Gefühlt endlose Gewaltorgie - Verseucht (Biohazard, 2010) von Tim Curran
Gefühlt endlose Gewaltorgie
Verseucht (Biohazard, 2010) von Tim Curran
Tim Currans besonderes Talent als Autor liegt eigentlich darin, immer neue und stetig steigernde abscheuliche, perverse und verstörende Grausamkeiten absolut realistisch und äußerst bildlich zu beschreiben, ohne dass man ihn deshalb gleich für eine kranke Sau hält, die man am besten für immer wegsperrt. Dessen ist sich der Autor wohl auch durchaus bewusst, denn er schöpft in diesem Roman wieder genüsslich aus seinem vollen und vor Ekelhaftigkeiten überquellenden Wortschatz-Abfallkübel.
Was er allerdings nicht sonderlich gut vermag ist das Geschichtenerzählen selbst. Er verstört lieber so gekonnt systematisch und kalkuliert mit seiner bildgewaltigen Sprache, dass die Story nebensächlich wird.
In diesem Buch, das an sich eine Art literarisches Roadmovie ist, schildert er dem Leser auf zu vielen Seiten die scheinbar ziellose Irrfahrt des Erzählers aus der Ich-Perspektive bis zu seiner finalen Destination; gespickt in typischer Curran-Manier mit eingangs erwähnten Schmankerln, schonungslos dargestellt und keine verstörende Einzelheit auslassend. So weit, so gut; dies hat in „Zerfleischt“ ja auch bestens funktioniert, weil meisterhaft geschildert und ein klares Konzept bietend. Dort hat man dann die auch Story nicht so wirklich vermisst: es dürfte einem nach den ersten Seiten nämlich schon klar gewesen sein, dass die Gewalt und deren schonungslos explizite Darstellung der eigentliche Daseinszweck der bedruckten Seiten war.
Im vorliegenden Falle ist dies aber leider anders.
Curran versucht hier nämlich „L’art pour l’art“ in eine Rahmenhandlung zu zwängen, jedoch gelingt dies nicht besonders überzeugend, sondern wirkt hölzern, unbeholfen und eigentlich unnütz.
Das Misslingen des Vorhabens begründet sich einerseits wohl daran, dass der Umfang des Buches der eher dünnen und nicht sonderlich originellen Grundidee unangemessen ist: die Hälfte der Seiten wären hier absolut ausreichend gewesen, bzw. sie hätte (wenn sie straight genug und konsequent erzählt worden wäre) eine sehr gute und gelungene Novelle (wie z.B. Blackout)abgegeben.
Es dominiert auch in diesem Roman über weite Passagen die - schon aus „Zerfleischt“ bekannte und - gewohnte und in diesem Buch gefühlt endlose Gewaltorgie; nur ab und an (und vor allem gegen Ende) besinnt sich der Autor dann immer wieder auf seine Rahmenhandlung und versucht diese peitschenknallend wieder voranzutreiben. Was aber nicht so recht gelingt, so dass das Konzept letztlich nicht funktioniert; die beiden Komponenten finden wie die berühmten Königskinder einfach nicht zueinander und ergänzen sich letztendlich dann auch nicht. Das Zentralthema um das „Schattengebilde“ ist an sich noch durchaus interessant und vielversprechend, wirkt aber insgesamt nur aufgesetzt und letztlich auch überflüssig.
Richtig schlau war man als Leser am Ende des Buches dann auch nicht mehr als am Anfang.
Was sich in der Gesamtbetrachtung auch – zumindest für mich – störend auswirkte, war die innere Logik des Endzeit-Szenarios selbst. Eine solche Vielfalt an den hier vorkommenden und sich tummelnden Mutationen und Phantasmagorien aufgrund eines - nennen wir es einfach mal so – banalen Atomkriegs, noch dazu in einem lächerlich kurzen Zeitraum von nur knapp 6 Monaten nach dem Fallout wäre einfach nicht möglich, und ist daher auch völlig unglaubwürdig. Eine phantastische Geschichte sollte wenigstens als absolutes Minimum in sich selbst stimmig sein und eine gewisse Glaubwürdigkeit bieten. Ist leider hier nicht der Fall.
Fazit:
Ein an sich typischer Curran, der nur oberflächlich den Erwartungen durchaus entspricht, ihnen aber letztlich nicht gerecht wird. Tatsächlich nicht schlecht, aber auch nicht wirklich gut: eher unausgegoren und unbeholfen.
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Zerfleischt