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»Schön war die Jugend?« - Ausflüge in die Romanheftvergangenheit: Der Vernichter jagt Sir Edward (Der Lord 40)

Schön war die Jugendzeit? -  Ausflüge in die RomanheftvergangenheitAusflüge in die Romanheftvergangenheit:
»Der Vernichter jagt Sir Edward«
Der Lord Nr. 32 von John Ball

Uuuh, das ist jetzt aber wirklich mal ein Unterschied wie Tag und Nacht!

Oder man könnte auch sagen, wie die bereinigten und überzensierten Versionen, die Hollywood ab 1934 produzierte, nachdem der Hays Code die thematisch freizügigeren Pre-Code-Filme beerbte und begrub.


Natürlich kann nicht ein Roman im schieren Wahnwitz dem nächsten das Wasser reichen (und es auch noch halten können), aber hier klafft eine so beachtliche Lücke zwischen total durchgeknallter Fabulierkunst und montonem Abhäckseln eines Bodycounts, dass man sich unwillkürlich fragt, ob die Autoren überfordert waren oder mehrere Autoren beteiligt waren, die einfach nicht gleiche Qualität als Verfasser aufwiesen.

Es ist vermutlich eines der größten noch zu lösenden Geheimnisse, wer diesen eiskalten sadistischen Kram in eine Schreibmaschine tackerte, wie viele es waren und wer wen dabei im Nachgang vielleicht noch verschlimmbessert hat. (Meine klare Frage an die Erber-Macher bleibt aber übrigens gleich: WAS STIMMT NICHT MIT EUCH? )

Die Wurzeln so einer Serie sind da schon klarer zu enthüllen, da ein gewisser Sadismus sich etwa in den Horrorfilm der späten Sechziger und frühen Siebziger einschlich, teilweise verblüffend kalt und gnadenlos präsentiert, teilweise mit schwarzhumorigen Spitzen verziert und verblüffend unterhaltsam.

Wer es wissen will, hier spielen verschiedene Quellen zusammen: große Parallelen sehe ich etwa zu einem recht kostengünstigen Trashquatsch aus dem Jahr 1970, namentlich „Scream and Scream Again“, der in Deutschland unter dem apokalyptischen Titel „Die lebenden Leichen des Dr.Mabuse“ im Kino lief. Der Film ist ein hastig und klippschulenhaft zusammengeschredderter Beitrag von AIP (American International Pictures) und ist heute nur nicht in Vergessenheit geraten, weil sowohl Vincent Price (aus dessen Dr. Browning bei uns mal flott Dr. Mabuse wurde) als auch Peter Cushing und Christopher Lee darin mitspielen. Während mir spätestens die Socken aufgingen, als ich Cushing in seiner Alias-Nazi-Uniform gesehen habe, beeindruckt der Quatsch durch eine beklemmende Prämisse, bei der zahlreichen Opfern nicht nur das Blut abgezapft wird, sondern anderen Opfern ständig irgendwelche Körperteile amputiert werden, woraus dann neue böse Menschen gebastelt werden. Sogar ein Säurebad spielt mit und in dem landet dann Vincent auch zum Filmende und blubbert sich einen.

Dazu kommen noch eine Handvoll philipinisch-amerikanischer Billigproduktionen um den „Mad Doctor of Blood Island“, eine Reihe, die es auf immerhin vier Filme zwischen 1968 und 1971 brachte und auch mit Skalpell und lebenden Toten herum schmodderte. Dann gießen wir in den Mix noch etwas mehr Vincent Price mit seinem unvergleichlichen unmenschlichen Dr.Phibes und ergänzen das ganze noch etwas mit dem brachial sexualisierten Gewaltkammerspiel mit dem Titel „Andy Warhols Dracula“.

Das sind allesamt recht bildstarke Schaustücke, die sich selbstzweckhaft und zur Unterhaltung einer sehr gewöhnungsbedürftigen Moral bedienen, der jede Hammer-Romantik von verrückten Wissenschaftlern abgeht. Da beschwerte sich die zeitgenössische Kritik natürlich recht nachdrücklich und dennoch wollte die Masse das sehen – kalte Hundeschnauze kannte man aus dem gemütlichen Ohrenkino eben gar nicht mehr.

Doch wo es keine Antipoden von Gut und Böse mehr gibt, da stellt sich natürlich Leerlauf ein – und der liest sich dann ungefähr so...

Der Vernichter jagt Sir EdwardIch rufe den Vollstrecker...pardon... den Vernichter!
In einem Wäldchen in Surrey sind zwei gesegnete Sonntagsjäger auf der Pirsch. Webster und Hobson sind nicht ganz nüchtern, kriegen sich aber in die Haare über ein verpasstes Ziel, das entweder ein Hase (blond) oder ein Mädchen (blond) gewesen sein könnte. Man einigt sich halbwegs auf ein Mädchen, dass aber nicht erschossen wurde, sondern sich in Luft aufgelöst hat. Nach Meldung an die Behörden, hört Chefinspektor Walter Maugham von der Angelegenheit und nimmt sie zur Überraschung aller Beteiligten ernst: er hat noch mehr von diesen Vorfällen gesammelt. Mehr als einen Schuh kann man von der Holden aber nicht finden.

Demotiviert erzählt Maugham das alles seinem netten Helfer Sir Edward, dem besagten Morton-Klon, der unentrinnbar mit Mortons Schicksal verbunden ist. Der weiß natürlich dank seiner mentalen Fähigkeiten davon, verspricht aber zu helfen, obwohl er noch nicht weiß, wie.

Derweil hat sich Jäger Hobson auf ein bis zwölf Pints in den Pub zurückgezogen und schwadroniert über seine Erlebnisse. Ein Reporter schreibt unbemerkt mit, geht die Story aber melden, bevor die entscheidenden Dinge geschehen: ein Bauer namens Duke bringt an seltsamen Vorkommnissen eine stillgelegte Brennerei ins Spiel und verschwindet dann plötzlich in die laue Luft der Gaststube. Und auch Hobson löst sich in Luft auf. Und noch jemand ist in der Gaststube, ein böser Mann...geht aber im folgenden Tumult unter.

Maugham bekommt am Tatort gleich den nächsten Fall serviert: ein Chemiker namens Grant behauptet, seine Frau wäre verschwunden. Prompt laufen auch Maugham Kollegen-Konkurrenten Inspektor Quester und Superintendent Russell am Tatort auf, doch Lord Edward lenkt den neuen Fall in Richtung Quester weiter und teilt die Ermittlungen auf.

Quester – relativ unfähig – findet schon bald heraus, dass die Sache Grant offenbar nichts mit den anderen Fällen zu tun hat und holt sich den jungen findigen Kollegen Morris ins Boot, der aber nur bedingt auf Quester reinfällt. Tatsächlich stöbert er auch bald die Leiche von Grants Frau auf – in der Nähe der besagten Brennerei. Offenbar ist ihr Mann der Täter.

Derweil mischt sich auch noch der Geheimdienstchef Fletscher in die Ermittlungen ein und auch Dr.Morton persönlich schickt eine telefonische Warnung.
Auch bei der mentalen Suche nach dem „Vernichter“ kommt der Lord nicht weiter, er fühlt sich wie blockiert.
Also zieht Rob Jones für seinen Chef los, ein paar Erkundigungen einholen. Er fährt zu der Brennerei und kann dort aber zunächst nicht viel finden, während er von dem „Vernichter“, der tatsächlich im Keller des Gebäudes in einem mit Blei verkleideten Raum hockt, per Kamera beobachtet wird.
Schließlich findet er aber doch einen geheimen Eingang zum Kellerbereich, wird aber per Falltür ausgetrickst und niedergeschlagen. Im Anschluss erklärt sich der Widersacher und sein bisheriges Vorgehen: er hat ein Präparat entwickelt, dass vom menschlichen Organismus aufgenommen und gespeichert werden muss, dann kann er die Delinquenten per Strahler an einen ihm selbst unbekannten Ort verschwinden lassen. Er spritzt auch Jones das Mittel, doch dieser kann sich befreien und den Vernichter angreifen. Jones kann fliehen, wird aber beschossen und verschwindet außer Sicht. Schon kommt die Polizei und findet dort eine halbe menschliche Leiche – doch es ist nicht Jones, wie Lord Edward am Tatort erleichtert feststellt.

Der wiederum hat sich auf das Privatgelände von Dr.Morton gerettet, wo er aber in eine Falle tappt und erst nach einigen Stunden von Grimsby ins Haus gebracht wird. Daraufhin schaltet sich Morton in den Fall ein und arbeitet kurzfristig mit Lord Edward zusammen, indem er etwa Gewebeproben der „halben“ Leiche bei sich analysiert und dem mysteriösen Präparat auf die Spur kommt.

Lord Edward untersucht daraufhin mit Jones noch einmal den Tatort, an dem das Mädchen verschwand und findet eine Erkennungsmarke vom Geheimdienst. Das motiviert Fletscher zutiefst, gehört sie doch einer jungen Agentin, die vor Jahren bei der Überwachung eines Verdächtigen verschwand. Der Name des Mannes: Derek Butler, sein Beruf Phyiker.

Und kaum geistert dieser Name wieder durch die Medien, wird Butler, der Vernichter, aktiv...

Wenn man es nicht spannend und komplex machen kann, bleibt immer noch die Möglichkeit des Verkomplizierens...
Gut, ein besonderes Musterbeispiel an erzählerischer Komplexität waren auch die Morton-Romane nicht, derer ich habhaft werden konnte; eher noch simpler, aber das macht das ziemlich aufgebauschte Krimigeschehen in diesem Roman leider nicht wirklich besser.

Was besonders an diesem klassischen Ermittlungsroman ohne großartige Charaktere oder Charakterisierungen auffällt, ist der Trend zur unheilsschwangeren Ankündigung im Text, die praktisch ununterbrochen angewandt wird.

Da kommt man sich vor wie in einer glorreichen, alten Folgen von „Aktenzeichen XY“ vor, wenn es ungefähr so klingt wie „...aber John T., noch belustigt, ahnt nichts von seinem nahenden Schicksal...“!

Wann immer eine Szene sich dem Ende zuneigt, scheint dieser Kniff Anwendung zu finden, als müsse man die Leser so zwingen, an dem Roman dran zu bleiben oder großartige – grauenhafte – Dinge vorab zu melden, die in dieser jugendfreien Fassung sowieso nicht mehr eintreten oder eher bedeckt geschildert werden.

Teilweise konnte man im Umkehrschluss auch den Eindruck gewinnen, das würde als eine Art vorausschauende Beruhigung eingesetzt, damit sich auf den nächsten drei Seiten ja bloß niemand erschrecken soll, bei all den Dingen, die da gleich passieren sollen (es aber nicht tun). Vermutlich hat man mit diesem Fake-Climax-Prinzip die Jungs von der BPS eingelullt.

Offenbar hat dieses Cliffhangerprinzip nicht wirklich gut bei den Lesern funktioniert, sonst hätte der Lord nicht nach 38 Heften wieder die goldenen Löffel abgegeben; vielleicht lag es aber auch an dürftigen Plots wie diesem, der nun so wirklich gar nichts erklärt und auch nichts Phantasievolles herbei spinnen mag.

Das Präparat wird ebensowenig erklärt, wie die Funktionsweise, die Subjekte dann per Handstrahler ins Nichts zu versenden und an der Frage, wo dieses Nichts sich befindet, scheitert sogar der Bösewicht tatenlos. Es funktioniert halt und weil man ja nicht entdeckt werden will, muss man alle Zeugen so beseitigen.

Was der gute böse Derek Butler mit seiner Waffe denn nun eigentlich vor hatte – außer sie meistbietend zu verkaufen – bleibt ein ungeheures Rätsel; letztendlich hätte man das auch außerhalb eines mit Bleiplatten verkleideten Kellers in einem abgewrackten Gebäude (wo natürlich jede Aktivität sofort auffällt) bauen und testen können.

Mortons Auftritt (incl. Grimsby) bleibt dann ferner ein mäßiger MacGuffin, damit die „Helden“ voran kommen (nachdem er vorher erklärungsfrei den Lord davor gewarnt hatte, sich mit dem Fall zu beschäftigen, auch hier ohne Basis und Erklärung in der Folge), Lord Edward selbst sitzt meistens nur im Sessel rum, weiß alles besser (oder vorher) und behindert bzw. entwirrt notfalls das Geflecht der polizeilichen Kompetenzstreitigkeiten.

Auch andere Dinge wirken mehr irritierend, sei es nun der sinnfreie Versuch von Jones, nach seiner Flucht in Mortons Anwesen einzubrechen oder das buchstäbliche Ignorieren der Tatsache, dass er um den Aufenthalt des Finsterlings in der stillgelegten Brennerei seit dem Mordanschlag auf ihn weiß. Statt die Butze zu stürmen, eiert man endlos um das Gelände herum.

Den Erklärbär kann man auch für den zwischengestreuten Fall des Gattinnenmörders Grant einsetzen (it's a filler!) oder für eine Sequenz zwischendurch, in der ein depperter Klischeepolizist in der Brennerei einen Star-Reporter aufstöbert – ohne dass das irgendwelche Konsequenzen für die Handlung hätte.

Für den Rest der Handelnden gilt: der junge Beamte ist findig, der gute Maugham tatendurstig, aber überfordert, der Superintendent abgehoben und Quester eine totale Wurst, gekrönt von einem glubschäugigen Geheimdienstchef (der in good old england vermutlich nicht „Fletscher mit s“ geschrieben werden würde), der immerhin noch etwas Substanzielleres zum Plot beifügen darf, auch wenn das Geheimnis um die acht Jahre verschwundene, vor drei Tagen wieder aufgetauchte und daraufhin aufgelöste Geheimagentin genauso nebulös bleibt.

Da helfen auch nicht halb durchtrennte Leichen, deren noch existierende Hälfte top in der Form bleibt (auch das: ungeklärt), das Geschehen ist, wie der Protagonist, relativ blutleer (das wäre Morton nie passiert). Und auch das darf ich dem betont umständlichen Romanaufbau an den Rücken pappen.

Heißt: „Der Lord“ ist eine relativ dröge Nummer und wo „Morton“ den Splattergeist und Sadismus der 80er und 90er vorweg nahm, wirkt sein Klon wie ein Rückfall in die seligen 60er.

Sollte ich mich dieser Serien also noch einmal widmen, dann würde ich (wie wohl fast jeder) Morton gegenüber dem Lord bevorzugen, wobei ich absurdere Plots vermutlich in beiden Serien goutieren könnte – zu viel von jedem ödet aber leider doch etwas an.

Daher wechsele ich nochmals in die klassische Vampir-Serie rüber und knabbere mich da durch einige frühe Romane (meine bisherigen Tests waren ja aus der Spätphase und nicht immer stilsicher), vielleicht kommt ja so wieder Atmosphäre auf...

Kommentare  

#1 Andreas Decker 2016-10-21 10:35
Ja, so war der Lord. Öde, öde, öde.

Auch wenn die Macher ein paar Sachen durchaus richtig gemacht haben - es wurde nie festgelegt, was Sir Edward nun kann und was nicht, was die Sache wenigstens etwas unvorhersehbar machte - war das die traurige Kinderstundenversion.

Obwohl die sogar noch besser war als später der kastrierte Morton im Kriminalmagazin, wo der gute Doktor und Grimsby dann an der Seite Scotland Yards arbeiteten. Als Leser hat man immer bedauert, dass Grimsby den blöden Quester nicht in den Häcksler geworfen hat, als er es noch durfte.

Das Interessanteste dürfte an der Serie sein, dass es den Lord auch ohne die Indizierung gegeben hätte bzw gegeben hat. Vermutlich nur mit etwas mehr Wumm auf den Seiten.

Im letzten Morton vor der Indizierung war zusätzlich zu dem bereits erscheinenden Großband eine Taschenbuchreihe angekündigt, und der erste Lord war zeitgleich erschienen. Bedenkt man den Vorlauf, war die Serie also keine unmittelbare Reaktion auf das Morton-Aus. Oder Erber hat nach ein paar Monaten Rechtsstreitigkeiten die drohende Niederlage erkannt und vorgesorgt, um den Markennamen nicht abrupt sterben zu lassen.

In den letzten Bänden vom Lord gab es Werbung für "Mortons Rückkehr" als Magazin und im letzten Lord die Ankündigung, dass die Serie dort fortgeführt würde. Obwohl man sicher davon ausgehen kann, dass der Verlag die Serie bestimmt auch solo weitergeführt hätte, wenn sie denn erfolgreich genug gewesen wäre.
#2 Eberhard Eidecker 2016-10-22 20:57
Kleine Randnotiz:
Der im Intro genannte Film "Scream and scream again" basiert auf dem Roman von Peter Saxon "Der Irre" . Veröffentlicht natürlich im Erber-Verlag. Im Roman ist die Handlung nicht ganz so wirr wie im Film.

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