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HORROR EXPERT 21 – Ich, der Vampir

Horror ExpertIch, der Vampir

Erber und Luther – zwei Namen, die aus der Geschichte der phantastischen Literatur in Deutschland nicht wegzudenken sind und noch heute Anlass zur Kontroverse bieten. Die Reihe »Horror expert« war Vorreiter auf dem Taschenbuchmarkt und machte den interessierten Leser mit einem Genre bekannt, das hierzulande erst in den Anfängen steckte.

Das lohnt einen näheren Blick auf eine ziemlich in Vergessenheit geratene Reihe.

Ich, der VampirIch, der Vampir
von Maurice LImat
Horror expert Nr. 21
Übersetzt von Kurt Müller
1971
Luther Verlag
Was passiert?
Jean-Luis ist ein junger französischer Architekt und unverheiratet. In Cannes baut er gerade sein erstes Hochhaus. Auf dem Heimweg nimmt er eine hübsche Anhalterin mit. Als er ihre seltsamen Zähne bemerkt und dass sie anscheinend kein Spiegelbild wirft, ist er irritiert. Er baut einen Unfall.

Vier Tage später wacht er im Krankenhaus auf. Er erfährt, dass das mysteriöse Mädchen ihm Blut gespendet hat. Ansonsten geht es ihm wieder gut. Merkwürdig ist nur seine Blässe. Außerdem hat er den Eindruck, dass er sich nicht mehr richtig im Spiegel erkennen kann. Und dann sind da diese seltsamen Gelüste. Trotzdem hat er sich noch genug im Griff, um mit der hübschen Krankenschwester Isabelle anzubändeln und sie nicht in den Hals zu beißen.

Aber das mit dem Spiegel macht ihn völlig verrückt, und auch Isabelle ergreift schließlich die Flucht, weil sein Körper so eiskalt ist. Nicht die beste Voraussetzung für eine nette Vögelei. Mittlerweile ziemlich daneben vertraut er sich den Privatdetektiv Teddy Verano an. Der nimmt seine Geschichte ziemlich ernst und begleitet ihn zurück nach Cannes.

Isabelle verspricht zu helfen, als Verano ihr seine Arbeitshypothese unterbreitet, dass ihr Freund in Indochina das Opfer eines Eingeborenenzaubers wurde; psychologische Selbsthypnose. Natürlich ist das nur eine Geschichte. Während Jean-Louis gegen den immer stärker werdenden Drang, Blut zu trinken, ankämpft, baut der Detektiv eine komplizierte Falle für die unbekannte Anhalterin und Blutspenderin auf – die ja allem Anschein nach eine Vampirin ist. Dabei geht es um ein Fernsehinterview und Jean-Louis' 19jährigen Neffen Bernard, der an einem Schwimmwettbewerb teilnimmt. Tatsächlich meldet sich das Mädchen, das sich nun Marika nennt, bei Bernard. Der Junge ist so beeindruckt von der Frau, dass er seine Freundin auf der Stelle links liegen lässt.
 
Er trifft sich mit ihr abends am Strand. Er soll für Marika schwimmen, wofür sie ihn belohnen will. Als sie sich nackt auf einen Felsen legt, ist es um seine Beherrschung geschehen. Dummerweise hat er sich beim Schwimmen am Fuß verletzt und blutet. Marika will sich ihn gerade krallen, da kommen Jean-Louis und Verano dazu. Mithilfe ihrer Taschenlampen und einem kleinen Kreuz werfen sie ein Lichtkreuz auf die Frau, die im Meer die Flucht ergreift.

Notgedrungen weiht Verano Bernard und Isabelle nun ein. Er bezeichnet Vampirismus als eine Art Neurose, die aber in Jean-Louis Fall durch die Blutübertragung übertragen. Während Jean-Louis weiter gegen seine Begierden ankämpft und ihm jeder Spiegel schreckliche Schmerzen einflößt, hadert er mit seinem Zustand und philosophiert ausführlich darüber.

Ich, der VampirMarika setzt sich wieder mit Bernard in Verbindung und lockt ihn zu einem Treffen in der Öffentlichkeit. Sofort erliegt der Junge wieder ihrem Bann. Sie nimmt ihn mit ins Landesinnere. Durch einen Telefonanruf kommt ihr aber Verano auf die Schliche. Er packt Jean-Louis und Isabelle ins Auto und rast ihr nach. Unter dem Vorwand, dass die Frau den noch minderjährigen Bernard praktisch gegen den Willen der Erziehungsberechtigten entführt hat, setzt er zusätzlich die Polizei auf Marika an.

In der Zwischenzeit hält Marika kurz an und entlockt Bernard das Kreuz, das Verano ihm zum Schutz mitgegeben hat. Der Junge ist mittlerweile so scharf auf sie, dass ein Kuss reicht, um alles für sie zu tun. Nun ist er ihr völlig ausgeliefert. Sie fährt ihn in eine Villa.

Auf der Suche setzt sich Jean-Louis von der Gruppe ab und findet instinktiv den Weg zur Villa. Marika will gerade den in Schlaf versetzten Bernard anzapfen, als er dazukommt. Jean-Lois vertreibt Marika mit einem Spiegel von seinem Neffen; dabei stürzt sie aus dem Fenster, wobei sie sich auf einem Sonnenschirm aufspießt.

Jean-Lois ergreift die Flucht. In einem Fluss will er Selbstmord begehen und schlitzt sich die Handgelenke auf, um auszubluten. Er will Marikas Blut in seinen Adern loswerden. Während er verblutet, kann er plötzlich wieder sein Spiegelbild im Fluss sehen. Natürlich wird er noch rechtzeitig von Verano gerettet, der darüber sinniert, ob Marikas Tod durch Pfählung Jean-Louis gerettet hat. Der genesene Jean-Louis kriegt seine Isabelle, Bernard kriegt seine alte Freundin wieder, und Verano kann einen weiteren Sieg gegen die Mächte der Finsternis verbuchen.

Ich, der VampirWorum geht es?
Schon einen Monat, nachdem der Luther-Verlag mit Maurice Limat einen neuen Autor in den "Horror expert" einführte, gibt es bereits den nächsten Roman aus seiner Feder. Nicht gerade ein Zeichen von Vorausplanung oder überhaupt einer Planung.

Wie schon im Vormonat geht auch diesmal Teddy Verano an den Start, Limats Mann fürs Übersinnliche. Obwohl der Begriff in diesem Zusammenhang etwas vollmundig ist. Ist die Welt der angloamerikanischen und deutschen Geisterjäger eindeutig, was den Feind angeht, bleiben die französischen Gegenstücke häufig dem weniger Eindeutigen verhaftet, ist den Autoren Pseudowissenschaft oder auch gar keine Erklärungen lieber als ritualisierte Schwarze Magie.

Nach insgesamt drei Romanen bei Luther – einer erschien im "Top-Krimi" - trat Teddy Verano im Folgejahr noch vier Mal im Vampir Horror Roman auf, bevor er wieder von der deutschen Bildfläche verschwand.

Ich, der VampirIn Frankreich hatte der Detektiv eine deutlich längere Geschichte. Denn seinen ersten Auftritt hatte er bereits 1936 in dem Roman "La Villa aux Squelettes" (Das Haus der Skelette). Laut Limat war der Vorname Teddy einer Familienkatze entliehen, und der Nachname Verano ist Spanisch für "Sommer". Bis nach dem Krieg entstanden ungefähr 26 Romane mit der Figur, zum Teil Krimis, zum Teil auch Abenteuerromane. Der Autor hatte sein Vergnügen daran, seinen Helden auch als Nebenfigur in anderen Erzählungen wie einigen Romance-Romanen auftreten zu lassen, daher gibt es keine genauen Zahlen.

In den 50ern traten zusehends fantastische Elemente in den Büchern auf, die sich dann aber meistens als Fake herausstellten. In der Zeit erschienen weitere 15 Veranos. Als sich Limat fest an den Verlag Fleuve noir band und die Mitarbeit bei der Phantastikreihe "Angoisse" angeboten bekam, wurde Verano 1962 wieder reaktiviert, nun mehr als Detektiv des Unheimlichen. Im Gegensatz zu heute war eine Origingeschichte nicht nötig; offenbar war der Name Limat in dem Metier auch bekannt genug, um auf ein Pseudonym verzichten zu können. In "Le Marchand de Cauchemars" (Der Albtraumhändler) von 1962, dem ersten Verano für "Angoisse", ging es um einen finsteren Zauberer. Bis 1968 erschienen 11 Veranos bei "Angoisse". Da Serien auch in Frankreich bei der Leserschaft beliebter wurden und man sich offensichtlich erhoffte, den Erfolg von André Caroffs "Madame Atomos" nacheifern zu können, konzentrierte sich Limat ab 1969 auf seine Serie "Mephista". In den meisten der insgesamt 13 Romane, bei denen es um eine böse weibliche Entität namens Mephista geht, spielte allerdings wieder Teddy Verano mit, mal mehr und mal weniger.

Ich, der VampirDer Autor war populär genug, um auch in den Comicadaptionen der Reihe "Hallucinations" verwendet zu werden. Die Seite mit Monsieur Verano stammt aus dem Heft "Mephista" aus dem Jahr 1982.

Der letzte Roman bei Fleuve noir mit dem umtriebigen Detektiv erschien nach der Einstellung von "Angoisse" dann 1981 kurzerhand in der SF-Reihe "Anticipation". Ein letzter "Mephista", ein vor der Einstellung von "Angoisse" fertiggestelltes Manuskript, kam ein paar Jahre später noch bei einem anderen Verlag unter. Allerdings mit ausgetauschten Namen.

Teddy Verano, der in meisten "Angoisse"-Romanen mit Frau und Stiefsohn ermittelt, ist alles andere als ein Vertreter der typischen hard-boiled Schule. Nicht nur hält sich die Action in Grenzen oder wird eher pflichtschuldig erzählt, es fehlen auch der ganze okkulte Überbau oder magische Waffen. Auffallend ist auch, wie oft Verano im Laufe der Ereignisse in den Hintergrund rückt und mit der Auflösung eher weniger zu tun hat.

Ich, der Vampir"Ich, der Vampir", ist dafür ein schönes Beispiel. Der Roman ragt eigentlich nur durch seine Erzählweise aus der Menge heraus. Den größten Teil der Handlung bestreitet Jean-Louis als Ich-Erzähler im Präsens, die Verano-Kapitel sind in der klassischen dritten Person Vergangenheit erzählt. So wie der Rest des Romans, in dem dann wie üblich munter in der Perspektive gehüpft wird. Zumindest lässt es den Roman dichter und geschickter erzählt erscheinen, als die schlichte Handlung hergibt. Ob das funktioniert, dürfte Geschmackfrage sein, der wilde (oder vielmehr sorglose) Stilmischmasch ist gewöhnungsbedürftig.

Jean-Luis' Probleme mit seinem Pseudo-Vampirismus sind durchaus eindringlich geschildert, leider ist Pseudo-Vampirismus an sich ziemlich uninteressant. Die Entmystifizierung durch Wissenschaft, auch wenn das alles nur Veranos Einschätzung entspringt, macht das Thema ziemlich beliebig, worunter in späteren Jahren bei der Vampirwelle so viele Romane kranken.

Ich, der VampirZwar bleibt Limat letztlich hier vage, warum Marika denn nun eine Blutsaugerin ist – die paradoxerweise kein Blut saugt, es bleibt immer beim Sugere interruptus, wenn sie nicht sogar gerade offiziell Blut spendet – aber das macht auch vieles am Ende nur wirr und für den Leser unbefriedigend. Wer hier durch den Titel angelockt gehofft hat, viel Vampiraction geliefert zu bekommen, dürfte schwer enttäuscht worden sein.

Erschwerend kommt hinzu, dass viele Plotelemente schlecht gealtert sind. Natürlich ist das nicht die Schuld des Romans, aber vieles liest sich heute einfach nur noch albern. Der Kniff, die Vampirin und ihr Opfer wegen Entführung eines Minderjährigen von der Gendarmerie suchen zu lassen, war 1966 sicherlich ungewöhnlich und clever. Selbst 1972 dürfte das für den (erwachsenen) deutschen Leser noch nachvollziehbar gewesen sein; In Frankreich wie in Deutschland begann die Volljährigkeit erst mit 21, und in Deutschland war da noch immer der Kuppelei-Paragraf in Kraft und konnte Unverheiratete, Eltern, Hotelbesitzer und Campingplatzbetreiber in Schwierigkeiten bringen. So weit hergeholt war es also nicht, den Detektiv das auf diese Weise regeln zu lassen.

So ist auch der zweite Limat bei Luther als Horrorroman ein ziemlicher Reinfall. Er erscheint hoffnungslos altmodisch und betulich, vom Helden bis zur Handlung.

Ich, der VampirErneut fehlt die Vorschau für den nächsten Roman, dafür gibt es einige Seiten Werbung für den Rest des Luther-Programms. Da sorgen internationale Spitzenautoren für Spannung in mittlerweile immerhin 5 Reihen. International stimmt, über den Rest kann man geteilter Meinung sein. Will man spekulieren, spricht vieles dafür, dass der "Horror expert" zu diesem Zeitpunkt bereits so gut wie eingestellt war, soweit es die Verlagsplanung betrifft. In keinem der noch erscheinenden 5 Romane gab es Werbung für den Folgeband, womit man es dem Zufall überließ, ob der Leser noch nach dem nächsten Band Ausschau hielt oder nicht.

Ungefähr zeitgleich mit HE 21 oder 22 muss "Erber's Grusel-Krimi Doppelband" auf den Heftmarkt gekommen sein, der im ersten Jahr eine reine Reprintreihe von "Top-Krimi" und "Horror expert" dargestellt hat. Daher kann man davon ausgehen, dass im HE nur noch bereits vorliegendes Material abgearbeitet wurde.

Ich, der VampirDas Titelbild:
Natürlich hat das Titelbild nichts mit dem Inhalt des Romans zu tun; der Verlag bleibt auch (diesmal) die Quelle schuldig. Der würgende Herr könnte Klaus Kinski in einem seiner B-Filme sein, von denen es genug gibt, um sie nicht alle zu kennen.

Das Original
Moi, Vampire
Reihe »Angoisse«, Nr.127
von Maurice Limat

Fleuve noir, 1966

Quellen:

  • Vorworte von Jean-Marc Lofficier, erschienen bei Black Coat Press

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Kommentare  

#1 Erlkönig 2018-06-05 21:07
Feiner Artikel (wie üblich).

Dem Reihen-Titel "Horror Expert" entsprachen die veröffentlichten Titel immer weniger. Ich habe zwar nichts gegen "sanften Grusel", aber das war schon reiner Etiketten-Schwindel.
Trotzdem habe ich nach Lesen deiner Artikel immer mal wieder einige der besprochenen Titel aus dem Regal gekramt und nochmal "genossen". :-)
#2 Andreas Decker 2018-06-06 14:17
Danke.

Ja, es soll (auch) eine Anregung sein, mal wieder in die alten Sachen reinzusehen. Denn trotz aller oft wohlverdienten Spöttelei, hier kann man mal mit Fug und Recht sagen, dass heute so was nicht mehr gemacht wird. :-)
#3 Erlkönig 2018-06-06 20:54
Andreas Decker
hier kann man mal mit Fug und Recht sagen, dass heute so was nicht mehr gemacht wird.



Und manchmal bedauere ich das wirklich. :-)

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