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Die Rückkehr der Sintflut - Stephen Baxters "Die letzte Flut"

Stephen Baxter - Die FlutDie Rückkehr der Sintflut
Stephen Baxters Katastrophenthriller »Die letzte Flut«

Autoren waren schon immer kreativ, wenn es darum ging, sich Szenarien auszumalen, wie das Ende der Menschheit aussehen könnte. Verheerende Sonnenstürme, die furchtbare Folgen für die Stabilität der Erdkruste haben (wie jüngst in Roland Emmerichs »2012« zu sehen), dramatische Veränderungen des Klimas, infolge derer blühende Lebensräume in karge (Eis-)Wüsten verwandelt werden (wie Emmerich es uns in »The Day After Tomorrow« eindrucksvoll vor Augen geführt hat), gewissenlose Außerirdische, die ihre überlegene Technologie dazu verwenden, die Menschheit auszulöschen bzw. zu versklaven (mit »Independence Day« hat sich Emmerich, wen wundert es, auch diesem Thema angenommen).

Stephen Baxter - Die letzte FlutDer Einfallsreichtum, den Macher von Filmen und Büchern hinsichtlich Vorstellungen vom Untergang der menschlichen Kultur an den Tag legen, ist beachtlich (von „Weltuntergang“ zu reden wäre übertrieben; im Allgemeinen ist es ja „nur“ die menschliche Zivilisation wie wir sie kennen, die über den Jordan geht). Zombieseuchen, Atomkriege, globale Stromausfälle, Asteroideneinschläge, dämonische Invasionen, und, und, und. Ideen, wie es mit der Menschheit zu Ende gehen könnte, sowie Gründe für den zumeist plötzlich eintretenden Niedergang gibt es in Hülle und Fülle.

Ein immer wieder beliebtes Endzeitszenario ist das der Sintflut. Der Untergang der Zivilisation, eingeleitet durch nicht enden wollende Regenschauer und/ oder das unaufhaltsame, rasante Ansteigen des Meeresspiegels, bis das Festland mehr oder weniger komplett von Wasser bedeckt ist. Eine Vorstellung, die wie geschaffen ist für hochdramatische, düstere Erzählungen. Das hat sich wohl auch der britische SF-Autor Stephen Baxter gedacht – und mit »Die letzte Flut« einen Endzeitthriller geschrieben, der sich besagter Thematik annimmt.

»Die letzte Flut«

Stephen BaxterDie Handlung von »Die letzte Flut« beginnt im Sommer 2016 und erstreckt sich über fast vier Jahrzehnte hinweg bis ins Jahr 2052 hinein. In drastischen Bildern schildert Baxter das immer raschere Ansteigen der Weltmeere, wodurch die Menschheit in immer kürzeren Abständen mehr und mehr Lebensraum einbüßt. Was mit dem Verschwinden kleiner Karibikatolle beginnt, wächst sich schon bald zu einer globalen Katastrophe aus. Der Kampf ums Überleben der menschlichen Rasse hat begonnen, und mit jedem Meter, den das Wasser weiter steigt, wird er verzweifelter.

Die Hauptpersonen von »Die letzte Flut« lernt man auf recht unorthodoxe Art und Weise kennen: In den ersten Kapiteln befinden sich die US-Soldatin Lily Brooke, die junge Helen Gray, der Klimaforscher Gary Boyle und der britische Offizier Piers Michaelmas in der Hand christlich-fundamentalistischer Rebellen, die in einem vom Bürgerkrieg verheerten Spanien versuchen, ihren Willen durchzusetzen. Als die Geiseln nach langjähriger Gefangenschaft endlich befreit werden können, werden sie in eine Welt entlassen, in der nichts so ist, wie es einmal war. Die Meere des Planeten Erde haben zu steigen begonnen, langsam, aber unaufhörlich.

Die Wissenschaft steht vor einem Rätsel. Der Klimawandel alleine kann nicht schuld sein an dem beständigen Anwachsen des Meeresspiegels. Doch was sollte dann die Ursache für die unaufhaltsame Flut sein?

Was auch immer der Grund sein mag, es scheint keine Möglichkeit zu geben, dem Anstieg der Ozeane Einhalt zu gebieten. Aus der Sicht einiger weniger Individuen und in eindrucksvollen Bildern schildert Baxter im wahrsten Sinne des Wortes den Untergang der menschlichen Zivilisation. Die letzte Flut hat begonnen ...

Zwischen Enttäuschung und Begeisterung

Die OriginalausgabeDer Name Stephen Baxter ist Phantastik-Fans alles andere als unbekannt. Der 1957 in Liverpool geborene Autor gilt als Meister des SF-Genres, insbesondere was den Bereich der Hard-SF angeht. Vom Philip K. Dick Award bis hin zum Kurd-Laßwitz-Preis hat der Schriftsteller, der mit Werken wie dem Zyklus »Kinder des Schicksals« oder der »Multiversum«-Quadrologie Berühmtheit erlangte, so ziemlich alles an Preisen abgeräumt, was man als Autor von SF-Erzählungen so abräumen kann.

Baxters Romane zeichnen sich aus durch seine Liebe für Fakten, für logisch nachvollziehbare, konsequente Entwicklungen und wissenschaftlich (möglichst) fundierte Erklärungen. Diese, ich möchte sie einmal „sachliche“ Art und Weise nennen, mit der der Brite an seine Bücher herangeht, sorgt dafür, dass »Die letzte Flut« einerseits begeistert, erschrickt und den Leser mit aller Macht an sich fesselt. Andererseits trägt sie aber auch Schuld daran, dass der Roman in so mancher Hinsicht eine herbe Enttäuschung ist.

Bleiben wir zunächst bei den Schattenseiten des Buchs.

Baxter erzählt eine große, verstörende Geschichte, zweifellos. Die vier im Buch enthaltenen Karten (ich beziehe mich hier auf die Ausgabe aus dem Bertelsmann Buchclub), die das Angesicht unseres Globus zeigen, wenn der Meeresspiegel um 5, 100, 400 und schlussendlich 1.000 Meter steigt, sind Programm. Je weiter die Geschichte voranschreitet, umso mehr Landmasse verschwindet unter den endlosen Weiten der Ozeane. Diese Entwicklung ist es, auf die sich Baxter voll und ganz konzentriert und unter der seine Protagonisten zu leiden haben.

Man kann dem Autor sicher nicht vorwerfen, er würde seine Figuren komplett vernachlässigen, wie dies in so manchem billiger, ausschließlich auf Zerstörungsorgien setzender Katastrophenfilm geschieht. Baxter hat sich Mühe gegeben, einen unkonventionellen Cast zu entwerfen, Figuren aus echtem Schrot und Korn, die weit jenseits eindimensionaler Stereotype sind. Leider nutzt er sein geschickt konstruiertes Figurenensemble viel zu wenig aus.

Ark - Die FortsetzungDer einzig wahre Hauptdarsteller von »Die letzte Flut« ist die Flut selbst. Lily, Gary und Co sind bloße Nebendarsteller, deren Lebensgeschichten im Angesicht des Untergangs in viel zu kurzen und daher oftmals viel zu oberflächlichen Episoden erzählt werden. Wie ein Sturm rast das Schicksal der menschlichen Protagonisten an einem vorüber. Leid und Freud, Glück und Not, Leben und Sterben, gute wie schlechte Erlebnisse verkommen zu wenig mehr als kurzen Andeutungen, schon springt die Erzählung weiter zur nächsten Katastrophe, zum nächsten Gebiet, das überschwemmt wird oder das als Austragungsort für die zunehmenden Konflikte der ums Überleben kämpfenden Menschheit dient. Da fällt es schwer, zu den Figuren eine Beziehung aufzubauen. Man wird nur mäßig mit ihnen warm. Ihr Schicksal, um es einmal drastisch auszudrücken, ist einem egal. Der Tod eines Charakters schockiert nicht, er löst allenfalls mildes Interesse aus, fragt man sich lediglich mit leiser Neugier, ob das irgendwelche Einflüsse auf das Dasein der noch Lebenden und damit all das hat, was man als Leser im Folgenden von der Flut noch mitbekommt. Denn – das habe ich zwar schon in der Inhaltsbeschreibung erwähnt, es sei hier aber noch einmal positiv angemerkt – Baxter leiert nicht einfach so Fakten herunter und zählt eine Station der Sintflut nach der anderen auf. Nein, er bemüht sich, die Konsequenzen der Katastrophe stets aus Sicht seiner diversen Charaktere zu schildern.

Was letzten Endes aber nichts daran ändert, dass »Die letzte Flut« im Grunde mehr an ein Dokudrama erinnert als an einen spannenden und bewegenden Roman.

Doch wie alles im Leben hat auch die Art, wie Baxter erzählt, zwei Seiten. Mag sein auf den Ablauf der Flutkatastrophe gerichteter Blick der Emotionalität des Romans auch schaden, dem apokalyptischen Szenario und dem Schrecken, der daraus für den Leser erwächst, ist dieser Stil in jedem Falle zuträglich.

Jetzt einmal rein auf die Ausarbeitung der letzten Flut als solcher bezogen: Schon der Beginn des Romans ist brillant. Wie Baxter die unaufhörlichen Regenfälle schildert, wie er erste Überschwemmungen mit unerwarteter Heftigkeit eintreten und über völlig unvorbereitete Menschen hereinbrechen lässt, ist atemberaubend. Man mag »Die letzte Flut« bei strahlendem Sonnenschein lesen (wie ich es teilweise getan habe), dennoch entwickelt man schon nach wenigen Seiten das Bedürfnis, Gummistiefel und einen Regenmantel anzuziehen. Selbst wenn man das Buch zur Seite gelegt hat, vergeht dieses Gefühl nur nach und nach.

Je weiter man in der Lektüre voranschreitet, umso mehr macht das Gefühl der Unsicherheit einem zunehmend intensiver werdenden Gefühl von Schrecken Platz. Was mit Hochwasser und voll gelaufenen Kellern beginnt, wächst sich innerhalb kürzester Zeit zu einer Szenerie aus, die einem Albtraum entsprungen zu sein scheint: Der Lebensraum der Menschen schwindet, immer neue Katastrophen (von Dammbrüchen bis hin zu gigantischen Tsunamiwellen) fordern mehr und mehr Opfer, und die Zivilisation, wie wir sie kennen, versinkt immer weiter in Chaos und Anarchie. Es ist ein verstörendes Bild, das Baxter hier entwirft, ein Schreckensszenario, das einen so schnell nicht wieder loslässt.

In nicht unerheblichem Maße trägt dazu auch Baxters zeitweilig recht nüchterner Erzählstil bei. Statt dramatische Beschreibungen aneinanderzureihen, gibt der Brite viele Entwicklungen knapp und sachlich wieder. Gerade das macht »Die letzte Flut« noch bedrückender, vermittelt dieser Stil dem Leser doch von vornherein ein gewisses Gefühl der Ausweglosigkeit. Ein wundersames Happy End, das wird beim Lesen schnell deutlich, hat dieses Buch nicht zu bieten.

Seit Andreas Eschbachs schockierendem Endzeit-Thriller »Ausgebrannt«, der sich ebenfalls mit dem Ende der bekannten Zivilisation beschäftigt, dieses allerdings auf ein Versiegen der Erdölquellen zurückführt, seit Eschbachs Thriller hat mich kein Werk über den Untergang der Menschheit derart zu erschrecken verstanden wie »Die letzte Flut«. Könnte das, was hier geschildert wird, tatsächlich so eintreten? Eine grauenvolle Vorstellung, die man gerne als lachhaft abtun würde, die man aber nicht so einfach wieder vergessen kann. Betrachtet man »Die letzte Flut« rein aus diesem Blickwinkel, so ist Baxter hier ein wirklich großer Roman gelungen.

Fazit
Stephen BaxterEinem außergewöhnlich intensiven Schreckensszenario steht ein Mangel an emotionaler Tiefe infolge zu sehr vernachlässigter Protagonisten gegenüber. Von daher lässt sich, wie ich finde, durchaus sagen, dass »Die letzte Flut« gleichermaßen begeistert wie enttäuscht.

Stephen Baxters Katastrophen-Thriller ist mit Sicherheit eines jener Bücher, das Freunde spannungsvoller Katastrophenthriller und düsterer Endzeitromane zur Hand nehmen sollten. Eine gewisse psychische Belastbarkeit empfiehlt sich dabei in jedem Falle; das Grauen, das Gewaltorgien à la »Saw« auszulösen vermögen, ist nichts gegen die schockierende, fast schon beängstigende Wirkung dieses Werks. Über eines aber sollte man sich von Beginn an im Klaren sein: Baxters Protagonisten mögen erheblich markanter sein als jene, die sich in den Filmen eines Roland Emmerich tummeln; wirklich ans Herz wachsen sie einem aber genauso wenig.

»Die letzte Flut« – ein Meilenstein des Endzeitgenres ist der Roman sicher nicht. Erschreckender und bestürzender als das meiste, was man sonst geboten bekommt, ist er aber ohne jeden Zweifel.

PS. für alle, die nicht genug von dem Roman bekommen können: Mitte diesen Jahres wurde in Großbritannien unter dem Titel »Ark« die Fortsetzung veröffentlicht, in der Baxter sich mit der Frage beschäftigt, wie es denn mit den letzten Überlebenden der Menschheit weitergeht. In Kürze dürfte das Buch auch bei Heyne erscheinen.

 

Die letzte FlutDaten zum Buch:
Die letzte Flut
(Flood)
von Stephen Baxter
aus dem Englischen von Peter Robert
erschienen: 2009 (Deutschland); 2008 (Großbritannien)
751 Seiten; 17,95 €
Bestellnummer: 105631
ISBN (Ausgabe von Heyne, Preis: 19,95 €): 978-3453266308
Random House (Heyne Verlag) /
Bertelsmann Buchclub, Hardcover

 

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