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Auf den Spuren von Cthulhu - Geschichtenweber bei Low

Auf den Spuren von Cthulhu - Geschichtenweber bei LowAuf den Spuren von Cthulhu
Geschichtenweber bei Low

Und dann war da noch Howard Phillips Lovecraft, ohne den die moderne Horrorliteratur undenkbar wäre. Ein Meister der Andeutungen und des feinsinnigen Horrors, der uns nicht vordergründig schockt, sondern unsere unterbewussten Gedanken und Gefühle manipuliert, bis der Horror uns aus unserem tiefsten Inneren selbst überfällt.

(Einleitung zu "Metamorphosen", Torsten Low 2008)

H. P. LovecraftWer ist das eigentlich?
Howard Phillips Lovecraft (1890-1937) litt Zeit seines Lebens unter gesundheitlichen Problemen. Auch Reichtum, beruflicher Erfolg und familiäres Glück blieben ihm weitgehend versagt. Seine erste professionelle Veröffentlichung datiert auf das Jahr 1923 (in Weird Tales), nachdem er sich schon seit 1914 als Hobbyautor betätigt hatte. Geboren in Providence (Rhode Island), lebte er in den zwanziger Jahren auch kurze Zeit in New York, kehrt dann aber in seine Heimatstadt zurück. Seine letzten Lebensjahre waren dann auch seine produktivsten. Ein Großteil seiner Erzählungen erschienen in Weird Tales, einem seiner Zeit sehr bekannten Pulp-Magazin.

Das klingt alles nicht sehr aufregend. Tatsächlich erlangte er erst nach seinem Tode eine Art Kultstatus. Dies lag nicht so sehr an seinen Schauergeschichten oder Gedichten aus der frühen Schaffensphase, sondern am Cthulhu-Mythos. Wohl beginnend mit "Call of Cthulhu" (1926) schrieb er eine ganze Reihe von Erzählungen und Kurzgeschichten um die Stadt Arkham und ein verborgenes uraltes Übel. Nach seinem Tode wurden diese Geschichten in Sammelbänden zusammengefasst. Schon zu Lebzeiten Lovecrafts übernahmen andere Autoren Versatzstücke aus diesem Kosmos wie z.B. das Buch Necronomicon in eigene Werke. Dazu gehörten August Derleth, Frank Belknap Long u.a. Dieses Gebaren setzte sich auch später fort. In Deutschland zählt Wolfgang E. Hohlbein zu diesen Autoren.

Erst lange nach seinem Tode erhielt Lovecraft literarische Ehren und Würdigungen, wie etwa den World Fantasy Award (1978) und den Bram Stoker Award (1988) jeweils für sein Lebenswerk. Der seit 1975 vergebende World Fantasy Award bestand bis 2015 aus einer dem Gesicht Lovecrafts nachempfundenen Statuette.

Lovecraft war wie sein Vorbild Edgar Allan Poe ein Verfechter der Kurzgeschichte. Seiner Meinung nach entfaltet eine Story ihre Wirkung nur dann voll und ganz, wenn man sie in einem Zug durchlesen kann. Für ihn war die Angst, das älteste und stärkste Gefühl des Menschen. Daraus leitete er die literarische Bedeutung der Horrorliteratur ab.

"Lovecraft ist es mit dem Cthulhu-Zyklus ... gelungen, ... eine neue Dimension in die bis dahin stark kodifizierte Schauer- oder Horrorliteratur einzuführen. ... Hier hatte ein Autor die Bühne betreten, der ... dem Schrecken ein neues Gesicht gab. ... Seine einsamen Helden führen einen Kampf, den sie von der ersten Minute an verloren haben. Hier gilt nicht das strebende Bemühen, das zur Erlösung führt, sondern bestenfalls gelingt ein Aufschub der endgültigen Vernichtung. Lovecrafts Protagonisten sind nicht Mächten unterworfen, denen mit irdischen Mitteln beizukommen wäre. Nein, das Ende ist klar und kann nur im Untergang der gesamten Menschheit bestehen."

(Florian F. Marzin, Vorwort zu H.P. Lovecraft, die besten Geschichten, Anakonda 2016)

Der kosmische schreckenLovecraft und die Kleinverlage (ab 2000)
Ein Überblick über die komplette Veröffentlichungsgeschichte von Lovecrafts Werken in der Bundesrepublik würde den Rahmen dieses Artikels bei Weitem sprengen. Ein kurzer Blick auf die Zeit nach der Jahrtausendwende sei aber doch gestattet. Verschiedene Kleinverlage haben in den letzten Jahren Bücher das Thema Cthulhu/Lovecraft aufgegriffen. Sie verfolgen dabei aber unterschiedliche Strategien.

Im Festa Verlag erscheint seit dem Jahr 2000 die "H.P. Lovecrafts Bibliothek" mit Übersetzungen seiner eigenen Werke und Übersetzungen anderer Autoren aus dem angelsächsischen Raum, die den Mythos aufgriffen haben. Zuweilen werden aber auch Werke deutschsprachiger Verfasser aufgenommen. Dazu gehören Andreas Gruber, Michael Marrak, Malte S. Sembten, Michael Siefener und Christian von Aster.

Der Basilisk-Verlag hat seine "Edition Arkham", in der seit 2006 in klein(st)er und limitierter Auflage deutschsprachige Romane und Übersetzungen aus Cthulhu-Universum erscheinen. Dazu zählen Werke von Tobias Bachmann, Uwe Voehl und Jörg Kleudgen Außerdem gibt es mehrere Anthologien. Zu den Autoren zählen hauptsächlich bekannte Köpfe wie z.B. Andreas Gruber, Markus K. Korb, Michael Marrak, Michael Siefener, Uwe Voehl, Nicole Rensmann, Tobias Bachmann, Arthur Gordon Wolf und Sören Prescher. Hier ein Blick auf die bekannten Reiseführer mit deutschsprachigen Autoren:

  • Arkham. Ein Reiseführer, hrsg. v. Patrick Grieser, Basilisk 2006 (14 Geschichten)
  • Dunwich - Ein Reiseführer, hrsg. v. Patrick Gieser, Basilisk Verlag 2010 (9 Geschichten, davon 2 Übersetzungen)
  • Kingsport. Ein Reiseführer, hrsg. v. Uwe Voehl, Basilisk 2014
  • Ulthar. Ein Reiseführer, hrsg. v. Jörg Kleudgen, Basililisk 2015

Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt: Seit 2017 erscheint "Lovecrafts Schriften des Grauens" im Blitz-Verlag mit bisher vier Titeln. Drei davon sind Romane, allesamt E-books.

MetamorphosenLovecraft bei Torsten Low und den Geschichtenwebern
Und dann gibt es noch den Verlag Torsten Low. Ursprünglich gegründet um das Fantasy-Epos "Dunkel über Daingistan" von Torsten Low himself zu publizieren, hat der Verlag mittlerweile ein breitgefächertes Phantastikprogramm, das von Horror über Dark Fantasy bis hin zu Steampunk und Fantasy reicht. Insbesondere seine Anthologien haben immer wieder vordere Plätze beim Deutschen Phantastik Preis errungen. Eine Anthoreihe, die schon seit 2008 läuft, ist "Auf den Spuren H.P. Lovecrafts". Dieses Projekt wird in Zusammenarbeit mit den "Geschichtenwebern" realisiert. Diese sind eine Autorengruppe, die schon seit Jahren mit verschiedenen Verlagen wie Fabylon, Wurdack, Arcanum, Amrûn, p.machinery und eben Torsten Low Anthologien und Romane realisiert. Auf ihrer Homepage präsentieren sie etliche bekannte Autoren wie Alfred Wallon, Vincent Voss, Felix Woitkowski, Andreas Zwengel, Bettina Ferbus, Andreas Gruber, Andrea Bottlinger und Nina Horvath. Bisher sind in der Reihe bei Torsten Low drei Anthologien erschienen, die im Gegensatz zu den Basilisk-Titeln nicht limitiert und auch alle noch erhältlich sind.

Verbotene BücherThomas Backus, Sabrina Hubmann, Nina Horvath, Erik Hantsch (Hrsg.), Verbotene Bücher, Platz 3, 2015 VP

"Blasphemische und verbotene Bücher, die schreckliche Geheimnisse in sich tragen oder grauenvolle Entitäten heraufbeschwören, waren schon immer ein wichtiger Bestandteil des lovecraft'schen Kosmos. 16 Autoren wandeln erneut auf den Spuren des Meister und haben sich aufgemacht, die Bibliothek des Schreckens zu öffnen, und sind dabei auf Mysterien jenseits der menschlichen Vorstellungskraft gestoßen. Das Grauen lauert nicht in Gräbern und Spukhäusern, sondern zwischen den Worten und Buchstaben verbotener Bücher!"

(Klappentext)

Thomas Backus, Manuel Bianchi, Sabrina Hubmann (Hrsg.), Die Klabauterkatze, Platz 2, 2012 DPP

"Das Grauen ist nicht von dieser Welt. Aber es lauert hier ... und es will gefunden werden!"

(Klappentext)

Manuel Bianchi, Sabrina Eberl, Nina Horvath (HRSG.), Metamorphosen, Platz 2, 2008 DPP

"Geschichten über Menschen, die aus ihrem Alltag gerissen werden und sich einem Schicksal stellen müssen, das an Ekel und Bizarrerie ihre Vorstellungen übersteigt. Sie sind die Auserwählten, die Wiedergeburt einer Rasse, die sich anschickt, den Planeten ein weiteres Mal zu erobern"

(Klappentext)

Eine vierte Ausschreibung mit dem Titel "R'lyeh -Stadt unter dem Meer" ist abgeschlossen. Hier ein Blick auf die Ausschreibung:

"R’lyeh, dieser Name weckt in jedem Leser der Phantastik- und Horror-Literatur sofort düstere Assoziationen. R’lyeh, die monolithische Stadt, versunken irgendwo im Pazifik, Schlafstatt des großen Cthulhu und Hüterin blasphemischer Schrecken. Ein Ort, der allem Menschlichen Hohn spricht und an dem Naturgesetze keine Bedeutung haben. Nur mit flüsternder Stimme lässt H. P. Lovecraft seine Protagonisten von diesem „Atlantis des Schreckens" sprechen.

Erneut machen sich die Geschichtenweber auf, den lovecraftschen Kosmos um weitere Facetten zu bereichern. Denn mit dem Untergang R’lyehs ist der Kosmische Schrecken nicht aus der Welt verschwunden!

Zusammen mit dem Verlag Torsten Low suchen Eric Hantsch, Nina Horvath, Thomas Backus und Sabrina Hubmann nach Geschichten, in denen die zyklopische, unirdische Stadt unter dem Meer weitere düstere und schreckliche Geheimnisse preisgibt."

Andreas ZwengelDie Autoren
Wer sind nun aber die Autoren in dieser Reihe? Während bei Basilisk die bekannten Horror- und/oder Kurzgeschichten-Autoren schreiben, sind es bei den Geschichtenwebern überwiegend neue frische Autoren. Einige davon haben mittlerweile (die Reihe geht immerhin ins zehnte Jahr!) aber doch einen größeren Bekanntheitsgrad erreicht. Bei "Metamorphosen" ist z.B. auch Nina Horvath vertreten mit ihrer Geschichte "Zombies für einen Tag". 2011 gewann sie als Herausgeberin mit ihrer Anthologie "Die Schattenuhr" (Blitz) den Vincent Preis. "Die Klabauterkatze" wartet mit PR-Autor Arndt Ellmer auf, dessen Beitrag der Anthologie auch den Namen liefert. Zu den mittlerweile bekannteren Autoren gehörten dort Andreas Zwengel (war zeitweise im Ren Dhark Autorenteam) mit "Zauber der Karibik", Bettina Ferbus mit ""Das Ding" und T.S. Orgel (veröffentlicht mittlerweile Fantasyromane bei Heyne) mit "Wo die Straße dunkel ist". Bei "Verbotene Bücher" findet man wieder Nina Horvath ("Das Bionomicon"), T.S. Orgel ("Thaler Thaler") und Bettina Ferbus ("Marketing"). Dazu kommen noch Julia Annina Jorges ("Samthain"), Felix Woitkowski ("Tod dem König in Gelb") sowie Vanessa Kaiser und Thomas Lohwasser ("Mr. Asshirers Vermächtnis"), die gerade mit ihrer Anthologie "12 Monate Angst" den Vincent Preis gewonnen haben. Dazu kommen in allen drei Bänden jede Menge Autoren ohne "große" Namen. Und ehrlicherweise muss man eingestehen, dies zeigt sich auch in der Qualität der Geschichten. Zwar sind alle gut lesbar, doch fehlt etliche Male der "letzte Schliff", die Sprachgewandtheit oder einfach die Originalität, die einen Andreas Gruber, einen Arthur Gordon Wolf, einen Markus K. Korb, einen Tobias Bachmann oder einen Sören Prescher auszeichnen. Immerhin gibt es eine deutlich aufsteigende Tendenz. "Verbotene Bücher" ist viel ausgereifter als "Metamorphosen".

Die KlabauterkatzeUnd außerdem gibt es hier auch bemerkenswerte Autoren zu finden wie etwa Jan-Christoph Prüfer, der mittlerweile auch in anderen Anthologien zu finden ist. In "Die Schokolade des Herrn Bost" (in "Metamorphosen")versucht ein freier Mitarbeiter eines Käseblättchens aus einem Bericht über die überaus beliebte Schokolade des Herrn Bost einen Sensationsartikel zu machen. Er schreckt selbst vor Erpressung nicht zurück um hinter das Geheimnis des Süßigkeitengeschäftes zu kommen. In "Fleischmanns Trophäe" ("Die Klabauterkatze") dringt eine studentische Hilfskraft nächtens in das Büro ihres Professors Fleischmann ein. Hagen will für eine angebetete Studentin die Prüfungsaufgaben kopieren. Auf der Suche danach findet er ein sehr altes Buch, das Fleischmann einst aus einem in Vergessenheit geratenen unterirdischen Dorf in der Nähe von Arkham geborgen hat.

Matthias Töpfer hat es gleich mit drei Geschichten in "Die Klabauterkatze" geschafft. In "Goldene Locken, kaltes Herz" lebt Rainer Holtmann in einem etwas heruntergekommenen Mietshaus. Dort begegnet er im Treppenhaus einem frechen kleinen Mädchen, das ihm mit seinem Vater droht. Als Holtmann nachfragt wird ihm vom Hausmeister erklärt, dass es keine Kinder im Haus gibt. Vor einigen Monaten sind jedoch zwei Kinder bei einem Wohnungsbrand ums Leben gekommen. Die lästige Kleine taucht jedoch weiter regelmäßig auf. Nach ein paar Tagen warnt ihn eine junge südländische Mieterin, dass das Kind in Wirklichkeit "das Böse" sei. Sie gibt ihm den Rat, nicht mit dem Mädchen zu sprechen und auch mit niemandem über sie zu reden. Außerdem überreicht sie ihm zum Schutz einen "Heiligen Florian". Doch irgendwann beschließt Holtmann, den Dingen auf den Grund zu gehen.

In "Faustpfand" geht es um den jungen Stricher Manuel. Eines Tages geht er in einer kalten regnerischen Nacht mit einem sympathischen Freier in seine Altstadtvilla. Dort zeigt ihm der Hausherr irgendwann seine Sammlung heidnischer Götzenbilder. Eines davon erweckt Manuels besonderes Interesse. Als er dann nicht schlafen kann ...

In "Im Knusperhäuschen" zieht eine alternativ angehauchte Familie mit drei Kindern in ein einsames altes Haus im Wald. Während die Eltern sich begeistert in die Renovierung stürzen, fühlen die Kinder sich abgestoßen. Nach ein paar Tagen begegnen sie einem übel aussehenden Jungen, der sie eindringlich vor dem Haus warnt. Anscheinend sind dort in den letzten Jahren schon mehrfach Leute umgekommen, weil in der Erde unter dem Haus "jemand wohnt". Und tatsächlich halten die Eltern sich bald überwiegend im Keller auf und behandeln die drei Kinder immer liebloser, so dass diese fliehen wollen.

Interessant sind auch die beiden Geschichten von Samuel White (= Manuel Bianchi). "3,5" aus "Metamorphosen" konfrontiert Hauptkommissar Weisshaupt und seine Kollegen Christian Vorbeck und Martin Meyerholz von der Kripo Bremen mit einigen mysteriösen Verbrechen. 15 Personen sind schon verschwunden. Wieder wird das Team der SOKO Nimmerland in ein Studentenwohnheim gerufen und findet eine verwüstete Wohnung mit Schleimspuren. Hat der Drogenkonsum der Vermissten etwas mit ihrem Schicksal zu tun? Diesmal jedenfalls entdecken die Beamten Proben einer bisher unbekannten Droge. Und dann gibt es noch einen Zeugin, der eine Art laufende Krake gesehen haben will.

"Krieg der Kraken" aus "Die Klabauterkatze" führt die drei Beamten in die Antarktis. Dort sind fünf Forscher spurlos verschwunden. Der Bericht der einzig Überlebenden Stationsmitarbeiterin ruft die Weltgesundheitsorganisation auf den Plan. Sie will einen grässlich veränderten Kollegen gesehen haben. Außerdem hat man dort auch noch ein Symbol entdeckt, dass auch auf den Drogen in Bremen vorhanden war.

In allen drei Anthologien vertreten ist Thomas Backus, der auch bei "Die Klabauterkatze" und "Verbotene Bücher" zum Herausgeberteam gehört. In "Die versunkene Stadt" (Metamorphosen) schildert er eine U-Boot-Expedition, die glaubt Atlantis am Meeresgrund entdeckt zu haben. In "Bausteine aus Le(h)m" (Klaubauterkatze) kauft eine Öko-Mama ihrem Sohn keine Legos, sondern stattdessen auf dem Flohmarkt Lehm-Bauklötze. Ihr Sprössling errichtet damit die erstaunlichsten Bauten und verfällt ihnen regelrecht. Als sie die Teile daraufhin im Müll entsorgt, kommt es zur Katastrophe. In "Der verschollene König" begibt sich ein Sammler auf die Suche nach einem verschollenen Buch. Auch der Autor des Werkes ist verschwunden. Schließlich findet der Sammler aber die Tochter des Mannes.

H. P. LovecraftFragen
Deutsche Autoren wandeln in den letzten Jahren in großer Zahl auf den Spuren von Lovecraft. Woher kommt diese späte Wertschätzung für einen Autoren, der in den 20er und 30er Jahren Geschichten über die amerikanische Provinz geschrieben hat?

In Lovecrafts Geschichten stehen die Protagonisten übermächtigen Gegnern gegenüber. Die Menschen haben keine echte Chance sich dagegen zu wehren, sind hilflos den Gefahren ausgesetzt. Entspricht dieses Gefühl der Ohnmacht dem in Deutschland verbreiteten Zeitgeist, der suggeriert, dass man Globalisierung und Digitalisierung ausgeliefert ist, ohne jede Chance sie zu beeinflussen?

Festa und Basilisk setzen - wie andere Kleinverlage auch - auf Kleinstauflagen. Wie groß ist die Horror- und Kurzgeschichtenszene in Deutschland wirklich? Sind es tatsächlich nur etwa 150 Personen, die die besten Geschichten in edel aufgemachten limitierten Auflagen genießen und sich entsprechende Sammlungen zulegen, während der Großteil der Phantastikleser davon ausgeschlossen bleibt?

Lassen sich einzelne Elemente von Lovecrafts Cthulhu auch in anderen zeitlichen und geografischen Zusammenhängen verwenden? Wie viel hat das dann noch mit Lovecraft zu tun?

Kommentare  

#1 Laurin 2018-06-03 12:51
Nun ja, wenn es um die "Ohnmacht" gegenüber den staatlichen Institutionen und damit einem gewissen "verbreiteten Zeitgeist" in Deutschland als Ausdrucksform gehen würde, hätte Lovecraft schon seit längerer Zeit hier Hochkonjunktur haben müssen.
Die Wertschätzung, so würde ich dies einmal ausdrücken, schwappte hier eher zeitversetzt aus z.B. den USA herüber, wobei auch das Lob so mancher bekannter Autoren hinsichtlich Lovecraft, wie etwa seitens Stephen King, durchaus mit stetem Tropfen den Stein ausgehöhlt haben dürfte.
Zudem steht die Wehr- und Hilflosigkeit der Protagonisten gegenüber dem "übermächtigen" Bösen dem Genre an sich schon näher, als z.B. die Helden aus den diversen Heftromanen (John Sinclair oder Professor Zamorra), welche recht austauschbar ihre Wurzeln doch eher in Kriminal-, Western- und Abenteuerromanen haben und deshalb auf "Sieg" und "Überwindung" des Bösen geeicht sein dürften. Da tauscht man doch eher wilde Eingeborene, Indianer und diverse Gangster nur durch entsprechend eher gleichwertige Figuren aus, welche nun eben plötzlich der Hölle entstammen sollen.

Irgendwie lustig empfinde ich hier bei dem Artikel aber durchaus die Gleichsetzung von Kleinstverlagen wie z.B. Basilisk mit dem Festa Verlag. Da will ich diesen Verlagen wie Basilisk oder Torsten Low wahrlich nicht absprechen, mit einem gewissen Herzblut an die Thematik heranzugehen. Und Festa ist wahrlich auch kein Großverlag, wenn man Bastei Lübbe oder Random House (Heyne, Goldmann usw.) betrachtet. Aber in Sachen Auflagenstärke, qualitativer Umsetzung und im Hinblick auch auf die werksgetreue Nähe gerade zu Lovecraft liegen da doch Welten zwischen. Dabei muss ich rein persönlich auch sagen, das deutsche Autoren (und sei es z.B. selbst Wolfgang Hohlbein) hier nur sehr bedingt bzw. eingeschränkt wirklich in Lovecrafts Universum überzeugen können. Da gibt es durchaus Perlen in Sachen Kurzgeschichten zu heben, aber die muss man auch wirklich suchen und finden.
#2 Andreas Decker 2018-06-03 14:38
Zitat:
n Lovecrafts Geschichten stehen die Protagonisten übermächtigen Gegnern gegenüber. Die Menschen haben keine echte Chance sich dagegen zu wehren, sind hilflos den Gefahren ausgesetzt.
Da fängt das eigentliche Missverständnis schon an. In den maßgeblichen Lovecraft-Erzählungen bzw der sich daraus ergebenden Philosophie geht es nicht um "Gut" gegen "Böse" oder einen Kampf, den der Mensch gewinnen könnte. In diesem Universum gibt es keinen Gott, und der Mensch ist in diesem Kosmos genauso bedeutungslos wie seine Erungenschaften oder seine Moral.

Die überwiegende Mehrheit von Mythos-Geschichten, egal aus welchen Ländern, bedient sich lediglich der Theaterkulissen wie Krakenmonster und Zauberbücher, da Lovecrafts selbsternannte amerikanische Erben mit diesem Hintergrund nichts anfangen konnten und ihm dieses geistig schlichte konzeptionelle Korsett überstreiften, wo der Held dann eben doch im christlichen Sinn siegen kann. Vom wirtschaftlichen Standpunkt aus betrachtet gibt ihnen der Erfolg allerdings recht. Die einfache Version hat sich durchgesetzt.


Ich halte den angeblichen literarischen Einfluss von Lovecraft hierzulande oder anderswo auch für überschätzt. Wenn man die Berichterstattung in den Kulturseiten verfolgt hat, ging es hauptsächlich um die Rassismus-Debatte um den Autor und kaum um seine Inhalte. Oder seine literarische Wertschätzung. Da trifft nämlich eher das Gegenteil zu. HPL ist ein typischer "aber"-Autor. "Sein Stil ist lausig, aber er hatte ein paar interessante Ideen."
#3 Laurin 2018-06-03 15:13
Zitat Andreas Decker:
"In den maßgeblichen Lovecraft-Erzählungen bzw der sich daraus ergebenden Philosophie geht es nicht um "Gut" gegen "Böse" oder einen Kampf, den der Mensch gewinnen könnte. In diesem Universum gibt es keinen Gott, und der Mensch ist in diesem Kosmos genauso bedeutungslos wie seine Erungenschaften oder seine Moral."

Besser hätte ich es jetzt auch nicht ausdrücken können. :-)

Zitat:
" Wenn man die Berichterstattung in den Kulturseiten verfolgt hat, ging es hauptsächlich um die Rassismus-Debatte um den Autor und kaum um seine Inhalte."

Und da fängt das Übel an, wenn man sich Lovecraft von der Warte der "Kulturseiten" nähert. Lovecraft war ein Kind seiner Zeit, ihm hier nun postum eine aktuelle Rassismus-Debatte überstülpen zu wollen zeigt da schon recht interessant, wie weltfremd und geschichtslos manche auf diesen Kulturseiten sind. Zu Zeiten Lovecraft dürfte es nämlich kaum einen Menschen gegeben haben, den man nach heutiger Sichtweise keinen Rassismus unterstellen könnte. Und mit den Inhalten können sich diese Herrn und Damen aus dem eher abgehobenen "kulturellen Elfenbeinturm" nicht auseinandersetzen, weil sie ihn wohl schlicht a.) nicht verstanden haben oder b.) diese schlicht nicht mal kennen. Von daher sind literarische Kulturseiten in solchen Fällen so ziemlich die denkbar schlechteste Informationsquelle, die man sich (eher wohl aus Langeweile) antun sollte.
#4 Hermes 2018-06-04 16:51
Vor der Jahrtausendwende erschienen Etliches von Lovecraft im Suhrkamp Verlag. Das ist doch eher eine Adresse für kulturell interessierte Leser als für den typischen Horrorleser.
#5 Laurin 2018-06-04 20:46
@ Hermes:
Das wird wohl auch durchaus so sein. Bliebe da noch die Frage, wer ihn da verstanden hat und wer nicht.
Aber es gibt da wohl auch die, welche ihn gelesen haben und darüber schwiegen und dann solchen, die ihn eventuell mal überflogen haben, sich aber berufen genug fühlten, ihre Urteile über ihn kund zu tun.
Du siehst, die Möglichkeiten sind da viele. Und ich kannte da durchaus auch Interessenten an bestimmten Storys, die da durchaus eher (schon vom alter der Geschichte her betrachtet) gerne beim Suhrkamp Verlag gestöbert hatten, ohne sich nun zum kulturell interessierten Kreis zu zählen (einschließlich damals in meiner Jugend ich selbst, auch wenn ich da nicht gezielt gerade nach Lovecraft gesucht hatte). ;-)
#6 Heiko Langhans 2018-06-04 21:44
Wenn ich mich richtig erinnere, sind die ersten HPL-Bücher bei Suhrkamp so um 1975 erschienen. Suhrkamp hat damals unter Mithilfe von Kalju Kirde und Franz Rottensteiner im Laufe von 20 Jahren eine sog. Phantastische Bibliothek mit gut 200 Titeln auf die Beine gestellt - Lovecraft, Lem, Strugazkijs, C.A. Smith, Machen, Ballard, Dick, Franke,Steinmüller, Weisser, etc.: Viele Titel sind zuvor (ca. 1970?) als Hardcover in der Phantastischen Bibliothek des Hauses Usher erschienen.

Das war also keine kurzfristige "Huchwasistdasdenn"-Erscheinung in einem Kulturverlag, sondern eine lange Entwicklung.
#7 Larandil 2018-06-05 10:09
Ich meine mich in diesem Zusammenhang zu erinnern, dass Lovecrafts Romane und Geschichten in Frankreich recht beliebt waren, bevor sie Deutschland erreichten.
#8 Hermes 2018-06-05 10:40
@ Heiko

danke für den Hinweis! In der Bibliothek des Hauses Usher vom Insel Verlag erschienen zwischen 1969 und 1973 vier Lovecraft-Titel. Außerdem auch Titel von Algernon Blackwood (3), William Hope Hodgson (2) und Clark Ashton Smith (2), die auch in Festas H.P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens vertreten sind.
#9 Andreas Decker 2018-06-05 10:48
zitiere Heiko Langhans:
Das war also keine kurzfristige "Huchwasistdasdenn"-Erscheinung in einem Kulturverlag, sondern eine lange Entwicklung.



Nicht zu vergessen mindestens 2 umfangreiche Bände über das Werk, herausgegeben von Rottensteiner, st 1027 und 1626 von 84 und 92, was schon zeigt, dass da wohl Bedarf bestand und es sich verkaufen ließ. Und das waren keine einfachen Übersetzungen, sondern vom Herausgeber zusammengesuchte Aufsätze.

Dass sich Lovecraft in den 30 Jahren bei Suhrkamp beständig verkauft haben muss, lässt sich auch daran ablesen, dass es Neuausgaben gab. Das gab es nur bei verschwindend wenigen Autoren der Phantastischen Bibliothek.


Ich denke, dass viele Freunde des Phantastischen die Bücher gekauft haben, nicht weil sie bei einem selbsternannten Literaturverlag erschienen sind, sondern trotzdem :-) Als das Programm in der Hinsicht noch hermetisch geschlossen war - ist es heute ja auch schon lange nicht mehr - hat man sich halt die drei Rosinen rausgepickt. Da genügte ein Blick in den Buchhandelskatalog.


zitiere Laurin:
@ Hermes:
Das wird wohl auch durchaus so sein. Bliebe da noch die Frage, wer ihn da verstanden hat und wer nicht.


Das ist aber eine Frage der Entwicklung und Beschäftigung. Die aus einigen Kreisen harsche Kritik am "Derleth-Mythos" ist relativ neu und man muss sich schon dafür interessieren. Wenn man seine Informationen aus den Einführungen der 70er Jahre Ausgaben und dann noch den populären Rollenspielen entnimmt, hat man halt das Grundpaket.

Und es ist auch eine Frage des Anspruchs. Wenn man die xte belanglose Story über das Zauberbuch und das Tentakelmonster schreiben will, braucht man auch nicht mehr an Hintergründen. Ich will das nicht runtermachen, das ist okay. Die meisten essen gern mal Fast Food. Aber mehr ist es auch nicht.
#10 Sarkana 2019-05-06 18:15
zitiere Laurin:
Und da fängt das Übel an, wenn man sich Lovecraft von der Warte der "Kulturseiten" nähert. Lovecraft war ein Kind seiner Zeit, ihm hier nun postum eine aktuelle Rassismus-Debatte überstülpen zu wollen zeigt da schon recht interessant, wie weltfremd und geschichtslos manche auf diesen Kulturseiten sind.

Nein, ein Zeichen für Dummheit und Weltfremdheit unserer Gesellschaft. Die Greifswalder Uni hat doch auch kürzlich ihren Namen ablegen müsse, weil der Herr Arndt so ein übler Antisemit gewesen sein soll. Die Zeit aus der gewisse Menschen stammen zu berücksichtigen ist heute nicht mehr so in Mode. So aus dem heutigem Elfenbeinturm herab über frühere Generationen urteilen ist gerade total in.
#11 Laurin 2019-05-06 18:41
Da stimme ich dir zu Sarkana. Zumal die Vergangenheit damit auch nicht besser wird, bzw. diese sich damit in ein angenehmeres Licht rücken lassen wird.
#12 Michael 2019-05-08 10:14
Bei der Auflistung Lovecraft und die Kleinverlage fehlt der Blitz Verlag mit seiner Reihe:
www.blitz-verlag.de/index.php?action=serie&serieid=183&PHPSESSID=ddcb79ae05c8278956ec9d1e7d435f89

Auch ist im Basilisk ein neuer Reisführer erschienen: Ry´leh
#13 Hermes 2019-05-08 21:00
@ Michael

Nicht ganz richtig. Im Artikel heißt es:

Zitat:
Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt: Seit 2017 erscheint "Lovecrafts Schriften des Grauens" im Blitz-Verlag mit bisher vier Titeln. Drei davon sind Romane, allesamt E-books.

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