»Schön war die Jugend?« - Ausflüge in die Romanheftvergangenheit: Ich gegen die Riesen-Kraken (John Sinclair 170)
Ausflüge in die Romanheftvergangenheit:
»Ich gegen die Riesen-Kraken«
John Sinclair 170 von Jason Dark (Friedrich Tenkrat)
Das macht auch wesentlich mehr Spaß.
Nun aber zurück an den wahren Anfang, denn irgendwann hab ja auch ich mal den Comics, Superhelden und lustigen Taschenbüchern abgeschworen, um mich voll und ganz dem Heftroman zu widmen und das für bestimmt so ca. 5-7 Jahre (ja, ich hatte eine stark verbesserungsfähige Teenagerzeit!).
Schuld an dem ansehnlichen Stapel in Keller und Arbeitszimmer (den ich zwischenzeitlich übrigens wieder etwas verkleinert habe) ist im Grunde meine große Schwester, die meines Wissens nach nie ein gesteigertes Interesse an den Romanen hatte (obwohl sie, wie praktisch jeder in meiner Familie, Bücher über oder mit fiktiven oder realen Serienmördern immer gern verschlungen hat – daraus darf jetzt jeder Leser machen, was er will...). Kann gut sein, dass sie mal einen Bekannten oder Freund hatte und der hat ihr drei Sinclairs in die Hand gedrückt. Sie hat sie tatsächlich gelesen und dann mir nachfragend überlassen – und ich kann getrost sagen, dass ich absolut keine Ahnung von nichts hatte. Kaltstart allerorten, mir wurde jedoch ziemlich schnell warm dabei.
Das muss so ungefähr 1983/84 gewesen sein, Jason Dark aka Helmut Rellergerd ließ gerade die komplette Mordliga über die Klinge springen und steuerte auf Band 300 zu, ich war gerade mal so dreizehn, ein stabiler Dauerleser und für eineinviertel Jährchen durch eine Beinschiene gehandikapt. Zeit genug, sich auch mal mit guter Triviallektüre zu beschäftigen.
Horrorfan musste ich nicht mehr werden, ich hab schon zu Grundschulzeiten meine Mutter mit Fragen genervt, wie die netten Filme im Gruselkabinett auf NDR3 (Leute, das war vor Privatfernsehen, es gab nur fünf Sender und zwei davon empfingen wir vom Land nebenan eher zufällig! Wenn es einen alten SF- oder Horrorfilm pro Woche gab, war das ein Fest!) am späten Montag oder Dienstag denn verlaufen oder ausgegangen waren.
Als mir jetzt also diese drei Sinclair-Romane in die Hände fielen, die, wie ich damals nicht mal wusste, allesamt alleinstehende Einzelromane außerhalb der größeren Story-Arcs waren, waren Hörspielkassetten von H.G.Francis rund um Riesenameisen und Monsterspinnen gerade die geflüsterte Bombe in deutschen Kinderzimmern und ich war interessentechnisch kaum einzufangen.
Klar, dass bei „Ich gegen die Riesen-Kraken“ mit seinem Bomben-Cover (Riesenkrake quillt aus Bahntunnel und wickelt sich einen Passagiersnack von einem U-Bahnsteig) sofort alle Lampen angingen.
Ich wusste nichts. Ich kannte die Helden noch nicht, ich kannte die Gegner noch nicht, ich kannte die Waffen noch nicht, ich stieg einfach mittendrin ein und man muss der Serie das Kompliment machen, dass sie zu dieser Zeit von einer derart stabilen Qualität war, dass es mir leicht gemacht wurde, die Erzählstränge bald in eine gebräuchliche Ordnung bringen zu können.
Ich bin irgendwie ganz froh, dass ich nicht sofort mit der größeren Mythologie gekämpft habe, denn sonst wäre das vielleicht alles viel verwirrender und nicht so reizvoll verlaufen, aber so bekam ich zum Auftakt einfach ein scheißgroßes Monster und die Sache lief. Sie lief übrigens auch bei den anderen beiden Romanen, die aus meiner heutigen Sicht (ich stieg etwa mit Band 370 bei den Neuerscheinungen ein, vorher hatte ich große Teile der Serie über den Romantausch nacherschlossen und las regelmäßig bis kurz vor die Nummer 600), in einem Fall einen äußerst interessanten Widersacher boten und mir im Anderen gleich mehrere Standards nahe brachten, so dass ich ausreichend angefixt war.
Was ich nicht ahnte (weil ich noch gar nichts von einem Helmut Rellergerd wusste): der Roman war gar nicht vom „amtlichen“ Jason Dark“, sondern einer der zahlreichen, gut getarnten Gastromane, die es bis inclusive Band 183 immer wieder gab, 39 Stück laut letztem Infostand. Der „Riesen-Krake“ war der Drittletzte dieser Romane und wie die meisten war er von Friedrich Tenkrat, meiner zweiten Romanliebe für die Zukunft (ich startete mit Sinclair, griff dann nach Tenkrats „Tony Ballard“ und ließ dann „Hexer“ und „Zamorra“ folgen, bis ich praktisch vier Serien gleichzeitig las, wenn auch nur für eine kurze Zeit).
Das sollte mich aber nicht stören und das Heft liegt heute wieder vor mir – und sieht aus, als sei es unter einen Sattelschlepper gekommen. Es war damals schon nicht mehr ganz in Ordnung, heute ist es noch viel schlimmer, aber ich mag es nicht hergeben – ich hab das Nostalgie-Gen doppelt, sagte man mir neulich erst wieder.
Aber wie sieht das aus, wenn man auf sein erstes Sinclairheft nach ca. 33 Jahren zurück schaut?
Mal schauen...
»Day of the Tentacle«
Sommer an der Themse, etwas außerhalb der Stadt veranstalten vier junge Männer ein schweißtreibendes Ruderbootrennen, dass er endet, als eines der Ruder an einem Riesententakel zersplittert. Kurz darauf geht es rund auf dem Fluss, denn das Riesenvieh crasht ein Boot und verfrühstückt einen der Männer, der Rest kann sich mühevoll retten.
Das ist zwar jetzt noch nicht ausgesprochen schwarzmagisch, aber biologisch seltsam genug, um Oberinspektor John Sinclair von Sir John Powell ausrufen zu lassen. Der sammelt schnell seinen chinesischen Freund Suko bei dessen Freundin Shao ein und düst zur Unglücksstelle. Während dort alle angesichts der Überreste mit ihrem Frühstück kämpfen, stößt Reporterkollege Bill Conolly dazu, der guten Seite des modernen Journalismus. Und im Anschluss auch gleich noch die böse Seite in Gestalt des lügenverbreitenden Sensationsreporters Milton Raffin, der mit so viel Leckt-mich-doch-alle an seinen Job und alle Beteiligten herangeht, dass er sich auch gleich das Wörtchen „Opfer“ auf die Stirn malen könnte.
Kaum hat man einen kleinen Disput ausgetragen, winkt der Krake mit dem Fangarm und alle wissen jetzt, was die Glocke geschlagen hat.
Per Boot nimmt man die Verfolgung auf, während der das gejagte Riesenvieh mit Silberkugeln nicht verletzt werden kann, aber auf Johns Silberkreuz reagiert – offenbar eine schwarzmagische Bestie. Die attackiert auch sofort das Boot und greift sich den armen Bill und zieht ihn unter Wasser.
Natürlich sind unsere Helden unten durch, vor allem bei sich selbst und müssen nun noch Bills vermeintlicher Witwe Sheila und dem gemeinsamen Sohn Johnny erklären, dass Papa heute wohl nicht mehr nach Hause kommt. Morgen dann auch nicht. Großes Drama.
Bill ist jedoch mitnichten tot, sondern in einen finsteres Kanalsystem verschleppt worden, wo er – und drei andere Männer – bis zum Hals in magischem Schlamm versenkt wurden, wo sie nun unbeweglich fest sitzen. Quasi in der Speisekammer.
Schon setzt der Monsterschnabel zum finalen Biss an, als zwei Männer dem Schicksal eine neue Wendung geben. Da wäre zunächst ein Penner namens Maxie, der das Vieh in einem Tunnel hat verschwinden sehen und dann natürlich Hasskappe Milton Raffin, der den Bericht des Zeugen mitangehört hat. Noch bevor Inspektor Hodges die Kavalerie alarmieren kann, ist Raffin schon im Tunnel und lenkt das Vieh ungewollt von den Gefangenen ab. Leider hört er weder auf die Hilfeschreie der ersten drei noch auf Bills Rufe, doch möglichst schnell zu verschwinden, sondern wittert die Story seines Lebens, die darin gipfelt, dass er samt Kamera dran glauben muss.
Sinclair und Suko sind inzwischen informiert und reiten mit Kreuz und Dämonenpeitsche sofort an und kommen gerade rechtzeitig zu Raffins Todesschrei. Bei dem anschließenden Kampf sehen sie nicht gut aus (Suko muss John auch noch mit dem Stab des Buddha retten), schlagen das Vieh schließlich aber vorerst in die Flucht. Dabei reißt es den Tunnel ein und versnackt dann einen der Eingeschlossenen.
Während man den Schuttberg dann ausbaggern lässt, kriegen unsere Freunde Hilfe von dem recht gläubigen Meeresbiologen Guy Gonzalez, der ein Mikrowellengerät ertüftelt hat, mit dem man die Kopffüßler anlocken kann. Leider machen sich gleichzeitig drei testosterongesteuerte Vollpfosten aka Hobbyjäger mit schweren Geschützen daran, die größte Beute aller Zeiten einzutreiben...
»Ich wollt ich wär/ untern im Meer / ja im Garten eines Kraken/ möcht ich sein...«
Mein Einstiegsroman bei JS ist, wie man gut erkennen kann, eine ordentliche Mixtur aus Suspense und Daueraction, wobei mich der Teufel reiten soll, wenn Filme wie „It came from beneath the sea“ und „Formicula“ hier nicht Pate gestanden hätten (was nicht die schlechtesten Originale wären, von denen man klauen kann).
Tenkrat war damals schon sehr erfahren und routiniert und wusste, wie er die Romane anzugehen hatte – er nutzt praktisch das gesamte Potential des Personals eines Einzelromans. John, Suko, Bill, Sheila, Shao, James Powell, dazu Silberkugelberetta, Kreuz, Dämonenpeitsche, Buddhastab, zum Finale extra noch Desteros Schwert.
Was er nicht nutzt, sind die Terrormöglichkeiten, die so eine Invasion eines Riesenkraken (es gibt übrigens entgegen des Titels nur einen Riesenkraken, außer man rechnet die zwei abgetrennten Fangarme, die später kurz zu aktiven Minikraken werden, dazu) hätten auslösen können. Der ganze Plot bleibt relativ einfach strukturiert und dreht sich zu großen Teilen um Bills gefährliche Lage, der Aussichtslosigkeit und dem Versuch, die Männer zu befreien. Raffin bringt die Dinge dabei als „plot device“ in Bewegung und dass mindestens einer der Gefangenen sterben muss, weiß man als Dauerleser heute auch von Beginn an (auch, dass es nicht Bill sein wird).
Leider muss diese Notlage für zu viele Seiten herhalten, die Kämpfe wirken gestreckt, die Sache mit dem Tunneleinsturz forciert und bisweilen erzählt Tenkrat ein- und denselben Vorgang aus zwei Perspektiven, was durchaus für Suspense sorgt, aber im Grunde eine zähe Wiederholung darstellt.
Darum muss kurz vor Schluss (im letzten Drittel) auch noch das Großwildjägertrio eingeführt werden, die leider dann auch gleich als schießwütige Vollhorste beschrieben werden. So kommt es erst auf den letzten paar Seiten zu dem wirklich interessanten Szenario des Titelbilds, bei dem der Krake in eine U-Bahnstation einbricht und die Fahrgäste attackiert – auch wenn es in London nun wirklich keine MacArthur Station gibt (vermutlich übernahm Tenkrat vom bereits fertigen Titelbild oder umgekehrt).
Und noch eine Kuriosität: es entsteht eine wirklich farbige Konfrontation mit vielen Fangarmen, die dann seltsamerweise auf der vorletzten bzw. vorvorletzten Seite noch einmal für die glückliche Familienzusammenführung der Conollys und eine Pressekonferenz von Sir James zu unterbrechen, bis das Untier wirklich auf der letzten Seite sein schwarzes Leben aushaucht.
Das wirkt ziemlich schwach getaktet, man darf die Spannung nicht für irgendwelche Banalitäten kurz vor dem Höhepunkt unterbrechen, aber so was fällt mir eben erst heute auf.
Nie geklärt wird, wo der Krake überhaupt her kommt, er ist einfach da (Tenkrat hatte übrigens eine gewisse Affinität zu den Tierchen und gab ihnen in dem Ballard-Gespensterkrimi „Sonne, Sand und Höllenmonster“ eine weitere und wesentlich wirksamere Möglichkeit zu glänzen und erwähnt hier auch einen weiteren Kraken in Sinclair Nr. 10 – der auch von Tenkrat war.). Normalerweise wird ja gern ein Fiesling als Auslöser genannt, der tritt hier aber nicht in Erscheinung.
Was noch unangenehm auffällt, ist manchmal ein gewisser flapsiger Ton bei Johns Introspektive und so einige Monologe (bspw von den zugeschlammten Männern) klingen gestelzt bis total deppert.
Ordentlich Stoff macht Tenkrat aber trotzdem und das hat mir damals einen Heidenspaß gemacht, mit dreizehn ist man noch nicht so endlos anspruchsvoll. Überdies funktioniert dieser Ringelreihen durch alle möglichen Kämpfer des Lichts und ihre Helfer und Waffen sehr gut als Einstieg für einen Neuleser und machen Lust auf mehr – die Verweise auf frühere Romane sind dabei sehr geschickt gesetzt und machen Lust auf mehr.
Heute weiß ich also: es war nicht alles perfekt bei meinem Einstieg, aber gegen eine rasante Monsterhatz mit ordentlich Drive habe ich auch heute noch nichts und mein DVD-Schrank kann das bezeugen. Mir hat der Rückgriff auf die alten Zeiten aber durchaus wieder Spaß gemacht und ich kann verstehen, warum ich künftig auf Sinclair abging wie Schmidts Katze – was den späteren kreativen Abbau der Serie um so schmerzhaften macht.
Ich präsentiere aber noch zwei inzwischen eher „nebensächliche Unbekannte“ aus dem goldenen Zeitalter (wer das jetzt wissen möchte, es endete für mich ganz klar mit Band 353) und wünsche damit viel Freude...