Drachen und Maschinen - Das Erwachen des Feuers von Anthony Ryan
Drachen und Maschinen
»Das Erwachen des Feuers« von Anthony Ryan
Hier soll der ominöse weiße Drache gesichtet worden sein, eine weitere Drachenart, die noch mächtiger sein soll als die bisher bekannten. Diese Art zu finden scheint die einzige Chance zu sein, einen Krieg mit dem Corvantinischen Kaiserreich zu verhindern.
Clay Torcreek, ein Blutgesegneter und Dieb aus dem blinden Viertel Kerberhafens, wird mit einem Trupp aus einer freien Dienstleistergesellschaft in das unerforschte Inland von Arradsia geschickt, um den weißen Drachen zu finden. Eine gefährliche Expedition beginnt, bei der niemand weiß, ob man nicht nur einer Legende nachjagt.
Der schottische Autor Anthony Ryan beginnt mit „Das Erwachen des Feuers“ seine neue Trilogie „Draconis Memoria“. Bekannt ist Ryan vor allem für seine Rabenschatten-Trilogie, die ich persönlich aber bisher nur angelesen habe. Im englischsprachigen Raum ist im Juli dieses Jahres bereits der zweite Teil der neuen Trilogie erschienen („The Legion of Flame“). Wann dieser in Deutschland auf den Markt kommen wird, ist bisher noch nicht bekannt.
Nachdem sich Ryan in seiner ersten Reihe noch in einer klassischen, hochmittelalterlichen High-Fantasy-Welt bewegt hat (was auch irgendwie naheliegt, schließlich hat er einen Universitätsabschluss in mittelalterlicher Geschichte), begibt sich der Schotte mit „Das Erwachen des Feuers“ in eine deutlich weiter entwickelte Welt, die wohl so ungefähr mit dem späten 19. Jahrhundert vergleichbar ist. Technische Errungenschaften machen es den Menschen möglich, das gewonnene Drachenblut effizient zu nutzen, allen voran die Erfindung des thermoplasmischen Verbrennungsmotors, die in Arradsia ähnlich revolutionäre Auswirkungen hatte wie die der Dampfmaschine.
Um die Kraft des Drachenblutes zu nutzen, reicht Technik allein aber nicht aus. Sogenannte Blutgesegnete werden vom Eisenbootsyndikat, der obersten Händlergilde, schon als Kinder bei einer regelmäßig stattfindenden Testung rekrutiert und dann ausgebildet. Sie können mithilfe des Produkts, wie das Drachenblut auch genannt wird, je nach Farbe des Drachen Unmenschliches vollbringen: grünes Produkt heilt, schärft die Sinne und verleiht große Kraft, Schwarz ermöglicht die Kontrolle über Lebewesen und Gegenstände, Rot verleiht Macht über Feuer, und mit Blau kann ein Blutgesegneter in einer Art Trance Kontakt mit anderen Blutgesegneten über weite Entfernungen aufnehmen. Doch wie fossile Brennstoffe in der realen Welt sind auch die Rohstoffe Mandinoriens nicht unbegrenzt.
Eigentlich werden alle Blutgesegneten beim Eisenbootsyndikat registriert, aber nicht Clay Torcreek, der durch einen Zwischenfall bei seiner eigenen Testung weggelaufen ist. Als unregistrierter Blutgesegneter ist er der perfekte Kandidat, um die geheime Mission zur Suche nach dem weißen Drachen zu begleiten. Er soll per Blau-Trance Kontakt mit dem Syndikat halten, um der Gruppe der freien Dienstleister weitere Erkenntnisse über Aufenthaltsort des mysteriösen Drachen mitzuteilen.
Neben dem Handlungsstrang um Clay und seine Expeditionstruppe liefert uns Ryan zwei weitere Protagonisten mit jeweils eigenen Plots. Lizanne Lethridge ist ebenfalls eine Blutgesegnete, die aber anders als Clay bereits seit ihrer Kindheit im Dienst des Syndikats steht und nun eine der wichtigsten Spione der Gesellschaft ist. So ist sie zu einem perfekten Werkzeug der Händlergilde geworden, kaltblütig und eine Meisterin ihres Faches. Sie soll undercover herausfinden, wo sich der weiße Drache befinden könnte und per Blau-Trance mit Clay kommunizieren.
Während der Zusammenhang zwischen Clay und Lizanne relativ schnell klar wird, ist der dritte Hauptakteur zunächst etwas losgelöster von den beiden anderen. Auf dem Kriegsschiff Gute Gelegenheit wir Corrick Hilemore als neuer Leutnant verpflichtet. Bei dem Schiff handelt es sich um einen Blutbrenner, also um ein Schiff, das mithilfe eines thermoplasmischen Motors und eines Blutgesegneten betrieben wird und somit eines der schnellsten Schiffe des Kontinents ist. Hilemore und seine Mannschaft sollen für das Syndikat Jagd auf Piraten machen, finden sich aber schon nach kurzer Zeit in einer viel ernsteren Lage wieder.
Für mich ist das eine ganz schön anspruchsvolle Reise, auf die Ryan seine Leser da mitnimmt. Das mag daran liegen, dass ich sonst eher selten in Richtung Steampunk unterwegs bin und mich im vertrauten mittelalterlichen Setting wahrscheinlich deutlich schneller zurechtfinde, ist aber auch der Tatsache geschuldet, dass Ryan so gut wie komplett auf Info-Passagen verzichtet. Das ist eigentlich immer ganz schön, weil man als Leser so direkt in die Handlung geworfen wird, ohne sich durch meißt eher langweiligere Erklärungen zu kämpfen, hat aber den Nachteil, dass mir teilweise schon ein bisschen der Durchblick fehlte. Die gegenüberstehenden Parteien aus Kaiserreich und dem Bund der Eisenschiff-Länder waren für mich über weite Teile des Buches gar nicht richtig klar. Und auch die Organisation des Eisenbootsyndikats als solches blieb bis weit über die erste Hälfte gar nicht richtig greifbar und ist es auch am Ende des Buches nur teilweise. Da hätte ich mir schon manchmal etwas mehr Hintergrundinformationen gewünscht, einfach um Ryans sicher gut durchdachte und facettenreiche Welt ein bisschen besser zu verstehen.
Was den Schreibstil anbelangt, ist Ryan ein angenehmer Autor, der es versteht, seine Leser zu fesseln (sogar, wenn man zwischenzeitlich das Gefühl hat, maximal die Hälfte dessen zu durchblicken, was da vor sich geht). Ryan schreibt klar und eingängig, und kommt mit seiner Handlung relativ schnell vorwärts. Sowohl Lizanne als auch Clay eignen sich gut als Identifikationsfiguren und geben vielschichtige Hauptfiguren ab. Einzig Hilemore bleibt für mich ein bisschen blass, vielleicht auch, weil so lange nicht klar ist, was seine Geschichte eigentlich mit dem ganzen Rest der Handlung zu tun hat.
Trotz der beschriebenen Schwierigkeiten lohnt ein Blick in „Das Erwachen des Feuers“. Nach etwa zwei Dritteln des Buches hat man das Gefühl, zumindest einen oberflächlichen Überblick zu haben und wird für sein Durchhaltevermögen mit wirklich intelligenter Fantasy belohnt. Mit seiner sehr technisierten Welt, in der Drachen quasi das einzige magische Element darstellen, schafft Ryan ein sehr spannendes und für mich komplett neues Setting, das diverse Analogien zu aktuellen Problematiken aufweist. Ich bin auf jeden Fall gespannt auf den zweiten Teil, denn zum Ende hin hat Ryan mich mit „Draconis Memoria“ gepackt, auch wenn ich das über einen sehr langen ersten Teil dieses Buches nicht gedacht hätte.
Das Erwachen des Feuers