»Schön war die Jugend?« - Ausflüge in die Romanheftvergangenheit: Verschollen im Geisterwald (Gespenster-Krimi 397)
Ausflüge in die Romanheftvergangenheit:
»Verschollen im Geisterwald«
Gespenster-Krimi 397 von Bruce Coffin (aka Kurt Maurer)
Ich hatte es zwar auf ein Thema einer kleineren Skala abgesehen, angesichts des Titels, mehr so traditioneller Materialisationsmummenschanz mit Geistern und Dämonengeschöpfen und diesem gräulichen Catweazle-Waldschrat, der leichtbekleidete Mädchen nächtens auf einsamen Grabsteinen heimsucht (siehe Cover), doch so günstig und offensichtlich ist ein Gespenster-Krimi wohl nicht zu haben.
Von dem dollen „Geisterwald“ findet sich nur wenig außerhalb der ersten paar Seiten, stattdessen entwickelt sich ein Szenario, wie es erst wenige Wochen vorher in „Der Grüne Dämon“ vorkam: dämonische Flora in einem magischen Dschungel des Bösen, die im „zivilisierten“ Umfeld für Chaos sorgt.
Und als sei das nicht genug, verkommt die Verlagerung des Romans nach...na klar, London dann zu einer nur grob kaschierten Neuinterpretation des klassischen Quatermass-Abenteuers „The Creeping Unknown“, komplett mit mutierten Matschmonstern und vor sich hin wuchernden Mutationen.
Nicht falsch verstehen: ich mag so was.
Ich mag es, wenn die Skala einer Geschichte nicht von vornherein erkennbar ist und sich nach hinten raus langsam auswächst, wenn auch hier nicht wie beim „grünen Dämon“ eine Gefahr globalen Ausmaßes daraus erwächst, zumindest noch nicht auf diesen Seiten.
Maurer ist inzwischen gut eingearbeitet und bringt seine Figuren recht geschickt in Stellung, auch wenn einige Elemente ein wenig abstrus wirken, wie die Verschickung des Geisterjägers per Kiste aus Spanien und dann die Verfolgung durch die natürlich attraktiven Kolleginnen/Gespielinnen, die einerseits König Zufall gemietet haben und andererseits genau das Pech mit der Reiseverspätung, um dann beim unterstützenden Eingriff zur Weltrettung prompt selbst in Lebensgefahr zu geraten.
Auffallend ist übrigens, dass der Autor allzu viele graphische Details lieber vermeidet.
Zwei der Opfer sterben vorsorglich an einem Herzinfarkt, zweimal wird vorsichtshalber ausgeblendet und gesprungen und wenn es dann an die wirklich gruseligen Effekte der Mutation geht (sehr effektiv in der Krankenhaussequenz ersichtlich), wird wieder gnadenlos einreduziert und der Rest der Phantasie der Leser überlassen.
Das führt dann dazu, dass zumindest einmal, als das fertige Monstrum geschildert wird, es in der Beschreibung dann wieder ein Schmunzeln produziert. Maurer schreibt, dass anstelle von Augen Beeren den Platz eingenommen hätten, was sofort eine Assoziation in Richtung auf die berühmten „Gesichter aus Obst und Gemüse“-Bilder von Giuseppe Arcimboldo hervorruft.
Body Horror stand also nicht eben hoch oben in der Agenda des Bastei-Verlags, Blut an sich war ja zu dieser Zeit auch schon lange raus, also blieb eigentlich nur der Infektions- und Krankheitsekel – nein, insofern ist das sicher kein Roman, bei dem man sich wohlfühlen kann.
Schauen wir also mal rein...
Ich hab nicht nur den grünen Daumen, sondern auch…
Oha, das Böse kündigt sich mal wieder an! Vier junge Leute fahren von Honolulu aus mit einem Boot einfach eine von diesen besagten „Touren“ machen und während sich drei von ihnen einen Keks freuen, hat Kathleen Drover eine Todesahnung in Gestalt eines nur für sie sichtbaren grünen Skeletts. Die übrigen Mitreisenden werden übrigens nicht gewarnt, auch wenn keiner von ihnen den Roman überleben wird.
Wie dem auch sei, auf jeden Fall taucht plötzlich ein Eiland auf und da es schön begrünt ist, macht das Quartett einen Abstecher. Während die Anderen am Strand bleiben, marschiert Kathleen halb hypnotisiert in den Wald, wo sehr viele unbekannte Riesenpflanzen mit recht mobilen Ranken eine gefährliche Umgebung abgeben. Prompt wird Kathleen von irgendeiner Riesenblüte vernapft.
Sie kann aber noch schreien, was ihre Kumpels Michael Anderson und Fred Clondale auch zu einem Abstecher in die Vegetation veranlasst, der ihnen nicht gut bekommt. Die Pflanzen greifen an und beide tragen von den Ranken Wunden davon. Der Vierten im Bunde, Susan Fisher geht am Strand entsprechend der Stift.
Daheim in Honolulu muss man natürlich ihrem Vater, dem Großindustriellen Ronald Drover Meldung über das vermutliche Ableben von Töchterlein machen, der das aber recht konstruktiv aufnimmt, weil er vom Übernatürlichen schon mal mehr als nur gehört hat. Eine Suchaktion stöbert die Insel nicht wieder auf, aber die Einheimischen geben dem Phänomen den Namen „Die Insel der blauen Schatten“.
Dass dort das Böse den Menschen Keime einpflanzt, wird – zu spät – nun auch Fred und Michael klar, denn Fred wächst etwas auf dem Handrücken und Michael auf der Brust, doch der zunehmende Einfluss verhindert, dass man etwas dagegen unternimmt. Die genreübliche Mordlust kommt auch auf.
Bis Anderson in London ankommt, hat er schon eine zarte grüne Färbung angenommen und duftet nach Blüte. Die Erste, die nicht eben begeistert reagiert, ist seine Mutter Mary…
Parallel dazu entwickelt Fred Clondale einen Trieb: einen, gleich mal Susan Fisher umzubringen und dann noch einen, der ihm aus der Hand wächst. Er attackiert Susan und infiziert sie, sie wird mit grünlichen Schimmer in der Iris am nächsten Morgen gefunden und ins Krankenhaus gebracht.
Derweil hat Ronald Drover den genialen Einfall, einen gewissen Frank Connors hinzu zu ziehen, von dessen Erfolgen gegen die Dämonenwelt er schon gehört hat.
Frank ist allerdings gerade mit seinen Freundinnen/Kolleginnen/Geschossen Barbara Morell und Dolores Rivaz an der Costa del Sol und lässt es sich gut gehen. Das an ihn heran getragene Arbeitsangebot eines Fremden lehnt er ab, aber leider nicht dessen mit Schlafmittel vergifteten Drink. Schwupps liegt Frank in einer gut belüfteten Kiste in Richtung London.
Dolores und Barbara sind jedoch nicht ohne und beginnen bei Franks Abwesenheit schon bald flott zu ermitteln. Mit ein bissl Schmollmund und Waffengewalt können sie bald nachvollziehen, wohin Frank unterwegs ist.
Derweil fällt eine Zimmersuchende namens Lindy Howard leider bei den Andersons dem Pflanzenfluch zum Opfer, der aus ihrem Schrank über sie kommt.
Frank ist inzwischen in Heathrow angekommen und dummerweise schon wach. Er kann sich bemerkbar machen, befreien und mit seinem Freund Kommissar Haggerty vom Yard Kontakt aufnehmen. Dank eines gut platzierten Adressaufklebers weiß er jetzt auch, dass er sich wegen des Trips an Drover wenden muss.
Drover erweist sich dann auch als demütig – so hatte er das Engagement nun auch wieder nicht gewünscht. Aber noch bevor Frank wutschäumend ablehnen kann, meldet man den Mord in Soho durch eine Pflanze.
Und das ist geschehen: Dockarbeiter Walther stolpert nach seinem Kneipenabgang über ein monströses Pflanzenmonstrum und verabschiedet sich mit Herzinfarkt. Sein Kollege Hugh und der freundliche Kneipenwirt können sich retten und die Spezialabteilung beim Yard benachrichtigen. Das Monstrum (das Clondale-Ding) rettet sich derweil in eine Gärtnerei um die Ecke und macht es sich im Gewächshaus mit einer Aussaat gemütlich.
Susan Fisher hat man derweil ins St.Mary-Hospital gebracht, wo sie fröhlich auf der Isolierstation vor sich hin keimt und wuchert. Professor Easton ist von den Socken und nimmt die Bewachung karrieretypisch auf seine Kappe, nur der Kollege Biggers und Schwester Irene sind eingeweiht. Mächtig schwerer Fehler…
Am nächsten Tag düst Frank erst mal zu Anderson und gerät so auch in Marys gefährliche Pension. Obwohl die infizierte Frau alles tut, um sich verdächtig zu machen, ist Frank leider zu begriffsstutzig, um das wirklich wahrzunehmen. Er fährt los und will dann doch wieder umkehren, als er einen Anruf bekommt, dass im Hospital der (Pflanzen-)Teufel los ist.
Susan Fisher ist nämlich irgendwann fertig mutiert und hat die eingenickte Schwester Irene gemeuchelt.
Dolores und Barbara kommen inzwischen mit Verspätung in London an und informieren sich bei der Haushälterin Mama Brown nach Franks Aufenthaltsort. Die schickt die beiden natürlich prompt zu den Andersons. Die nette Dame dort ist nicht ganz so nett anymore und zwingt die beiden mit Waffengewalt, ein Zimmer zu nehmen.
Durch die Rückwand des Schranks gelangen sie in das angrenzende Zimmer, wo die Reste von Lindy Howard liegen und der Raum sonst mit dämonischen Mörderranken tapeziert ist, die sofort angreifen...
Frank versucht derweil, das Inferno im Krankenhaus einzudämmen, muss dann aber einsehen, dass sein Dämonenring gegen die Pflanzenwesen nicht funktioniert (!!!). Eine Ladung aus dem Feuerlöscher verschafft eine kleine Atempause, bis Frank endlich die erlösende Idee kommt: Pflanzengift! (Nein, nicht Feuer!!!). Bis das endlich organisiert ist, kommt es noch zu einigen engen Situationen in einem Fahrstuhl, aber schlussendlich kann man mit dem Zeugs Susan Fisher erfolgreich absterben lassen.
Derweil erscheint aus einem Spiegel in Franks Domizil Mr. Deus-ex-machina persönlich: der dimensionsreisende Magister Morloc mit den silbernen Haaren und dem Silberschwert oder so.
Der verschafft erst mal der Haushälterin einen Herzkasper und spürt dann aber sofort, dass Barbara und Dolores in tödlicher Gefahr sind. Als materialisiert er sich in der Mörderpflanzenpension und hackt den Damen den Weg frei – eine Riesenpflanze weniger.
Anschließend treffen dann endlich alle Protagonisten zum ersten Mal zusammen und rüsten sich für den letzten Kampf, denn das Clondale-Ding hat inzwischen einen buckligen Gärtner entsorgt (wenn auch per Herzschlag) und hegt seine bereits aufgegangene Monsterpflanzensaat.
Per Kolonne eilt man ins letzte Gefecht, dass man schließlich auch mittels eines Tankwagens voll Pflanzengift (Hand vorm Mund!) auch erledigt.
Kurz darauf kriegt Frank noch einen Reiseausflug zur Insel der blauen Schatten von Drover spendiert und flext das Eiland mittels einer gigantischen magischen Brandbombe weg…
Jagdszenen aus Niedersachen…
Ganz schön rabiates Ende für so ein Story, immerhin hat niemand vorgeschlagen, Nuklearwaffen einzusetzen!
Natürlich, gegen so groß streuende Bedrohungen helfen nur grobe Keile, aber es ist schon überraschend, dass gegen eine florale Attacke an keiner Stelle des Romans über etwa Flammenwerfer nachgedacht wird (von der Brandbombe mal abgesehen), stattdessen aber hektoliterweise Pflanzengifte verspritzt werden, die natürlich sofort wirken wie die lustigen Entlaubungsmittel im guten alten Vietnam.
Selbstverständlich müssen unsere Helden und Opfer davon ordentlich husten, während sie sich etwas vor das Gesicht halten, aber sonst geht das im Interesse der Menschheit klar…
Aber ich will gar nicht auf den Roman einprügeln, es ist eigentlich ein recht rundes Ding, das seine Bedrohung gut entwickelt und seine Figuren recht bemüht verwickelt, meistens auf dem Weg oder zu etwas hin, um den immer schneller keimenden Plot nicht wieder abzuwürgen. Das funktioniert bei Maurers Routine inzwischen ganz gut, wenn auch (wie bereits erwähnt), manche Haken die Augenbrauen nach oben wandern lassen oder wenn der Autor sich gezwungen sieht, in einer Szene selbst vor den Figuren zu kapitulieren.
Speziell wenn Connors das erste Mal zu Anderson fährt und von seiner psycholike im Sessel hockenden Mama im wachsenden Blütenaroma praktisch blofeld-like angemacht wird, während sie vermutlich ein Shirt trägt, auf dem steht „Hallo, ich will mich verdächtig machen!“, wird das überdeutlich.
Connors ist in dieser Szene von hinreißender Dämlichkeit und Maurer scheint es selbst nicht zu behagen, dass er das so entwerfen muss. Einerseits streut er Hinweise wie blöd, doch die scheinen bei Connors leider alle nicht zu verfangen, als hätte dieser nun so gar keine Vorkenntnisse aus dem Bereich des Übernatürlichen.
Schlussendlich fährt er sogar wieder, bis er im Verkehr endlich die Parallele zwischen der „lebenden Pflanze“ und den vielen Pflanzenassoziationen (die infizierte Pensionsmama hat offenbar sofort umdekoriert und sich nur noch von Blumen- und Blütenbildern umgeben!) - und da muss er dann plotorientiert umdisponieren.
Warum nun ausgerechnet hier das Allzweckmittel Dämonenring seinen Aussetzer nimmt (obwohl die Veränderungen ja auf magischen Keimen beruhen), wird übrigens genausowenig erklärt. Schön wäre gewesen, wenn man das magische Problem nun auch mit nichtmagischen Maßnahmen bekämpfen hätte müssen, aber Maurer bringt seinen Magister Morloc noch in Stellung, dessen Einsätze als Dimensionsreisender in Kutte und mit silbernen Haaren und Schwert nur eins beweisen: dass der Autor verstanden hat, wo bei der Konkurrenz der Sinclairs, Ballards und Zamorras die Vorteile liegen, wenn man durch exotische Allmachtsfiguren die Leser dauerhaft an sich binden möchte.
Letztendlich funktioniert „Verschollen im Geisterwald“ wie eine sehr dramatisch inszenierte Folge einer TV-Serie und wenig mehr, wobei man aber bedenken sollte, dass das eigentlich auch ohne etablierte Geisterjägerfiguren hätte funktionieren können.
Ein rasantes Ding von einem routinierten Autor, durchaus zu genießen!