Meine Eindrücke, Gedanken und Erinnerungen - Die Hexer Stanley Chroniken I
Meine Eindrücke, Gedanken und Erinnerungen
Die Hexer Stanley Chroniken I
Erinnerungen
Im Sommer 1975 erholte ich mich gerade von einer Mandelentzündung und durfte wie damals bei uns üblich erst nach drei fieberfreien Tagen wieder nach draußen. Mir war langweilig und ich dürstete nach Lesestoff. In unseren Ort kam einmal im Monat ein Verkaufswagen, wo es alle möglichen Lebensmittel, Wasch- u. Pflegemittel zu kaufen gab. Ich durfte mit und entdeckte dort einen Karton mit Romanheften. Darunter auch ein SF-Roman von Zauberkreis: Nr. 158 Begegnung auf S 2079 von H.J. Müggenburg. Dies war einer meiner ersten SF-Romane und Müggenburg zählte in den nächsten zwei, drei Jahren zu meinen Lieblingsautoren.
Insgesamt 21 SF-Romane verfasste H.J. Müggenburg, 13 davon fanden den Weg in meine Sammlung. Damals wusste ich nicht, dass er auch Gruselromane verfasste. Kunststück, diese Titel erschienen unter dem Pseudonym Hexer Stanley und mit 13 Jahren wusste ich noch nichts von solchen Gepflogenheiten. Erst vor wenigen Jahren durch die Artikel im Zauberspiegel wurde ich darauf aufmerksam. Aber ich hatte keine Lust mir die Romane über Ebay etc. zuzulegen. Seit letztem Jahr erscheint jetzt jedoch eine komplette Werksausgabe von Müggenburg bei Emmerich Books & Media. Den Anfang machen seine Gruselromane. Und nun habe ich mir die Zeit genommen den ersten Band der Hexer Stanley Chroniken zu bestellen und lesen. Mir war vorher ein wenig mulmig. Wie würde der Held meiner Teenagerjahre heute auf mich wirken? Was war vom Zauber der damaligen Romane übrig geblieben? Denn nicht alles, was ich in jener Zeit gelesen habe, gefällt mir heute noch.
Der erste Eindruck
Der erste Eindruck war wohltuend. Die Aufmachung und auch die Extras erfreuten meine bibliophile Seite. Man findet dort nicht nur zwei Romane, sondern auch ein Interview mit dem Autoren, eine Kopie eines damaligen Vertrages zwischen dem Zauberkreis-Verlag und Müggenburg und eine vollständige Bibliografie seiner Werke. Dazu kommen Infos zum Leben des Autoren, zur Künstlerin, die das Cover gestaltete, und ein Vorwort von Christian Montillon, der sich zu meiner Überraschung ebenfalls als ein Fan der Müggenburgromane outet.
Da ich, wie oben erwähnt in den Teenagerjahren fast nur SF verschlungen habe, waren mir die Hexer-Stanley-Romane natürlich unbekannt. Und es gibt schon ein paar Stellen, wo das Alter der Texte recht deutlich wird. Dazu gehören die erwähnten Automarken und die Benutzung einer Telefonzelle. (Die Älteren unter den Lesern werden sich sicher noch vage an die gelben Kästen erinnern, die überall herumstanden) Ansonsten bin ich sehr erstaunt wie zeitlos die Abenteuer auf mich wirkten. Das Besondere an der Werksausgabe ist nämlich, dass nicht die Zauberkreisromane nachgedruckt wurden, sondern die Originalmanuskripte des Autoren. Dieser ist nämlich nicht sehr glücklich über die damals vom Lektorat vorgenommenen Kürzungen und Änderungen. Und auch ich muss ich sagen, ich habe nur zwei, drei Stellen gefunden, wo ein Lektor nach meinem Empfinden sinnvoll einschreiten sollte. Das waren Doppelungen und eine irgendwie mißlungene sprachliche Wendung. Ansonsten wirkte das Ganze richtig rund auf mich.
Die Romane
Die Hexer Stanley Chroniken Band I umfassen zwei Titel von Müggenburg: "Die Jagd nach Borascht" und "Japhets Tod". Während "Japhets Tod" Ende 1974 in der Reihe Silber-Grusel-Krimi im Zauberkreis-Verlag unter dem Titel "Das Grauen von Chichen Itza" erschienen ist, handelt es sich bei "Die Jagd nach Borascht" um einen bisher unveröffentlichten Roman aus jener Zeit.
"Die Jagd nach Borascht" beginnt mit der Hinrichtung eines notorischen Verbrechers. Sein Verhalten während der Exekution ruft Sir Stanley, Earl of Depford, und die "Weltbruderschaft Weißer Magier" auf den Plan. Hat etwa die "Schwarze Internationale der Linken Hand" ihre Finger im Spiel? Die Spur führt den Earl, seine Gattin Anne und seinen getreuen Butler George in die Südstaaten. Dort macht der Ku-Klux-Klan seit einiger Zeit wieder verstärkt von sich reden. Der Earl vermutet einen Zusammenhang mit Roman Borascht, einem berüchtigten Schwarzmagier, der Vorstandsmitglied der IGM (Industriegewerkschaft Magie) ist.
"Japhets Tod" erschien ursprünglich unter dem Titel "Das Grauen von Chichen Itza". Der Earl erhält per Fledermaus die Nachricht, dass im Harz ein Schwarzmagier aktiv ist. Dieser Volker Rochler von der Spindlermühle schaltet einen Adepten der Weißen Magie aus. Folglich machen sich der Earl, seine Frau und der treue Butler auf den Weg nach Deutschland. Nachdem dort die Gattin des Earls nur knapp dem Schicksal einer rituellen Opferung entkommen kann, geht es zurück nach Schottland. Jetzt wird der Earl persönlich entführt. Die Spur führt George und Anne nach Mexiko, genauer in die Ruinen von Chichen Itza.
Eine ausführliche Besprechung von Konrad Wolfram gibt es hier im Zauberspiegel.
Die Hauptpersonen
Für mich ist der eigentliche Held dieser Romane der Butler George mit seinem Schlachtermesser, das er immer in einem Wadenhalfter bei sich trägt. Diese über einem schottischen Torffeuer selbstgeschmiedete Waffe erhält ihren letzten Schliff durch das Blut eines jungfräulichen weiblichen Vampirs und wird überdies regelmäßig an einem Taufstein in der Saint Pauls Cathedral in London gewetzt, um seine dämonische Vernichtungskraft zu erhalten. Das sagt alles oder? Dazu hat er auch noch einen standesgemäßen Bowler, der zum Einsatz kommt wenn alles andere versagt hat.
Die Gattin des Earls Lady Anne Rose of Depford wirkt aus heutiger Sicht etwas zwiespältig. Einerseits tritt sie ihrem Mann gegenüber sehr bestimmend, um nicht zu sagen beherrschend auf, andererseits ist sie oft eben doch die zu rettende Frau, die kein Blut sehen kann. Zudem neigt sie hochprozentigen Getränken zu und entwickelt dann psychokinetische Kräfte, die sie aber leider nicht kontrolieren kann.
Der Earl selbst bleibt für mich ein wenig blaß. Sicher er ist ein großer Magier, aber er verlässt sich doch öfter lieber auf die schnöde Technik und seine Zaubersprüche sind selten entscheidend.
Zitate
Der damalige Zeitgeist blitzt auch immer wieder auf. In den Romanen wird regelmäßig Whiskey getrunken und natürlich auch geraucht. Schnelle Autos dürfen ebenfalls nicht fehlen. Heute ist so etwas kaum mehr vorstellbar. Wieder gefunden habe ich auch den speziellen Humor und die phantasievollen Ausdrücke, die schon die SF-Romane Müggenburgs auszeichneten.
Einige Textstellen können den besonderen Stil von H.J. Müggenberg besser verdeutlichen als jede Beschreibung meinerseits:
"Es ist Zeit, Del" sagte er. Diese Worte waren so alt wie die Todeszellen selbst. Jeder Todeskandidat in amerikanischen Gefängnissen bekam sie zu hören. Immer fünf Minuten bevor er gebraten, gehenkt, erschossen oder vergast wurde ..."
(S.14)
"Was bedeutet IGM?" "Industriegewerkschaft Magie natürlich, was sonst", erwiederte Stanley trocken. "Die schwarzen Zauberer treiben eine scharfe Tarifpolitik. Ihre Arbeitgeber, also Mordsyndikate, Großindustrielle, speziell aus der Rüstungsbranche, sowie Politiker müssen immer tiefer in die Tasche greifen."
(S.29)
"Weiß ich alles", erwiederte Sir Stanleys bezaubernde Gattin und stieg ebenfalls aus dem Wagen aus. "Das hat jedoch nichts damit zu tun, dass ihr mich allein und schutzlos und verzweifelt zurücklassen wollt. Ich würde sterben vor Angst, schließlich bin ich eine arme und schwache Frau. Ich komme mit zurück zu diesem Mr ... Mr ... na ja Vampir eben."
(S.54)
"Jedem Dentisten wäre es ein Vergnügen, ein derart prachtvolles Exemplar unter den Bohrer zu bekommen," bewunderte er die Beißerchen. "Er scheint gerade von einem opulenten Frühstück nach Hause gekommen zu sein. Friede auch der Seele des unglückseligen Opfers."
(S.147)
"Der Nächste, bitte" lud der Butler ein und zückte sein Schlachtermesser. Er hatte keinen Zweifel daran, dass die Tür hinter seinem Rücken im Moment fester verschlossen war als die Speisekammer einer neunköpfigen Familie. Deshalb versuchte er erst gar nicht zu fliehen."
(S.219)
Fazit
In ein paar Dingen erinnert mich das Setting an Professor Zamorra. Da ist z.B. LUCIFUS ROCOLFO, der höllische Kronprinz und da werden Dämonen à la Vassago gegen ihren Willen beschworen und versorgen den Earl mit Informationen aus der Hölle. Vampire, Werwölfe und Dämonen kreuzen den Weg der tapferen Helden. Wenn ich richtig gerechnet habe, sind die Hexer-Stanley-Romane jedoch vor den Zamorraromanen herausgekommen. Nach den Zusatzinfos im Band sind sie wohl alle im Jahre 1974 geschrieben und abgeliefert worden, auch wenn der letzte erst 1978 erschienen ist.
Ich finde hier den aus den SF-Titeln bekannten trockenen Humor wieder. Dazu kommt die wirklich vorbildliche Gestaltung der Ausgabe mit Bibliographie, Interview etc., so wünsche ich mir das als Sammler. Der Rückgriff auf die Originaltexte des Autoren macht diese Ausgabe auch für alle diejenigen interessant, die die Hefte von früher noch in ihrer Sammlung stehen haben. Dazu kommt der bisher unveröffentlichte Roman.
Ich werde auch bei den weiteren Bände der Sammlerausgabe zugreifen!
Kommentare
Aber auch nur bei irgendwelchen Ökos oder selbsternannten Sicherheitsexperten - ich liebe nach wie vor schnelle Autos - einen kleinen Teil des Machos muss man sich ja erhalten
Bei Whiskey und Zigarren (oder auch Zigaretten) sehe ich persönlich auch kein Problem. Allerdings folge ich da wohl auch nicht dem zur Zeit herrschenden politischen wie gesellschaftlichen Zeitgeist.
Müggenburgs Romane sind durchweg sehr gut gealtert, nach meiner Auffassung, denn sie lassen sich immer noch locker und sehr ansprechend lesen. Allerdings kenne ich seine SF-Romane (noch) nicht und würde mich auch da über eine Sammlerausgabe durchaus freuen.
Das mit der Nostalgie ist wirklich so eine Sache. Ich lese oft alte Hefte, und zu viel davon ist selbst mit gutem Willen ungenießbar. Ich frage mich dann immer, ob es für Erwachsene schon damals so schlecht gewesen ist oder sich die eigene Sicht so sehr verändert hat.
Mit Comedy-Horror konnte ich allerdings schon damals nie viel anfangen.
Wir werden die SF-Romane unter dem Titel "SF-Chroniken" ebenfalls veröffentlichen (soweit wie es möglich ist werden wir auch hier auf die Originalmanuskripte zurückgreifen); der erste Band ist in Vorbereitung!
Danke für die Info Peter Emmerich. So etwas erfreut doch des Sammlers Herz.