewicht und sind schlussendlich die Hauptursache dafür, dass »Rattentanz« von der Grundidee her und von dem Potenzial, das in der Story steckt, weitaus mehr zu überzeugen weiß als in Bezug auf die tatsächliche Umsetzung.
(K)Ein Urteil
Tja, was soll ich sagen?
»Rattentanz« hat seine Schwächen, und das nicht zu knapp. Michael Tietz' Endzeitthriller kann anderen Vertretern des Genres einfach nicht das Wasser reichen.
Andererseits muss ich ebenfalls sagen, dass es trotz allem nicht ganz leicht fällt, das Buch nach begonnener Lektüre wieder aus der Hand zu legen. Die Geschichte ist gut geschrieben, das Figurenensemble hervorragend gewählt, und die Story an sich zwar nach einer Weile ermüdend, letztendlich aber durchaus interessant (spannend trifft es nur gelegentlich) und gespickt mit einigen herausragenden Momenten. Ein Buch, bei dessen Lektüre man zwischen Begeisterung und Enttäuschung schwankt und sich bis zum Finale nicht entscheiden kann, welches Gefühl denn nun stärker ausgeprägt ist.
Insofern ist es mir an dieser Stelle nicht möglich, ein eindeutiges Urteil über »Rattentanz« zu fällen. Ich kann die Lektüre des Buch weder empfehlen noch davon abraten, ganz einfach deshalb, weil ich mir selbst nicht sicher bin, ob sich das Lesen dieses 800-Seiten-Wälzers nun wahrhaft gelohnt hat oder nicht.
Vielleicht solltet ihr Euch einfach mal fragen, was ihr an Endzeitthrillern bislang kennt. Wer mit dem Genre noch nicht allzu viel Kontakt hatte und seitenstarken Büchern gegenüber nicht abgeneigt ist, der wird an »Rattentanz« viel Freude haben. Wer sich dagegen schon so manches Endzeitszenario zu Gemüte geführt hat, der sollte mit Vorsicht an das Buch herangehen; etwas Besonderes ist Tietz' Werk nämlich nicht.
Daten zum Buch