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Der Luftpirat und Matthias - Band 1 Der Beherrscher der Lüfte

Der Luftpirat und MatthiasBand 1 –
Der Beherrscher der Lüfte

Was Innovation und abstruse Ideen betraf, reichte vor dem 1. Weltkrieg keine Serie an  »Der Luftpirat« heran, nach Einschätzung vieler Experten die erste Science-Fiction-Reihe der Welt überhaupt. Erschienen sind um 1910 genau 165 Abenteuer, die in einem Format herauskamen, das zwischen dem heutigen A5 und A4 angesiedelt war. Ich unternehme nun eine Lesereise und berichte über die Abenteuer des Luftpiraten. Folgt mir auf diesem Weg ...


Der Beherrscher der LüfteBand 1 – Der Beherrscher der Lüfte
Schauplatz:
Planet Erde. Lufttraum über Frankreich – eine Ruine im Kaukasus – Odessa 1905.

Inhalt:
Das Einstiegsheft besteht aus drei relativ unabhängigen Handlungsteilen.

Kapitel 1+2:
In Teil Eins bereisen zwei erfahrene Ballonfahrer das französische Luftmeer. Da schiebt sich ein mysteriöses, unheimliches Metallgebilde durch die Wolkenmassen. Ein gigantisches Schiff schwebt an den fassungslosen Ballonreisenden vorbei – auf einer der vielen Aufbauten steht ein maskierter Mann und droht den beiden – die Menschheit solle es nicht wagen, den Luftraum zu erobern – denn der wäre schon von ihm, Kapitän Mors, okkupiert.

Zurück auf der Erde, glaubt den beiden natürlich kein Mensch ihre Geschichte. Erst als sich weltweit derartige Sichtungen wiederholen, werden die beiden rehabilitiert. Die Menschheit ist beunruhigt...

Kapitel 3:
Eine Waldlichtung mitten im Kaukasus. Das Luftschiff landet und wir lernen den Kapitän kennen, erfahren, dass er hier mit seiner treuen indischen Mannschaft manchmal herkommt, um trauern. Denn hier stand sein Haus. Seine Feinde, russische Verschwörer, haben nicht nur seine ganze Familie samt Frau und Kind ausgerottet, sondern es auch noch so eingerichtet, dass Mors, ein genialer Tüftler, verdächtigt wird, es selbst getan zu haben und steckbrieflich gesucht wird. Doch dank seiner Genialität hat es der begabte Mann geschafft (wir erfahren seinen richtigen Namen und seinen Beruf nicht), sich ein gigantisches Luftschiff zu bauen und treue Gefährten zu finden, die es bedienen. An der Ruine seiner Familie schwört Kapitän Mors seinen Feinden furchtbare Rache.

Kapitel 4-6:
Odessa, 1905. Aufruhr im Hafenviertel. Eine feindliche Meutererflotte bedroht, mit roten Fahnen beflaggt, die Stadt. Sie erpresst die Obrigkeit – sie will Geld, sonst schießt sie alles zusammen. In einem Haus im Hafenviertel planen die Köpfe der Verschwörung das Unternehmen: Sie haben vor, nach Odessa von Stadt zu Stadt zu ziehen und überall zu kassieren. Eine schwerbewaffnete Abordnung wird zum Stadtrat geschickt, um die Forderung zu stellen. Da taucht im Gewühl der Straßen ein blauuniformierter, mit Maske versehender Fremder auf, der die Masse gegen die Abordnung aufstachelt! Natürlich der Luftpirat. Es kommt zu Tumult, Toten und Verletzten. Als die Verschwörer erfahren, dass ihre Abordnung getötet oder gefangengenommen wurde, beschließen sie die Beschießung der Stadt. Aber da greift das Luftschiff des Luftpiraten an - und nähert sich nur wenige Meter über dem Wasser schwebend der Flotte!  Mit einen gigantischen Rammsporn versenkt es das Mutterschiff der Aufständischen. Die Anführer, die sich inzwischen auf dies Schiff geflüchtet haben, werden von den Luftschiffern aus dem Wasser gefischt. Es stellt sich heraus, dass es sich um genau die Leute handelt, die Käpten Mors' Familie umgebracht haben! Der macht nicht viel Umstände und lässt die Rädelsführer an der Reeling seines Luftschiffes aufknüpfen. Mors Feinde schwören am Galgen, dass sie bald gerächt werden. Die restlichen Schiffe fliehen panisch.

Das Heft schließt ebenso pathetisch wie prophetisch:

„Das Luftschiff aber stieg höher und höher hinauf, bis es in den Wolken verschwand. Dann fuhr es schnell nach Osten, zu neuen Abenteuern, zu furchtbaren Erlebnissen aller Art, auf der Erde, über dem Meere, ja sogar im unbekannten Weltenraume.“  

Kommentar
Der Einstieg (Kapitel 1+2) ist stimmungsvoll und sehr gelungen, eine gute Idee, das erste Auftauchen des dämonischen Luftpiraten aus der Sicht zweier Hobbyballonfahrer zu zeigen. Dennoch hat sich der Autor ein bisschen zu viel vorgenommen auf gut 30 Seiten. Die drei Episoden hätten etwas mehr auserzählt werden können, besonders die eigentliche Odessa-Handlung, die nun zu  kurz kommt. Für einen Einstiegsleser aus heutiger Sicht ein eher sperriges Heft, das zuviel will und zuwenig agiert – auch heute ist das noch ein Problem bei ersten Heften.

Mutig, dass Mors schon in Heft Eins seine großen Widersacher killt – hier wäre eigentlich Potential für eine ganze Reihe von Gefechten und Scharmützeln gewesen. Aber keine Angst, erste faszinierende Superschurken (und Schurkinnen!), die auch mehrere Hefte überstehen, folgen bald.

Verstörend ist aus heutiger Sicht, dass die wirklichen Ereignisse 1905 in Odessa, Bestandteil der ersten großen russischen Revolution,  hier komplett negativ dargestellt werden, nicht nur als Verschwörung von Finsterlingen, nein, es geht hier auch noch ausschließlich um schnöde Gelderpressung! Das ist schon starker Tobak. Sonderbar auch, dass der Luftpirat, selbst ein Outlaw und kein Feigling, wenn es ums Bekämpfen der öffentlichen Ordnung geht, hier komplett auf der Seite der etablierten Macht steht.

Immerhin, die Autoren deuten an, dass er zwar anfangs zu den Mitverschwörern zählte, sich aber von ihnen abwandte, als ihre niedrige Gesinnung zutage trat. Also könnte es durchaus sein, dass Mors gar nicht so sehr etwas gegen die Rebellion selbst einzuwenden hat, sondern ihm der russische Freiheitskampf hier wegen seines Privat-Rache-Kriegs schnurzegal ist. Hm. Kein ganz sympathischer Held. Aber diese Brüche gefallen mir, Mors ist nie ein kompletter Gutmensch.

Die lustigsten Sätze
Keine ganz feste Rubrik – aber fast!

Die Diskussion zur Lesbarkeit der alten Serie (zur Erinnerung, sie ist ca. 1907-12 erschienen) im Kommentarteil zur Einführung hat mich nachdenklich gemacht. Sicher –  Trivialliteratur ist sehr zeitanfällig. Aber so paradox das klingt – 100 Jahre Abstand können mitunter schon wieder so weit weg sein, dass die Lektüre exotischer und damit vergnüglicher wird, als nach 50 Jahren.

Da hier mehrere Autoren am Werk waren, lässt sich kaum etwas Generelles über die Qualität der Prosa aussagen. Immerhin  wurde oft mit großer Hast gearbeitet und mit heißer Nadel gestrickt. Auch der unverstellt lakonisch-pathetische Ton, die Neigung zu Superlativen und von allen eine furiose Attribut-Wut sind auffällig. Das gehört zum Heft-Sound der Zeit. Deswegen hier immer mal wieder amüsante Ausrutscher als Beispiel.

So scheinen in Russland Vögel nicht nur fliegen und laufen zu können. Bei der Beratung der Verschwörer auf einem Dachgarten meint einer, verdächtige Geräusche gehört zu haben.

„Bilde dir doch nichts ein“, mischte sich jetzt Gregor in das Gespräch. Wer soll denn hier heraufklettern. Das bekäme ja nur ein Vogel fertig.“

Manchmal verdichtet sich die Lust an der Wortwiederholung zu Momenten schier lyrischer Qualität. Folgende Passage könnte fast von Brecht sein:

„Dort sah man drei Hügel, aber auf diese Hügel waren schwere Steine gewälzt, so schwer, daß sicherlich eine Anzahl starker Männer dazu gehört hatte, um diese Felsblöcke auf die Hügel zu wälzen.“

Das Cover:
Im quittegelben Wolken-Nebeldunst sieht man das gigantische Luftschiff nur schemenhaft, umso deutlicher die Panik der beiden Ballonfahrer. Sehr stimmig. Ich mags.

Besonderheiten der Reprint-Ausgabe:
Es gibt zwei (Neu-)Auflagen des ersten Heftes. Zum Jubiläum des 100. Heft-Reprints 2015 wurde die Nr. 1 von 2009 nun in zwar besserer Druckqualität wiederaufgelegt, aber die vorher retuschierten Druckfehler des Originals sind nun wieder sichtbar.

Außerdem brachte das Extraheft neu gefundene Luftpiraten-Werbung und ein von Ralph Ehrig bearbeitetes Essay, das die Einführung von Marianne Ehrig (gest. 2013) im ursprünglichen Heft 1 auf den neuesten Stand bringt. Die Zweitauflage des Reprints war ein kostenloser Abonnenten-Bonus.

Das erste Heft ist übrigens auch in der Auswahl von Heinz J. Galles Luftpiraten-Anthologie (DvR, 2005) im Neusatz zu finden.

PS in eigener Sache: Um falschen Hoffnungen und Befürchtungen (je nach Lesergeschmack) vorzubeugen – die Lesereisen werden nicht immer so lang (vermute ich mal). Manche Hefte gebens einfach nicht her...

Übersicht:

  • Band 2:  Ein Kampf um Millionen (9. Juni)
  • Band 3:  Kapitän Mors in Indien (23. Juni)
  • Band 4:  Der Luftpirat im Diamantenlande (7. Juli)

Zur EinleitungZur Übersicht

Kommentare  

#1 Andreas Decker 2015-05-28 11:41
Ist der Luftpirat Mors eigentlich Deutscher oder ein - damals - romantisierter/schurkischer Ausländer vom Balkan?
#2 Matzekaether 2015-05-28 12:19
Ähnlich wie bei Käptn Nemo wird das Geheimnis nicht gelüftet. Da er seine Familie im Kaukasus hat(te) und zeitweilig gegen Rußland konspiriert, liegt nahe, dass er aus dem Zarenreich stammt. Er könnte aber theoretisch auch ein emigirierter französischer Herzog sein ;-)
#3 Andreas Decker 2015-05-29 09:41
Nemo ist Inder ;-)
#4 Matzekaether 2015-05-29 12:28
Ja, wo wid das denn enthüllt? In 20000 Meilen unter dem Meer hab ich keinen Hinweis auf seine Herkunft gefunden...
#5 Andreas Decker 2015-05-29 12:43
zitiere Matzekaether:
Ja, wo wid das denn enthüllt? In 20000 Meilen unter dem Meer hab ich keinen Hinweis auf seine Herkunft gefunden...


In Vernes Die geheimnisvolle Insel. Dort hilft Nemo den Gestrandeten, und nach seinem Tod versenken die dankbaren Männer die Nautilus, die sich festgefahren hat. Was ich damals als Kid, als ich es las, echt scheiße fand :lol:
#6 Matzekaether 2015-05-29 14:02
ah, die geheimnisvolle Insel, stimmt, da war was...
Kapitän Mors ist übrigens auch von lauter Indern umgeben; dass er einer ist, scheint aber eher unwahrscheinlich. danke für den Hinweis - bau ich morgen in den Verne-Artikel ein...
#7 Skeeve 2019-01-28 15:07
Kann man die Bände eigentlich alle irgendwo als ebook laden? Auf gutenberg.org finde ich nur eine Handvoll.
#8 Matzekaether 2019-01-28 17:12
Diese Bände wurden dem Dieter-von-Reeken-Sammelband entnommen. Ralph Ehring möchte zur Zeit keine ebooks machen, solange das Projekt noch nicht abgeschlossen ist - er investiert viel Zeit und Mühe in die Restaurierung der Hefte und fürchtet, dass die ebooks, da sie gemeinfrei wären, schnell sein kleines Verdienst an der mühevollen Arbeit zerstören würden. Mir gefällt das auch nicht so richtig, ich hätte zu gerne das alles auch digital, schon allein für die Volltext-Suche, aber wir müssen das wohl so akzeptieren. Vielleicht kann man ihn überreden, wenn alles fertig ist; ich werde dann definitiv noch mal vor ihm auf Knien rutschen. Derweil ist die Ausgabe bei 145 von 165 Heften, das Ende naht also...

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