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Die phantastischen Welten des Karl-Ulrich Burgdorf: »Delta Omicron«

Die phantastischen Welten des Karl-Ulrich BurgdorfDie phantastischen Welten des Karl-Ulrich Burgdorf
»Delta Omicron«

Anfang November 2018 überraschte Verlagschef Christian Dörge in Facebook mit der Begrüßung von Karl-Ulrich Burgdorf im Apex-Verlag: »Neu im Apex-Verlag: Heftroman-Veteran Karl-Ulrich Burgdorf«, so ein Post vom 05. November 2018. Es folgten zwei verschiedene Werbeseiten.

Die Werbung zündete – ich war angefixt -  ich bin auf einer Lesereise.

Auf TEST 31, einem ausgehöhlten Asteroiden, der per Transmitter mit den anderen Asteroiden/Experimentalstationen des Projekts ORION verbunden ist, rematerialisiert ein unbekannter Besucher im Transmitterkreis und bricht vor dem Gerät zusammen. Der Sicherheitsbeauftragte William Maurer ist schnell bei dem Verletzten, dessen Rücken verbrannt ist. Ein Energiestrahler muss auf den Unbekannten abgefeuert worden sein. Noch bevor Maurer mehr herausfinden kann, zerstört eine ungeheure Energieflut TEST 31.

Delta OmicronProfessor Vogel, der Leiter des Stabilisierungsstabes, wird  von der Katastrophe auf TEST 31 unterrichtet. Und, dass er zu dieser Katastrophe nur erfährt, was er erfahren 'darf'.

Eine halbe Minute später hielt Jerry Vogel die Liste in der Hand.
„Zwanzig Wissenschaftler“, las er halblaut, „zwei Techniker, die die Gruppe führen sollten … dann der Sicherheitsbeauftragte, Leutnant William Maurer … Dr. Menachem Meir … Dr. Menachem Meir ...“
Er fühlte sich plötzlich wie versteinert.
„Ich hatte befürchtet, daß Sie ihn kannten“, sagte General Lucas mitfühlend. Sein Gesichtsausdruck war nicht zu deuten. „Die jüdische Gemeinde in TEST ist ja nicht sehr groß.“


(E-Book Seite 34)

(Heyne, Seite 217/218)

Sein persönlicher Adjutant Michael Manninghouse, den er für weitere inoffizielle Nachforschungen  gewinnen will, lehnt ab, als er informiert wird, dass TerraHQ sich in den Fall eingeschaltet hat. Dann erfahren sie, dass die komplette Orterschicht in die psychiatrische Abteilung eingeliefert wurde, um einen Psychoblock verpasst zu bekommen. An die Hintergründe, die zum Untergang von TEST 31 geführt haben, soll sich niemand mehr erinnern können!

In der Folge führt Professor Vogels Plan den nicht eingeweihten Michael Manninghouse nach Terra und im weiteren Geschehen schließlich nach  Delta Omicron. Und damit auch zu den Antworten ...

***

Karl-Ulrich Burgdorf zeichnet einen sehr guten SF-Rahmen, in dem sich der Roman bewegt: Die Test-Stationen/Projekt ORION mit der Transmittertechnik wird detailiert geschildert; die Größe der Station(en), die mehr als 100.000 Menschen Heimat gewährt, sehr gut vermittelt. Gleichzeitig fühlt man als Leser mit den Protagonisten auch die Enge, die in diesen Einrichtungen vorhanden ist, zumal auch die intensiven/geheimgehaltenen Überwachungsmöglichkeiten (Listening-Wall) dieses düstere Bild verstärken. Je nach Intellekt mag und kann man sich mit diesem Leben arrangieren – oder  – wie eine geschilderte Nebenfigur - auch nicht.

Delta OmicronKarl-Ulrich Burgdorf kommt mit nur wenigen Kapitelhauptfiguren aus, die sehr tiefgehend gezeichnet werden; Michael Manninghouse, der persönliche Adjutant Professor Vogels, ist die einzige durchgehend präsente Figur. Das angespannte Verhältnis der verschiedenen Abteilungen (Stabilisierungsstab, militärisches Kommando, Abwehr) wird ausgeführt und schlägt sich auch im Verhalten der Protagonisten nieder:

In dem Momant leuchtete der zweite Transmitter auf. Zwei junge Männer rematerialisierten. An ihren Uniformen war zu erkennen, daß es sich dabei um Leutnants der Abwehr handelte.
„Eher verständigt, aber später zur Stelle“, murmelte Josef Lemnitzky, Mikes zweiter Begleiter, fast unhörbar.“

(E-Book, Seite 27)
(Heyne, Seite 210)

Der Autor schreibt sehr dicht und vernetzt: Mit nur wenigen Absätzen treibt er sowohl die Handlung voran, erzeugt Atmosphäre und liefert weitere Hinweise (und auch Sackgassen) zum weiteren Geschehen. Die Zerstörung von AST 31 gestaltet sich als Rätsel, das den Leser packt und nicht mehr loslässt – Karl-Ulrich Burgdorf versteht es meisterlich, mit seinen Schilderungen die Phantasie anzuregen. Als Leser wird man eingeladen, mitzurätseln, wie sich die Handlung weiter entwickelt. Viele der stimmigen Schilderungen dienen nicht nur dazu, eine eigene SF-Welt zu erzeugen, sondern auch, um den Leser Handlungspekulationen anstellen zu lassen.

Die Handlung entwickelt sich vom Projekt ORION hin zu den obersten Regierungskreisen Terras, dann zu Delta Omicron. Diese größeren Handlungsbrüche wurden gelungen miteinander verbunden und sind im Ablauf stimmig. Einzig die Rolle, die Michael Manninghouse dann im Delta-Omicron-Abschnitt einnimmt, ist für meinen Geschmack etwas zu hervor gehoben.
 
Die neuen Schauplätze werden ebenso intensiv geschildert wie die Forschungsstation. Als Leser darf man mit dem Roman DELTA OMICRON eine kleine Rundreise durch die Welt von Morgen erleben. Karl-Ulrich Burgdorf schreibt sehr klar – kein Wort zu viel, jede Aussage präzise getroffen, so gut wie keine Dopplungen und insgesamt keine überflüssige Passage. Sicherlich eine der Erklärungen dafür, weswegen der Roman in die von Wolfgang Jeschke herausgegebene Heyne-Anthologie „Feinde des Systems“ aufgenommen wurde – zu einer Zeit, als die Veröffentlichungsmöglichkeiten deutscher SF-Autoren im Buchbereich sehr gering waren.

Die behutsame Überarbeitung der Neuausgabe ist sympathisch zurückhaltend, da der Text aus 1981 bereits sehr rund und für einen Science-Fiction-Roman ungewöhnlich gut gealtert ist. Viele SF-Romane aus den 60ern und 70ern, aber auch aus den 80ern wirken bereits nach relativ kurzer Zeit unfreiwillig komisch oder gar bieder. DELTA OMICRON weiß auch nach mehr als 35 Jahren zu überzeugen und wirkt nach wie vor frisch.

Die Technik wird vom Aufbau her nachvollziehbar beschrieben, ohne dass dabei zu sehr ins Detail gegangen wird; ein gelungener Mittelweg, um den Roman zeitlos zu halten und dennoch eine glaubwürdige, handlungstragende Zukunftswelt zu zeigen. Gerade der Transmittertechnologie, die ja in der SF sehr häufig zum Einsatz kommt (Star Trek, Star Gate, Commander Perkins und so gut wie jede deutsche SF-Heftromanserie), gewinnt Karl-Ulrich Burgdorf neue Aspekte ab. Ein Notfalltransmitter, wie im Eingangskapitel um TEST 31 erwähnt, halte ich für eine anregende Idee.

Bei Listening-Wall erläutert der Autor tiefgreifend – und lässt hier böse-originell DELTA OMICRON zur Dystopie werden. Sicherlich ein weiteres Argument für Wolfgang Jeschke, den Roman in die Anthologie mit aufzunehmen.
 
Die auf Terra vorgestellte politische Welt mit den Konzernen und dem Militär erinnert im besten Sinne an die Terranauten, wirkt sogar eindringlicher, da der Roman im Gegensatz zur Bastei-Serie im reinen SF-Bereich ohne Fantasy- oder Mythologie-Einschläge verbleibt. Mit den aufgezeigten Szenarien und Problemen (Politik, Militärmacht im Hintergrund, Umweltverschmutzung) dürfte der Roman zudem aktueller den je sein.

Geraucht werden darf in der Apex-Version trotz der Überarbeitung weiterhin, wenngleich in der Neuausgabe nun schadstofffrei. Die schadstofffreien Zigaretten sind dann auch schon das einzige Fantasy-Element … Immerhin, die Unsitte des Tabakrauchens in ferner Zukunft wird nachvollziehbar erklärt, zumal eine Menschheit ohne Fehler sowieso langweilig und unrealistisch wäre.

So atmosphärisch dicht der Roman auch sein mag: Bei der Handlungszeit haben sich leider sowohl in der Heyne- wie in der Apex-Fassung Fehler eingeschlichen.
Auffällig, da der Roman ansonsten sehr präzise geschildert ist, tauchen Jahreszahlen erst sehr spät im Roman auf. Während der Start der 1. Voyager-Sonde mit „... vor mehr als einem Jahrtausend ...“ angegeben wird, lässt sich die spätere Handlungszeit dann auf 2547 eruieren. Das Geburtsjahr einer (relevanten) Nebenfigur wird mit 2499 datiert, während die Figur dann auf der gleichen Seite in der Rückschau 2442 eine neue Stelle angetreten hat (2542 ist dann, abgesehen von der Voyager-Erwähnung, realistisch und passt zum Handlungsjahr).
Diese Daten-Fehler haben ansonsten keine Einfluss auf die Handlung, wenngleich man als aufmerksamer Leser sie erst einmal überbewertet und in die eigenen Spekulationen mit einbaut.

Delta OmicronZur E-Book-Ausgabe:
Die mir vorliegende E-Book-Ausgabe des Apex-Verlages wirkt sehr ansprechend. Obwohl mir persönlich bei E-Books die Titelbilder nicht relevant erscheinen, hat mich das Cover von DELTA OMICRON sofort angesprochen und meinen SF-Nerv getroffen: Ein eher ruhiges, stimmungsvolles Bild, das dem Roman gerecht wird. Wie der Roman lässt es den Gedanken des Lesers freien Lauf, lädt in eine (hoffentlich positivere) mögliche Zukunft ein.

Eine Anpassung der Rechtschreibung fand bei der Neuausgabe hingegen nicht statt: Bereits auf Seite 2 steht: „Auf Wunsch des Autors veröffentlicht der Apex-Verlag diesen Roman in der alten Rechtschreibung.“ Eine klare Ansage. Da wünscht man sich den Autor zum Entscheidungsträger bei zukünftigen Rechtschreibreformen …

Rainer Schorm, aktueller Exposé-Mitautor bei Perry Rhodan-Neo, darf den Roman mit einer Vorbemerkung einläuten. Er erwähnt u.a. die vom Autor bewahrte Doppelbödigkeit. Ja, das Wort trifft es.

Mit dem E-Book zeigt sich der Apex-Verlag von seiner besten Seite: , Stimmungsvolles Cover, Anmerkungen zum Autor und zur Erstausgabe, Vorbemerkung, fehlerfreier Text. Genau so wünscht man sich ein E-Book.
Perfektion ist elegant.

Fazit:
DELTA OMICRON ist ein sehr gelungener SF-Einzelroman. Der Autor versetzt die Leser in eine glaubwürdige, faszinierende und gleichzeitig enge Welt von Morgen, stellt sie an die Seite Michael Manninghouses, um das Rätsel zu lösen und überraschende, sehr konsequente Antworten zu finden.
Ein packendes Buch, da es mit den Mitteln utopischer Romane gleichzeitig ein sehr düsteres Bild zeichnet.

Ein anregendes Buch, das im Gedächtnis bleibt.

Delta Omicron
1981 Heyne-Verlag
(in der Anthologie „Feinde des Systems“, Hrsg. Wolfgang Jeschke)
2018 Apex-Verlag
(als Paperback und E-Book)

Für diese Besprechung verwendete Buchfassungen:
1981: Heyne-Ausgabe
2018: Apex-Verlag, E-Book

Stand: 11.01.2019

 

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Kommentare  

#1 Christian Dörge 2019-01-31 09:19
Vielen Dank für die schöne und ausführliche Rezension!
#2 Martin Baresch 2019-02-01 16:00
Wirklich eine sehr, sehr treffende und hübsch ausführliche Rezension von Thomas Martner zu einem atmosphärisch dicht und spannend geschriebenen Text von K.U. Burgdorf.
K.U. gehört für mich zu den Autoren, vor denen ich bis heute einige Hochachtung habe. Statt vorhandene Chancen zu nutzen, hat er lieber NIX veröffentlicht, als "auf Termin zu produzieren", wie wir Anderen, die wir jung waren und das Geld brauchten. Eine Art Erweckungserlebnis für mich war, als K.U. von heute auf morgen aus der SF-Jugendserie "Sternenschiff der Abenteuer" ausgestiegen ist, als klar wurde, wohin der Hase laufen sollte. Fand ich damals schon heldenhaft konsequent. *Nö*, man *muss* als Schreiberling nicht alles mitmachen, was gefordert wird.
Schade nur, dass K.U. in all den seither verstrichenen Jahren nie ernsthafte Anstrengungen unternahm, bei Verlagen unterzukommen, die seiner Klasse angemessen gewesen wären - und dort konstant auf hohem Niveau zu publizieren.
Deshalb an dieser Stelle: Lieber K.U., ich freue mich, dass Du Deine mir gegenüber erklärte Absicht "in Rente zu gehen" offensichtlich überdacht + storniert hast, freue mich auf weitere Neuausgaben von Dir und gratuliere zu Deiner Zusammenarbeit mit Apex und Christian Dörge.
#3 Advok 2019-02-21 21:53
zu #2, Herr Baresch:
Danke für das Lob.

"Schiff der Abenteuer": Dies wird wohl eher ein Thema sein, das bei der Lesereise weit hinten angesiedelt ist. Zu seinem Ausstieg bei der Jugendbuchserie habe ich bei KUB kurz angefragt: Der einzige Grund, warum er nur an einem Buch beteiligt war, sei eine Schreibblockade gewesen. Andere, darüber hinausgehende Gründe habe es laut ihm nicht gegeben.

Ich muss gestehen, dass die Jugendserie damals komplett an mir vorbei gegangen ist. Leider in jungen Jahren nie entdeckt. Auf dem Lande hat es überall die Schneider-Bücher und TKKG gegeben, andere Verlage waren wenig präsent.

Bislang habe ich erst 4 oder 5 Bücher meiner Sammlung einfügen können … Da habe ich Lücken.
Gelesen habe erst drei Romane. Sie wäre ein sehr guter Einstieg in die SF gewesen, doch wenn man bereits vorher viel SF gelesen hat, kennt man die Handlungen bereits.

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