Fallstricke des Alters - »Kein pflegeleichter Fall«
Die Frau des Killers
»Kein pflegeleichter Fall«
Es war gerade das Ungekünstelte und Aufrichtige, das Resolute und Gewitzte, das Inge Meysel von den meisten anderen deutschen Schauspielerinnen ihrer Generation unterschied. Sie blieb zeitlebens eine Frau des Volkes, gänzlich ohne Allüren und nicht eitel genug, um sich Schönheitsoperationen zu unterziehen. So bekam sie ein faltenreiches Gesicht, das von einem gelebten Leben erzählte und für ungleich mehr Fernsehzuschauer ideale Identifikationsmöglichkeiten bot. Die Meysel machte auch kein Geheimnis daraus, dass sie für ein selbstbestimmtes Lebensende eintrat, weswegen sie schon zwanzig Jahre vor ihrem Tod Unterstützerin und Werbefigur der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) wurde. Man kann nur annehmen, dass ihr der Inhalt von „Kein pflegeleichter Fall“ nicht zuletzt deswegen auch eine Herzensangelegenheit gewesen sein muss, denn der zunächst zweiteilige Fernsehfilm, der zwei Jahre später noch einmal eine zweiteilige Fortsetzung erfuhr, prangert den egoistischen und oft menschenunwürdigen Umgang mit Senioren in Deutschland an. Geschrieben und inszeniert hat die vier jeweils knapp einstündigen Episoden Marcus Scholz, mit dem die Meysel bereits seit den 1960er Jahren an einigen Fernsehspielen und den Serien „Eine geschiedene Frau“ und „Spaß beiseite – Herbert kommt!“ zusammengearbeitet hatte.
Emilie Diekmann (Inge Meysel) ist eine knapp 80jährige, rüstige Seniorin, die sich rührend um die Familie ihres einzigen Sohnes Uwe (Hans-Peter Korff) kümmert, dessen jüngste Tochter Tamara (Sophie Steiner) bekocht und nach den Blumen und dem Aquarium der Familie sieht, als Uwe und seine Frau Antje (Evelyn Hamann) mit Tamara und Sohn Alex (Borries Hauke) mit dem Wohnwagen nach Kroatien fahren. Dummerweise wird Emilie durch einen Anruf der besorgten Antje aus dem Urlaub abgelenkt, weswegen ihr drei Koteletts in der Pfanne anbrennen. Ihre Vermieterin Irene von Bergfried (Johanna von Koczian), die im selben Haus wohnt und scharf auf Emilies Wohnung ist, nutzt die Gelegenheit, um der Feuerwehr und den Notärzten ihre Sorgen mitzuteilen, dass es unverantwortlich wäre, Emilie weiterhin alleine in ihrer Wohnung zu belassen. Die etwas verschrobene Seniorin ist der Ansicht, dass ihre Vermieterin den „bösen Blick“ habe, was sie auch sämtlichen Ärzten mitteilt, mit denen sie spricht. Deswegen dauert es nicht lange, bis Emilie in die geschlossene Abteilung einer psychiatrischen Klinik eingewiesen und für unzurechnungsfähig erklärt wird. Nachdem Uwe mit seiner Familie aus dem Urlaub zurückgekehrt ist, erweist es sich als schwieriger als gedacht, Emilie aus dem Pflegeheim wieder nach Hause zu holen…
Die Fernsehfilme und -serien Inge Meysels haben zumeist eine recht leichte und witzige Grundausrichtung, insbesondere die Abenteuer der Londoner Putzfrau Mrs. Harris dürften einem da in den Sinn kommen. Insofern erstaunt es ein wenig, wie düster und traurig „Kein pflegeleichter Fall“ immer wieder ist. Zwar gibt es auch hier komische Auflockerungen und den Elan und Mutterwitz von Meysels Hauptfigur, doch das eigentliche Thema ist überaus ernst und nach wie vor sehr aktuell. Es geht um die Würde des Alters, um familiären Zusammenhalt und die Leichtfertigkeit, mit der Menschen zum Pflegefall erklärt und in Einrichtungen gesteckt werden. Eine nach wie vor unterhaltsame und nachdenklich stimmende Miniserie, die einmal mehr mit gelungenen Darstellerleistungen zu gefallen weiß. Die DVD-Erstveröffentlichung (Erscheinungstermin 8. Juli 2022) bietet ein ganz gutes Bild (im Vollbildformat 1,33:1, bei den beiden Folgen aus dem Jahr 1992 ist das Bild noch einmal deutlich besser als bei den ersten beiden von 1990), der Ton (Deutsch in Dolby Digital 2.0) ist stets gut zu verstehen, Bonusmaterial ist nicht vorhanden.