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HORROR EXPERT 25 – Dunkle Mächte

Horror ExpertDunkle Mächte

Erber und Luther – zwei Namen, die aus der Geschichte der phantastischen Literatur in Deutschland nicht wegzudenken sind und noch heute Anlass zur Kontroverse bieten. Die Reihe »Horror expert« war Vorreiter auf dem Taschenbuchmarkt und machte den interessierten Leser mit einem Genre bekannt, das hierzulande erst in den Anfängen steckte.

Das lohnt einen näheren Blick auf eine ziemlich in Vergessenheit geratene Reihe.

Dunkle MächteDunkle Mächte
von Bron Fane
Horror expert Nr. 25
Übersetzt von Ernst Heyda
1973
Luther Verlag
Was passiert?
England. 1964. Francis Simnel ist ein alter Puppenspieler, der sich mehr recht als schlecht durchs Leben schlägt. Er liebt seine Marionetten, die er im Keller bastelt. Fluch seiner Existenz ist seine Schwester Agnes, mit der er zusammenlebt. Sie gibt sein Geld aus und macht ihm das Leben zur Hölle.

Nach einem Auftritt vor Waisen im Auftrag der hochnäsigen Lady Sullybridge, die ihn natürlich nicht sofort bezahlt – Agnes wird toben – baut Simnel einen schweren Autounfall. Er landet im Koma. Sein Geist fliegt in einen schönen, freundlichen Kristallpalast, wo ihm ein paar nette Leute in weißen Gewändern die Zukunft zeigen. Zwar legen sie sich nicht fest, aber sie lassen durchblicken, dass sie das Gute sind. Simnel kann in den Kristallpalast einziehen und Gutes tun, oder er kann in einem kerkerhaften Altersheim verrecken, in das ihn die geifernde Agnes nach seinem Unfall reinbringt. Die freundlichen Weißgekleideten betonen ausdrücklich, dass das alles nur Möglichkeiten sind. Seine Zukunft kann auch anders aussehen.

Bevor sich Simnel entscheiden kann, sinkt er nach unten und wird in der dunklen Tiefe von einem freundlichen Mann empfangen, der ihn an den Teufel erinnert. Auch der hat ein Angebot. Simnel sieht sich im Grab verrotten, aber zuvor saugt ihm Agnes auch noch den letzten Rest Leben und Selbstachtung aus. Oder er wird auf seine alten Tage noch reich und berühmt durch seine Supermarionetten, wird von hübschen jungen Frauen bedient und führt ein prächtiges Leben. Dazu muss er sich nur dem Bösen verschreiben. Herausforderung angenommen.

Der freundliche Teufel gibt ihm noch mit auf den Weg, dass man ihm einen Agenten an die Seite geben wird, der ihm dabei helfen wird, den dunklen Weg einzuschlagen. Simnel wacht aus seinem Koma auf und ist wie verwandelt. Statt zaghaft und brav ist er nun energisch und bestimmend. Selbst Agnes kuscht vor ihm. Jedenfalls bis sie eine Stimme aus dem Nichts überfällt und sie zu der ominösen Agentin macht. Simnel ist nicht erfreut.

Nun schnitzt er besondere Marionetten. Die erste ist das Abbild des alten Nachbarn Tom Winter. Agnes schleicht sich dann in sein Haus und versetzt den Alten mittels Magie in den Scheintod. Als er daraufhin lebendig beerdigt wird, schmuggelt sie die Puppe in den Sarg. Sein Geist fährt in die Marionette, die buddelt sich den Weg frei und kehrt zu Simnel zurück.

Das wiederholt sich ein paar Mal, ohne dass jemand Verdacht schöpft. Auch Lady Sullybridge muss dran glauben. Die Krönung der Sammlung, bevor der nächste Teil des Plans erfüllt wird, ist die junge hübsche Gemeindeschwester Josephine Starr, eine Stütze der Gemeinde. Dummerweise ist die um drei Ecken mit La Noire verwandt, der Frau des Reporters und Geisterdetektivs Val Stearman. La Noire, die geheimnisvolle Hexe, spürt sofort das Böse, als Josephine ins Koma versetzt wird. Augenblicklich brechen Stearman und La Noire auf. Sie finden die scheintote Josephine auf und verzögern die Beerdigung. Fünf Minuten später stehen sie bei Simnel auf der Schwelle.

Das Böse greift das Pärchen sofort an; in der Marionettenwerkstatt stürzen sich Schatten auf sie. Mit Silberkugel und Kreuz verscheuchen Geisterdetektiv und Hexe die finsteren Schatten, aber die Simnels können fliehen. Sie klauen Josephine und verstecken sich in der Mühle des Millionärs Jurgans, der nicht nur einen buckligen Diener hat, sondern auch ein Diener des Bösen ist. Jurgans hat weitere Diener, die mehr Affenmänner als Mensch sind. Er informiert die Puppenspieler, dass sich die Pläne des Bösen geändert haben. Josephine soll jetzt geopfert werden.

Val Stermann dringt im Sturmangriff in die Mühle ein und prügelt die Affenmänner nieder. Dabei verliert er aber seine Waffen und La Noire ihr Kreuz. Trotzdem stürzt er sich auf Jurgans. Bevor ihn aber die Schatten überwältigen, kann er Agnes noch eine Puppe entreißen und ins Feuer werfen. Als er wieder zu Bewusstsein kommt, sind er und seine Frau im Keller angekettet. Von Josephine erfahren die Stermanns, dass er wohl die Puppe der charakterfesten Lady Sullybridge vernichtet hat.

Als man Josephine auf den Altar hebt und der hilflose Stearman, der auch noch von den Schatten in Schach gehalten wird, um ein Wunder betet, steht plötzlich die tote Lady Sullybridge in der Tür. Unbeeinflusst von dem Bösen drückt der Zombie unserem Helden seine Waffen in die Hand. Und wie später John Sinclair höchstpersönlich räumt Val Stermann mit Kreuz und ein paar wohlgezielten Silberkugeln mit den Bösen auf. Am Ende hat Jurgans eine Kugel im Kopf und die Simnels sind katatonisch. Und die Welt ist gerettet.

Worum geht es?
Der vorletzte Band des Horror expert bringt den Roman "The Macabre Ones" von Bron Fane. Wieder kein Highlight der phantastischen Literatur. Eher das Gegenteil. Bron Fane ist eines der Pseudonyme des britischen Vielschreibers R. L. Fanthorpe. In diesem Fall ist seine Frau Patricia heutzutage als Co-Autorin angegeben.
In den 50ern und 60ern wurde Fanthorpe, der nebenher noch als Journalist und später als Lehrer arbeitete, zu einer Geschichtenfabrik für den Verleger Badger Books. Er veröffentlichte unter mindestens 24 Pseudonymen. Da es schnell gehen musste, diktierte er seine Geschichten auf Tonband, und die Familie tippte sie dann ab. Das alberne und überstürzte Ende vieler Romane erklärt sich darin, dass er beim Diktieren keine Übersicht über die Länge hatte. Da konnte es auch schon mal vorkommen, dass er mitten in der Geschichte plötzlich erfuhr, nur noch ein paar Seiten zur Verfügung zu haben. Also wurde dann irgendein ein mehr oder weniger sinnvolles Ende drangetackert. War der Roman zu kurz, wurden eben ein paar Absätze verlängert. Seine sinnfreie Zeilenschinderei ist legendär. Unvergessen eine Szene im SF-Roman "Dark Continuum", wo sich die Heldin recht unvermittelt 500 Worte lang die Zähne putzt. (Zum Vergleich: Das ist ungefähr ein Drittel der Länge dieses Artikels.)

Legendär ist auch der Spott über seinen Erzählstil. In den deutschen Ausgaben bekommt man von dem Stil eher wenig mit. Aber im Original ist das oft nur noch schwer zu lesen. Die Ebook-Neuausgabe seiner SF-Romane wirbt sogar mit dem Spruch von Neil Gaiman, dass man nicht zuviel Fanthorpe auf einmal lesen sollte, weil das Gehirn dann zu Guacamole wird und aus den Ohren tropft. Ein Zitat aus "Ghastly beyond belief", Neil Gaimans und Kim Newmans früher Abrechnung mit britischen Genreromanen. In der Tat zeichnen sich die meisten von Fanthorpes Romanen und Geschichten oft durch eine wirre Handlung und wenig überzeugende Szenarien aus.

Aber der Mann war immens fleißig. In seiner Zeit hat er für Badger in 15 Jahren über 250 Geschichten und Romane verfasst. (Badger hatte auch Reihen von Western und Kriegsromanen.) Allen Berichten zufolge ist er ein netter Kerl, der auch heute noch aktiv ist und so ziemlich alles macht, von Radiobeiträgen bis hin zu Lektoratsarbeiten für jedermann. Die Kritik an seinem Werk nimmt er mit Humor.

Der Roman illustriert sehr schön alle seine Schwächen. Ein naiver, oft schon märchenhafter Ton, ein paar nette Ideen, deren Potenzial aber ziemlich verschwendet wird, Zeilenschinderei ohne jedes Gespür für Dramatik und ein Ende, das in seiner Schlichtheit einfach nur enttäuscht.

Der Leser muss sich 11 Kapitel oder 134 Seiten mit Simnels Geschichte beschäftigen, die nur selten interessant wird. Bei seiner "Verführung" zum Bösen ist das Tempo schneckengleich, auch wenn die putzige Naivität des Ganzen durchaus Atmosphäre hat, und die Wendung, dass die garstige Schwester zum Agenten des Bösen wird, ist in der Tat das Originellste, das in dem Roman passiert. Wenn Agnes dann die willkürlich ausgesuchten Opfer lebendig begraben lässt, um die magischen Puppen herzustellen, kommt auch mal ein Anflug von Biss auf.

Aber dann geht alles zügig den Bach runter. Auf Seite 135 von 189 wird der Serienheld Val Stearman, bekannt aus diversen Fanthorphe-Stories, plötzlich eingeführt und alles geht so eindimensional und flott wie möglich zu Ende. Stearman, der einem tatsächlich wie ein Proto-Sinclair vorkommt, nur was energischer, wenn es sein musste - er macht keine Gefangenen – kommt, sieht und siegt. Und selbst hier kriegt Fanthorpe seine Erzählstruktur immer noch nicht auf die Reihe. Der Endkampf nimmt gerade mal vier (!) Seiten ein. Da hätte man so viel mehr draus machen können. Und die teuflischen Marionetten, deren Erschaffung der Leser in den ersten 11 Kapiteln folgt, und die wer weiß was machen sollen, haben nicht einen einzigen Auftritt.

Heute 54 Jahre nach der Erstveröffentlichung kann man das je nach Laune als amüsant oder echte Zeitverschwendung betrachten. Als halbwegs kompetenter Gruselroman – wir wollen ihn nicht mit dem Begriff "Horror" adeln, denn das ist es nun wirklich nicht – ist es faktisch betrachtet ein hundertprozentiger Reinfall und setzt die Reihe von Nieten in der Reihe fort.

Von der redaktionellen Seite gibt es auch nichts Neues. Teaser aus dem Top-Krimi und dem Grusel+Horror Cabinett, das Letztere immerhin von Harlan Ellison. Den haben Luthers Redakteure recht oft gebracht. Witzig ist das Angebot, sich doch bitte in die Interessentliste eintragen zu lassen. Da ist Luthers Taschenbuchprogramm, das kurz darauf vom Markt verschwinden sollte, der "Heimliche Bestseller im Buch- Zeitschriften- und Bahnhofsbuchhandel". Muss wohl ein gut gehütetes Geheimnis gewesen sein.
The Macabre Ones
Das Titelbild:
Das nächste Filmfoto. Wieder ein Bild aus dem deutschen Film "Die jungen Ausreißerinnen", einem typischen Sexploitationheuler der Dekade, dessen Motive aber überraschend gut für Gruselromane passen.

Überflüssig zu bemerken, dass im ganzen Roman nicht mal annährend so viel Sex und Action ist wie auf dem Foto. Oder überhaupt welcher. Fanthorpe-Romane sind keusche Angelegenheiten.

Das Original
The Macabre Ones
von
Bron Fane (Pseudonym von R.L.Fanthorpe und Patricia Fanthorpe)
160 Seiten
Badger Books, 1964

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Kommentare  

#1 matthias 2018-07-30 11:08
Ich habe als Sammler diese Reihe mal komplett besessen. Aber irgendwie hat mich nicht ein Titel zum Lesen gereizt.
Für 50 Pfennig Flohmarktpreis kann man ein TB mitnehmen, aber ...
#2 Toni 2018-07-30 17:18
Hört sich wieder nach einem überflüssigen Fanthorpe an. Aber der Mann ist überall. Gestern habe ich ihn in einer Geschichtsdoku über das ritterliche Mittelalter gesehen. Respekt.
Die Pabel-Übesetzer seiner Werke tun mir im Nachhinein noch leid, wenn es wirklich so konfus bei ihm zuging.

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