Eine »unheimliche« Mischung - Dämonenkiller – Die Taschenbücher: Die Mörderhände
Die Mörderhände
Die Mörderhände
London, 1888. Sir Giles Pritchard, Physiologe, Professor und Mitglied der Royal Society, arbeitet nebenher für das Central Bureau for the Investigation of the Occult. Er entlarvt falsche Spiritisten. Mit seinem Freund, dem Nervenarzt Dysart, besucht er die Seánce der Witwe Golding. Die ist die übliche Betrügerin. Aber Pritchard spürt, dass die von ihr aufgenommene siebzehnjährige Waise Anna eine übernatürliche Begabung hat. Und tatsächlich beobachtet er, dass sich die Hände des Mädchens in Männerhände verwandeln, die von einem Smaragd geschmückt sind.
Pritchard holt das etwas zurückgeblieben erscheinende Mädchen zur Untersuchung in sein Haus. Wieder zeigen sich die Männerhände; plötzlich kann die junge Frau meisterhaft Klavier spielen. Kann Anna etwas den Geist von Franz Liszt kanalisieren? Der Professor will sie weiter studieren. Die Witwe Golding glaubt daran ordentlich verdienen zu können, stirbt aber, als sie von einem Kutschenpferd niedergetrampelt wird. Anna spielt gerade in Trance mit einem Spielzeugpferd.
Anna wird nun in Pritchards Haus aufgenommen und zur Dame erzogen. Der Sohn des Professors und dessen Frau Laura kümmern sich ebenfalls um das Mädchen. In ihrem neuen Zimmer entdeckt Anna in einem Schrank einen Armeemantel und ein Rasiermesser. Eine große Seánce vor Publikum geht schief, die Künstlerhände bleiben weg. Dafür glaubt der Professor grobe Männerhände zu entdecken.
Eines nachts wacht Anna unvermittelt auf, zieht den Mantel an, nimmt das Rasiermesser und schleicht sich aus dem Haus. In Whitechapel schlitzt sie dann aus unerfindlichen Gründen der Prostituierten Martha Turner den Hals auf und verstümmelt sie. Unerkannt geht sie nach Hause.
Ihre Adoptivfamilie nimmt Anna auf die Flüstergalerie der St. Paul´s Cathedral mit, wo der Geist mit ihr spricht und ihr weitere Anweisungen gibt. In der Folgezeit schlitzt Anna weitere Frauen auf. Es sind die Morde, die man Jack the Ripper zuschreibt.
Obwohl der Mob durch die Straßen tobt, gerät Anna nie unter Verdacht. Der Wirbel um die Ripper-Morde wird jeweils aus anderen Blickpunkten erzählt.
Pritchard ist enttäuscht von den weiteren Seáncen und ihren Fehlschlägen, von Annas nächtlichen Ausflügen bekommt er nichts mit. Dafür sorgt er sich über Annas Besessenheit mit der Flüstergalerie in der Kathedrale. Aber am Ende erlaubt er ihr, dort so oft hinaufzusteigen, wie sie mag. Damit endet der Roman.
Und noch ein Buch zu einem Hammer-Film. Obwohl es sich hier um die Vorlage und nicht um die nachträgliche Novelisation handelt.
Edward Spencer Shew (1908 bis 1977) war langjähriger Polizeireporter für den "Daily Express" und ist hauptsächlich für zwei True Crime-Bücher bekannt. "A Compendium to Murder" gewann 1963 den Edgar und stellt berühmte Morde vor.
Über die genauen Umstände von Buch und Film gibt es gegensätzliche Informationen. Mutmaßlich kaufte Hammer eine Kurzgeschichte, die der Autor später zum Roman verlängerte. Allerdings strickt das Drehbuch von AW Davidson die Geschichte größtenteils um.
Das Grundgerüst ist stehengeblieben. Im Film geht es noch immer um Dr. Pritchard, der nun aber nicht mehr Physiologe, sondern ein früher Psychiater ist. Er holt die junge Anna in sein Haus. Und das tragische Ende des Films spielt in der Touristenattraktion Flüstergalerie in St.Paul´s. Aber in der Film-Version "Hände voller Blut", wie der deutsche Titel lautet, ist Anna die Tochter des Rippers und nicht mehr Jack selbst. Und der gute Doktor ist aktiv in die Geschehnisse verwickelt und nicht länger der ahnungslose Tölpel des Romans. Anna mordet sich teilweise auch durch den Haushalt, und Laura ist nicht die Frau des Sohns, sondern seine Verlobte. Außerdem ist die Arme auch noch blind. Natürlich endet alles tragisch.
Der Film von Peter Sasdy von 1971 ist ein opulentes Kostümdrama mit ein paar blutigen Morden und einer guten Besetzung. Eric Porter ist ein überzeugender Pritchard, und die junge Angharad Rees spielt die Rolle der mörderischen Anna durchaus beeindruckend. Das okkulte Element der Vorlage bleibt hier aber letztlich ambivalent. Es wird nicht eindeutig, ob Anna vom Geist ihres Vaters besessen ist oder unter PTBS leidet, wie es heute heißt, weil sie als kleines Kind miterlebte, wie Jack ihre Mutter umbringt.
Welche Version die Bessere ist, muss jeder selbst entscheiden. Im Buch ist die Idee, dass Jack the Ripper gar kein Mann, sondern ein junges Mädchen ist, durchaus originell. Aber die Tatsache, dass Anna gleich von zwei verschiedenen Geistern besessen ist – was im Original allein schon durch die Teilung der Geschichte in "Gute Hände" und "Böse Hände" unterstrichen wird – ist etwas zu viel des Guten. Der Roman verliert sich bei seinem eher schmalen Umfang in zu vielen kleinen Vignetten, die von Annas Geschichte ablenken. Und das Ende ist eine echte Enttäuschung. Die Geschichte hört einfach auf, keine der etablierten Fragen über Annas Besessenheit wird beantwortet. Oder wer der Mördergeist eigentlich ist.
Oder doch? Das Original liegt mir nicht vor, aber laut einer verläßlichen englischen Quelle fehlt in der deutschen Ausgabe das tatsächliche Ende. Im Original findet Pritchard heraus, dass Anne von einem Frauenmörder aus Edinburgh namens Alexander besessen ist. Er eilt in die Flüstergalerie, wo das Mädchen gerade vollständig in Alexander transformiert ist und die Schwiegertochter umbringen will. Anna/Alexander stirbt nach einer Rangelei durch einen Sturz von der Galerie.
Von den vielen Kürzungen wäre das bis jetzt die Heftigste. Über die Gründe kann man nur spekulieren. Ein fehlerhaftes Manuskript, Seiten die verloren gingen. Das wird man nie erfahren.
Abgesehen von diesem Fehler bietet der Roman einen ganz anderen Aspekt, der eigentlich erst heutzutage richtig zu schätzen ist. Vergisst man die maue Besessenheitsgeschichte im viktorianischen Gaslicht, bietet der Roman eine noch immer hervorragende Einführung in die Ripper-Morde. Namen, Orte und Fakten, es wird alles minutiös geschildert. (Obwohl umstritten ist, ob Martha Turner/Tabram tatsächlich das erste Opfer des Rippers war.) Shew schildert hier Menschen und Tatorte, zeichnet mit wenigen Worten die authentischen Biografien der Opfer und ihrer Umfelder, bis hin zu den Leuten, die die toten Frauen fanden. Der Stadtteil Whitechapel 1888 wird hier lebendig.
Aber zweifellos wird das keiner der damaligen Leser zur Kenntnis genommen haben. Vermutlich fanden sie es langweilig oder hielten alles für erfunden, was man ihnen auch nicht zum Vorwurf machen kann. Schließlich reden wir hier von einem beliebigen Dämonenkiller-Taschenbuch, also gab es keinen Hinweis auf die Authenzität der Vorgänge. (Oder auf die Verbindung mit dem Film, was das angeht.) Aber um fair zu sein, es ist unwahrscheinlich, dass diese Information der Pabel-Redaktion zur Verfügung stand. Literarisch gesehen war Jack the Ripper zu der Zeit genauso wenig ein Thema wie der True Crime-Aspekt; woher hätte man das wissen sollen? Trotzdem kommt es einem (heute) wie eine Verschwendung vor.
Das zerstörte Ende mal beiseite gelassen; bedenkt man die Zeit und die zunehmende Zurückhaltung der Redaktion bei blutigen und möglicherweise kontroversen Elementen ist es schon lobenswert, dass sie dokumentarische Einzelheiten wie das am Tatort angeblich vom Täter hinterlassene Graffito "Die Juden sind an allem schuld" intakt ließ. Ebenfalls ein Vorfall, der bis heute bei den Ripperlogen umstritten ist; außer den Polizisten, die das auf Befehl von oben wegwischen mussten, weil man im Pulverfaß Whitechapel antijüdische Ausschreitungen befürchtete, hat das niemand gelesen. Rausgekommen ist es trotzdem, und die hastige Abschrift des Polizisten Long wirft viele Fragen auf. So ins Detail geht der Autor nun nicht, aber es überhaupt zu erwähnen zeigt den sorgfältigen Umgang mit der Historie, der so im Gegensatz zu dem Besessenheitsplot steht.
Kräftig erneut gekürzt ist die Version des Romans, die als VHR 252 1979 noch einmal als Heft nachgedruckt wurde. Da fielen vor allem die Szenen mit den Seáncen am Anfang dem Umfang zum Opfer, aber auch viele der Whitechapel-Szenen sind eingedampft. Ironischerweise wirken die Morde in dieser Fassung noch unmotivierter und beliebiger. Eine feine Ironie hat auch das Titelbild des VHR, das offensichtlich ein Motiv aus "The Gorgon" (1964; deutsch "Die brennenden Augen von Schloss Bartimore") zeigt. Einem anderen Hammer-Film.
Kein Mars, nur typisch viktorianisches, das dem deutschen Leser allerdings fremd gewesen sein muss. Witzig ist Pritchards Befürchtung bei einem Theaterbesuch, dass "Macbeth" doch viel zu blutrünstig für eine Siebzehnjährige sei. Gab es tatsächlich mal so unschuldige Zeiten? Und spätestens wenn die Rede von der geballten Dichterbrigade Byron, Shelly, Colderidge und Tennyson ist, die Anna innig liebt, dürfte das Weiterblättern losgegangen sein.
Nette Idee, die Pranken aus dem Bildrahmen greifen zu lassen. Im Roman sind die Mörderhände aber dann doch etwas subtiler, als Lutohins wie immer kräftige Farbpalette zeigt. Und das Bild ist so viktorianisch wie das Oktoberfest.
Das Original
Copyright © by Andreas Decker
Kommentare
Scheint ein prima Ripper-Roman zu sein.
Eine gekürzte Fassung noch mal kürzen... das nenn ich mal effektiv. Gab es vielleicht noch eine Kurz-Story zum Roman? Würde mich nicht wundern.
Langsam gewöhnt man sich an Luthonins bunten Stil, zumindest verblassen die Dinger nicht so schnell.
' It was in that moment that Jack the Ripper took complete and final possession of Anna. Before Laura's terror-stricken eyes, the slight, girlish figure seated on top of the guard rail with her fair falling hair falling about her shoulders was replaced piece by piece as in a mosaic, each piece in its turn falling into place, by the gross and hideous body of a man whose twisted face reflected the accumulated evil of a lifetime spent in the indulgence of every vice.'
Die Geschichte endet damit, dass Professor Pritchard den Ripper mit einem Faustschlag über das Geländer schickt, wo er in den Tod stürzt.
Man kann wirklich nur spekulieren, was da falsch gelaufen ist. Das ist ja keine Kürzung mehr, da hat man das Ende abgeschnitten. Und wie die Heftversion zeigt, hätte man da gerade am Anfang genug Seiten rausschneiden können, um Platz für das Ende zu haben. Woran also lag es?
Ich wüsste auf Anhieb keine Pabel-Übersetzung, die derart verstümmelt ist. Thematisch entschärft, keine Frage. Aber ohne das Ende?