Fernsehkrimis im Wandel der Zeit - Krimi-Kontroversen sind Vergangenheit - Derrick und die Fäuste (Update)
Krimi-Kontroversen sind Vergangenheit
Derrick und die Fäuste
Da entwarf Reinecker im Auftrag der Neue Münchner Fernsehproduktion die Figur Derrick. Den Namen entlieh er offenbar dem „Kommissar“. Denn dort hieß eine Figur bereits „Derrick“, die ausgerechnet in der Folge „Rudek“ als Zuhälter für Unruhe sorgte und dran glauben musste.
Die ersten Derrick-Folgen zeigten einen Ermittler mit Durchsetzungskraft. Einen penetranten Schnüffler, der in seiner Aufdringlichkeit selbst Colombo noch übertraf. Und er benutzte seine Fäuste – mehr als einmal. Gleich in der als ersten gedrehten Folge „Mitternachtsbus“ wird er zum Schläger. Er prügelt aus seinem Gegenspieler (Hartmut Becker) ein Geständnis heraus. Derrick wird nicht in jeder Folge so zupacken. Er genießt den verbalen Schlagabtausch und beschimpft den Mörder in der Folge „Angst“ auch mal Schwein. Und dann geht er diesem (Hans Dieter Zeidler) an den Kragen, dass selbst Harry Mühe hat, den Chef zurück zu halten. In der Folge „Schock“ verprügelt Derrick gleich eine ganze Rockerbande, die ihm allzu nahekommt. Dieser frühe Derrick ist so ganz anders als der später 90er Jahre Derrick. Hier löste der Mann seine Fälle mit psychologischen Gespür und stellte Fragen, die etwas merkwürdig anmuteten. „Wo waren Sie gestern?“
„Im Kino“
„Im Kino?!
„Ja im Kino“
„In welchem Film?“
„Sea of Love“
„Sea of Love“
„Ja, Sea of Love“
„War er schön“
„Er war schön?“
„Wirklich?“
„Ja, wirklich“
Auf diese Weise füllte man irgendwann auch 60 Minuten. Aber es fehlte der Spirit der 70er und 80er Jahre Folgen. Auch wenn gerade in der Frühphase viele Geschichten kurios und ungewohnt waren so hoben sie sich doch vom Kommissar ab.
Der Kuriosität setzte der Tatort-Kommissar Schimanski ab 1981 noch die Krone auf. Genau wie Derrick, sieben Jahre zuvor führte das zu Diskussionen und Kontroversen unter den Zuschauern. Aber bei Schimanski hielt man durch. Er war eben nur einer von vielen Tatort-Kommissaren und er war gleichermaßen erfolgreich wie umstritten. Derrick sollte als Aushängeschild des Senders fungieren. Tatsächlich unterscheiden sich der Schimanski und der frühe Derrick kaum. Immer wieder haben die Macher versucht, Krimis weniger Deutsch zu produzieren. Vorbilder sollten die Franzosen oder Italiener, vor allem aber auch die Amerikaner sein. Heute haben wir einen Mix aus allem und für jeden Geschmack sollte etwas dabei sein.
Reinecker schrieb Derick völlig allein mit 12 Drehbüchern pro Jahr (zeitweise). Ein gewaltiges Pensum. Er erlaubte sich deswegen auch Experimente wie sehr dialogreiche Folgen, sehr emotionale Folgen, sehr psychologische Folgen. All diese Versuche gingen in meinen Augen daneben. Einzig der Mix aus all diesen Dingen konnte noch einen guten Krimi garantieren. Alles andere war zu wenig Krimi. Gerade in den Folgen ab der Nummer 200 gibt es viele solcher Beispiele. Bezeichnend ist Folge 248 „Kostloffs Thema“. Man merkt ihr an, dass das gute Thema leidet und die Spannung den kürzeren zieht zu Gunsten der Redezeit. Das Gefühl Reinecker wollte unbedingt etwas mitteilen beschlich mich und er suchte während der Handlung verzweifelt nach Worten.
Mir gefiel der frühe Derrick (ca. die ersten 5 Jahre) am besten, noch besser die ersten 20 Folgen. Aber wer über zwei Jahrzehnte eine Rolle spielt und damit altert ist auch Veränderungen unterworfen. Viele andere hören da lieber vorher auf.
Damals rügten die Zuschauer Derricks Schlagkraft. Heute würde das niemanden mehr stören. Ein Krimi ist wie er ist. Entweder gut oder schlecht.