Eine ganz besondere Freundschaft - »Close«
Eine ganz besondere Freundschaft
»Close«
Die Schwelle zum Erwachsenwerden, der Übergang vom Kind zum Jugendlichen und die Pubertät als Prozess allgemein stellen eine ganz besondere Zeit im Leben eines jeden Menschen dar- Kein Wunder also, dass dieser speziellere Zeitabschnitt sehr gerne als Thema von Filmschaffenden aufgegriffen wird. Dies geschieht dann meistens im Rahmen eines sogenannten Coming-of-Age-Films. Der Vorteil dieser Filmgattung besteht darin, dass sich jeder in die Situation der Figuren einfühlen kann, da man die Kindheit, Pubertät und die Jugendjahre selber auch am eigenen Leib erfahren hat.
Das Genre des Coming-of-Age-Films erlebte in den 80er Jahren einen regelrechten Boom – John Hughes bewies mit den beiden Klassikern „The Breakfast Club“ (1985) und „Ferris Buellers Day Off“ (1986) ein feines Gespür für die Jugendkultur der damaligen Zeit und Rob Reiner setzte mit der Stephen King Adaption „Stand By Me“ (1986) Maßstäbe. Einen weiteren Meilenstein setzte Stephen Daldry mit dem beschwingt-humorvoll in Szene gesetzten „Billy Elliott“ (2000), in welchem der titelgebene Protagonist Geschlechterklischees der 80er Jahre ordentlich auf den Kopf stellt, indem er statt dem obligatorischen Boxunterricht lieber zum Ballett geht. Für die Krönung des Genres sorgte dann aber Richard Linkalter mit seinem Opus Magnum „Boyhood“ (2014): Darin begleitete er den Protagonisten Mason von seinem sechsten bis zum achtzehnten Lebensjahr. Bedingt durch die Tatsache, dass Mason dabei immer vom selben Schauspieler (Ellar Coltrane) verkörpert wurde, konnte der Zuseher wirklich hautnah am Erwachsenwerden der Figur teilhaben. Zudem boomt das Coming-of-Age-Genre als Subgenre innerhalb großer Genre-Produktionen – man denke etwa nur an die beiden „ES“-Filme von Andy Muschietti oder an die Netflix Hitserie „Stranger Things“.
Besonders sehenswerte Beiträge aus dem Coming-of-Age-Bereich kamen in den letzten Jahren immer wieder aus Frankreich - etwa der freche und herrlich unverkrampfte Film „Tomboy“ (2011), in welchem sich ein Mädchen als Junge ausgibt oder „Blau ist eine warme Farbe“ (2013), welcher die Liebe einer fünfzehnjährigen Schülerin mit einer Studentin zum Thema hat. Nicht minder sehenswert ist die kleine aber feine Filmperle “Kleine Riesen“ (2011) über drei pubertierenden Jungs, welche sich allein Belgien durchschlagen.
An genau diese Tradition des französisch-belgischen Coming-of-Age Films knüpft nun auch der belgische Regisseur Lukas Dhont in seinem neuen Werk „Close“ an. Er bedient sich dabei klassischen Mechanismen des Coming-of-Age-Films, erweitert die Grundrezeptur allerdings um einige innovative und sehr zeitgemäße Elemente. Wir verfolgen die Geschichte der beiden besten Freunde Leo und Remi, welche beinahe jede Sekunde gemeinsam verbringen und ein sehr nahes und vertrautes Verhältnis zueinander haben.
Als sie jedoch in die Oberstufe aufsteigen, sorgt ihre Nähe für Gesprächsstoff innerhalb der Klasse und sie werden schief angeschaut. Leo will sich dem entziehen und geht zunehmend auf Distanz zu Remi. Genau diese Inszenierung der einsetzenden Entfremdung zwischen Leo und Remi stellt die große Stärke von „Close“ dar. Dhont agiert sehr subtil und setzt auf kleine Momente welche eine große Bedeutung entfalten - etwa, wenn Remi am Schulhof den Kopf auf Leos Bauch legen will, um die Sonne zu genießen und sich dieser mehrfach weg wälzt um Remi loszuwerden. Oder auch bei einer gemeinsamen Übernachtung von Leo und Remi, als sich Leo mitten in der Nacht neben das Bett zu schlafen legt und am Morgen merkt, dass sich Remi neben ihn auf den Boden gelegt hat.
Diese Momente der Zurückweisung erfahren durch das absolute herausragende Spiel der beiden Jungdarsteller Gustav De Waele und Eden Dambrine eine derartige emotionale Wucht, dass sich jeder Moment der Abweisung beinahe schon wie ein Schlag in die Magengrube für den Zuseher anfühlt. Man leidet wirklich mit Remi mit, der die Zurückweisung von Leo nicht wahrhaben will und kann und immer wieder verzweifelt Anschluss ans einen eigentlich doch besten Freund sucht. An dieser Stelle des Films setzt Lukas Dhont einen radikalen Twist, der einem als Zuseher den Boden unter den Füßen wegzieht und für eine ordentliche 180 Grad Wende in der Genre-Ausrichtung des Filmes sorgt: Aus einem klug beobachteten Coming-of-Age-Film wird ein Drama um Trauerbewältigung. Die Art wie die Wendung (welche aus Spoilergründen natürlich nicht verraten wird) im Film umgesetzt wird, erinnert dabei an „Die Brücke von Terrabithia“, mit dem kleinen aber bedeutenden Unterschied, dass dieser die erschütternde Wendung in den letzten Filmminuten präsentierte, wohingegen Dhont diesen Twist bereits nach gut 45 Minuten ansetzt. Zwar weiß auch dieser zweite Teil des Films zu überzeugen und eine n emotionalen Bogen zu spannen, jedoch fehlt die Originalität der ersten Filmhälfte, wodurch sich einem unweigerlich der Eindruck aufdrängt, dass der Twist zu früh erfolgt und es dem Film gut getan hätte, sich im Vorfeld lieber noch mehr Zeit mit der Beziehung von Leo und Remi auseinanderzusetzen.
Fazit:
Auf sehr originelle Weise thematisiert Lukas Dhont in „Close“ die Fallstricke des Erwachsenwerdens und der schwierigen Identitätsfindung in der Pubertät zwischen zwei engen Freunden und versteht es durch seine gekonnte aber sehr behutsame Inszenierung nah an den Figuren den Zuseher emotional zu beteiligen. Dabei kann er sich auf das überragende Spiel der Jungschauspieler Gustav De Waele und Eden Dambrine verlassen, welche den Film in jeder Hinsicht veredeln. Somit bleibt unterm Strich einer der besten Coming-of-Age-Filme der vergangenen Jahre, welcher sich mit seinem (zu) frühen Twist allerdings ein Stück weit leider selber ein Bein stellt.
Close