Leit(d)artikel KolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles

Heyne Science Fiction Classics 8 - Philip Wylie - Edwin Balmer

Heyne Science Fiction ClassicsDie Heyne Science Fiction Classics
Folge 8: Philip Wylie & Edwin Balmer
Der jüngste Tag

Von den sechziger bis Anfang der achtziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts erschienen als Subreihe der Heyne Science-Fiction-Taschenbücher mehr als hundert Titel unter dem Logo „Heyne Science Fiction Classics“. Diese Romane und Kurzgeschichten werden in der vorliegenden Artikelreihe vorgestellt und daraufhin untersucht, ob die Bezeichnung als Klassiker gerechtfertigt ist.

Auch in der heutigen Folge der Artikelserie über die Heyne Science Fiction Classics gibt es eine Premiere. Es werden zum ersten (und abgesehen von den Anthologien auch einzigem) Mal Werke eines Autorenduos vorgestellt. Die beiden amerikanischen Autoren Philip Wylie und Edwin Balmer arbeiteten bei den beiden Romanen When Worlds Collide und After Worlds Collide zusammen, welche die Vernichtung der Erde durch zwei Wanderplaneten schildern. Die beiden Romane wurden zuerst 1933 als Fortsetzungen im Magazin Bluebook veröffentlicht, erhielten bald darauf eine Buchausgabe und wurden 1951 unter dem Titel When Worlds Collide verfilmt, welcher auf Deutsch unter dem Titel Der jüngste Tag gezeigt wurde.

Heyne Science Fiction ClassicsEdwin Balmer (1883 – 1959) hatte die Idee zur Handlung, während Wylie für die literarische Ausformulierung sorgte. Er arbeitete zuerst als Reporter, bevor er eigene Geschichten veröffentlichte und als Herausgeber des Magazins Redbook tätig war. Außer den beiden genannten Werken kamen in Deutschland zwei weitere Romane (keine SF) von Balmer heraus, er ist aber sonst eher unbekannt geblieben.

Heyne Science Fiction ClassicsGrößere Bekanntschaft hierzulande erreichte Philip Wylie (1902 - 1971). Er war für das Magazin New Yorker tätig, wurde dann Drehbuchautor, Schriftsteller und Herausgeber. Bekannt wurde er 1930 mit dem SF-Roman Gladiator, der die Erlebnisse eines mit übermenschlichen Kräften ausgestatteten Mannes schildert. Jerry Siegel und Joe Shuster haben offensichtlich bei der Kreation ihres Superhelden Superman Philip Wylies Romanfigur zum Vorbild genommen. Wylie hatte zwei weitere Buchpublikationen auf Deutsch: Das große Verschwinden (The Disappearance) sowie Planet im Todeskampf (The End of the Dream). Der zweite Roman erschien allerdings erst posthum.

Heyne Science Fiction ClassicsDie beiden Romane des Autorenduos hatten ihre deutschen Erstausgaben 1959 und 1960 in der Reihe Romane aus der Welt von morgen des Berliner Gebrüder-Weiß-Verlags. In dieser Hardcoverreihe erschienen zwischen 1949 – 1962 mehr als siebzig Bücher. Zielgruppe war hauptsächlich ein jugendliches Publikum, aber auch sehr viele Erwachsene griffen gern zu den Büchern. Zuerst wurden die utopischen Romane von Hans Dominik (mit Ausnahme der drei Professor-Eggerth-Romane) publiziert, wenngleich teilweise stark gekürzt und bearbeitet. Weitere deutsche Autoren in dieser Reihe waren unter anderem Freder van Holk (Pseudonym des Sun Koh-Autors Paul Alfred Müller), Claus Eigk, Richard Koch und Paul Eugen Sieg. Kurd Laßwitz, der Vater deutschsprachiger Science Fiction, wurde mit seinem berühmten Marsroman Auf zwei Planeten vorgestellt. Auch internationale Autoren waren sehr prominent vertreten. Robert A. Heinleins SF-Romane für Jugendliche fanden hier ihre deutschen Erstveröffentlichungen, darunter bereits 1951 der Titel Endstation Mond (Rocketship Galileo), welcher auch eine Verfilmung erlebte. Das war wahrscheinlich der erste amerikanische SF-Roman, der in Deutschland nach dem Krieg publiziert wurde. Edmond Hamilton war mit Herrscher im Weltenraum (The Star Kings) dabei. Diesen Titel werden wir in dieser Artikelserie noch näher betrachten. Fredric Brown, Arthur C. Clarke, John Christopher, der Franzose Jean Gaston Vandel und die russischen Gebrüder Strugatzki waren unter den weiteren Autoren der Reihe. Insgesamt kann man sagen, dass trotz unterschiedlicher Qualität der verlegten Titel diese Reihe ein Meilenstein in der Publikationsgeschichte von Science Fiction in Deutschland war. Die Hardcoverreihe wurde mit der kleinen Taschenbuchreihe Utopische Taschenbücher ergänzt. Wer sich für diese Pionierreihen utopischer Literatur in Deutschland interessiert, kann sich näher informieren. Die Gebrüder Weiß gaben als Werbemittel für die SF-Reihen die kostenlose Kundenzeitschrift Die Welt von morgen heraus. Dieter von Reeken hat in seinem Verlag einen Nachdruck der erschienenen 6 Hefte in Paperbackform herausgebracht. Man findet dort eine Menge Artikel über Weltraumfahrt und Auszüge aus den erschienen Büchern, darunter auch die beiden hier vorgestellten Weltuntergangsromane. Ein hochinteressantes Zeitdokument der fünfziger Jahre.

Heyne Science Fiction ClassicsDer südamerikanische Astonom Sven Bronson entdeckt, dass sich zwei Himmelskörper dem Sonnensystem nähern. Seine Berechnungen ergeben, dass der größere der beiden die Erde treffen und der andere eine elliptische Umlaufbahn um die Sonne zwischen den Bahnen von Venus und Mars einnehmen wird. Nachdem das das Ende der Erde bedeutet, Wenn Welten zusammenstoßen, hält Bronson die Entdeckung vorerst geheim. Er beauftragt aber den Flieger David Ransdell, die Unterlagen in die USA zu Cole Hendron, den berühmten Astrophysiker, zur Überprüfung zu bringen. Dessen Nachkalkulationen bestätigen Bronsons Berechnungen. Hendron und Bronson gründen eine Vereinigung, den „Bund der Letzten Tage“, in der sie die bedeutendsten Wissenschaftler der Erde versammeln, um eine Überlebensmöglichkeit für die Menschheit zu suchen. Sie entwickeln einen kühnen Plan. Der kleinere der beiden Himmelskörper, nach seinem Entdecker Bronson Beta genannt, hat etwa erdähnliche Größe und könnte Lebensmöglichkeiten bieten. Hendron und seine Mitstreiter bauen ein Raumschiff, die ARCHE, welche etwa hundert Menschen fassen kann. Mit diesem wollen sie den kleineren der beiden Planeten ansteuern. Um die tausend Mitarbeiter arbeiten in einer geheimen Anlage in Michigan am Projekt. Der erste Vorbeizug der beiden Himmelskörper an der Erde verursacht bereits eine Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes. Bronson Alpha, der größere der beiden Planeten und mit seiner etwa dem Neptun entsprechenden Größe ein wahrer Riese, ruft durch seine Gravitationskräfte eine Orgie von Zerstörungen hervor.

Die Ostküste der Vereinigten Staaten erlebte eine 250 Meter hohe Flutwelle, die in mehreren Schüben aus der See her alles Land bis zum Fuß der Alleghanies erbarmungslos überschwemmte. Ihre westwärts brausenden Wogen zerstörten jedes Haus, jeden Schuppen, jeden Wolkenkratzer, jede Stadt, von Bangor in Maine bis zu Kay West in Florida. Wenn die Flut zum Ozean zurückströmte, übersäte sie die schlammbedeckte Landschaft mit all den Dingen, die sie zurückgerissen hatte.

Sie umgab brüllend Südamerika, verwandelte das Becken des Amazonas in einen ungeheuren Binnensee, der sich von der einzigen Ostküste bis zu den Anden an der Westküste erstreckte. Das Tempo dieser Flut überstieg jede Berechnung. […]

Mehr als die halbe Bevölkerung der Erde kam in den Fluten um, die während der Annäherung der Bronsonschen Körper emporstiegen und sich ausbreiteten, aber auch die Menschen, die sich absichtlich oder zufällig auf trockenem Land befanden, blieben nicht verschont. [...]

Gase, Dampf und Asche quollen aus zehntausend Öffnungen in die Luft empor. Die Sonne erlosch, die Sterne wurden unsichtbar. Eine sengende Hitze lag über der Erde. Das Polareis schmolz, und ein neues Urland lag über der Erde, glühend und zerklüftet, beweglich und unheilvoll. […]

Über Millionen Menschen ergossen sich Ozeane von siedendem Magma, das einen weit furchtbareren Tod mit sich brachte als die großen Wasserfluten. Die Luft war plötzlich erfüllt von Schwefeldämpfen, und die Menschen brachen zusammen wie vergaste Soldaten, erwürgt in den Straßen ihrer zerstörten Städte.

(Zitiert aus: Philip Wylie & Edwin Balmer: Wenn Welten zusammenstoßen. München 1970, Heyne SF 3178, S. 68ff)

Der Großteil der Menschheit fällt der Katastrophe zum Opfer. Die zerschundene Erde und die überlebenden Menschen bekommen durch die sich entfernenden Planeten eine Galgenfrist, bis die erneute Annäherung der Wanderplaneten das Ende herbeiführen wird. Doch der Mond hat bereits das erste Rendezvous nicht überstanden. Er wurde zerrissen, seine Überreste irren durch das Sonnensystem. Inzwischen wird in der Basis des Bundes der Letzten Tage fieberhaft an der Fertigstellung der ARCHE weitergearbeitet. Eine Armee von verzweifelten Menschen greift die Niederlassung mit Waffengewalt an, Schutz und Nahrung suchend. Der Kampf kostet der Mehrzahl der Campbewohner das Leben. Unter den Todesopfern ist auch Bronson, der Entdecker der beiden Planeten. Die Überlebenden drängen sich in der Arche zusammen. Ein Notstart des Raumschiffes vernichtet die Angreifer, die von den Flammenstrahlen der Triebwerke geröstet werden. Hendron beschließt, die Zeit zu nützen, um eine zweite Arche zu bauen. Damit könnte alle überlebenden Campbewohner gerettet werden, während im Ursprungsplan nur etwa 100 von 1000 am Plan Arbeitenden in der ersten Arche mitfliegen hätten können. Der Plan gelingt, und als sich die beiden Himmelskörper wieder nähern, starten die beiden Raumschiffe. Die Erde, Heimat und Mutter der Menschheit, findet ihr endgültiges Ende. Bronson Alpha zieht, durch die Gravitationskräfte der Erde abgelenkt, wieder in den Weltraum hinaus. Doch sein kleinerer Begleiter bleibt quasi als Nachfolger der Erde im Sonnensystem, wenngleich auf einer stärker elliptischen Bahn. Eine der beiden Archen landet erfolgreich auf Bronson Beta, doch was ist mit den Gefährten im zweiten Raumschiff passiert? Die Luft ist atembar. Die Neusiedler finden erste Überreste einer intelligenten Spezies, die früher den Planeten bewohnt hat. Was wird die Zukunft bringen?

Die Handlung des Romans wird durch eine Liebesgeschichte zwischen Anthony Drake, einem führenden Mitarbeiter Hendrons, und dessen Tochter Eve ergänzt. Obowhl die beiden wissen, dass sie füreinander bestimmt sind, institutionalisieren sie die Beziehung nicht, weil es sein kann, dass auf dem neuen Planeten ganz andere Beziehungsmodelle aufgebaut werden müssen, um das dortige Überleben zu sichern und den Genpool der Menschen möglichst zu vergrößern.

Heyne Science Fiction ClassicsDie Arche ist also mit letzter Kraft Auf dem neuen Planeten gelandet. Die Antriebsdüsen sind ausgebrannt, das Schiff wird sich deswegen nie mehr in den Weltraum erheben. Das Schiff wird ausgeschlachtet, um Material für die künftige Ansiedlung zu gewinnen. Es werden Expeditionen ausgesandt, um geeignete Plätze zu suchen, wo sich die Menschen niederlassen können. Auch neues Leben regt sich, denn verschiedene Sporen haben die lange Zeit überstanden, in welcher der Planet gefroren durch den Weltraum geirrt ist. Moose und andere Pflanzen fangen an zu wachsen. Die Siedler haben von der Erde ausgewähle Tier- und Pflanzenarten mitgebracht, welche die Urbarmachung der neuen Erde erleichtern sollen. Ein Flugkörper fliegt über die Siedler hinweg. Ist das ein Fluggerät von anderen Flüchtlingen von der Erde oder gibt es Überlebende der einheimischen Spezies? Fieberhaft bauen die Siedler ein eigenes Flugzeug, mit dem sie einen Überblick über die neue Erde gewinnen können. Zwei Beobachter nehmen den Erkundungsflug auf. Neben Gelände, das für eine Siedlung geeignet ist, entdecken die Flieger eine riesige Kuppelstadt der ausgestorbenen Einwohner. Sie dringen in die Stadt ein und erkennen, dass die früheren Bewohner äußerst menschenähnlich waren und eine den Erdmenschen weit überlegene Technologie besessen hatten. Die Forschenden entdecken zu ihrer großen Freude auch das Wrack der zweiten Arche. Dieses Schiff unter der Führung von David Ransdell war als zweites in sehr großer Eile hastig gebaut worden und hatte wegen der ausgebrannten Düsen eine Bruchlandung, die viele Opfer forderte. Doch dreihundert der Flüchtlinge haben überlebt. Nach der Rückreise wird die Niederlassung der Erdmenschen von einem Fluggerät angegriffen und eine unbekannte Frau gefunden. Sie erzählt, dass noch zwei weitere Schiffe mit menschlichen Flüchtlingen den Planeten erreicht haben. Cynthia Cruikshank gehört zu den Flüchtlingen einer britischen Arche, welche von ebenfalls gelandeten Menschen eines weiteren Schiffes gefangen und versklavt wurden. Diese sind Angehörige einer international aus Russen, Deutschen und Japanern zusammengesetzten Gruppe von radikalen kommunistischen Verschwörern, welche den neuen Planeten unter ihre Herrschaft zwingen wollen. Die Erdflüchtlinge benötigen eine Verteidigungsmöglichkeit gegen die Revolutionäre. Nachdem ein erster Angriff zurückgeschlagen wird, beschließen die Siedler, in die entdeckte Stadt der Ureinwohner zu ziehen.

Cole Hendron, der die Auswanderer bisher angeführt hat, sieht das gelobte Land zwar noch, aber wie einst Mose beim Exodus betritt er es nicht mehr, weil seine Kraft aufgebraucht ist. Er bricht zusammen und verscheidet. Tony Drake führt als sein Nachfolger die Siedler in die neue Heimat. Die Übersiedlung in die Kuppelstadt ist für die Neusiedler lebenswichtig. Bronson Beta befindet sich auf seiner elliptischen Bahn Richtung Aphel. Das bedeutet, ein strenger Winter steht bevor. Auf der Erde wurden die Jahreszeiten durch die Schrägstellung der Erdachse verursacht. Die neue Erde hat diese Schrägstellung nicht, dafür aber eine wesentlich exzentrischere Bahn. Die Kuppelstadt hat eine nach wie vor funktionierende Energieversorgung durch eine Energiequelle, die den Menschen noch unbekannt ist. Jedoch steht fest, dass die Stadt von einer zentralen Stelle aus versorgt wird. Die Siedler entdecken schließlich Aufzeichnungen der Ureinwohner und können sie entziffern. Der Planet wurde zusammen mit seinem größeren Schwesterplaneten von einer wandernden Sonne aus seinem heimatlichen Sonnensystem gerissen und hat eine Wanderung von einer Million Jahren hinter sich. Die Einwohner hatten lange Zeit, sich auf die kosmische Odyssee vorzubereiten, sich in fünf Kuppelstädte zurückgezogen und die Bevölkerung drastisch vermindert. Zum Schluss ist dieses tapfere Volk aber ausgestorben. Die Revolutionäre haben die zentrale Stadt in Besitz genommen und sind damit auch im Besitz der Energieversorgung. Sie drohen damit, diese abzustellen, wenn sich die Siedler ihnen nicht unterwerfen. Doch ein Kommando dringt zu ihnen vor und kann sie mit einer Liste ausschalten. Damit ist endlich die Grundlage gegeben, dass die veschiedenen Flüchtlingsgruppen zusammen eine neue, friedliche Menschheitszivilisation aufbauen können.

Die Übersetzung der beiden Romane von Else Hollander-Lossow verdient eine Anmerkung. An ihr gibt es von meiner Seite keinesfalls etwas zu kritisieren. Aber es ist mir natürlich aufgefallen, wie sich in den sechzig Jahren seither der Sprachgebrauch geändert hat. Eine junge unverheiratete Frau wird natürlich noch konsequent als Fräulein angesprochen. Ungewöhnlich für heutige Leser ist auch, dass die Raumschiffe von einem Planeten zum anderen fahren. Heute würde man sagen, ein Schiff fährt, aber ein Raumschiff fliegt. 1960 war das gewählte Verb sicher noch in Ordnung.

Heyne Science Fiction ClassicsNoch ein Wort zur Wahrscheinlichkeit eines kosmischen Ereignisses, wie es in den beiden Romanen geschildert wird. Dass ein kosmischer Irrläufer auf der Erde einschlagen könnte, ist gar nicht so undenkbar. Wir erleben ja oft genug Sternschnuppen, die nichts anderes als kleine kosmische Himmelskörper sind, welche die Erde treffen. Und dass das Aussterben der Dinosaurier vor etwa 70 Millionen Jahren durch den Einschlag eines riesigen Meteoriten verursacht sein dürfte, gilt in der Wissenschaft als einigermaßen gesichert. Wir müssen aber gar nicht so weit in der Erdgeschichte zurückgehen, wenn wir uns mit einem solchen Ereignis befassen wollen. Etwas ältere Sternfreunde können sich sicher noch an das astronomische Ereignis des Jahres 1994 erinnern. Zwischen 16. und 24. Juli schlugen die Bruchstücke des Kometen Shoemaker-Levy 9 auf der Oberfläche des Jupiter ein. Der Komet war bereits vorher von den Gravitationskräften des Riesenplaneten zerrissen worden. Die Einschlagstellen erzeugten in der Atmosphäre Jupiters dunkle Flecken mit einem Durchmesser von bis zu 12000 km. Um es klar zu sagen: Hätte der Komet die Erde statt den Jupiter getroffen, wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit für uns alle tatsächlich der jüngste Tag angebrochen. Dass ein aus den Tiefen des Alls kommendes Planetenpaar genau die Erdbahn kreuzt, davon einer die Erde vernichtet und der andere quasi die Stelle der Erde einnimmt, ist allerdings als rein literarische Konstruktion anzusehen. Dass dann der zweite Planet für Erdmenschen bewohnbar ist und früher von einer Spezies bewohnt war, die genau wie Menschen ausgesehen hat, rückt die ganze Konstruktion von der himmelsmechanischen Möglichkeit endgültig ins literarische Fabelreich. Trotz dieses extrem unwahrscheinlichen Szenarios sind die beiden Romane gut recherchiert, spannend geschrieben und auch heute noch gut lesbar. Die Aufnahme in die Reihe der Heyne Science Fiction Classics erfolgte jedenfalls zu Recht.

Heyne Science Fiction ClassicsDurchaus klassikerverdächtig ist auch der von Wylie allein verfasste Roman Das große Verschwinden (The Disapperance). Der Roman erschien aber bereits 1969 vor den beiden Weltuntergangstitel in der „normalen“ Aufmachung der Heyne-SF-Reihe, nachdem es bereits in den fünfziger Jahren zwei deutsche Ausgaben gegeben hatte. Der Grund, den Roman nicht als Klassiker aufgemacht zu bringen, dürfte wahrscheinlich darin zu finden sein, dass in der Anfangsphase der Heyne Science Fiction Classics größtenteils nur Titel für diese Subreihe ausgewählt wurden, die aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg stammten. Die einzige Ausnahme von dieser Regel war der Roman Die ersten Lensmen von E. E. Smith, der allerdings die Lensmen-Serie komplettierte, welche erstmals in Magazinausgaben in den dreißiger Jahren erschienen war. Die Ausgangsbasis für Das große Verschwinden ist das Gedankenexperiment, was wäre, wenn von einem Augenblick auf den anderen sich die Erde in zwei Paralleluniversen teilte, in der für die Männer die Frauen verschwunden wären und umgekehrt. Das geht soweit, dass schwangere Frauen plötzlich der Last des männlichen Kindes in ihrem Körper verlustig gehen. Das ganze Szenario wird anhand der Erlebnisse des Philosophieprofessors Dr. Bill Gaunt, seiner Frau Paula und den bereits erwachsenen Kindern Edwin und Edwinna geschildert. Die beiden nunmehr getrennten Welten entwickeln sich unterschiedlich. Die Männerwelt läuft nach dem riesigen Schock am Anfang, der natürlich auch einiges an Opfern fordert, weil Bügelwäsche zu brennen beginnt oder fahrerlose Autos Unfälle verursachen, einige Zeit relativ kontinuierlich weiter. Doch sukzessive kommt das Land herunter. Die Hygienestandards sinken, die Aggressionen steigen. Es kommt aufgrund sexueller Not vermehrt zu homosexuellen Beziehungen, auch bei Leuten, die sonst nicht auf das eigene Geschlecht stehen. Die steigenden Aggressionen führen zu Streiks, Plünderungen und einem harten Gegenschlag des Staates, der mit repressiven Verordnungen reagiert. Die Mannheit ist zum Aussterben verdammt, alle Versuche, im Reagenzglas aus Spermatozoen lebenstüchtige Embryos zu züchten, scheitern. Für Bill scheint das Ende zu kommen, als sein Haus von marodierenden Gangstern überfallen wird. Er, der sanftmütige Philosoph, erschießt drei von Ihnen, wird aber vom Rest der Bande eingekreist.

Auch in der Frauenwelt geht es rund. Das Verschwinden der Männer verursacht bereits unvorstellbare katastrophale Unfälle, denn die Mehrzahl der Autolenker, die Lastwagenfahrer, Lokführer und Piloten sind auf einen Schlag weg und ihre Gefährte rasen steuerlos dem Schicksal entgegen. Das Bedienungspersonal in den Einrichtungen der technischen Infrastruktur ist nicht mehr vorhanden. Die Stromversorgung fällt aus, es gibt bald kein Trinkwasser aus den Leitungen. Riesige Brände brechen aus, die halbe Städte vernichten, es gibt aber keine Feuerwehr mehr. Die medizinische Versorgung bricht zusammen, weil es nur wenige Ärztinnen gibt. Dabei ist natürlich zu berücksichtigen, dass der Roman 1951 erstmals erschienen ist und die gesellschaftlichen und beruflichen Verhältnisse der damaligen Zeit widergibt. Die resolute Paula stemmt sich mit aller Kraft gegen den Verfall und leitet eine Reihe von Komitees, um etwas Ordnung in das Chaos zu bringen. Tochter Edwinna, die sich bisher vorzugsweise dem Nichtstun hingegeben hatte und ihren Eltern auf der Tasche gelegen war, nachdem sie bereits zwei Ehemänner verschlissen hatte, entwickelt auf einmal ungeahnte Qualitäten und schließt sich einer Jagdgruppe an. Die Frauenwelt entwickelt sich zu einer agrarischen Gesellschaft zurück, weil die Technik einfach nicht mehr beherrscht wird. Kohlenbergwerke, Schwerindustrie, alles in dieser Richtung kann nicht mehr aufrechterhalten werden. Zum Schluss bricht eine Choleraepidemie aus, die weite Teile der Bevölkerung hinwegrafft.

Doch am vierten Jahrestags des Verschwindens ist alles wieder anders, denn die Welt macht genau an dem Punkt weiter, wo damals das Desaster begann. Der Film wird vier Jahre zurückgespult, die Toten leben, die Häuser sind wieder ganz, die Infrastruktur intakt. Doch jeder und jede hat die Erinnerung an die schreckliche Zeit behalten und gelobt Besserung. Wird es aufgrund dieses Wissens gelingen, eine neue, freie Gesellschaft auf gleichberechtiger Basis aufzubauen, in der sich die Geschlechter wirklich gegenseitig respektieren?

Unter Verwendung dieses dystopischen Szenarios übte der Autor allerschärfste Kritik an den in den USA der fünfziger Jahre herrschenden gesellschaftlichen Zuständen. Auf jeden Fall machte sich Wylie mit seinen scharfzüngigen Essays bei vielen Leuten in gesellschaftstragenden Gruppen wie Politik, Militär, Kirche etc. äußerst unbeliebt. Er wurde auch als Frauenhasser kritisiert. Im Roman wird die Kritik dadurch erhärtet, als geschildert wird, wie sich in der Frauenwelt mühsam eine neue Regierung bildet, die sich am Anfang hauptsächlich mit dem Schnitt der neu auszuwählenden Uniformen statt mit den wirklich dringenden Problemen beschäftigt. Das ist allerdings eine verzichtbare gehässige Spitze.

Daher war Amerika seit langer Zeit von Männern repräsentiert worden, die nicht die Nation als Ganzes im Sinn hatten, wenn sie über Gesetze berieten. Ungeheuer schwerwiegende und komplizierte Probleme wie Landwirtschaft, Steuerwesen, soziale Fragen und dergleichen lagen überdies jenseits ihres durchschnittlichen Horizonts. Wenige verfügten über eine fundierte Bildung. Beziehungen zu fremden Staaten waren ihnen in der Tat fremd. Von Frankreich oder Italien wußten sie nicht mehr als vom alten Chaldäa. Geschichte und Traditionen ihres eigenen Landes waren für viele von ihnen verschlossene Bücher. […]

Die umfassende Ignoranz von Amerikas Parlamentariern, obschon sie noch in jeder Kongreßsitzung während des zwanzigsten Jahrhunderts kraß und entsetzlich zur Schau gestellt wurde, hinterließ keinen Eindruck in der amerikanischen Öffentlichkeit, weil diese Männer nur die Stupidität, Habgier und aggressive Ignoranz ihrer Wähler widerspiegelten und verkörperten. […]

(Zitiert aus: Philip Wylie: Das große Verschwinden. München 1969, Heyne SF 3148/49, S. 96)

Die meisten von uns widmeten den größten Teil ihrer Zeit der Ankurbelung des Konsums. Der Bedarfsweckung selbst auf Gebieten, wo wir bereits vollgestopft und übersättigt waren. Dann, der Befriedigung dieser künstlich stimulierten Exzesse. Wir nannten den Prozeß „Schaffung neuer und breiterer Märkte“. Wir nannten das Resultat „unseren hohen Lebensstandard“. Wir bauten Kurzlebigkeit und Veralten in unsere Produkte ein, ersetzten sie in immer rascherer Folge durch neue Modelle und pumpten die alten mit Profit in die unterentwickelten Länder, wo gar kein Bedarf für diese Dinge bestand. Wir fraßen uns mit Produkten voll und spien sie wieder aus, um von neuem schlingen zu können – Monat für Monat, Jahr für Jahr.

(Zitiert aus: Philip Wylie: Das große Verschwinden. München 1969, Heyne SF 3148/49, S. 172)

Nein, das ist nicht Trumpistan des Jahres 2020, sondern Trumanistan des Jahres 1951. Hat sich seither etwas geändert? Ist Europa soviel besser? Der Kunstgriff des Autors war, dass er diese und eine Reihe weiterer Betrachtungen Bill Grant in die Schuhe schiebt, nachdem dieser im Auftrag der Regierung Studien zur sozialen Lage ausarbeitet.

Heyne Science Fiction ClassicsEs gibt noch einen weiteren Roman von Philip Wylie, welcher auf Deutsch übersetzt wurde und in zwei Ausgaben im Ullstein-Verlag erschien. Planet im Todeskampf (The End of the Dream) ist in den USA posthum 1972 herausgekommen. Das Werk ist ein früher Öko-Thriller und schildert in Anspielung an den Originaltitel das Ende des amerikanischen Traumes vom immer größeren Wohlstand von Generation zu Generation. In Form von einzelnen Berichten werden katastrophale Ereignissse geschildert, die aufgrund der immer weiter ansteigenden Umweltverschmutzung bis zum totalen Zusammenbrechen der Ökosphäre führen und einen Großteil der Menschheit auslöschen. Die Berichte stammen aus dem Jahr 2038 und wurden in Faraway verfasst, einer Niederlassung weit weg von der früheren Zivilisation, in der sich eine Reihe von Wissenschaftlern in der „Gesellschaft zur Erhaltung des Menschen“ zusammengefunden hat, um nach Überlebensmöglichkeiten für die Menschheit zu forschen. Doch am Ende bleibt offen, ob wenigstens Faraway überlebt hat. Das gesamte Gebiet ist dunkel, es kann nicht mehr per Funk erreicht werden. Als sich Flugzeuge der Luftwaffe nähern, stürzen sie ab. Hat der letzte Tropfen das Fass endgültig überlaufen lassen? Doch wo auch immer noch Leben ist, gibt es Hoffnung.

Nun leben wir in der realen Welt des Jahres 2020, und die ökologische Katastrophe, wie sie in diesem Roman geschildert wird, ist nicht eingetreten, obwohl der Planet da und dort unter der schweren Last durch die Menschheit ächzt. Ist daher der Roman wertlos? Keineswegs, denn es handelt sich um eine „self-destroying prophecy“, eine Warnung davor, was eintreten könnte, wenn man ungebremst weitermacht wie bisher. Dazu muss einem klar sein, dass der Roman in den sechziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts geschrieben wurde, einer Zeit, in der Umweltschutz in Ost wie West noch ein Fremdwort war. Viel ist seither geschehen, um die Probleme zu vermindern. Es wurden die Recyclingindustrie aufgebaut, Abwasserkanäle verlegt, vollbiologische Kläranlagen in Betrieb genommen und Industrieschlote mit entsprechenden Filtern ausgestattet. Wir erinnern uns auch noch gut an das Thema des Waldsterbens, das etwa zehn Jahre später hochkam. Auch dieses Thema wurde – wenngleich nicht gelöst – durch viele Maßnahmen zur Luftreinhaltung angegangen. Das Ozonloch über der Antarktis, welches durch Fluorchlorkohlenwasserstoffe verursacht wurde, ist dabei, sich wieder zu schließen. Mittlerweile leben wir durch den ungebremsten Ausstoß von Treibhausgasen in der Zeit der Klimakrise, welche in meiner Einschätzung nur kurzfristig durch die Berichterstattung über die Coronaseuche in den Hintergrund getreten ist. Obwohl es viele Leugner des Problems gibt, leider auch von sehr prominenter Stelle, setzen sich immer mehr Menschen für den Klimaschutz ein. Der Kampf für eine nachhaltige Wirtschaftsordnung, die auch unseren Nachfahren ein gutes Leben ermöglicht, ist noch nicht verloren.

 

Titelliste von Philip Weyie & Edwin Balmer

Anmerkung:
Es werden die Ausgaben in den Heyne Science Fiction Classics, weitere Ausgaben im Heyne-Verlag sowie die Erstausgaben der Werke angeführt.


1970

3178 Wenn Welten zusammenstoßen (Ü.: Else Hollander-Lossow)
Nachdruck mit veränderter Aufmachung: 1982, Heyne SF 3924
Originalausgabe: When Worlds Collide, 1933

Deutsche Erstausgabe: Berlin 1959, Gebrüder Weiß, Romane aus der Welt von morgen

3183 Auf dem neuen Planeten (Ü.: Else Hollander-Lossow)
Nachdruck mit veränderter Aufmachung: 1983, Heyne SF 3976
Originalausgabe: After Worlds Collide, 1933

Deutsche Erstausgabe: Berlin 1960, Gebrüder Weiß, Romane aus der Welt von morgen


Zur Titelliste der Heyne Science Fiction Classics


Zum ersten ArtikelZur Übersicht

  

Der Gästezugang für Kommentare wird vorerst wieder geschlossen. Bis zu 500 Spam-Kommentare waren zuviel.

Bitte registriert Euch.

Leit(d)artikelKolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles