Kara Ben Nemsi trifft auf Nemo - Jacqueline Montemurri »Der Herrscher der Tiefe«
Kara Ben Nemsi trifft auf Nemo
Jacqueline Montemurri »Der Herrscher der Tiefe«
Karl Mays Magischer Orient
Seit 2016 läuft im Karl-May-Verlag die Reihe "Karl Mays Magischer Orient"(KMMO). Hier im Zauberspiegel wurde ausführlich darüber berichtet und es gab etliche Interviews mit Autoren und Verlagsmitarbeitern. Entgegen der Erwartung einiger Beobachter scheint die Reihe vom Publikum gut angenommen zu werden. Mittlerweile sind jedenfalls die Bände 7 und 8 erschienen. Die Romane verknüpfen geschickt Charaktere und Schauplätze der klassischen Karl-May-Romane mit Märchen- bzw. Sagenmotiven zum Beispiel aus 1001-Nacht. Dazu kommt ein Schuss Ironie und eine gehörige Portion Information aus Wissenschaft, Technik und Literatur der Epoche um 1870.
Jacqueline Montemurri
Anfangs schien es fast, als ob Alexander Röder die Reihe im Alleingang schreiben würde. Aus seiner Feder stammen allein 5 Romane und außerdem war er auch an einem Episodenroman beteiligt. Jetzt kommt erstmals Jacqueline Montemurri zum Zuge. Die Autorin war auch am Episodenroman "Sklavin und Königin" (KMMO Bd.5) beteiligt und zwar mit dem Teil über die Königin von Saba.
Außerdem war sie auch in der Anthologie "Auf phantastischen Pfaden" mit zwei Geschichten vertreten. Eine ("Durchs wilde Ernstthal") spielte in Deutschland, die andere ("Das Vermächtnis des Kara") im Orient.
Die Autorin wurde 1969 in Sachsen geboren. Sie studierte Luft- und Raumfahrttechnik. Bisher verfasste sie etliche Kurzgeschichten und den Zukunftsthriller "Die Maggan-Kopie".
"Der Herrscher der Tiefe"
Nach bestandenen Abenteuern befinden sich Kara Ben Nemsi, Hadschi Halef Omar, Scheik Haschim , Sir David Lindsay, Djamila, Amscha und Hanneh auf Zypern. Halef ersteht auf dem Markt von Kyrenia ein Stück eines magischen Widderfells, jedenfalls ist er überzeugt, dass es sich dabei um einen magischen Gegenstand handelt. Da eröffnet ihnen Sir Lindsay, dass er nach Kreta gerufen wurde, um dort an wichtigen Ausgrabungen teilzunehmen. Er läuft also mit seiner Yacht aus, vermittelt den anderen aber eine Passage auf einem anderen Schiff. Kara Ben Nemsi wird derweil von Captain MacLean, einem jungen englischen Offizier, aufgesucht, der um Hilfe bei einem Rettungsunternehmen auf Kreta ersucht. Dort sind mehrere britische Soldaten in unterirdischen Höhlen verschollen. Doch dem Deutschen behagt dies nicht, vermutet er doch dahinter eine heimliche Spionagemission der Briten, um Kreta demnächst unter ihre Kontrolle zu bekommen. Die Absage wird jedoch nur scheinbar akzeptiert. Kaum an Bord des von Lindsay gecharterten Schiffs müssen die Reisenden feststellen, dass sie gefangen sind und vorläufig festgehalten werden.
Bald kommen erneut britische Offiziere und diesmal überzeugen sie Kara Ben Nemsi, weil mittlerweile auch Sir David Lindsay in den unterirdischen Höhlen Kretas vermisst wird. Halefs Frau Hanneh, seine Schwiegermutter Amscha und seine Schwägerin Djamila werden kurzerhand nach Hause geschickt und die anderen Abenteurer begeben sich nach Kreta. Unterwegs kommt es jedoch zu Komplikationen. Djamila hat sich als blinder Passagier an Bord geschlichen. Als sie entdeckt wird, reagieren einige Seeleute entsetzt. Frauen an Bord bringen Unglück! Nur mit knapper Not wird ein Mordkomplott gegen die junge Frau vereitelt.
Auf Kreta bekommen es die Abenteurer zunächst mit kretischen Freischärlern unter Führung von Nikos Bogdanos zu tun. Sie kämpfen gegen die osmanischen Besatzer, stehen aber auch den Briten feindselig gegenüber. Dazu kommt noch eine Einmischung eines Geistervogels, der Halef zeitweilig entführt. Bogdanos Sohn Andros vermittelt nach einigem Hin und Her eine Übereinkunft mit den Rebellen. Schließlich findet man dann doch noch den Eingang zum Höhlensystem. Begleitet von Captain McLean wagt man den Einstieg in die ausgedehnte Unterwelt. Dort findet man immer wieder Knochen und trifft dann auf den Minotaurus.
"Plötzlich brach aus einem Gang vor uns ein riesiges Wesen hervor. Es brüllte ohrenbetäubend. Ich mochte meinen Augen nicht trauen. Das Geschöpf war fast doppelt so groß wie ich und von menschlicher Gestalt. Auf seinem muskulösen Körper prangte ein gewaltiger Kopf mit großen gebogenen Hörnern. Die Augen loderten rot und aus den geblähten Nüstern stieß es heißen Dampf hervor. Es war ein Stierkopf, der zwischen seinen kraftvollen Schultern wuchs." (S.248)
Es kommt zum Kampf mit dem Ungeheuer und McLean wird getötet. Die anderen werden auf ein Unterseeboot verschleppt. Dort zeigt sich alsbald der Herr des Minotaurus.
"Kaum hatte ich mich angekleidet, verließ uns Dr. Stein und ein Fremder trat ein. Er machte einen beinahe majestätischen Eindruck. Seine dunklen Augen musterten uns. ... Der Anblick des Fremden erfüllte mich mit ein wenig Ehrfurcht, denn er trug einen aufwendig verzierten Uniformrock und wirkte dadurch wie ein Admiral einer mir unbekannten Flotte. Sein kurzes weißes Haar ging in einen ebenfalls weißen, gepflegten Bart über. Er machte einen königlichen Eindruck, nicht nur durch die goldenen Kordeln und Borten" (S.263/64)
Wie weiland Professor Arronax in Jule Vernes "Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer" ist auch Kara Ben Nemsi hin und her gerissen. Er bewundert die Technik des Unterseebootes wie z.B. den geräuschlosen Antrieb und die Brennstoffzellen. Außerdem ist er fasziniert von der Wunderwelt unter der Wasseroberfläche. Im Taucheranzug besucht man etwa ein versunkenes Schiffswrack. Gleichzeitig wird er aber abgestoßen von der bisweilen zutage tretenden Brutalität und Skrupellosigkeit Nemos. Dieser versenkt ein britisches Kriegsschiff und beobachtet durch die Fenster die ertrinkenden Soldaten. Nachdem Kara Ben Nemsi zunächst zum Schein auf Nemos Angebot der Zusammenarbeit eingeht, entwickelt sich ein Katz und Maus Spiel zwischen den beiden. Einmal rettet Kara Ben Nemsi sogar Nemos Leben als dieser bei einem Tauchausflug von einer Muräne angegriffen wird.
Es gibt noch ein paar andere interessante Charaktere an Bord der Nautilus. Da ist einmal der Bordarzt Dr. Frank Stein. Er genießt große Privilegien innerhalb des Bootes. Anscheinend hat er seine Freiheit aber auch für Experimente genutzt, die in der Welt außerhalb nicht geduldet würden.
"Mein Name ist Dr. Stein, Frank Stein. Ich bin Arzt und stamme ursprünglich aus Ingolstadt. Vor Jahren hat es mich hierher verschlagen und ich bin geblieben" berichtete er freimütig, während seine Finger geschickt die Nadel aus meiner Vene zogen und etwas Mull auf die Einstiegsstelle pressten, um den einsetzenden Blutfluss zu stoppen. "Teils unfreiwillig, teils jedoch auch freiwillig blieb ich, da mir hier Forschungsmethoden und -felder zur Verfügung stehen, die ich anderweitig nicht hätte." (S.259)
Steins Schützling ist der junge Amar, der sich bald als überaus nützlich für die Abenteurer erweist. Außerdem knüpft er nähere Bande zu Djamila. Und auch der schon aus früheren Abenteuern bekannte deutsche Bibliothekar Professor Wolfgang Thadewald befindet sich an Bord. Diese Figur ist offensichtlich angelehnt an den 2014 verstorbenen Sammler und Jules-Verne-Experten.
Meine Gedanken
Die Abenteuer auf der Nautilus nehmen zwar weniger als die Hälfte des Romans ein, stehen aber doch im Mittelpunkt der Geschichte. Das spiegelt sich auch Titelbild von Elif Siebenpfeiffer wieder, das Nemo im Zweikampf mit Haschim zeigt. Jacqueline Montemurri wandelt auf den Spuren von Jules Verne. Doch anders als beim französischen Autoren fällt es bei ihre schwer, im Charakter Nemo positive Aspekte wahrzunehmen. Seine tragische Vorgeschichte wird nur kurz erwähnt, seine Grausamkeiten werden dagegen ausführlicher geschildert. Von den Abenteurern stehen diesmal Kara Ben Nemsi und Djamila im Vordergrund. Halef spielt wegen seiner Entführung und seiner Unterwasserangst eine unbedeutende Rolle und auch Haschims Magie wird durch die Technik und den Schiffstahl eingeschränkt, so dass der Charakter ein wenig zurücktritt. Mit dem britischen Captain MacLean, dem kretischen Freischärler Andros Bogdanos, Dr. Stein und Amar gibt es dafür aber etliche interessante Nebenfiguren.
Stilistisch überzeugt die Autorin mit "Der Herrscher der Tiefe". Sie bleibt der Grundausrichtung von KMMO treu, weiß aber doch eigenständige Akzente zu setzen. Der Epilog stammt zwar von Bernhard Hennen, ist aber sehr kurz und dient wohl eher als geschickte Überleitung zum nächsten Band.
Mich hat der Band überzeugt und mir einige spannende Lesestunden geschenkt. Die Mischung zwischen Karl May, Jules Verne und sagenhaften Komponenten stimmt und auch die historischen Elemente sind wieder zu finden.
- Der Herrscher der Tiefe