Leit(d)artikel KolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles

Meine Berlinale 2025 - Mehr als Betroffenheitsfilme

Meine Berlinale 2025

Mehr als Betroffenheitsfilme

 

Zum 75. Mal haben vom 13. bis 23. Februar 2025 in Berlin die Internationalen Filmfestspiele stattgefunden, und zum ersten Mal fand in diesem Jahr die Berlinale unter Leitung von Tricia Tuttle statt, die bis 2022 künstlerische Leiterin des London Film Festivals war. Unter ihrer Ägide setzt sich ein erfreulicher Trend fort, der das Festival auch für Genrefilme öffnet, und das sogar bis in den offiziellen Wettbewerb hinein.

Schon im vergangenen Jahr habe ich in meinem Berlinale-Resümee festgestellt, dass sich das größte Publikumsfestival unter den großen internationalen A-Filmfestivals zusehends dem Genrekino öffnet. Das erfolgte bislang primär in den Nebensektionen, und hat sich weiter ausgedehnt auf die Reihe „Berlinale Special Gala“. Diese dient wohl in erster Linie dazu, große Hollywoodstars in die Hauptstadt zu holen und Fans und Fotografen am Roten Teppich ausrasten zu lassen. Die Beiträge in dieser Sektion klassifizieren sich für keinerlei Preise, die auf dem Festival verliehen werden, dienen aber fraglos einer nicht zu verachtenden Publicity, die das Treiben rund um den Berlinale-Palast am Potsdamer Platz insbesondere zu Beginn des Festivals in die Nachrichtensendungen und Feuilleton-Artikel bringt. Auch 2025 war dies gleich zu Beginn der Fall, denn bereits am 2. Festivaltag lief als „Berlinale Special Gala“ der neue Film von James Mangold („Walk the Line“), der am 27. Februar nun auch bundesweit in den Kinos angelaufen ist: „Like a Complete Unkown“ über die frühen Jahre des Komponisten, Sängers und Literaturnobelpreisträgers Bob Dylan. Mangold selbst war gar nicht nach Berlin gereist, aber Timothée Chalamet gab sich die Ehre, immerhin auch einer der Produzenten des gelungenen Biopics, in dem er uns seine Co-Stars Monica Babaro (als Joan Baez) und Boyd Holbrook (als Johnny Cash) alle weltbekannten Songs auf beeindruckende Weise selbst nachgesungen haben. Acht Oscar-Nominierungen hat es dafür gegeben, u.a. für Chalamet und Babaro.

Ein Biopic ist per se noch nichts Ungewöhnliches für die Berlinale, aber der erste Wettbewerbsfilm, den ich mir in diesem Jahr anschaute, hat mich dann doch ein wenig stutzig gemacht, da ich diesen viel eher in der Sektion „Panorama“ vermutet hätte: Hélène Cattets und Bruno Forzanis neuer Film „Reflet dans un diamant mort“ (Reflection in a Dead Diamond). Das französische Regieduo hat in den vergangenen Jahren immer wieder durch skurrile Filmperlen auf sich aufmerksam gemacht („Amer – Die dunkle Seite deiner Träume“), die sich ganz offensichtlich aus ihrer Liebe zum europäischen Genrekino speisen. Das merkt man auch ihrem neuen Film wieder an, der sich auf „fumetti neri“ wie die „Diabolik“-Comics aus den 1960er Jahren beruft, aber auch als Hommage an die Eurospy-Filme verstanden werden kann, die im gleichen Jahrzehnt die Kinokassen klingeln ließen. Cattet und Forzani haben hier dem italienischen Genrestar Fabio Testi („Verdammt zu leben - verdammt zu sterben“) eine wunderbare Altersrolle geschrieben, der als ehemaliger Geheimagent an der Côte d’Azur auf sein ereignisreiches Leben zurückblickt. „Reflet dans un diamant mort“ ist visuell ein Ereignis, so etwas wie ein perfekt choreografiertes Video in Spielfilmlänge, dessen dünne Handlung allerdings Längen hervorruft.

Eine feste Größe in Berlin und bei den Internationalen Filmfestspielen ist Rosa von Praunheim, der seit mehr als 55 Jahren unermüdlich Filme produziert und inszeniert. Immer wieder stellt er sich dabei auch selbst in den Mittelpunkt. So auch in „Satanische Sau“, der in der Reihe „Panorama Dokumente“ seine Weltpremiere feierte. Der nun 83jährige Filmemacher beschäftigt sich darin auf ungewöhnliche Weise bereits mit seinem eigenen Sterben. Er hat den Schauspieler Armin Dallapiccola gebeten, ihn darin selbst zu spielen, also einen leicht übergewichtigen, alten schwulen Mann, der nach wie vor gerne Sex mit deutlich jüngeren Männern hat. Häufig mischt von Praunheim in seinen Filmen Dokumentarisches mit Spielszenen, wie auch hier wieder. So kommt es beispielsweise zu der absurden Situation, dass der echte Rosa aus dem Off Interviewfragen stellt, die Dallapiccola dann als Rosa von Praunheim vor der Kamera beantwortet. Obwohl sicherlich nicht der beste Film aus der jüngeren Filmografie des queeren Vorkämpfers, zeichnete die Teddy-Jury „Satanische Sau“ in diesem Jahr als „besten Dokumentar-/Essayfilm“ des Festivals aus. Von Praunheim erhielt den queeren Preis der Berlinale damit erst zum zweiten Mal, nachdem er ihm 1990 erstmals für seine „AIDS-Trilogie“ zugesprochen worden war.

Richtig Spaß gemacht hat mir auch die Weltpremiere des Films „Honey Bunch“ von Madeleine Sims-Fewer und Dusty Mancinelli, die am 18. Februar im Zoo-Palast in der Reihe „Special Gala“ erfolgte. Die beiden kanadischen Filmemacher („Violation“) sind ebenfalls große Genreliebhaber, was man auch ihrem neuen Film von Anfang an anmerkt. Bereits die Eröffnungsszene von „Honey Bunch“ erzeugt Gänsehaut, wenn ein Mann eine junge Frau aus dem Rollstuhl hebt und im Meer ins Wasser taucht. Im weiteren Verlauf spielt die Geschichte auf einem abgelegenen Sanatorium, wo die Frau (Grace Glowicki) ihre Gedächtnislücken in den Griff bekommen soll, die sie seit einem Unfall plagen. Ihr Mann (Ben Petrie) ist stets an ihrer Seite. Diana scheint schnell Fortschritte zu machen, doch beginnt auch, Personen zu sehen, von denen sie nicht weiß, ob diese tatsächlich vorhanden oder lediglich eingebildet sind. Sims-Fewer und Mancinelli bewegen sich hier in der Tradition von Haunted-House-Filmen, die sie später mit Elementen des Body Horrors und der Science-Fiction vermischen, um durchweg exzellent zu unterhalten.

Einen letzten Film möchte ich noch herausgreifen, „Islands“ von Jan-Ole Gerster („Oh Boy“, „Lara“), den ersten englischsprachigen Film des Regisseurs. Auch dieser lief als „Special Gala“ und erweitert Gersters Portfolio um spannende Genreelemente. Seine Hauptfigur ist der Tennislehrer und Playboy Tom (Sam Riley), der auf Fuerteventura in einer Hotelanlage arbeitet. Er freundet sich mit einem britischen Paar (Stacy Martin und Jack Farthing) an, dessen Sohn Anton (Dylan Torrell) er Tennisunterricht geben soll. Als nach einem gemeinsamen Tripp durch die Insel und einem abendlichen Saufgelage Antons Vater spurlos verschwunden ist, gerät Sams Alltag aus den Fugen. Gemeinsam mit Antons Mutter begibt er sich auf die Suche, kann aber bald auch nicht mehr ausschließen, dass diese aktiv am Verschwinden ihres Mannes beteiligt ist. In der Tradition von Hitchcock oder Filmen wie „Nur die Sonne war Zeuge“ hat Gerster hier eine gelungene Suspense-Story inszeniert, die am 8. Mai 2025 auch bundesweit in den Kinos anlaufen wird. 

© Searchlight Picture, Cattet-Forzani, Rosa von Praunheim Filmproduktion, Cat People, Juan Sarmiento G. / augenschein Filmproduktion, LEONINE Studios, Frank Brenner

Der Gästezugang für Kommentare wird vorerst wieder geschlossen. Bis zu 500 Spam-Kommentare waren zuviel.

Bitte registriert Euch.

Leit(d)artikelKolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles