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Zwielicht X - Ein Jubiläum

Zwielicht XEin Jubiband
»Zwielicht X«

Michael Schmidt und Achim Hildebrand versorgen nun schon seit Jahren die Leser mit spannenden Kurzgeschichten und interessanten Artikeln. Zwielicht, das Magazin für Horror und dunkle Phantastik, ist einzigartig auf dem deutschen Buchmarkt.

Erschien es erst bei zwei Verlagen, so betätigen sich die Herausgeber mittlerweile selbst als Verleger.

Zwielicht XDie Geschichten
Michael Siefener wählt vorzugsweise alte Männer als Protagonisten für seine Geschichten. In "Die Messe für das besondere Buch" beschreibt er wie Franz Raab, seine Zeichens Betreiber eines Bücherantiquariats, sich auf die Suche nach besonderen Bücher begibt. Es beginnt mit dem Tod eines Stammkunden. Raab erwirbt den Nachlass zum Schnäppchenpreis. Beim Katalogisieren entdeckt er bald Bleistifteintragungen in den seltenen Büchern über Hexenwesen und Zauberei. So nimmt er erstmals die Spur einer besonderen Messe auf. Dort soll es einmalige Werke geben, jedoch zu einem hohen Preis. Allerdings findet die Veranstaltung immer an anderen Orten statt, meist in abbruchreifen Fabrikhallen und ähnlichen Orten, und eingelassen werden Besucher nur gegen Vorlage einer Einladung.

Eine starke Geschichte, die mit vielen Einzelheiten aus dem Antiquariatsgeschäft und mit bibliophilen Kenntnissen zum Hexenwesen eine dichte Atmosphäre schafft.

Julia Annina Jorges gehört zu den Stammautoren bei Zwielicht. In "Für immer Helena" steht Helena im Mittelpunkt der Geschichte. Die Diva glänzt durch ein makelloses Äußeres. Trotz ihrer 90 Jahre sieht sie keinen Tag älter als 40 aus. Fremde sehen in ihr mittlerweile die jüngere Schwester ihrer 44-jährigen jüngsten Tochter Caroline. Alle Welt rätselt über das Geheimnis ihrer Alterslosigkeit. Es handelt sich aber nicht um Schönheits-OPs, gute Gene oder eiserne Selbstdisziplin. Es sind geheimnisvolle Perlen, die sie von Zeit zu Zeit nehmen muss. Auf der Geburtstagsfeier ihrer ältesten Tochter Martha taucht eines Tages eine unbekannte Fremde auf, die ihr irgendwie bekannt vorkommt.

Eine Geschichte mit Clou! Die Autorin versteht es perfekt, die Leser in die Gedanken und Überlegungen der distanzierten Hauptperson einzuführen.

Geschichten von Algernoon Blackwood finden sich ebenfalls in fast jeder Ausgabe von Zwielicht. In "Aileen" (= "Old Clothes" 1910), geht es um ein junges Mädchen, eigentlich noch ein Kind, das bedrückende Fantasien entwickelt, jedenfalls scheint es zunächst so. Die Mutter ruft ihren Cousin zur Hilfe, der bei der Kleinen Aileen so etwas wie die Onkelstelle einnimmt. Die Einzelheiten der Erzählungen des Mädchens werden immer bedrückender. In ihren Berichten bezeichnet sie sich als Lady Helen und ihren Onkel als ihren Liebhaber Philipp, dem beide Hände abgeschlagen worden sind. Ein Erholungsaufenthalt in einem alten Haus an der Küste verstärkt die Probleme noch. Ob Hypnose helfen kann?

Die über 100 Jahre alte Geschichte in der Tradition der Gespenstergeschichte überzeugt auch heute noch. Natürlich spielt sie in England und vermittelt auch Einiges über die gesellschaftlichen Konventionen jener Zeit.

Ganz anders präsentiert sich die irgendwie irreale Geschichte von Paul Sanker. In "Insel der Glückseligen" findet eine Invasion auf einer kleinen Tropeninsel statt. Die Angreifer tragen alle sandfarbene Hosenanzüge und haben eine aschblonde Kurzhaarfrisur. Ihre Gesichter wirken ebenmäßig wie bei Porzellanpuppen und ihre Lippen sind zu einem Grinsen verzogen. Sie nennen sich entweder Heidi oder Geissini-Peter und brabbeln Sätze wie "Heute schon geleistet?" oder "Dreht innen nach außen". Im Mittelpunkt der Handlung steht eine fünfköpfige Familie, die am Strand von der Invasion überrascht wird. Ein im Sand gefundenes schwarzes Tandem verhilft dem Vater und seiner jüngsten Tochter Franzi zur Flucht, während die Mutter mit den beiden anderen Kindern noch im Dorf ihren Bus holen will. Die gute Ortskenntnis und das Fahrrad verhindern zunächst, dass die beiden den Invasoren in die Hände fallen. Doch bald stehen sie vor einer schweren Wahl.

Kritik an unserer Konsumgesellschaft? Sanker macht es dem Leser nicht leicht.

Um Geister geht es dagegen wieder bei Christian Künne. In "Mona" wird ein namenloser Protagonist von seiner kleinen Schwester heimgesucht. Zielgerichtet bringt sie ihn dazu, andere Menschen umzubringen. Irgendwie steht er in ihrer Schuld, ist in ihrer Gewalt. Nach und nach schält sich heraus, wie es dazu kam. Ein Brennofen spielt dabei eine Rolle.

Eine unheimliche und bedrückende Geschichte, die eindrucksvoll die Hilflosigkeit des Protagonisten zeigt.

Usman T. Malik schildert eine Episode aus Pakistan. In "Auferstehungspunkte" (= "Ressurection Points") geht es um einen dreizehnjährigen Jungen mit einer besonderen Gabe. Es liegt in seiner Familie sich mit den Nerven von toten Körpern zu verbinden und diese zum Tanzen zu bringen. Diese Fähigkeit hilft aber auch Kranke zu heilen, was allerdings von den örtlichen Imamen mit großer Skepsis betrachtet wird. Das macht die Familie zu Außenseitern in der islamischen Umgebung. Dazu kommt, dass die Mutter eigentlich Christin ist. Über einen christlichen Freund wird der Protagonist dann auch noch mit religiöser Intoleranz gegenüber der christlichen Minderheit konfrontiert.

Auferstehungspunkte ist irgendwie eine Zombiegeschichte. Aber scheinbar nur nebenbei. Es geht um Toleranz und Diskriminierung. Um den Missbrauch von Religion und um Freundschaft. Und alles aus einem für uns Mitteleuropäer fremden Blickwinkel.

In Bereich Science Fiction führt den Leser Ray Bradbury. "Vielleicht ein Traum" (= "Asleep in Armageddon" 1949) schildert die Erlebnisse des Raumfahrers Leonard Sale. Er stürzt mit seinem Raumschiff auf einen Planetoiden ab. Doch scheinbar hat er Glück im Unglück. Es gibt eine atembare Atmosphäre, keine gefährlichen Tiere und er hat ausreichend Proviant für zwei Monate. Und dann kann er auch noch einen Funkspruch absetzen, der auch empfangen wird. Ein Rettungsschiff ist auf dem Weg und wird in sechs Tagen eintreffen. Sale freut sich auf ein paar Tage lesen, essen und schlafen. Im Schlaf hört er dann jedoch Stimmen.

Toll wie der Altmeister Bradbury eine fantasievolle und gruselige Weltraumstory entwirft.

Eine eher beschauliche Geschichte kommt von Michael Tillmann. Sein "Bemerkenswerter Bericht, welcher beschreibt, wie Bruder Michael gegen alle Widerstände der Welt seinen Seelenfrieden in einem Beinhaus fand" spielt in einem Kloster. Der ehemalige Agrarbeamte Bruder Michael macht auf dem Klostergelände bodenkundliche Untersuchungen, um den besten Platz zur Anlage eines Gartens zu bestimmen. Dabei entdeckt er zufällig ein altes Ossarium. Fortan macht er es sich zur Aufgabe in den Katakomben für Ordnung zu sorgen. Kunstvoll schichtet er die Knochen der Verblichenen nach ästhetischen Gesichtspunkten auf. Darüber vernachlässigt er nach und nach seine normalen klösterlichen Pflichten. Der Abt versucht ihm ins Gewissen zu reden, muss aber erkennen, dass der Bruder seine eigentliche Bestimmung in der neuen Aufgabe gefunden hat. Schließlich zieht er ganz in die Katakomben, macht aber Führungen für Besuchergruppen, die dem Kloster neue Einnahmen bringen. Endlich wird deutlich, Bruder Michael träumt davon, nach seinem Tode selbst Teil des Ossariums zu werden.

Die Story vermittelt profunde Einsichten in alte Beinhäuser und die Art wie sie angelegt waren. Der Gruselfaktor hält sich allerdings in Grenzen und auch die Art wie Bruder Michael mit seinem Abt redet und umgeht, passt eigentlich nicht zu den strengen Klosterregeln, wo absoluter Gehorsam gilt.

In die Welt der Kunst wird der Leser von Sascha Dinse geführt. "Isabelle" handelt von einem Künstler, der die Menschen mit seinen Werken aufrütteln will. Doch mit den Reaktionen des Publikums ist er unzufrieden. "Was ich erschaffen habe, ist nicht abstoßend, grotesk und bizarr genug, um irgendetwas auszulösen." Deshalb will er nun bis an die Grenzen gehen. Dabei zur Seite steht ihm mit Isabelle eine außergewöhnliche Frau und Muse. Außerdem erhält er verstörende DVDs, auf denen Frauen grausam gefoltert und zerstückelt werden. Wie weit wird er gehen?

Eine Geschichte, die an einigen Stellen detailliert bis an die Grenzen geht.

Eher beschaulich geht es dagegen in Karin Reddemans "Die bessere Geschichte" zu. Zunächst wird ausführlich der Alltag eines alt gewordenen Paares beschrieben. Edeltraud und Adalbert streiten sich um Kleinigkeiten und machen sich gegenseitig das Leben schwer. Doch dann lernt sie beim Entenfüttern Gert und Helen, ein anderes Paar, kennen und lädt die beiden ein. Jetzt entspringt ein Wettkampf, wer die beste "böse" Geschichte erzählen kann.

Eine Geschichte, die ganz harmlos beginnt und einen richtig bösen Schluss aufweist.

Eine nächtliche Autofahrt steht am Beginn von Nicole Kudelkas "Die Nacht des Kranichs". Irene bringt auf Bitten von Harald die junge Kathi nachts nach Haus. Nebel beeinträchtigt die Sicht und Irene ist überhaupt nicht gut auf die junge Kollegin zu sprechen, die anscheinend in der Firma gut ankommt. Bald hören die beiden Vogelgeräusche und schließlich wird ein plötzlich auf der Straße auftauchender Schatten überfahren. Kathi sorgt dafür, dass Irene anhält und nach dem Opfer schaut. Es stellt sich heraus, dass ein Kranich überfahren worden ist. Irene will das Ganze möglichst schnell vergessen, was aber nicht so einfach ist.

Ein Hauch von Hitchcocks "Die Vögel" weht durch diese Story.

Die Artikel
Die Jubiläumsausgabe bietet auch wieder eine Fülle von interessanten Artikeln. Den Anfang macht Achim Hildebrand mit "Verbotene Bücher". Wer kennt es nicht, Lovecrafts Necronomicon? Woher schöpfte aber der Autor die Ideen dazu? Hildebrand macht sich auf eine spannende Spurensuche. Er schreibt über den Gilgamesch-Epos, mittelalterliche Zauberbücher wie den Picatrix oder den Liber Iuratus Honorii und kommt schließlich auf das Voynich-Manuskript, dem er sich am ausführlichsten von allen widmet.

Matthias Käther geht in "Schlottern zum kleinen Preis" auf die goldene Ära der Pulpmagazine in den USA ein. Er beschreibt die Entwicklung der 20er, 30er und 40er Jahre in den Bereichen Mystery, Horror und Terror.

Michael Schmidt steuert gleich mehrere Artikel bei. "Vincent Preis 2016" listet die Gewinner und Platzierten der Endrunde des Horror-Awards auf. "Horror 2016" beinhaltet sämtliche Titel des Erscheinungsjahres 2016, die beim Vincent Preis aufgelistet wurden. Und zuletzt schreibt er auch noch in "Streifzüge" über "phantastische Stoffe aus dem letzten Jahrtausend und moderne Bände abseits des jeweiligen Marktrends". Dort werden z.B. einige Titel aus der Reihe Privatdrucke von Robert N. Bloch vorgestellt, wie etwa "Das Gift im Weibe" von Paul Schüler. Weitere Themen sind das seit 2002 erscheinende Magazin für moderne und klassische Phantastik Arcana, die Edition CL mit ihrem Schwerpunkt auf klassischen Texten sowie einen Rückblick auf das Verlagsprogramm von Eloy Editions von 2005 bis 2012. Hier kamen auch die ersten Zwielichtbände heraus. Weiters geht es um "Der Merkurstab" von Thomas M. Disch, den US-amerikanischen Autoren und Regisseur William Peter Blatty, der mit "Der Exorxist" berühmt geworden ist, sowie den amerikanischen Autoren Harry Stephen Keeler (1890-1967), der mit bizarren Kriminalromanen und grotesk-phantastischen Geschichten hervorgetreten ist.

Meine Gedanken
"Zwielicht bietet die gesamte Bandbreite des Genres. Kein Thema, keine Redaktionsvorgaben bremsen die Autoren in ihrer Kreativität." (Vorwort) Zwielicht X wird diesem Anspruch wieder gerecht. 13 Geschichten und 5 Artikel unterhalten den Leser wieder auf die unnachahmliche Weise, wie sie es von dem Magazin gewohnt sind. Neue Originalgeschichten und Übersetzungen von Klassikern fügen sich vortrefflich zusammen. Aktuell ist übrigens bereits Zwielicht XIII erhältlich.

  • Zwielicht XZwielicht X
  • Michael Schmidt/Achim Hildebrand (Hrsg.)
  • Cover: Björn Ian Craig
  • Innenillustrationen: Oliver Pflug
  • Selbstverlag Juni 2017
  • ISBN: 9781547151219
  • 295 Seiten
  • EURO 13.-

 

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