Leit(d)artikel KolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles

Willkommen zurück in Osten Ard - Die Hexenholzkrone 1 von Tad Williams

Die Hexenholzkrone 1 von Tad WilliamsWillkommen zurück in Osten Ard
»Die Hexenholzkrone 1« von Tad Williams

Seit mehreren Jahrzehnten herrschen König Simon und Königin Miriamel über die Länder unter dem Hochkönigsbann. Doch im hohen Norden in Nakkiga braut sich eine dunkle Bedrohung zusammen. Utuk´ku, die Königin der Nornen, ist aus ihrem Heilschlaf erwacht, in dem sie seit den letzten Kriegen gegen die Sterblichen lag, will sich Osten Ard untertan machen und die verhassten Sterblichen endgültig vernichten.

Die Hexenholzkrone 1 von Tad WilliamsKönnen Miraimel und Simon mithilfe alter Verbündeter etwas tun, um die gefürchteten Nornen aufzuhalten? Werden die Länder unter dem Hochkönigsbann zusammenhalten, trotz immer größerer Zwistigkeiten? Und wird Prinz Morgan, der Enkel des Hochkönigspaares, in solch schlimmen Zeiten den Ernst seiner Position begreifen und ein würdiger Thronfolger werden?

Fast zwanzig Jahre nach dem letzten Teil seines „Das Geheimnis der großen Schwerter“-Epos lässt uns Tad Williams nach Osten Ard zurückkehren, die Fantasywelt, die einst neben Mittelerde meine Faszination für dieses Genre begründet hat. Williams versteht es wie kaum ein Zweiter, mich in seinen Bann zu ziehen, und unter all seinen Werken war seine Reihe um den Küchenjungen Simon, der nicht ganz freiwillig zum Helden wird, immer mein Favorit. Da war meine Begeisterung natürlich groß, als ich davon hörte, dass ein neuer Zyklus in eben jener liebgewonnenen Welt entstehen soll.

Die neue Saga, die insgesamt „Der letzte König von Osten Ard“ heißt, soll in der englischen Originalausgabe aus drei Büchern bestehen, wobei der erste Teil, „Die Hexenholzkrone“ in der deutschen Ausgabe wie so oft bei Fantasyromanen aufgrund des Umfangs in zwei Teilbänden erscheinen wird. Über Sinn und Unsinn kann man da streiten, aber gut möglich und wohl auch wahrscheinlich, dass dies bei den zwei Folgebänden ebenso der Fall sein wird. Die deutschen Titel der Folgebände sind noch nicht bekannt, im Original heißen der zweite Teil „Empire of Grass“ und der dritte „The Navigator´s Children“. Quasi als Brücke zwischen den beiden Zyklen kommen noch zwei kürzere Romane hinzu, wovon der erste („Das Herz der verlorenen Dinge“) hierzulande im März dieses Jahres erschienen ist. Der zweite dieser kürzeren Romane soll vor dem dritten Teil der neuen Saga erscheinen.

Diese kürzeren Bücher sind nicht direkt Teil der zwei Epen, greifen aber geschichtliche Ereignisse auf, auf die in den zwei Reihen Bezug genommen wird. So setzt „Das Herz der verlorenen Dinge“ unmittelbar nach dem letzten Band aus „Das Geheimnis der großen Schwerter“ ein und erzählt von der Verfolgung der letzten Nornen in den Norden und dem erfolglosen Versuch, diese gänzlich auszurotten. Laut Williams soll dieser Roman einen Einstieg in die neue Saga für diejenigen ermöglichen, die den alten Zyklus nicht gelesen haben. Ich persönlich kann aber jedem Fantasy-Freund, der die Reihe noch nicht kennt, nur empfehlen, den früheren Zyklus ebenfalls zu lesen, einfach, weil man sonst wirklich etwas verpasst.

Nun aber zurück zu „Die Hexenholzkrone 1“. Während in der realen Welt zwanzig Jahre vergangen sind, sind in Osten Ard bereits dreißig verstrichen. In der Zwischenzeit hat es das Schicksal nicht nur gut mit Simon und Miriamel gemeint. Ihr einziger Sohn Johan Josua ist vor sieben Jahren an einem Fieber gestorben. Zurück blieben zwei Enkel, das junge Mädchen Lillith, und Morgan, der Thronerbe, der seine Zeit allerdings lieber in Schenken mit seinen Trinkkumpanen verbringt, als sich auf seine Herrschaft vorzubereiten. Ausgerechnet zum siebten Geburtstag des geliebten Sohnes nach seinem Tod wird das Hochkönigspaar nach Rimmersgard gerufen, denn dort liegt Herzog Isgrimnur, inzwischen hoch betagt, im Sterben. Natürlich möchten Miriamel und Simon sich von dem alten Gefährten persönlich verabschieden.

Neben Isgrimnur erwarten den Leser noch viele weitere der altbekannten Figuren. Tiamak, der einstige Hüter der Schriftrolle aus dem Wran, lebt inzwischen im Hochhorst und ist dort als Gelehrter und Ratgeber tätig. Graf Eolair ist die rechte Hand des Königspaares und Jeremias, damals Wachszieherjunge und bester Freund des Küchenjungen Simon, ist nun der Kammerherr und Haushaltsführer des Königs. Und auch mit dem Troll Binabik und seiner Frau Sisqi gibt es ein Wiedersehen, als diese ebenfalls nach RImnmersgard reisen, um Abschied von dem alten Herzog zu nehmen.

Tad WilliamsNeben der königlichen Reisegesellschaft nimmt Williams seine Leser auch an andere Schauplätze mit. Auf dem Hochhorst, wo Großkanzler Persevalles in Abwesenheit des Hochkönigpaares die Stellvertretung innehat, nähert sich nach vielen Jahren des Schweigens eine Botin der Sithi. Außerdem fällt dem Mönch Etan ein lange verschollenes und gefürchtetes Buch in die Hände.

In Nakkiga begleiten wir die Geschehnisse rund um Viyeki, einen Baumeister der Nornen und Angehörigen des Adelsgeschlechts. Weil die Nornen auszusterben drohen, ist es unumgänglich, dass sich männliche Adlige mit Sterblichen-Sklavinnen paaren. So auch Viyeki, der auch eine Halbbluttochter hat. Seine Tochter Nezeru bildet ebenfalls einen weiteren Handlungsstrang. Sie ist eine Opfermutige und Klaue der Königin und hat nach ihrer harten Ausbildung einen besonderen Auftrag zu erfüllen.

Anders als in der früheren Saga wird in „Die Hexenholzkrone 1“ also auch aus der Sicht einiger Nornen erzählt. Waren die Nornen in „Das Geheimnis der großen Schwerter“ eher eine mysteriöse Unbekannte, erfährt man nun mehr über ihre gesellschaftlichen Strukturen, ihre Lebensweise und ihre Gedankenwelt. Das hat einerseits zur Folge, dass die Nornen (oder zumindest einige von ihnen) ein wenig menschlicher wirken, verleiht Williams´ Welt aber andererseits noch mehr Tiefe.

Ein weiterer Schauplatz findet sich im Grenzgebiet zwischen dem Territorium der Nornen und dem der Sterblichen, wo der geheimnisvolle Rimmersgarder Jarnauga Jagd auf die Unsterblichen macht. Man nennt ihn auch „Weiße Hand“, denn er ist so flink und behände mit seinen Waffen, dass seine Hände trotz seiner blutigen Tätigkeit sauber bleiben.

Und schließlich erwartet den Leser noch Nabban und Umgebung, wo der Thriting-Mann Fremur mit seinem Krähen-Clan brandschatzend und raubend durch die Siedlungen der Nabbanai zieht. Das bleibt am dortigen Hof des Herzogs Saluceris nicht ohne Folgen, da dieser von seinem Bruder unter Druck gesetzt wird, mehr Männer zur Verteidigung der Siedlungen abzustellen. Sonst droht ein Zwist zwischen den Brüdern, bei dem es eigentlich um den Herzogtitel zu gehen scheint.

Diese Fülle an verschiedenen Handlungssträngen ist für mich ein weiterer Grund, warum es vorteilhaft ist, den früheren Zyklus vor der Lektüre des zweiten gelesen zu haben. Wenn ein Teil der Charaktere bereits bekannt ist, gelingt es ganz gut, den Überblick zu behalten. Als Neuankömmling in Williams` Welt stelle ich mir das allerdings etwas komplizierter vor. Zwar kann da das sehr ausführliche Glossar am Ende des Buches sicher helfen, schöner ist es aber doch, sich selber zurechtfinden zu können.

Nach so vielen Jahren nach Osten Ard zurückzukehren, ist ein wenig, als träfe man einen alten Freund wieder, den man lange Zeit nicht gesehen hat. Man freut sich zwar, ist aber auch ein bisschen unsicher, wie das Treffen werden wird, schließlich haben sich beide Parteien verändert und man kann ja nicht wissen, ob man sich noch so gut versteht wie früher. Doch dann ist innerhalb von Minuten alles genau wir früher, und es fühlt sich an, als sei man nie weg gewesen. Es macht einfach unheimlich Spaß, all die liebgewonnenen Charaktere wieder zu treffen. Und Tad Williams gelingt es auf beeindruckende Weise, seine um 30 Jahre gealterten Figuren darzustellen. Da ist vieles, was man an ihnen wiedererkennt, gleichzeitig haben sie sich aber auch in einem glaubhaften Maß weiterentwickelt, sind reifer und weiser geworden. Prinz Morgan bietet hier, störrisch und unangepasst wie er ist, einen guten Gegenpol und hat noch viel Raum, sich über die restlichen Bände zu entwickeln.

Williams ist und bleibt, was er immer war: ein großartiger Erzähler. Im Vergleich zum ersten Zyklus kann er aber für mich in „Die Hexenholzkrone 1“ noch an Qualität dazu gewinnen. „Das Geheimnis der Großen Schwerter“ hatte, neben aller Stärken, einige unbestreitbare Längen. Das kann ich nun beim ersten Band der neuen Saga nicht mehr finden. Williams erzählt etwas straffer und lässt auch mal das eine oder andere ungeschrieben, was aber der Komplexität seiner Geschichte keinen Abbruch tut, eher im Gegenteil. Auch ist die Handlungsdichte mehr als zufriedenstellend, wenn man beachtet, dass es sich lediglich um den ersten Teil des Auftaktromans handelt.

In dem Klappentext heißt es: „Williams vereint überzeugende Charaktere und packende Abenteuer in einer monumental ausgestalteten Fantasywelt, die an Faszinationskraft Mittelerde und Westeros ebenbürtig ist“. Viel besser kann man es wohl nicht ausdrücken, und ausnahmsweise finde ich den inflationär gebrauchten Tolkien-Vergleich mal völlig berechtigt. Das waren wirklich schnell gelesene 740 Seiten, und ich bin sehr froh, dass Williams sich entschlossen hat, nochmal einen Zyklus in Osten Ard zu beginnen. Zum Glück braucht man auf eine Fortsetzung nicht allzu lange zu warten, denn schon im November erscheint „Die Hexenholzkrone 2“.
Die Hexenholzkrone 1 von Tad Williams
Die Hexenholzkrone 1
von Tad Williams
ISBN 978-3-608-94953
20,00 €, gebundene Ausgabe
745 Seiten (inkl. Glossar)
 Klett-Cotta, September 2017

Kommentare  

#1 Andreas Decker 2017-10-17 17:58
Das ist wieder eine sehr schöne Besprechung!
#2 sarahh 2017-10-19 20:12
Danke :) Ist aber auch wirklich ein tolles Buch, das das drüber-Schreiben leicht macht.

Der Gästezugang für Kommentare wird vorerst wieder geschlossen. Bis zu 500 Spam-Kommentare waren zuviel.

Bitte registriert Euch.

Leit(d)artikelKolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles