Drei Uhr morgens...und das immerzu Die Entdeckung von Simons R. Greens ausgefallener Nightside-Reihe
Besser spät als nie: Die Entdeckung von Simons R. Greens ausgefallener »Nightside«-Reihe
Auf der letztjährigen Buchmesse bin ich dann über die »Nightside«-Romane des britischen Fantasy- und SF-Autors Simon R. Green gestolpert. Im Zentrum der Serie steht der halb-menschliche Privatdetektiv John Taylor, der in der Nightside, einem magisch-dämonischen Stadtteil Londons, bizarre Aufträge übernimmt. Das klang einerseits recht interessant, doch andererseits in Zeiten, in denen man Urban Fantasy-Settings mit Privatschnüfflern in der Hauptrolle wie Sand am Meer finden kann, alles andere als derart faszinierend bzw. originell, dass ich gar nicht anders konnte, als auf der Stelle in die Geschichte einzutauchen.
So kam es, dass einige Monate ins Land gingen, in denen ich mit mir gerungen habe, ob ich mir den ersten Teil der Serie nun tatsächlich zulegen sollte oder nicht. Vor Kurzem habe ich mir dann endlich einen Ruck gegeben und »Something from the Nightside« im englischsprachigen Original gekauft. Eine Tat, die ich nicht bereut habe. Ganz im Gegenteil: Der erste Band der »Nightside«-Saga ist ein packender Phantastik-Roman, der mich vom Fleck weg in seinen Bann gezogen hat.
Mir graut es bei dem Gedanken, was mir beinahe entgangen wäre ...
»Something from the Nightside«: Worum geht es?
Privatdetektiv John Taylor, der Ich-Erzähler des Romans, verfügt über eine besondere Gabe: Er besitzt das Dritte Auge, mit dessen Hilfe er jede Sache und jede Person finden kann- vorausgesetzt, der Preis stimmt.
Trotz seiner Fähigkeiten und seiner hohen Erfolgsquote ist Taylor allerdings so ziemlich der Letzte, den man aufsucht, wenn man Hilfe benötigt. Kein Wunder, liegt das Büro des eigenbrötlerischen Detektivs doch in einem recht heruntergekommenen Viertel Londons. Doch John ist es ganz recht, von Gott und der Welt in Ruhe gelassen zu werden. Aus genau diesem Grund ist er schließlich nach London gekommen beziehungsweise in den gewöhnlichen Teil der britischen Hauptstadt. Bevor es ihn dorthin verschlug, lebte er in der Nightside, jenem verborgenen Bereich Londons, in dem es immer drei Uhr nachts ist, in dem Wesen und Kreaturen aller Art hausen und in dem Regeln im Grunde keinerlei Bedeutung haben. Die Nightside ist ein unglaublicher Moloch, eine eigene Welt, die jede menschliche Vorstellungskraft zu sprengen droht.
Als John sich den Ärger mächtiger Bewohner der Nightside zuzog, kehrte er dieser Welt den Rücken und schwor sich, nie wieder dorthin zurückzukehren. Fünf Jahre lang ist es ihm gelungen, diesen Schwur zu halten. Bis zu jenem Tag, an dem Joanna Barrett sein Büro betritt und ihn engagiert, ihre vermisste Tochter Cathy wiederzufinden. Cathy, das bringt Taylor schnell in Erfahrung, ist ausgerechnet in die Nightside hinein verschwunden.
So kommt es, dass John Taylor nach langen Jahren zurück in seine alte Heimat kehrt in eine Welt, wundersam und mörderisch zugleich ...
Es geht doch nichts über ein ausgefallenes Setting
Auf der letztjährigen Buchmesse wurde ich gewarnt: Die »Nightside«-Reihe strotze nur so vor Klischees, die Autor Simon R. Green ganz bewusst in seine Saga einbauen würde, um den Eindruck
des Bizarren und Grotesken innerhalb des von ihm geschaffenen Kosmos zu unterstreichen. Ganz so klischeetriefend, wie mir weisgemacht wurde, ist zumindest der erste Band aber nicht. Green greift zwar recht häufig auf altbekannte Muster zurück, doch das Spiel mit derartigen Elementen macht nur einen Teil des Gesamtwerks aus. Für jedes Klischee, das bedient und gerne auch in überdrehter Form wiedergegeben wird (allen voran das Bild des abgehalfterten Privatschnüfflers), wartet »Something from the Nightside« mit einer originellen, neuartigen, ganz und gar unverbrauchten Idee auf. Schlussendlich gelingt es Green so, eine ausgefallene Geschichte zu erzählen, bei der so einiges, was auf den ersten Blick vorhersehbar erscheint, sich letzten Endes als völlig anders erweist, als es zunächst den Anschein hatte.
Doch wer nach diesen Zeilen nun auf ein Buch mit einer Handlung wartet, die einen alle paar Zeilen aufs Neue überrascht, der sei gewarnt: Die Story an sich ist zwar spannend und mitreißend geschildert, besonders originell ist sie allerdings insofern stimmt die mir auf der Buchmesse gegebene Warnung nicht. Die Grundprämisse der Geschichte lakonischer Ermittler erledigt einen ihm im Grunde unangenehmen Auftrag in einer gefährlichen Welt,die der unseren stark ähnelt, jedoch von Magie durchdrungen und voller finsterer Mächte ist ist spätestens seit dem Boom der Urban Fantasy allseits bekannt. Green gibt auch gar nicht vor, mit »Something from the Nightside« das Rad neu erfinden zu wollen. Das Grundgerüst der Handlung folgt bewährten Mustern und bietet nur selten wirklich etwas Neues oder gar Erstaunliches.
Dass einen der Roman dennoch bestens unterhält und immer wieder zu überraschen weiß, liegt zunächst einmal an einer guten Portion schwarzen Humors, mit der der Autor sein Werk gewürzt hat. In bester britischer Tradition findet Green immer Zeit für Ironie, Witz und Galgenhumor selbst in solchen Situationen, in denen, die Luft im wahrsten Sinne des Wortes brennt. Dabei übertreibt er es allerdings nie; die dunklen und spannungsvollen Aspekte der Erzählung stehen eindeutig im Vordergrund. Der schwarze Humor verleiht der Geschichte lediglich das gewisse Etwas sofern man dunklen Humor mag, heißt das.
Was »Something from the Nightside« in besonderem Maße auszeichnet und außergewöhnlich macht, ist weniger der Humor als vielmehr das ungewöhnliche Setting, das Green entworfen hat. Die Nightside ähnelt, so paradox das auch klingen mag, im gleichen Moment nichts und allem, was man schon einmal gesehen/gelesen hat.
Um dies etwas genauer zu erläutern: Die Nightside ist ein im Verborgenen liegender Stadtteil Londons, von dem niemand so genau weiß, wie groß er eigentlich ist, wie viele Einwohner er hat und wo genau er eigentlich zu finden ist. Hinein gelangt man nur über Pfade, die äußerst gefährlich und den meisten gewöhnlichen Menschen vollkommen unbekannt sind. Die Nightside selbst ist ein Gebilde, das sich nur schwer in Worte fassen lässt. Es ist ein Gebiet, in dem Träume und Albträume gleichermaßen wahr werden. Monster und Dämonen, Engel und Götter, Magie und Wunder, nichts, was es nicht gibt in der Nightside. Was immer man sich wünscht, was immer man tun oder was immer man lieber niemals zu Gesicht bekommen will: Die Nightside ist der Ort, an dem auch die ungeheuerlichste Vorstellung lebendig werden kann.
Green sind die Möglichkeiten, die ihm ein solcher Schauplatz bietet, vollauf bewusst: Ein unsterblicher, serienmörderischer Halbgott mit einer Vorliebe für Rasierklingen, eine vor Waffen strotzende Festung voller Menschen, die einmal von Aliens entführt wurden und das nie wieder durchmachen möchten, ein Sammler, der prinzipiell alles nur um des Sammelns willen sammelt, Zeitrisse, lebendige Züge ohne Zugführer und gelangweilte dreinblickende Nazi-Zwerge Green geht in die Vollen. Eine irrwitzige Idee jagt die nächste, immer wieder lässt der Autor eine beiläufige Bemerkung zu irgendeinem abstrusen Detail fallen, das für die Handlung im Grunde unwichtig ist, zur Ausgestaltung der Atmosphäre aber exzellent beiträgt. Kurzum: Der Leser kommt aus dem Staunen kaum heraus.
Wenn es etwas gibt, das »Something from the Nightside« zu einem unvergesslichen Abenteuer macht, dann ist es zweifelsohne das grandiose Setting. Greens Einfälle sind originell und frisch und entschädigen mühelos für die wenig überraschende Story sowie die doch recht oberflächlich charakterisierten Protagonisten. Die Nightside ist zweifelsohne einer der verrücktesten und zugleich viel versprechendsten Schauplätze, der mir in meiner langen Karriere als Leser untergekommen ist. Das Setting hat enormes Potenzial für einige Dutzend spannender Romane. Bleibt nur zu hoffen, dass Green seine Fantasie in spielen gelassen und dieses Potenzial in den nachfolgenden Romanen auch ausgenutzt hat.
Ein Wort noch zur Genreeinordnung. Der ein oder andere mag sich vielleicht ein wenig darüber gewundert haben, dass dieser Artikel im Bereich Phantastik und nicht im Bereich Fantasy eingeordnet wurde. Das liegt schlicht und einfach daran, dass mir eine klare Genre-Zuordnung nicht möglich gewesen ist. »Something from the Nightside« vereint Elemente der Fantasy ebenso wie Aspekte aus den Genres Horror, Krimi und vielen weiteren Gattungen. Die Bezeichnung Urban Fantasy trifft es wohl noch am ehesten. Wenn ich das Buch allerdings mit anderen Romanen aus diesem Genre vergleiche, dann springen mir eher Unterschiede zur ins Auge als Gemeinsamkeiten.
Langer Rede, kurzer Sinn: »Something from the Nightside« entzieht sich allen Konventionen. Der Roman ist schlichtweg anders. Wer sich auf die Geschichte einlässt, dem sollte bewusst sein, dass das, was er hier geboten bekommt, sich weit jenseits altbekannter Pfade abspielt. Na ja, was den Schauplatz und die daraus resultierenden Handlungselemente angeht jedenfalls. Rein von der Story an sich oder von den Protagonisten betrachtet, verweilt Green nämlich durchaus bei geläufigen Mustern aber das, so wurde mir schließlich mitgeteilt, liegt ja ganz in der Absicht des Verfassers...
Ein mehr als viel versprechender Auftakt
»Something from the Nightside« ist der erste von derzeit elf erschienenen »Nightside«-Romanen. Band elf ist in Großbritannien gerade im Hardcover veröffentlicht worden, weitere Bücher sollen folgen.
Dass ich erst so spät auf die Serie aufmerksam geworden bin, ist eigentlich eine Schande, hat aber durchaus auch so seine Vorteile. Denn während Leser, die die Reihe von Anbeginn an verfolgten, stets viele Monate auf die Fortsetzung warten mussten, befinde ich mich in der glücklichen Lage, gleich fast ein Dutzend Bände hintereinander lesen zu können.
Nach dem Auftakt, den Green mit »Something from the Nightside« geboten hat, ist das ein echter Glücksfall. Das ewige Warten auf den nächsten Teil hätte mich wohl zur Verzweiflung getrieben.
»Something from the Nightside« ist ein packender phantastischer Roman voll irrwitziger Einfälle, schwarzem Humor und einem einmaligen Setting. Alleine letzteres ist schon Grund genug dafür, unbedingt einmal einen Blick in das Buch zu werfen. Simon R. Green hat ein Werk vorgelegt, bei dem Freunden ausgefallener phantastischer Unterhaltung das Herz aufgeht. Ein Auftaktroman ganz so, wie er sein sollte: spannend, erstaunlich und durch und durch phantastisch.
Da kann die Fortsetzung gerne kommen!
Die deutschsprachige Ausgabe des Buchs ist unter dem Titel »Die dunkle Seite der Nacht« bei Feder und Schwert /ISBN: 978-3937255941) erschienen.
Kommentare
Als jemand der alle Bücher dieses Zykluses gelesen hat kann ich Jochen nur zustimmen: Ich hab niemals über ein abgedrehteres Szenario gelesen als Green's Nightside Zyklus.
Und er schafft es sogar (in späteren Bänden) Personen aus einem früheren, der in sich abgeschlossenen "Todstelzer"-Zyklus, einzubinden.
Wer ein faible hat für ein wirklich interessantes Setting muss! einfach mal einen Blick riskieren.
Menschen, bei denen aber alles auf möglichst realistischem Boden bleiben muss, seien aber gewarnt... die Dinge die Jochen angeführt hat (Nazi Zwerge) sind nur die spitze des Eisberges (ich sag da nur "Gay Barbarians", Chtulu-mässige Götter aus anderen Dimensionen, Merlin, ein Revolvermann Gottes uvm).
Auch wenn der letzte Nightside Band in meinen Augen geschwächelt hat - Green hält immer noch ein Niveau in seinen schwächeren Bänden die andere Autoren in ihren besten Momenten (gerade) schaffen
OK, ich geb es zu... ich bin ein Fan
Ach ja, Green hat zur Zeit noch eine andere Serie "Secret Histories". Thema: James Bond trifft auf übernatürliche Verschwörungstheorien a la Akte X. Und alles genauso "over the top" von den Ideen her wie der Nightside Zyklus.
Vielen Dank für die lobenden Worte.
Gerade habe ich Band 2 der Saga beendet (Rezension folgt in Kürze). Das Buch ist mindestens so gut wie Teil 1. So kann die Serie gerne weitergehen! Ein echtes phantastisches Highlight!
Die Ausgabe unten ist wieder ein typisches Beispiel eines Covers, das im Buchladen z.B. nicht mal halbwegs meine Neugierde entfachen würde, geschweige denn, das ich beim überfliegen des Covers den Klappentext noch lesen würde.
Der Roman mag durchaus gut sein, keine Frage, aber die Präsentation (das Cover soll den unbedarften Kunden ja locken) ist so was von grottenschlecht .