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Under The Dome - Eine Fußnote zu Stephen Kings Die Arena

Under The DomeUnder The Dome
Eine Fußnote zu Stephen Kings Die Arena

Stephen Kings neueste Veröffentlichung in Englisch zu lesen, ist aus zwei Gründen zwingend. Zum einen war die englische Originalausgabe sieben Tage früher im Handel erhältlich. Mit dem Wort Handel ist ein kleiner, überschaubarer Buchladen gemeint. Doch der gewichtigere und damit zweite Grund ist Kings kaum übersetzbares, ineinandergreifendes Spiel mit Populärkultur, Alltagsklischees, versteckter Politik, und lokal gefärbter Sprache. Ein Ergebnis der Tatsache, dass Stephen King der beste Schriftsteller aller Zeiten ist. Der letzte Satz dient selbstverständlich als reine Provokation.

 

Doch selbst nüchtern betrachtet, muss der geneigte Leser zum Schluss kommen, dass King mit UNDER THE DOME – DIE ARENA (Glückwunsch an die deutschen Übersetzer), die Klasse wieder erreicht hat, welche von vielen seiner treuen Leser seit einigen Büchern vermisst wurde.

Dieses Buch ist sehr dick und so schwer, dass man es kaum halten kann. Viel schwerer ist es allerdings, das Buch wieder wegzulegen. Das war ein Zitat aus der New York Times. Schon im Vorfeld resümierte King mit einem Schmunzeln, „ich werde sehr viele Bäume vernichten“. Das macht nicht nur Laune beim CONSTANT READER, wie der Autor seine ihm verbundenen Leser nennt, sondern weckt auch Begehrlichkeiten bei der Presse. Was er wohl wieder vorhabe, der Meister des Grauens? Er zerstört einen ganzen Kosmos, wie sich später herausstellt. Tut er das wirklich? Der geneigte Leser soll es selbst herausfinden, muss sich selbst in diese Welt begeben, darf selbst entscheiden. Denn an dieser Stelle interessieren nicht Umfang und Qualität von Kings neuesten Roman, sondern eine nur scheinbar nebensächliche Geschichte.

Vier Monate vor Veröffentlichung von UNDER THE DOME präsentierte man der Öffentlichkeit mit viel Pressewirbel den Schutzumschlag des Buchs. Das erhöht die Entzugserscheinungen nach dem Lesestoff. Es ist ja nur der Schutzumschlag, aber… Die Öffentlichkeitsarbeit beginnt Früchte zu tragen. Dennoch wird sich dieser Artikel nicht mit der hervorragenden Arbeit der Presseabteilung dieses Buches auseinandersetzen und dient auch nicht als Rezension für Kings Geschichte. Da versteckt sich interessanteres. Nicht die Story HINTER, sondern die Story AUF dem Schutzumschlag.
Under The Dome

Abgebildet ist darauf Chester’s Mill. Das Kaff zwischen Castle Rock und Tarker’s Mills, das eines eigentlich schönen Tages durch eine unsichtbare Kuppel wortwörtlich von der Außenwelt abgeschnitten wird. Zu sehen ist mit dem Flugzeug der erste Unfall, der sich durch dieses Geschehnis ereignet, man erkennt im Vordergrund die Route 117 und 119, im Hintergrund den Sendeturm des örtlichen Radiosenders, auf dessen Frequenz nur geistliche Lieder gespielt werden, und auf der linken Seite das ansässige Lokal Sweetbriar Rose. Auch wenn es auf dem Schutzumschlag so viel zu entdecken gibt, sollte man gewarnt sein, dass die Abbildung auf dem Umschlag nicht geografisch mit dem wirklichen Chester’s Mill übereinstimmt.

Betrachtet man das Bild näher, sehr viel näher, fällt auf, dass man beobachtet wird. Auf dem Asphalt von Route 119, fast am Rand der Kuppel, sitzt ein Hund. Dieser Hund sieht in Richtung des Betrachters. Eine Frage: Sieht der Hund zum Käufer des Buches oder zum Gestalter des Schutzumschlags? Die Idee des Umschlags geht auf King selbst zurück und wurde von einem Team um Rex Bonomelli umgesetzt. Aber haben diese Menschen darauf Einfluss gehabt, was dieser Hund da macht? Wo sieht der Hund also hin? Und vor allem, was sieht er da?
Der Hund

Julia Shumways Hund heißt Horace. Er ist ein Corgi und bereits im gehobenen Alter. Der Autor Stephen King hat als bester Schriftsteller der Welt von Dome-Day an bis zum bitteren Ende von Chester’s Mill Horace keine große Rolle zugedacht. Doch warum sitzt Horace da und sieht den Betrachter an? Was weiß Horace, das ihn so nah an den Rand der Kuppel bringt? King erzählt uns diese Geschichte nicht.

Man erfährt auch nicht, dass Horace ab und an mit Clover herumgetobt hat. Clover war Referent Libbys Schäferhund. Wenn es so etwas wie eine Inter-Canine-Freundschaft gibt, dann darf man wohl Clover als Freund von Horace bezeichnen. Als sich die Situation in der von der Außenwelt abgeschnittenen Stadt zu verschärfen begann und eine eigenartige Ordnung zwischen Anarchie und Diktatur erhob, musste Horace mit ansehen, wie Deputy Freddy Denton aus Hilflosigkeit Clover den halben Kopf wegschoss. Das Konzept einer Wunde oder eines verwundeten Artgenossen ist Tieren fremd. Doch die plötzliche freigesetzte Aura des Todes, die sich in solchen Augenblicken verbreitet, packt lebende Tiere mit eiskalter Hand, die zwar unsichtbar und unbegreiflich, aber nichtsdestotrotz unbarmherzig zupackt.

Ein CorgiGeboren wurde der Corgi wahrscheinlich auf der Daisy Hill Puppy Farm, wo er nicht sonderlich gut behandelt wurde. Bis Julia Shumway den kleinen Corgi bei Recherchearbeiten entdeckte, lieben lernte und sofort mit nach Hause nahm. Auf der Daisy Hill Puppy Farm werden eigentlich nur Beagles gezüchtet, und der später Horace genannte Corgi-Welpe war wohl das Produkt einer herumstreunenden Hundedame, aber seltsamerweise dennoch reinrassig.

Man kann Julia Shumway durchaus als liebevolle Hundemutter bezeichnen, wenngleich Horace ab und an darunter leiden muss, dass seine Besitzerin Redakteurin und Herausgeberin der einzigen lokalen Zeitung ist. Und Redaktionsarbeit kann oftmals bedeuten, dass anstatt Gassigehen Frauchen sich im Büro festarbeitet. Der DEMOCRAT ist ein kleines Blatt, das von drei Leuten gestemmt wird, wobei der Hauptteil der Last einer höchst motivierten Julia Shumway zukommt. Horace Greeley hieß der Mann, der damals die New York Tribune gegründet hat und damit den Journalismus revolutionierte. Das große Vorbild Greeley war somit als Namenspatron für den kleinen Corgi ausgemachte Sache.

Horace GreelyHorace Greeley würde sich bestimmt geehrt fühlen, dass er 130 Jahre nach seinem Ableben noch immer so einen Eindruck hinterlässt. Weniger angetan wäre er wohl von Corgi Horace‘ Eigenart, sich erst endlos im Kreis zu drehen, bis er die richtige Stellung zum Scheißen gefunden hat. Es bleibt einfach ein zu absurder Anblick. Und wie schnell Horace sogenanntes Peoplefood vom Asphalt fressen kann, gibt ihm auch nicht so viele Sympathiepunkte. Peoplefood ist allerlei Essbares, das Menschen einfach auf die Straße werfen oder das ihnen aus der Hand fällt. Dort liegt es dann mal kurz, mal sehr lange. Bis Horace blitzschnelle Schnauze nach vorne schnappt, bevor Julia Shumway überhaupt sehen kann, was ihr Hund verschlungen haben könnte.

Dank seiner eigentlich schlechten Angewohnheit in Bezug auf Peoplefoot fand Horace den verschwunden geglaubten Umschlag mit der Beschriftung VADER-File. Und zwar in genau dem Augenblick, als der Hund unter dem hohen Sofa von Andrea Grinnell Reste von Microwellen-Popcorn vernaschte. Hund bleibt Hund, und so dauerte es, bis in seinem Hundehirn die Notwendigkeit sichtbar wurde, den Umschlag unter dem Sofa vorzuziehen. Die Akte Vader hätte den Vorgängen in der Stadt ein schnelles Ende bereiten können, wenn… Ja, wenn, wenn, wenn. Horace hat zumindest das Chaos überlebt, als die Menschen begannen, in kürzester Zeit durchzudrehen. Als fest stand, dass von außen keine Hilfe kommen konnte. Und als sich herausstellte, dass von innen keine Hilfe zu erwarten war. Als sich das normale, weiß angehauchte Nest in Neu-England in die Brutstätte moderner Barbarei wandelte.

Was Stephen King bis jetzt nicht weiß, sind Horace‘ Besuche draußen. Die machte er immer dann, wenn Julia Shumway glaubte, ihr braver Hund liege schlafend unter dem riesigen Schreibtisch in den Redaktionsräumen des Democrat. Stattdessen genoss er dabei gerade die Luft im Freien. Meist führte sein Weg über die Main-Street hinüber in das Waldstück, um hinter dem schon lange geschlossenen Filmtheater nach Spuren zu suchen. Das Schnüffeln bei Hunden muss man sich (welche Ironie) wie einen Film vorstellen. Die verschiedenen Gerüche erwecken differenzierte Eindrücke, das sogenannte ‚Spur aufnehmen‘ kann man dann am ehesten mit dem Ablauf einer Filmhandlung vergleichen.

Selbst in einem kleinen Kaff wie Chester‘s Mill, das mit gerade mal 1.500 Einwohnern aufwartet, kann ein Autor von der Klasse eines Stephen King nicht den Überblick behalten. So entging ihm, dass die Tür zum Hinterausgang im Gebäude des Democrat zwar schloss, aber ein bisschen Druck auf die unterste Kante genügend Hebelwirkung besaß, den Riegel wieder aus dem Schloss an der Türzarge springen zu lassen. Der Corgi konnte mit der Pfote die Tür dann aufziehen und sich durch den Spalt nach draußen quetschen. Und weil die Tür eben nicht mehr gut in Schuss war, blieb sie nicht offen stehen, wie sie eigentlich sollte, sondern fiel immer wieder in Schloss zurück.

Chester's Mill DemocratNatürlich hörten Julia Shumway, der Fotograf Pete Freeman oder Tony Guay, der über Sport berichtete, ab und an einmal, wenn die Tür zu fiel. Aber dann nahm der eine vom anderen an, rein- oder rausgegangen zu sein. Und dass die Tür nicht mehr in Ordnung war, wusste auch jeder. Wenn man auf Höhe des Schlosses gegen die Tür drückte, passierte das nicht, was Horace mit seiner Hebelwirkung an der untersten Kante gelang. Dennoch verriegelte Julia nach ihrem selbstbestimmten Feierabend die Tür stets mit dem zusätzlich angebrachten Schloss. Nie fiel einem auf, dass der Hund, der eigentlich unter dem riesigen Schreibtisch liegen sollte, gerade hinter dem Rücken seiner Besitzerin und hinter dem Rücken des Autors die winzige Welt von Chester’s Mills erkundete.

Was Horace undurchdringliche Hundegedankenwelt aufnahm und ihn deswegen immer wieder hinter das leerstehende Kino führte, hätte Mister King nicht erschreckt. Doch was Horace interessierte, er aber nicht ins Menschliche übertragen konnte, hätte für den Autoren einiges an Vorausschau geboten, wie sich die Dinge während der Zeit unter der Kuppel entwickeln würden. Doch er konnte ja nicht überall sein, der gute Mann. Auf der anderen Seite ist dabei wenigstens der spannendste und zugleich kurzweiligste Roman entstanden, den King seit geraumer Zeit veröffentlicht hat. So komplex und in sich geschlossen war lange keine seiner Geschichten mehr, und die Kritiker, die es mit dem als Meisterwerk deklarierten THE STAND – DAS LETZTE GEFECHT gleichsetzen, haben ausnahmsweise nicht übertrieben.

Das Konzept des Lesens ist für Horace, den Corgi natürlich fremd. Und wenn es anders wäre, würde es ihn auch nicht kümmern. Für Horace war etwas anderes wichtig geworden. Etwas, das sein kleines Hundehirn weit über die schrecklichen Ereignisse unter der Kuppel hinaus beschäftigte. Es ist das, was Horace bei einem seiner unbemerkten Ausflüge am Rande der unsichtbaren Kuppel entdeckte, als gerade das Cover zum Buch entworfen wurde. Wir glauben, Horace schaut uns oder den Gestalter des Schutzumschlags an, aber die Wahrheit ist bei weitem furchterregender.
 
 
Zu einer schon älteren, sechsteiligen Artikelserie über den Meister

Kommentare  

#16 Mainstream 2010-01-05 11:36
-
Cartwing, Laurin,
habe mir den Spaß erlaubt und einige Rezis zu LIMIT
auf Amazon gelesen. Also, für meinen Teil decken sich
alle Aussagen mit meinen Eindrücken über das Buch.
Das ist das erste Mal, das ich Rezis auf Amazon gelesen
habe, doch in diesem Fall war ich neugierig und kann
bestätigen was die Leute da schreiben.
Erstaunlicherweise kann ich auch den wenigen positiven
Rezensionen zustimmen. Das eine muss ja das andere
nicht ausschliessen.

Im Übrigen ist UNDER THE DOME in der englischsprachigen
Fassung lediglich 850 Seiten dick. Dennoch normal
bedruckt.
#17 Laurin 2010-01-05 13:50
So, gemacht, und 1320 Seiten plus Geld gespart, die Meinungen bei Amazon über "Limit" bestätigten meine schlimmsten Befürchtungen!
Danke Maintream!

Also benutzen sie bei der deutschen Ausgabe größere Buchstaben oder warum kommt es da zu so einem großen Unterschied (Under The DOME/850 Seiten - Die Arena/1300 Seiten)?
#18 Cartwing 2010-01-05 18:25
Jedenfalls ist die Übersetzung ganz okay, würde ich sagen. Von ein paar Aussetzern mal abgesehen (Mc Donalds wird als Mc Doof bezeichnet usw.)

850 Seiten? Naja, bei den Deutschen ist halt alles komplizierter und umständlicher, auch die Sprache... aber das ist natürlich schon ein ziemlicher Unterschied.
Vielleicht sollte man doch mal spaßeshalber das Original lesen
#19 Laurin 2010-01-05 18:43
#18 Cartwing:
Kann ich ja machen und das Original mal lesen, aber frag mich danach bitte nicht was ich da von King gelesen habe. Mein Englisch ist dermaßen unterirdisch das ich in England glatt verhungern würde! :sigh:
#20 Mainstream 2010-01-05 19:32
-
Die deutschen Übersetzungen sind immer länger, wie
ich nach ein paar Vergleichen festgestellt habe. Muss
ja immer alles doppelt haben, ich Raffzahn.

Ich habe mit dem Herrn King erst wirklich englisch
gelernt.
Das war '81 CHRISTINE. Sein sehr unkomplizierter Stil
macht das lesen sehr leicht.

Da ich ein sehr begriffstutziger Mensch bin, macht mir
das lesen von englischen Büchern kaum Spaß, man flutscht
dann nicht so durch. Aber bei Stevie-Boy ist das eher
umgekehrt. Also keine Scheu, alles halb so wild.
#21 Laurin 2010-01-06 02:26
Also Mainstream, mit "Scheu" hat das nichts zu tun, ich werde diese Sprache (Englisch) wohl kaum noch lernen. Wenn ich vor einem englischen Text sitze, dürfte es in meinem Kopf ähnlich aussehen wie bei Homer Simpson (kleiner Affe der laufend mit den Blechen klappert :lol: ).
#22 Andrew P. Wolz 2010-01-09 00:36
Ich plauder mal aus dem Nähkästchen (und wer hätte gedacht, dass ich eines habe):

Ich kenne mindestens eine weitere Autorin, deren Bücher Mainstream gerne auf Englisch liest ... - und deren Gesicht jeder von uns kennt ...
#23 Laurin 2010-01-09 00:41
#22 Andrew P. Wolz:
Sollst du petzen.... :lol:
#24 Torshavn 2010-01-09 06:50
"Aber wie du oben siehst, wollte ich tief im Herzen doch einen Beitrag leisten"

Deine Covergeschichte, Mainstream, hat mich neugieriger gemacht, als es jede Rezi geschafft hätte. Das Buch ist gekauft. Und das Wetter sieht nach Lesen aus. Danke.
#25 Andrew P. Wolz 2010-01-13 16:40
Ich sag nur Carrie Fisher - mehr sog i net ...
#26 Mainstream 2010-01-14 20:03
-
JA UND ?!
Und bald kuck ich sie mir am Broadway an, in ihrem
Stück WISHFUL DRINKING. Nach ihrem eigenen Buch.

Und dann fahr ich hoch nach Maine und lass meinen
DOME signieren. Und dann...
...aber das verrat ich net.
#27 Laurin 2010-01-15 18:07
#26 Mainstream:

Wenn du es schon signieren läßt, dann bring doch auch gleich ein Interview für den Zauberspiegel mit vom King... :-*

Aber bitte übersetzen ins deutsche, sonst kann ich es wieder nicht lesen... :cry:

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