Pratchetts Jingo: Von Fremdenhass in Ankh-Morpork
Pratchetts Jingo:
Von Fremdenhass in Ankh-Morpork
"Jingo" beschäftigt sich mit der Frage "besorgten Bürgern".
Dabei hätte das alles doch so einfach beredet werden können. Ja, gut, dieser unglückliche Zwischenfall bei den Fischern, die die Insel als Erstes betraten ist natürlich blöd gelaufen - hätte auch sicherlich mit der hohen Macht der Diplomatie bereinigt werden können. Ehrlich gesagt stellt Pratchett aber auch trocken fest, dass Ankh-Morporkh kaum andere Mittel als die der Diplomatie bleiben. Und trifft damit auf den ersten Seiten des Romanes in denen Vetinari mit den hohen Amtsträgern der Gilde diskutiert schon mal einen Punkt: Waffen sind ein Geschäft. Und das Geschäft an sich schert sich wenig darum an welchen Käufer man seine Produkte verkauft. Oder andererseits gesehen: Auf einmal sind diejenigen, denen man Waffen verkauft hat - "to pacify the outer regions of his empire" - nicht mehr Freunde sondern Gegner. Blöd, wenn man diese auch noch ausgebildet hat.
Aber das ist nur ein Punkt der Geschichte - auf einmal nämlich schlägt die Stimmung in Ankh-Morpork um. Bisher haben Klatchianer und Ankh-Morporkianer wenn nicht zusammen, dann doch immerhin ignorierend gelebt. Jeder kümmert sich um das, was vor seiner Haustür ist, aber auf einmal - nur weil eine unbedeutende Insel ohne wirklich viel Bodenschätze und mit einer Menge Bildern von riesigen Tintenfischen auftaucht - ist das Zusammenleben gestört. "It's time to show Johnny Klatchian a lesson" -auch wenn man selbst überhaupt nicht vor Ort war, die Tatsachen und Fakten gar nicht kennt und von daher gar nicht wissen kann ob die Insel jetzt wirklich strategische Bedeutung hat oder nicht. Erzählungen kursieren in Ankh-Morpork und mit dem Kapitän Jenkins gibt es auch Leute, die neue Erzählungen in Gang setzen. Zu ihrem eigenen Vorteil. Auch wenn Vimes zu Beginn des Roman diese Erzählung,"Klatchians have stolen my silk!" genüsslich auseinandernehmen kann. "Show them some cold steel, they will run away" ist ebenfalls eine Erzählung, die Pratchett später sehr schön ins Lächerliche zieht.
Übrigens muss man ja auch in den Krieg ziehen, weil man das ja immer schon so gemacht hat. Weil Tradition verpflichtet. Und wenn dann auch noch der klatchianische Abgesandte, der zu den Friedensgesprächen gekommen ist, durch einen Bogenschuss verwundet wird - dann ist das der Funke, der den Krieg auslöst. Dass Pratchetts Szenario unwillkürlich an den Ausbruch des ersten Weltkriegs erinnern lässt ist bestimmt kein Zufall. Die Parallelen zur Ermordung von JFK in Dallas sind natürlich sehr prominent - ein einsamer Bogenschütze, der in einem Lagerraum für alte Bücher wartet... Ja, Krieg ist jetzt unvermeidlich. Wenn auch Vimes das als die Stimme der Vernunft das nicht nachvollziehen kann."There are Klatchians born in Ankh-Morporkh for heavens sake!" geht ihm durch den Kopf während die Klatchianer Sack und Pack schultern und die Stadt verlassen.
Später im Roman wird Pratchett das noch einmal konkret aufnehmen. Wenn Carrot eine Auseinandersetzung mit dem jungen Goriff hat: "My home is here!"Goriffs Junge ist es egal ob jemand "somebodys delight and moon" ist. Er ist in der Stadt geboren, hat sein Leben hier verbracht und Klatch ist für ihn ganz weit weg. Auch wenn Nobby und Colon sich darüber unterhalten, wie man eigentlich die Fremdartigkeit des Anderen feststellt bringt Nobby Colon - wissentlich? - in Verlegenheit. Früher war alles besser: Man verschloss die Türen nicht - weil die Schlösser nämlich geklaut wurden. Was eine reine Pratchett Pointe ist, wird aber im Laufe des Gesprächs ernster: Ein echter Bürger von Ankh-Morporkh ist jemand, der hart arbeitet - "like Goriff" murmelt Nobby - und der seine Kinder gut erzieht - "Goriffs Kinder laufen immer in gewaschener Kleidung rum", so Hobby - der also eigentlich ein guter Bürger ist - "like Goriff". Bis Colon dann verlegen darauf hinweist, dass es auf die Farbe ankommt. "Which color am I, Sarge?", kontert Nobby. Und Colon, der dann bei der Musterung von Nobby aufgibt kann nur schwach das Argument anfügen, es komme auf die innere Farbe - er meint wohl die innere Einstellung an. Dass man diese nun nicht von außen direkt erkennen kann, das muss der Leser sich dann dazudenken.
Während dann sich der Konflikt zwischen Ankh-Morporkh und Klatch in Wohlgefallen auflöst - die Insel sinkt einfach wieder - lässt Pratchett offen, in wiefern sich in der Bevölkerung der Stadt nun wieder das übliche Alltagsleben einfindet, ob Vorurteile überwunden worden sind oder die Ereignisse in den Köpfen etwas ausgelöst haben. Colon und Nobby jedenfalls haben etwas gelernt: Während sie vorher in den "Klatchian Head" gegangen sind - "just a souvenir, Nobby, someone went to war and brought a head back" - sind sie sich am Ende des Romans dazu nicht mehr bereit. "The beer tastes like piss", murmelt Colon noch als Begründung. Sie wirkt etwas vorgeschoben. Natürlich gibt es in "Jingo" noch eine ganze weitere Reihe von Themen - und allein Nobbys Verwandlung in "Beti" zu erlesen ist ein Vergnügen, da hier Pratchett die ganzen Stereotypen des männlichen Sichtpunktes auf das weibliche Geschlecht zum Thema macht - und während später Pratchett anhand der Zwerge noch das Thema Extremismus besonders beleuchten wird, etwa in "Thud!" oder "Snuff" bringt er in "Jingo" schon die Argumente und Sichtweisen ein, die wir auf der Rundwelt ab und an auch mal bedenken sollten.