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Anspruchsvolle Genrekost - »Men«

https://www.zauberspiegel-online.de/index.php/phantastisches/gesehenes-mainmenu-150/40864-anspruchsvolle-genrekost-menAnspruchsvolle Genrekost
»Men«

Nach dem Tod ihres Ex-Mannes James macht die junge Frau Harper Marlowe Urlaub im ländlichen England und mietet dort von dem Einheimischen Geoffrey eine Ferienwohnung an.

Die anfängliche Land-Idylle bröckelt jedoch bald und für Harper beginnt ein Albtraum, aus dem es kein Entrinnen zu geben scheint.

MenDas Genre des Folk-Horrors erfreut sich in den letzten Jahren steigender Beliebtheit. Besonders die beiden Regisseure Ari Aster und Robert Eggers sorgten mit ihren gefeierten Filmen „Hereditary“, „Midsommar“ sowie „The VVitch“ und „The Lighthouse“ für ein Revival dieser Unterart des Horror-Genres. Folk-Horror zeichnet sich dadurch aus, dass das erzeugte Grauen vor allem durch folkloristische Elemente erzeugt wird, etwa in Form von mythischen (Sagen)-Gestalten („Lair of the White Worm“ von Ken Russell), religiösen Kulten & mysteriöse Sekten („The Empty Man“), der Bevölkerung auf dem Lande („Children of the Corn“ - Filmreihe) oder der Natur selbst als Quelle der Bedrohung („The Hole in the Ground“). In vielen Folk-Horror-Filmen lässt sich außerdem eine deutliche Kontrastierung der Lebensräume Stadt und Land feststellen. Die Ursprünge des Folk-Horror-Genres reichen dabei bis in die späten 60er- und frühen7 0er-Jahre zurück als drei britische Filmproduktionen für Aufsehen sorgten, welche folkloristische Elemente als Basis für ihre Horror-Erzählung nutzen: „Der Hexenjäger“ mit Vincent Price, „The Blood of Satans Claw“ und natürlich der große Genre-Klassiker schlechthin, der „Citizen Kane unter den Horrorfilmen“: „The Wicker Man“ mit Christopher Lee als sinisteren Sektenführer. Diese drei Filme prägten die Grundstrukturen des Genres, welche sich auch in jüngeren Produktionen finden – etwa in „The Hallow“ oder „The Ritual“. Nun hat sich auch Regisseur Alex Garland (gefeiert von Kritikern und Publikum für das Sci-Fi-Kammerspiel „Ex Machina“ und dem surrealistischen Sci-Fi-Albtraum „Annihilation“) dieser Thematik angenommen und mit „Men“ einen äußerst sehenswerten Genrebeitrag erschaffen.

Garland bedient sich dabei beim im Genre sehr beliebten Motivs des Stadt-Land-Gegensatzes und entfaltet daraus eine bitterböse, metaphorische Abrechnung mit toxischer Maskulinität. Wie auch bei anderen Genre-Vertretern üblich, entfaltet sich der Horror bei „Men“ nur sehr schleichend – wer auf schnelle Schocks, Splatter-Exzesse und Jumpscares am laufenden Band hofft, dürfte enttäuscht werden. Der ungeduldige Horror-Fan dürfet sich bei minutenlangen Einstellungen der grünen Landschaft (unterlegt mit geradezu meditativer Musik) eher in einer Natur-Dokumentation des Discovery-Channel wähnen als in einem Horror-Streifen. Wer sich allerdings auf die meditative und gar transzendentale Kraft der präsentierten Bildkompositionen und die verwendetet Symbolik des Films einlässt, kann sich dem Sog des Geschehens bald nicht mehr entziehen.

MenDazu trägt auch die Farbgebung des Films bei, so sind die Rückblicke ins städtische London mit einem orangen Filter unterlegt (eine Farbe die statistisch von Männern bevorzugt wird), während bei den Geschehnissen am Land besonders die Farbe Grün betont wird. Garland nimmt sich viel Zeit behutsam die Charaktere und vor allem das Setting einzuführen: So erkundet das Publikum gemeinsam mit der Protagonistin Harper die saftig grüne Umgebung ihres Cottages, von weitläufigen Wiesen bis zum dichten Wald, und dringt somit immer tiefer in die vermeintliche ländliche Idylle ein, die zusehends zu bröckeln beginnt.


In dieser Hinsicht muss man zwangsläufig ein großes Lob an Rory Kinnear aussprechen, der fünf(!) Figuren verkörpert und allein schon durch seine Leinwand-Präsenz ein Gefühl des Unwohlseins beim Zuseher erzeugen kann – egal ob als schmierig-freundlicher Vermieter, als übergriffiger Pastor oder als zynischer Pub-Wirt. Dadurch, dass der Film immer konsequent die Perspektive von Harper beibehält, überträgt sich die Hilflosigkeit der Figur in vielen Situationen, in denen Harper mit von Männern evozierter Gewalt (egal ob psychischer oder physischer Natur) konfrontiert wird, direkt auf die Zuseher, wodurch es einem vor Anspannung schon einmal den Atem verschlägt.  Allzu subtil geht Garland dabei nicht unbedingt vor: Der Film problematisiert toxische Männlichkeit nämlich sehr plakativ aber durchaus in unterschiedlichen Facetten.  

MenIm finalen Akt (der sicherlich das Potenzial für ordentlich Diskussionsstoff und Kontroversen nach dem Kinobesuch hat) kommen dann auch noch Freunde des Body-Horros voll auf ihre Kosten. Der überdeutliche und vergleichsweise schwache CGI-Einsatz in diesen Szenen sticht zwar negativ ins Auge, fällt aber angesichts der starken Inszenierung nicht allzu sehr ins Gewicht.  

Fazit:
Alex Garland präsentiert nach „Annihilation“ erneut anspruchsvolle Genrekost in Gestalt eines grandiosen aber auch etwas sperrigen Folk-Horror-Films. „Men“ funktioniert über weite Strecken nur über die transzendentale Atmosphäre und erfordert durch seine überbordende Symbolik Geduld und die volle Aufmerksamkeit des Publikums. Wer sich darauf einlässt, wird mit einem einzigartigen Filmerlebnis belohnt - und einem überragenden Rory Kinnear in fünffacher(!) Ausführung.

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