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Steampunk Dracula - Die Dracula-Fernsehserie

DraculaSteampunk Dracula
Die Dracula-Fernsehserie

Es gibt nur wenige literarische Figuren, die die Phantasie von Filmemachern und Autoren so beflügelt haben wie Vlad der Pfähler. Oder kurz und schlicht Dracula. Als der Ire Bram Stoker den Roman über seinen Vampirgrafen 1897 veröffentlichte – mit moderatem Erfolg -, hätte er bestimmt nicht damit gerechnet, dass sein Schurke gut 120 Jahre später nicht nur Stoff für neue Interpretationen bieten würde, sondern so etwas wie eine lukrative Industrie geworden ist.


Im Zuge der Vampirwelle im Fernsehen und dem Erfolg von Serien wie "True Blood", "Supernatural" und "Vampire Diaries" wollte auch der Network-Sender NBC 2013 auf den Zug aufspringen. (In der Folge enthält der Artikel deutliche Spoiler über den Serieninhalt!) Also beauftragte man den Produzenten und Autor Daniel Knauf damit, ein neues Serienkonzept über den Großvater aller Vampire zu entwickeln. Knauf hat unter anderem die gelungene Mysteryserie "Carnivàle" erschaffen.

DraculaFür die Hauptrolle von "Dracula" verpflichtete man Jonathan Rhys Meyers, dem Publikum bekannt als schlanker und reizbarer König Henry VIII. aus der Serie "The Tudors", der hier den Grafen mimen sollte. Den Abraham Van Helsing gab der vielbeschäftigte Thomas Kretschmann, der erst kurz zuvor den Dracula in Dario Argentos bizarrem, oft geschmähten aber nicht uninteressanten "Dracula 3D" spielte.

Schon von der ersten Pressemitteilung an war klar, dass es sich hier um ein sogenanntes Re-Imagining handeln würde. Zwar sollte die Geschichte im viktorianischen London spielen und die Figuren der Vorlage benutzt werden, aber sie sollte für das moderne Publikum aufgepeppt werden. Nicht ganz zu Unrecht ging man wohl davon aus, dass die Welt keine xte Neuerzählung von Stokers Roman braucht, erst recht nicht als Fernsehserie.

Also nahm man Motive und Figuren und erschuf eine völlig neue clevere Geschichte, die das vornehmlich junge Publikum ansprichen sollte.

Oder man nahm die Vorlage und warf sie in den Häcksler, zusammen mit allem, was die Figur Dracula ausmacht, bediente sich wahllos bei populären Vorbildern, huldigte dem Zeitgeist und erschuf so ein beliebiges und letztlich ungenießbares Produkt.

Ich neige zur zweiten Meinung. Man hätte den Namen Dracula auch durch Graf Zahl ersetzen können, ohne dass es einen großen Unterschied gemacht hätte.

DraculaDie Prämisse der Serie: Abraham Van Helsing erweckt den Vampir Dracula zu neuem Leben. Denn der mysteriöse "Orden des Drachens" und dessen derzeitiger Anführer, der Brite Browning, hat seine Frau und seinen Sohn umgebracht, und er will sich rächen. Nun hat dieser Orden vor ein paar hundert Jahren das gleiche Spiel mit Dracula getrieben – zur Strafe für irgendwas hat der Orden Draculas Frau massakriert und ihn zum Vampir gemacht.

Ein paar Jahre später, 1897 (eine zugegeben nette Anspielung), ist es dann soweit. In der Tarnung des stinkreichen Amerikaners Alexander Grayson stellt sich Dracula der snobistischen viktorianischen Gesellschaft vor. Der Orden macht derzeit in Öl, und Dracula will ihn erst einmal wirtschaftlich ruinieren, bevor er die Mitglieder zur Ader lässt, indem er das Ölgeschäft durch drahtlosen Strom aus einem "elektromagnetischen Resonator" kaputt macht. Ihm zur Seite stehen nicht nur Van Helsing, der an einem Vampirserum bastelt, damit der Blutsauger am Tag umhergehen kann, sondern auch sein schwarzer Diener Renfield, ein Anwalt aus Amerika.

Dracula fängt eine Affäre mit der hübschen Lady Jayne an, die insgeheim die Oberbuffy des Ordens ist, der – warum auch immer – eine Abteilung von Vampirjägern und Magiern beschäftigt. Aber er ist wie vom Donner gerührt, als er die junge Mina Harker kennenlernt. Mina will Ärztin werden und ist mit dem rückgratlosen Journalisten Harker verlobt. Vor allem aber sieht sie genauso aus wie Draculas tote Frau, und er ist sofort fasziniert, denn sie könnte eine Reinkarnation sein.

DraculaWährend sich Dracula und der Orden bekämpfen, stellt er Harker als PR-Manager ein, um Mina nahe zu sein, während die sich mit ihrer besten Freundin Lucy Westenra verkracht. Denn Lucy ist lesbisch und scharf auf Mina, die das so gar nicht erwidern kann.

Die zehnte und letzte Folge der Serie bietet dann ein actionreiches Finale, das noch wirrer als die vorangegangenen neun Folgen ist und vieles des Vorherigen recht sinnfrei ad absurdum führt. Am Ende bekommt Van Helsing seine Rache und tut sich mit Harker zusammen, um demnächst Dracula zu vernichten, während Dracula die Vampirjägerin tötet und seine geliebte Mina vögelt. Sein Teslagenerator ist aber in die Luft geflogen und hat das halbe Viertel zerstört.

Die Serie ist nicht ganz schlecht. Einige Elemente wissen durchaus zu gefallen. Kostüme, Kulissen und Kameraarbeit sind vorzüglich bis atemberaubend gut, die Ausstattung vor allem bei den häufigen Ballszenen verschwenderisch. Rhys Meyers wirft sich mit dem üblichen Elan in seine Rolle, sein Dracula ist wenigstens nicht die übliche gramgebeugte Jammergestalt, die (leider) so populär als Interpretation wurde. Die Actionszenen sind kompetent gemacht, die Vampiraction überaus blutig. Der Gewaltfaktor ist manchmal recht hoch, da werden Arme und Köpfe abgerissen und man watet buchstäblich im Blut, Sex hingegen gibt es natürlich nur züchtig im Korsett, ist halt kein Kabelfernsehen.

Aber der politisch korrekte Zeitgeist, in dem die Serie schwelgt, ist ermüdend. Natürlich ist eine werkgetreue Verfilmung des Stoffes heute undenkbar, erst recht in Serie. Der Vampirgraf muss schließlich der Held sein und nicht der Pestbringer aus dem ungewaschenen Ausland, der anständige christliche Frauen entehrt.

Hier ist die Political Correctness im vollen Gang. Als hätte man eine Liste abgehakt. Dass die Original-Mina bereits eine emanzipierte Frau ist – in den Grenzen der damaligen gesellschaftlichen Akzeptanz, schließlich wollte Stoker keine Sozialkritik schreiben – kann man heute in dieser Form nicht mehr vermitteln, also muss sie Ärztin werden und sich gegen die Männerwelt durchsetzen. Das kann man noch verstehen. Aber warum muss Lucy jetzt lesbisch sein? Ist das für die Geschichte irgendwie relevant? Nicht wirklich. (Besonders ärgerlich ist in diesem Zusammenhang, dass man den Machern in diesem Punkt nicht einmal die übliche PC-Borniertheit vorwerfen kann; in einer Nebenhandlung erpresst Dracula einen Lord mit dessen Homosexualität, was als historisches Element sogar durchaus mit vielem anderen pseudoviktorianischen Unsinn versöhnt. Es ist diese Gleichmacherei-Manie, die nervt.)

DraculaDer schwarze Anwalt/Bodyguard, der Dracula aus freien Stücken dient, ist allein für sich betrachtet sogar eine sehenswerte, serientragende Figur. Seine Originfolge gehört zu den Sehenswertesten der Serie. Er hat nur nichts mit dem Konzept Renfield zu tun, wie man es kennt. Renfield umzukrempeln, nur um ihn mit der Brechstange "neu" zu machen, bringt das wirklich Mehrwert?


Am Dümmsten ist aber der Orden des Drachen. Vielleicht gab es da ja einen Meisterplan, der in der fünften Staffel erklärt hätte, warum ein theoretisch transsilvanischer Männerbund zu einem britischen Club aus Industriebaronen a la Freimaurer mitsamt Ritualen mutiert ist, die 1897 durch Öl reich werden – ernsthaft? -, aber so, wie es sich hier darbietet, ist das Konzept genauso unspaßig wie die aus Buffy geklaute Vampirjägerin, die seiner Okkultabteilung vorsteht. Mina als Ärztin? Von mir aus. Lucy als Lesbierin? Wenn es denn sein muss. Aber eine Kung-Fu-Vampirjägerin, die durch das viktorianische London herumspringt, nur weil solche Figuren im TV mal populär waren und unbedingt die coole Killerfrau™ dabei sein muss? Nein danke. Da sehe ich doch lieber noch mal Joss Whedons Original. Da hat es wenigstens funktioniert.

Und je weniger man über die Inkarnation Mina/Draculas Ex nachdenkt, umso besser. Das war schon bei Coppola ein grässlicher Emo-Kitsch – wo man es geklaut hat, das lässt sich nicht beschönigen, und der Meisterregisseur hat es bei  Karl Freund geklaut, aber das ist ein anderes Thema. Dieser romantische Unsinn hat die Figur Dracula schon dort von innen nach außen gestülpt. Das braucht man nicht noch einmal.

Selbst wenn man diese Punkte beiseitelässt, ist das alles wenig unterhaltsam. Draculas Meisterplan ist so kompliziert und bescheuert, dass er bestenfalls als Comic funktioniert hätte, die Figur wird vom Plot und nicht von der Charakterisierung getrieben. Wenn es gerade mal opportun ist, wird in Zeitgeschichte gemacht, in der nächsten Szene sind wir wieder im Steampunk-London. Dann fehlen nur noch die Zeppeline am Himmel.

Offenbar gefiel es dem amerikanischen Publikum auch nicht. Nach zehn Folgen zog NBC den Stecker und stellte die Serie ein. Hierzulande lief es auf VOX. Und die Quoten waren so blutarm, dass man bereits nach wenigen Folgen den Rest im Doppelpack versendete, um den Pfahl schneller versenken zu können.

Das Angebot an Gruselserien im Fernsehen ist so groß wie nie. Die hier hat nicht funktioniert. Dieser Dracula wäre besser in seinem Sarg geblieben.

© Andreas Decker

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